Rezensionen EUROPA
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ALMRAUSCH TERZETT
Aus voller Brust
(Volkskultur Niederösterreich HeiVo 89, www.briga.at/links/almrausch_terzett.html)
18 Tracks, 51:01, mit dt. Texten und Infos
Drei Frauen aus Niederösterreich, die sich selbst mit Gitarre, Drehleier und
Zither begleiten, singen sich durch ein Repertoire von Volksliedern vorwiegend
aus dem 19. Jahrhundert oder noch älter. Ihr Anspruch ist, dies jenseits von
Süßlichkeit und verkrampftem Bemühen um historische Richtigkeit zu tun, ihr
Erfolg bei zahlreichen Festen bestätige sie darin. Die Urteile in Fragen der
Süßlichkeit und der historischen Richtigkeit mögen relativ und
möglicherweise so nur in Österreich von Fachleuten zu beantworten sein –
allein, wer das Trio hört, kann sich über die Titelauswahl ob dieser
Vorankündigung nur wundern: Zu christlichen Erbauungsliedern, Liebesliedern und
Jodlern kommen Lieder, die eigentlich ursprünglich derb erotisch oder
obrigkeitskritisch gemeint waren, diesen Gehalt aber längst verloren haben und
ihn auch durch eine Neuinterpretation, die wie im vorliegenden Falle auf jede
Form der ironischen Brechung oder der Aktualisierung verzichtet, nicht wieder
erlangt. Es ist halt koa Schrot in der Büx (Die drei Jagersbuam) mehr, wenn
man nicht nachzuladen versteht.
Harald Justin
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AUDIOFOLK
Sagghie U Mare
(Eigenverlag, www.audiofolk.it
)
14 Tracks, 72:51, mit Texten
Gruppen wie Audiofolk sind in Italien vom Aussterben bedroht. Nicht zu Unrecht
trägt das Septett den Begriff Folk im Gruppennamen. Das ist keine Welt- und
keine Ethnomusik, viel eher Folk, wie er vor zwei Jahrzehnten aktuell war. Die
Musik von Audiofolk lässt sich kaum regional zuordnen. Man spürt den Süden, das
Meer. Da ist die Tarantella, aber auch der Einfluss der cantautori,
der Liedermacher, herauszuhören. Alle Stücke des Albums sind
Eigenkompositionen, die sich an die süditalienische Musiktradition anlehnen. Mit
verschiedenen Saiteninstrumenten, Bass, Akkordeon, Geige, Querflöte und
Percussion schaffen Audiofolk einen vollen, aber nie überladenen Gesamtklang.
Stark sind die sich hervorragend ergänzenden Frauen- und Männerstimmen. Manche
der Stücke besitzen Ohrwurmqualitäten und rufen nach Ferien am Mittelmeer. Eines
davon, Adriatico, singt das Hohe Lied auf die Sarazenen, Türken, Griechen und
Albaner, die sich im Laufe der Jahrhunderte im Süden Italiens niedergelassen
hatten. Damit sprechen Audiofolk den aktuellen Pizzicca-Pizzicca-Bands aus
Salento aus dem Herzen.
Martin Steiner
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HELENE BLUM
Liden Sol
(Pile House Records PHR0410, www.heleneblum.dk
)
10 Tracks, 31:09
Der kleinen Sonne, als Umschreibung für die Wintersonne und den Winter, ist
dieses zweite Soloalbum der dänischen Sängerin und Geigerin Helene Blum
gewidmet. Die Musikerin fühlt sich dem dänischen Liederschatz eng verbunden: Es
ist ein wundervoller Spiegel unserer Sprache, der Zeit in der wir leben, unserer
Wurzeln und der Natur, die uns umgibt
eine ewige Quelle der Inspiration, wie
sie es ausdrückt. Das heißt aber auch, dass sie nicht nur traditionelle Lieder
ausgewählt hat, sondern auch zeitgenössische wie Durch Mark und Bein und die
beiden, zu denen sie die Musik geschrieben hat, wie Dezembernacht mit
Flügelhornbegleitung von Torben Sminge. Ein eingängiger Song, der größere
Verbreitung finden könnte. Die übrigen Begleiter, mit denen sie auch auf Tournee
geht, sind ihr Ehemann und Mitproduzent Harald Haugaard (v/mand), die junge
Cellistin Kirstine Pedersen, Rasmus Zeeberg (g/mand), Sune Hansbæk (g), Tapani
Varis (b) und Sune Rahbek (perc). Aber über aller ausgefeilten Begleitung
schwebt die helle Stimme von Dänemarks Folkengel, wie manche sie nennen. Zum
Abschluss ein schnelles Lied mit atemraubender Mandolinenbegleitung.
