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Folker-Würdigung
zum Siebzigsten (1)
Der echte Bob Dylan –
eine Fiktion?
Das Spätwerk eines Meisters
VON MANFRED MAURENBRECHER
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Als Bob Dylan 1997 an einer Herzbeutelentzündung erkrankte, waren die Lieder
schon im Kasten, die ihm wenig später unter dem Titel Time Out Of Mind
Ruhm und Ehre zurückbrachten. Sieben Jahre lang hatte er kein eigenes Stück
mehr veröffentlicht, jetzt schien er im Sterben zu liegen. Time Out Of Mind
(von den Dylan-Bewunderern TooM abgekürzt) ist außerdem eine Sammlung von
absagenden, Enttäuschung auflistenden Liedern eines Mannes, dem die Welt in
Stücke fällt und der fortwill, historisch und seelisch raus. Sein Gespräch mit
einer jungen Kellnerin in einem Bostoner Restaurant, in die Mitte des langen
finalen Blues Highlands einmontiert, klingt wie der Small Talk zwischen zwei
Übriggebliebenen im Menschenleeren. Misslungene Annäherung, archetypisch.
Bob Dylan reißt immer mal wieder Themen für sich an. Auf die keiner kommt. Das
– und nicht Kunstfertigkeit oder Authentizität, Profitum oder Cleverness
– unterscheidet ihn von den anderen.
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Hochpathetische Nachrufe wären das geworden. Alles hätte schlüssig gewirkt an
der Kurve dieses Künstlerlebens: Weitgeschwungener Weg nach unten. Wie der
jugendliche Weltstar, Rebell und Shakespeare der Musicbox, der glänzend die
Grenzen zwischen Literatur und Pop einriss, wie der politische Dichter, der sich
den Ideologien entzog und mit Stilen und Images jonglierte wie keiner vor ihm,
wie der konservative Revolutionär, Familienmensch, Gottsucher und Hallodri, der
sich in Egozentrik verfing und Schutz in religiösen Fundamentalismen suchte, wie
dieses seltsame Phänomen für Markt und Musikgeschichte (das ungewaschene
Phänomen nannte ihn seine Freundin Joan Baez), Ikone von zwei Generationen,
Komponist von Klassikern für alle Lagerfeuer, immer seltsamer wurde, in
Wiederholungen stummer, mit kleiner Band auf unendlicher Tour, Konzert für
Konzert, Eigenes bis zur Unkenntlichkeit verbiegend, dafür entlegene Volkslieder
liebevoll entbergend wie zu Beginn der Karriere, bis er sich mit diesem
Schwanengesang verabschiedete, in den Liedern verschwindend wie ein Schauspieler
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in den Kulissen. Er muss wohl gewusst haben, dass er stirbt
, solche Nachrufe
wären das geworden – vielleicht mit der Parallele von TooM zum
posthumen Liederzyklus Franz Schuberts, der Winterreise – zumal
Dylans Sprache sich hier an die der Romantik anschließt.
Todd Haynes drehte später das Biopic Im Not There, das wie solch ein
Nachruf wirkt. Doch the transcendent (Jack Nickolson über Bob Dylan) lebte
weiter. Es gibt ein Stück, wo die Wendung vorformuliert ist, es entstand für
TooM, kam aber erst eine Platte später raus, denn Dylan versteht es, die
Fenster geschlossen zu halten, wenn die Luft dick sein soll. In dem Lied
Mississippi münden die Selbstvorwürfe und Abschiedsgesten in der Feststellung,
die nassen Klamotten nach einem Schiffsunglück säßen ihm nicht so dicht am Leib
wie die Ecke, in die er sich selbst reingemalt habe – aber: Halt aus! Das
Schicksal wartet ja nur darauf, einmal wieder freundlich sein zu dürfen. Also
gib mir die Hand und sag, du bist mein
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