Rezensionen NORDAMERIKA
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AKRON/FAMILY
S/T II: The Cosmic Birth And Journey Of Shinju TNT
(Dead Ocean DOC045/Cargo Records, akronfamily.com
)
13 Tracks 47:53
Akron/Family, bestehend aus den Multiinstrumetalisten Dana Janssen, Seth Olinsky
und Miles Seaton, gaben ihrem Album den verschrobenen Titel S/T II: The Cosmic
Birth And Journey Of Shinju TNT
– wozu sie aufgrund der vielen Nachfragen schließlich vermeldeten, sie
haben auch keine Ahnung, was das bedeute. Die Musik steht dem Titel in nichts
nach. Psychedelischer Folkrock kommt der Sache wohl noch am nächsten und wird
ihr doch nicht gerecht. Die komplexen Kompositionen werden spielerisch leicht
umgesetzt, wobei der mehrstimmige Gesang besonders herausragt. Der rote Faden
schlüpft einem allerdings des Öfteren durch die Finger, die Stücke schlagen
bisweilen ziemliche Haken. Vieles klingt nach Work in Progress, der Gedanke
liegt sehr nahe, dass S/T II: The Cosmic Birth And Journey Of Shinju TNT
einen Monat später vermutlich schon wieder ganz anders ausgefallen wäre. Ein
Werk, das erst geknackt werden will, bevor es seine Schätze preisgibt. Es
bleibt zunächst nichts anderes übrig, als sich erst einmal darauf einzulassen.
Dirk Trageser
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GEOFF BERNER
Victory Party
(Mint Records MRD-132/ Broken Silence, geoffberner.com
)
10 Tracks, 33:44, mit engl. Texten
Geoff Berners siebtes Album in elf Jahren ist von Josh Dolgin alias Socalled
produziert, dem Hiphop-Klezmor – nähme man den Wahlberliner Daniel Kahn
hinzu, wäre das Triumvirat der Enfants terribles der Klezmerszene komplett.
Ohne Zweifel wird Berner (acc), aus Vancouver stammend, mit Victory Party
seinem eigenen Anspruch gerecht, tatsächlich wirklich originelle Klezmermusik
zu spielen, betrunken, dreckig, politisch und leidenschaftlich. Dafür
engagierte er neue Musiker, etwa Lubo Alexandrov (g) oder die aus Brooklyn
stammenden Benjy Fox-Rosen (b) und Michael Winograd (kl), während von den
älteren Weggefährten weiterhin Wayne Adams (perc) sowie Diona Davies und
Brigitte Dajczer (beide vio) brillieren. Bereits mit dem Titelsong geht Berner
musikalisch in medias res, spielt Klezmer pur, wenn auch nicht auf die bekannte
traditionelle Weise – sondern musikalisch knallhart. Klezmerisch
unorthodox geht es weiter mit Daloy Polizei, in dem auch mit dem F***-Wort
nicht gespart wird, über Jail, nur um dort ein neues Paar Schuhe zu erhalten,
und Rabbi Berner Finally Reveals His True Religious Agenda, einer
spirituellen Prüfung, die nicht ein jeder bestehen kann. Phantastisch!
Matti Goldschmidt
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DROPKICK MURPHYS
Going Out In Style
(Cooking Vinyl COOKCD536/Indigo, www.dropkickmurphys.com
)
Promo-CD, 13 Tracks, 45:49
Wenn einen der heilige Zorn packt und man den Tinnitus nicht fürchtet, dann
liefern die Dropkick Murphys auf ihrem siebten Studioalbum lautstarke
Lebenshilfe. Obwohl in Boston beheimatet, klingt die Band wie eine elektrisch
gepimpte Variante der Pogues – voller Wut, Energie und Haltung, immer auf
der Seite der Benachteiligten. Die Themen der Texte bewegen sich durchaus in
irischer Tradition und drehen sich um die fiktive Person Cornelius Larkin, deren
Leben und Leiden. Musikalisch legen die Murphys Hochtempo vor. Wer allerdings
die ersten drei punkigen Nummern des Albums für das Ganze nimmt, wird dem
Septett nicht gerecht. Denn es ist durchaus zu differenzierten Arrangements und
gedrosselten Tempi in der Lage, zu hören etwa in Cruel, wo Akkordeon, Whistle
und Mandoline in die erste Reihe treten. Überhaupt wird hier das traditionelle
Instrumentarium nicht als Alibi in den Hintergrund gemixt, sondern ertönt an
vorderster Front. Die Jungs schöpfen aus dem keltischen Schatz, auch was
Melodieführung und Songstrukturen angeht. Und wer immer noch skeptisch ist, höre
sich 1953 an: Da schunkeln alle mit – tief berührt.