Bernd Künzer
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COOPE BOYES & SIMPSON
As If
(No Masters NMCD35, www.coopeboyesandsimpson.co.uk
)
12 Tracks, 47:12, mit engl. Texten u. Infos
Lange hat es gedauert, bis sich eine der profiliertesten A-capella-Gruppen der
britischen Inseln mal wieder für ein Album zusammenfand, acht Jahre um genau zu
sein. Es hat sich gelohnt, ganz ohne Frage. Coope Boyes & Simpson sind drei
Sänger, denen man den Enthusiasmus und die Überzeugung an den kräftigen, perfekt
harmonierenden Stimmen anhört. Die Lieder stammen von Künstlern wie Michael
Marra oder Richard Thompson, gerne auch von Amerikanern wie Jean Ritchie oder
Happy Traum oder – wie fünfmal der Fall – aus eigener Feder.
Besonders erfreulich ist, dass die drei Herren bei aller Begeisterung über
Harmonien nie vergessen, dass es auf unserem Planeten auch genügend Dissonanzen
gibt; diese Tatsache spiegelt das Repertoire nachhaltig wieder. Favorit des
Rezensenten textlich ebenso wie von der Musik her: Spring 1919 – die
Zeit heilt alle Wunden, aber oft eben nur sehr, sehr langsam. Songs auf höchstem
Niveau!
Mike Kamp
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ROYAL SCOTTISH ACADEMY OF MUSIC AND DRAMA
The Future Of Our Past – Scottish Music At The RSAMD 2010
(Greentrax Recordings CDTRAX357, www.greentrax.com
)
15 Tracks, 62:50
JEANA LESLIE & SIOBHAN MILLER
Shadows Tall
(Greentrax Recordings CDTRAX352, www.jeanaleslie-siobhanmiller.co.uk
)
11 Tracks, 44:28, mit engl. Texten u. Infos
So bewahrt und entwickelt man traditionelle Musik – etwas, was es
vergleichbar hier in Deutschland noch nicht einmal ansatzweise gibt! 49
Studentinnen und Studenten aus vier Studienjahrgängen der Royal Scottish Academy
of Music & Drama zeigen entsprechend dem tiefsinnigen Titel, wie Schottlands
Altes frisch und zeitgemäß bleibt. Koproduzenten Phil Cunningham –
mittlerweile Prof! – und Findlay Napier leiten die Songs und Tunes
zurückhaltend, wobei so gut wie jedes schottische Folkinstrument zum Einsatz
kommt. So viel Talent! Absolventinnen der Academy sind Jeana Leslie &
Siobhan Miller, die mit Shadows Tall
unterdessen ihr zweites Album vorlegen. Songorientiert ist das Werk, bei zwei
solch attraktiven Stimmen nachvollziehbar. Nur zwei Instrumentals bei
instrumentellen Könnern (Fiddle, Piano, Hardanger) sprechen für eine bewusste
Entscheidung. Wunderbares Duoalbum, wobei das Antikriegslied The Kings
Shilling unter ausnahmslos schönen Tracks herausragt. Warum allerdings in den
kurzen Bios schamhaft verschwiegen wird, dass Leslie seit letztem Jahr Teil der
deutsch-schottisch-irischen Combo Cara ist, bleibt ein wenig unverständlich.
Mike Kamp
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ENSEMBLE MARÂGHÎ
Anwar
(Felmay fy 8172/Pool Music & Media Service, www.myspace.com/maraghi)
12 Tracks, 46:58, mit engl. Textbeilage
Das Ensemble Marâghî benannte sich nach dem berühmten Musiker und Komponisten
Abd ul-Qâdir ibn Ghaybi Marâghî, der um 1400 im Kulturraum Seidenstraße wirkte.
Die musikalische Reise vollzieht sich zwischen Herat (Afghanistan), Bagdad und
Samarkand und reicht bis nach Konstantinopel, wo Marâghîs Kompositionen die
osmanische Musik nachhaltig beeinflussten. Das Ensemble Marâghî ist in Venedig
zu Hause, wo der osmanische Hof Jahrhunderte lang eine Karawanserei unterhielt.
Neyspieler Giovanni De Zorzi erinnert in seinen feinen Verzierungen an seinen
Lehrmeister Kudsi Ergüner. Hinzu kommen eine recht bieder gespielte
Kurzhalslaute Ud und eine gute orientalische Percussion. Im eigentlichen Zentrum
steht jedoch die iranische Sängerin Sepideh Raissadat, die heute auf vielen
Bühnen außerhalb des Irans gastiert, anstatt sich in ihrer alten Heimat als
Sängerin in die Privatsphäre verbannen zu lassen. Sie singt in mehreren
Ensembles und veredelt hier auch das italienische Trio. Die zwölf Stücke und der
musik- und zeitgeschichtliche Kontext werden im Booklet knapp und kompetent
beschrieben. Die Stücke stehen fast ausschließlich in zwei verschiedenen
orientalischen Tonfolgen (Makams), das Repertoire zeichnet sich allerdings durch
stilistische Vielfalt aus.
