DIE MEISTEN MENSCHEN DENKEN IMMER, SIE MÜSSTEN IRGENDETWAS TUN, DAMIT ES IHNEN
MORGEN BESSER GEHT, UND WENN DAS MORGEN DANN DA IST, KÜMMERN SIE SICH WIEDER NUR
UMS MORGEN. SIE KAPIEREN NICHT, DASS ES UM DAS HEUTE GEHT.
Folklore als skurriles Theater
Wie Olinka Orphea & Band
ihr Publikum verslowakisieren
Freundliche Bären und ein rosa Regen
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Sie sieht aus, als hätte sie sich aus einem der genauso romantischen wie frechen
slowakischen Märchenfilme zu uns gebeamt: Olinka Orphea, die selbsternannte
Kammerpop-Prinzessin aus der Hohen Tatra, jenem letzten Paradies auf Erden, in
dem die Bären freigiebig Honig verschenken und jeder Regenwurm ein Poet ist. Das
jedenfalls behauptet sie in ihren Konzerten, die stets zu einer wilden Show
geraten, gemixt aus Folklore, Pop, skurriler Poesie und Theater.
TEXT: STEPHAN GÖRITZ
Ich begrüße Sie herzhaft
Mit diesem streng genommen zwar falschen, aber
treffenden Satz eröffnet Olinka Orphea jeden ihrer Abende. Dann können wir
erleben, wie sie ihren entlaufenen Hund mit dem vielsagenden Namen Amor sucht
oder wie sie in den Bergen erkennt, dass man mit Gesang nicht nur Steine zum
Weinen bringen, sondern auch eine Lawine auslösen kann. Für ihre
Bühnengeschichten dichtet sie Bekanntes wohltuend respektlos um, verwandelt
Mademoiselle De Paris von Henri Contet und Paul Durand in eine Hymne auf
Bratislava oder lässt Freddie Mercury einen gewissen Schokobrotaufstrich
preisen. Im Mittelpunkt aber stehen immer slowakische Volkslieder, für die sie
nie neue Texte schreiben würde. Dafür verehrt sie die Lieder ihrer Heimat viel
zu sehr. Sie können gleichzeitig froh und traurig sein und sind so vielfältig
wie das für Olinka Orphea wichtigste slowakische Volksinstrument, die
Hirtenflöte Fujara, ein langes Holzrohr, das es in über hundertzwanzig Varianten
gibt. Eine Fujara, ist sie überzeugt, würde sich mit den Instrumenten ihrer
Musiker gut verstehen, mit den Gitarren, dem Bass, dem Akkordeon und der
Schlägerei, wie sie das Schlagzeug nennt. Wie traurig für euch, dass es
deutsche Folklore ja nicht gibt, sagt Olinka Orphea, nicht als Provokation,
sondern mit ehrlichem Bedauern. Auch durch diverse Gegenbeispiele von Wacholder
bis Bobo lässt sie sich nicht von ihrer Überzeugung abbringen. Schließlich haben
die es nicht geschafft, Volkslieder in den Alltag zu integrieren, wie sie es in
ihrer Kindheit in Bratislava kennengelernt hat, wo Volkslieder auf jeder Party
gesungen wurden.
WIE TRAURIG FÜR
EUCH, DASS ES
DEUTSCHE FOLKLORE
NICHT GIBT.
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Trotz der politischen Enge in der sich sozialistisch nennenden CSSR wurde
Bratislava für Olinka Orphea zum schönsten Ort des Universums, denn sie fand
früh heraus, wie man seine persönliche Freiheit bewahren kann: indem man sich
Musik und Sprache von niemandem vorschreiben lässt. So geht sie heute in ihren
Programmen auch mit dem Deutschen frei um. Was bei manch anderem linkisch wirken
könnte, wird bei Orphea Olinkisch, eine Kunstsprache, die im vermeintlich
falschen Ausdruck das treffendere Bild findet. So spricht sie von ihrem Onkel
nicht wie von einem normalen Förster, sondern nennt ihn Waldmeister. Auch
würde sie nie sagen, dass sie etwa nicht alle Tassen im Schrank habe. Der Satz
Alle Tassen sind aus meinen Schränken verschwunden geht ihr jedoch wie
selbstverständlich von den Lippen.
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FOLKER auf Papier
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