Volker Dick
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WILLIAM FITZSIMMONS
Gold In The Shadow
(Grönland CDGRON115/Rough Trade Distribution, www.williamfitzsimmons.com
)
Promo-CD, 10 Tracks, 37:49
Hatte es eine Bedeutung für sein Schreiben, Spielen und Singen, dass der junge
Kevin Coyne einst als Sozialarbeiter und Pfleger in der Psychiatrie ernsthaften
Einblick in das Leben an den Rändern der Gesellschaft bekam? Geschadet hat es
sicher nicht. William Fitzsimmons aus Jacksonville, Illinois, ist ausgebildeter
Psychiater und hat auch als solcher gearbeitet. Wenn er also in "Psychasthenia"
Serotonine erwähnt, weiß er wohl, was er tut. Womöglich selbst wenn er im
Refrain bittet "Cut me open please". Sein Gesang ist sanft, sein Ton verhangen
und warm. Die Musik, zu der er seine Beobachtungen zum Besten gibt, wurzelt im
Folk und seinen akustischen Instrumenten, nutzt aber auch moderne elektronische
Möglichkeiten wie Loops und Rhythmusmaschinen, um die hypnotischen, meditativen
Stimmungen zu erzeugen, in denen man geneigt sein könnte, davonzudriften und ein
bisschen nachzudenken – über die Musik, die Welt, sich selbst. Etwas
genauer hinzuhören als üblich, wie der junge Fitzsimmons es wohl auch bei seinen
Eltern gelernt hat – zwei Blinden, die ihren Sohn offenbar prächtig sehen
gelehrt haben. Und wie es anscheinend auch Herbert Grönemeyer beherrscht, der
Chef seines Berliner Labels
Christian Beck
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HOWE GELB AND A BAND OF GYPSIES
Alegrias
(Fire Records FIRECD166/Cargo Records, howegelb.com
)
Promo-CD, 13 Tracks, 40:25
Howe Gelb ist vielen als Kopf von Giant Sand ein Begriff. Seine
Wüsten/Alt-Country/Rock-Kapelle ist der Urvater des Tucson Desert Sounds. Dessen
prominenteste Vertreter, Calexico, sind direkt aus Giant Sand hervorgegangen.
Besucher des TFF Rudolstadt 2005 werden den kraftvollen Auftritt von Giant Sand
noch in wohliger Erinnerung haben. Und nun der neue Geniestreich des
Ausnahmekünstlers: Wüstenrock trifft Flamenco. Die Kraft des andalusischen
Nationalstils mit anderen Stilrichtungen zu verbinden haben schon andere
versucht – und sind regelmäßig gescheitert. Howe Gelb jedoch gelingt auch
dieses Kunststück. Bei ihm klingt die Verbindung so authentisch, als wäre Zorro
persönlich an der Produktion beteiligt gewesen, in diesem Falle Raimundo Amador,
der bereits Björk oder B.B. King seine Flamenco-Kompetenz zur Verfügung stellte.
Ein Treffen der Könner also, und eine Rechnung, die aufgeht: Howe Gelb klingt an
jeder Stelle so sehr nach Howe Gelb, als hätte er nie etwas anderes gespielt.
Produziert in der glühenden Sonne Spaniens, spielt die Band of Gypsies sich die
Seele aus dem Leib und zwingt den Hörer in ihren Bann. Großes Kino – auch
ohne Zorro.
Chris Elstrodt
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LEADBELLY
The Rough Guide To Blues Legends: Leadbelly
(World Music Network RGNET 1244/Harmonia Mundi, www.worldmusic.net
)
22 Tracks, 67:49, mit engl., span. und franz. Infos + Bonus-CD Folk & Blues Legends, 11 Tracks, 32:10
Nichts für Leadbelly-Fans, die hier vertretenen Songs des Folkbluesmusikers sind
alle längst erhältlich. Kenner mögen zudem das eine oder andere vermissen, wie
etwa ein Beispiel für Leadbellys Kinderlieder. Als Einstieg erfüllt die
Zusammenstellung von Nigel Williamson jedoch ihre Funktion, denn wer in der
jüngeren Generation von Musikfreunden weiß etwa schon, dass der Erfolgstitel
Rock Island Line des englischen Skifflesängers Lonnie Donegan aus der Feder
Leadbellys stammt? Ebenso Creedence Clearwater Revivals Midnight Special. Dass
Led Zeppelin aus seinem Gallis Pole ihren Gallows Pole machten oder die
Rolling Stones seinen Bourgeois Blues zu When The Whip Goes Down
umschrieben? Die Bonus-CD mit dem Titel Folk & Blues Legends
hilft, Leadbelly in seine Zeit einzuordnen. Seine darauf unter anderem
vertretenen Zeitgenossen Woody Guthrie, Josh White, Sonny Terry und Brownie
McGhee gehörten zum Umfeld, in dem sich Leadbelly in den Vierzigerjahren in New
York bewegte. So traten sie alle gemeinsam in der CBS-Radioshow Back Where I
Come From auf, produziert von Alan Lomax und Nicolas Ray, der als Regisseur 1955
Denn sie wissen nicht, was sie tun mit James Dean drehte.