Birger Gesthuisen
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JOHANNA JUHOLA REAKTORI
Tango roto live
(Texicalli Records JJCD001, www.johannajuhola.net
)
10 Tracks, 53:37, mit engl. Infos
Vom ersten bis zum letzen Ton überzeugend, spieltechnisch brillant, mit
zauberhaft schönen kompositorischen Ideen und so feinem wie spannungsfähigem
Fingerspitzengefühl für Arrangements kommt dieser Livemitschnitt von 2009 aus
dem Savoy-Theater in Helsinki, und betont einmal mehr die offenbar musikalisch
hochkreative Überlagerung der Frische des Ostens mit Mystik des Nordens.
Komponistin und Akkordeonistin Johanna Juhola spielt mit den Möglichkeiten ihres
Instruments, reizt sie aus und scheint das Akkordeon neu zu erfinden, sie
schreibt auch die Tangogeschichte insofern weiter, als sie mit Respekt und per
Klangzitat auf die historischen Ursprünge verweist, aber mit der allergrößten
Selbstverständlichkeit diese traditionelle Linien auch durchbricht. Und zwar
durch die Art ihrer Kompositionen, die Besetzung ihrer Gruppe Reaktori (voc,
pian, acc, live electronics), vor allem aber durch eine überbordende
Lebensfreude, die wie ein Wirbelwind daherkommt, jedwede verstaubte Patina
fortweht, jedes falsche Pathos ausschließt und als unbedingte Einladung zum Tanz
hier und heute gehört werden wird. Tangokultur als Brücke zur und im positiven
Sinne Bruch mit der Vergangenheit gleichermaßen.
Cathrin Alisch
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KARUNA
Hyvää Matkaa
(Kanteleen Aania Aania-17, www.myspace.com/karunatrio
)
12 Tracks, 50:24
Das finnische Trio Karuna legt sein erstes Album vor, rein Instrumental mit
Nyckelharpa, Geige, Akkordeon und Orgel. Ihre Musik orientiert sich an
finnischer Volksmusik und an der Musik des Barock, und mehr als einmal erinnert
sie an Arcangelo Corelli und indirekt auch an irische Musik jener Epoche des 17.
und 18. Jahrhunderts – da sich auch Turlough OCarolan von Corelli
beeinflussen ließ. Es beginnt ernst, mit Sonetti 1, wird später durch Polska
und Mazurka durchaus schmissig und durch die Orgel beim Karuna sogar sakral,
und beim Titelstück Hyvää Matkaa reibt die Hörerin sich erstaunt die Ohren: Es
klingt wie Muß i denn, gespielt wie ein schottischer Strathpey, und
tatsächlich heißt dieser Titel in hinzugefügter Übersetzung Bon Voyage. Ein
Album voller Überraschungen also, und wirklich jedes Stück klingt wunderbar und
muss sofort wieder angeklickt werden – absolut empfehlenswerter Silberling
also, nur bitte, liebe Plattenfirma, spendiert uns beim nächsten ein paar
Infos!
Gabriele Haefs
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SVAVAR KNÚTUR
Kvöldvaka
(Beste! Unterhaltung Bu006/Broken Silence, www.svavarknutur.com
)
11 Tracks, 50:13
Manchmal braucht es so wenig, um glücklich zu sein: nur eine Ukulele, einen
Bass, weibliche Backingstimmen und einfühlsamen Gesang – so wie es Svavar
Knútur im Opener seines Debütalbums mit Clementine zeigt. Leider geht es nicht
durchgehend derart ergreifend weiter, wiewohl der Isländer immer wieder mit
berückenden kleinen Melodien besticht. Allzu oft aber begnügt er sich mit
romantischem Wohlklang von Akustikgitarre, Cello, Bass und Melodika, gefällt
sich in schlicht instrumentierten Balladen, mal auf Englisch, mal auf Isländisch
gesungen. Andererseits: Vielleicht gibt der Albumuntertitel Songs By The Fire
tatsächlich die Richtung vor: Da sitzt einer noch spät nach Mitternacht am
Feuer, singt seine Lieder und liefert so den atmosphärischen Soundtrack für
einen unvergesslichen Abend. So kann man sich beim Knutschen stimmungsvoll
begleiten lassen. Nur beim letzten Track werden alle wieder hellwach: Knútur
liefert mit Leipzig ein überraschend munteres Ende, wozu ihn offenbar die
Erlebnisse einer Deutschlandreise bewegt haben. Schade, dass der Inhalt der
isländischen Songs nirgends näher erläutert wird. Trotzdem bleibt die warme
Stimme des Sängers: Die Frauen werden ihn lieben.
