FOLKER – Bob Dylan – Das Spätwerk eines Meisters
Bob Dylan 2009

Folker-Würdigung
zum Siebzigsten (1)

Der „echte“ Bob Dylan –
eine Fiktion?

Das Spätwerk eines Meisters

VON MANFRED MAURENBRECHER

Love And Theft
 
Shot Of Love
 
Time Out Of Mind

Als Bob Dylan 1997 an einer Herzbeutelentzündung erkrankte, waren die Lieder schon im Kasten, die ihm wenig später unter dem Titel Time Out Of Mind Ruhm und Ehre zurückbrachten. Sieben Jahre lang hatte er kein eigenes Stück mehr veröffentlicht, jetzt schien er im Sterben zu liegen. Time Out Of Mind (von den Dylan-Bewunderern „TooM“ abgekürzt) ist außerdem eine Sammlung von absagenden, Enttäuschung auflistenden Liedern eines Mannes, dem die Welt in Stücke fällt und der fortwill, historisch und seelisch raus. Sein Gespräch mit einer jungen Kellnerin in einem Bostoner Restaurant, in die Mitte des langen finalen Blues „Highlands“ einmontiert, klingt wie der Small Talk zwischen zwei Übriggebliebenen im Menschenleeren. Misslungene Annäherung, archetypisch.

Bob Dylan reißt immer mal wieder Themen für sich an. Auf die keiner kommt. Das – und nicht Kunstfertigkeit oder Authentizität, Profitum oder Cleverness – unterscheidet ihn von den anderen.

Hochpathetische Nachrufe wären das geworden. Alles hätte schlüssig gewirkt an der Kurve dieses Künstlerlebens: Weitgeschwungener Weg nach unten. Wie der jugendliche Weltstar, Rebell und Shakespeare der Musicbox, der glänzend die Grenzen zwischen Literatur und Pop einriss, wie der politische Dichter, der sich den Ideologien entzog und mit Stilen und Images jonglierte wie keiner vor ihm, wie der konservative Revolutionär, Familienmensch, Gottsucher und Hallodri, der sich in Egozentrik verfing und Schutz in religiösen Fundamentalismen suchte, wie dieses seltsame Phänomen für Markt und Musikgeschichte („das ungewaschene Phänomen“ nannte ihn seine Freundin Joan Baez), Ikone von zwei Generationen, Komponist von Klassikern für alle Lagerfeuer, immer seltsamer wurde, in Wiederholungen stummer, mit kleiner Band auf unendlicher Tour, Konzert für Konzert, Eigenes bis zur Unkenntlichkeit verbiegend, dafür entlegene Volkslieder liebevoll entbergend wie zu Beginn der Karriere, bis er sich mit diesem Schwanengesang verabschiedete, in den Liedern verschwindend wie ein Schauspieler
Bob Dylan 2010; Foto: Alberto Cabello
in den Kulissen. „Er muss wohl gewusst haben, dass er stirbt …“, solche Nachrufe wären das geworden – vielleicht mit der Parallele von TooM zum posthumen Liederzyklus Franz Schuberts, der Winterreise – zumal Dylans Sprache sich hier an die der Romantik anschließt.

Todd Haynes drehte später das Biopic I’m Not There, das wie solch ein Nachruf wirkt. Doch „the transcendent“ (Jack Nickolson über Bob Dylan) lebte weiter. Es gibt ein Stück, wo die Wendung vorformuliert ist, es entstand für TooM, kam aber erst eine Platte später raus, denn Dylan versteht es, die Fenster geschlossen zu halten, wenn die Luft dick sein soll. In dem Lied „Mississippi“ münden die Selbstvorwürfe und Abschiedsgesten in der Feststellung, die nassen Klamotten nach einem Schiffsunglück säßen ihm nicht so dicht am Leib wie die Ecke, in die er sich selbst reingemalt habe – aber: „Halt aus! Das Schicksal wartet ja nur darauf, einmal wieder freundlich sein zu dürfen. Also gib mir die Hand und sag, du bist mein …“

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