Michael Kleff
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JOHN-ALEX MASON
Jook Joint Thunderclap
(Naked Jaybird Music NJBM-008, www.johnalexmason.com
)
10 Tracks, 42:28, mit engl. Texten
Punkte kann man dem sechsten Album des Sängers und Gitarristen John-Alex Mason
gleich für das Cover vergeben. Was dann musikalisch auf Jook Joint Thunderclap
zu hören ist, wirkt ebenso solide, ist aber nur auf den ersten Höreindruck
genretypisch: Zwar zeigt die Musik durchaus den typischen stampfenden
Südstaatenboogie (Gone So Long) oder Anklänge an Bluegrass (More Than
Wind), der Gesang Cody Burnsides, Enkel der Mississippi-Blueslegende Robert
Lee Big Daddy Burnside und Gast am Mikrofon, sein Bruder Cedric bedient das
Schlagzeug, driftet jedoch gelegentlich unversehens in Rap-Rhythmen ab –
faszinierenderweise ohne dass dies zunächst auffällt oder wie ein Fremdkörper
wirkt. Interessant auch die ungewohnte Anreicherung der Instrumentierung mit
Balafon und Djembe, die einem Bluesrockstück ungewöhnliche Aspekte abgewinnen
(Riding On). Natürlich aber zerren die Gitarren, rollen Bass und Schlagzeug,
wimmern die Geigen – wenn es passt. Das Songwriting ist durchweg stark,
und bei Diamond Rain hebt die Musik plötzlich mit einer fröhlichen
Leichtigkeit ab und legt einen Schwung an den Tag, der an Bob Dylans
Desire erinnert – nicht zuletzt Dank Lionel Youngs Fiddle.
Carina Prange
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ROBBIE ROBERTSON
How To Become Clairvoyant
(429 Records/Fontana/Universal Music Group, www.robbie-robertson.com
)
Promo-CD, 12 Tracks, 59:07
Insgesamt gut in Form präsentiert sich auf seinem ersten Album seit 13 Jahren
der Kanadier, der mit The Band einst auf den Weg brachte, was man heute
Americana nennt. Die Texte der Anleitung zum Hellseher
schlagen speziell im Hinblick auf das Zerwürfnis mit den ehemaligen
Band-Kollegen interessante Funken: One mans trash is another mans treasure /
One mans pain is another mans pleasure / Play too hard, play too rough / And
someday someones gonna call your bluff – redet er da von den
Urheberrechten, die er sich komplett unter den Nagel gerissen hat? I was
riding on the night train / I been moving in the fast lane / I was only trying
to kill the pain / Too far gone – ahnt dies das Fegefeuer der Schuld
nur? Oder beschreibt es gar schon, wie es dort war? Musikalisch gerät endlich
das atmosphärische Daniel-Lanois-Gewaber der Solojahre langsam ein Stück in den
Hintergrund, stattdessen wird in den besseren Momenten wieder geradlinig und
knackig erzählt. In schwächeren Momenten dagegen wird erstaunlich sentimental
und platt dahergesülzt, ersteres musikalisch, letzteres textlich. Und in
mittleren Momenten wird auch mal wie Eric Clapton gesungen. Kein Wunder –
er ist es selbst.
Christian Beck
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PAUL SIMON
So Beautiful Or So What
(Hear Music 08880 7232814 3/Concord/Universal Music Group, www.paulsimon.com
)
10 Tracks, 38:45
Trotz aller Vorschusslorbeeren erschließt sich Paul Simons neues Album nicht
direkt beim ersten Mal. Doch es erstaunt mit seinen Arrangements und
Songstrukturen. Der Opener legt mit einem stampfenden Rhythmus los, zwischendrin
gibt es Samples eines Baptistenpredigers. Dazzling Blue verblüfft mit einer
Metamorphose zwischen indischen Tablas, Tremologitarre und Bluegrassgefiddel.
Über all dem singt Simon unbeeindruckt seine Ohrwürmer. Rewrite hat einen
äußerst vertrackten Gitarrenrhythmus, umspielt von einer Kora. Das Stück wird
von einem Foot-Tapping-Beat zusammengehalten. Und Love And Hard Times erinnert
an Simons Platten aus den Sechzigern. Während sich alle möglichen Bands heute
darin überschlagen, den Zeitgeist im wilden Kreuzen aller Musikstile zu finden
und doch nichts anderes als eine Jukebox dabei herauskommt, braucht der fast
70-jährige für seinen Anti-Aging-Effekt zwar weder einen Gast-Rapper noch eine
Ska-Nummer. Aber auch er probiert einfach tausend Ideen und hat plötzlich ein
Arrangement stehen, wie es noch keiner gebracht hat. Und die Songs würden auch
ohne diese besonderen Zutaten funktionieren.
Hans-Jürgen Lenhart
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FOLKER auf Papier
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