Volker Dick
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KRAJA
Brusand Hav
(Erased Tapes/Westpark 87199/Indigo www.kraja.nu
)
15 Tracks, 56:04, mit schwed. Texten u. dt. u. engl. Übersetzungen
Brausendes Meer heißt das dritte Album des Vokalquartetts aus Nordschweden,
auch wenn das Coverfoto eher sommerlich ruhig ist. Lisa und Eva Lestander,
Linnea Nilsson und Frida Johansson haben hier Neues gewagt: eigene Melodien zu
eigenen Texten oder Gedichten von Edith Södergran, Karin Boye, Nils Ferlin und
anderen. Geblieben ist das selbst arrangierte verzaubernde Klangbild, das bei
diesen Kompositionen noch dichter geworden ist. Besonders bei den schwierigen
langsamen Stücken spürt man den hohen Grad an Harmonie der vier Stimmen. Da
werden, wie bei Bäckens Första Bubblor, einem Gedicht von Ludvig Runeberg
– Melodie von Eva Lestander -, meditative Spannungen aufgebaut, die Jonas
Knutsson mit dem Sopransaxofon zart umspielt. Einen ähnlichen Eindruck hat man
bei Svantes Visa von Linnea Nilsson, Gitarre Nano Stern, und bei Tystnaden
von Frida Johansson, wo sich Gastpercussionist Petter Berndalen mehr am Klang
als am Rhythmus orientiert. Das Experiment mit den drei mehr der
Improvisationsmusik zugetanen Musikern ist glücklich gelungen, es bietet
Perspektiven. Während Folk Baltica in diesem Jahr Anfang April hat Kraja mehrere
Liveauftritte in Flensburg und Umgebung (siehe Blaue Seiten).
Bernd Künzer
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JOHAN MEIJER
Europeana: Raum & Zeit
(Eigenverlag, www.nederossi.nl
)
Do-CD, 23 Tracks, 133:58, mit dt. Texten u. Infos
Eine politische Liederreise des niederländischen Singer/Songwriters Johan Meijer
durch das Europa des 20. Jahrhunderts, wo nicht sowieso deutsch in Übertragungen
ins Deutsche. CD eins mit dem Titel Zeit
versammelt Lieder von Brendan Behan, Mikis Theodorakis, Vladimir Vissotski,
BAP, Gerhard Gundermann und Wenzel; sie beschäftigen sich mit Krieg und
Frieden, Unterdrückung und Freiheit. Die zweite CD trägt den Titel Raum
und präsentiert unter anderem Lieder von Jacques Brel, Ewan MacColl, Andy
Irvine, José Afonso, Peter Gabriel und Johan Meijer. In Anlehnung an den
Begriff Americana benutzt Johan Meijer für sein großartiges Projekt
die Sammelbezeichnung Europeana.
Gemeinsam mit seinen wirklich exzellenten Mitmusikanten ist es Meijer ein
Anliegen, bedeutende Lieder aus ganz Europa in den Kanon der Weltmusik
einzufügen, ihnen die Geltung zu verschaffen, die ihnen zweifelsohne zusteht.
Meijers Gesangsstil erinnert, nicht nur wegen des Akzents, ein wenig an Herman
van Veen. Die Begleitmusiken passen sich sensibel den jeweiligen Songs an.
Insgesamt vermittelt dieses hoch ambitionierte Werk eine etwas melancholische
Grundstimmung, gleichzeitig aber auch eine ehrliche Portion Herzenswärme.
Kai Engelke
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NATAA MIRKOVIC-DE RO, MATTHIAS LOIBNER
Winterreise (Franz Schubert – Wilhelm Müller)
(Raumklang RK 3003, www.mirkovic-dero.com
, matthias.loibner.net
)
24 Tracks, 65:06, mit dt, engl., frz. Texten u. Infos
Ursprünglich ist die Winterreise
ein Zyklus aus 24 Liedern für Singstimme und Klavier, den Franz Schubert 1827
nach den Texten Wilhelm Müllers komponierte. Es geht um Tränen, Täuschung,
Erstarrung, Einsamkeit, Irrlichter, aber auch um Hoffnungen, Mut und Frühling.
Die Untiefen der Seele, die ganz großen Gefühle. Nahe liegend, dass solch ein
Werk sich häufig in der sentimentalen, romantisch überhöhten Kitschecke
wiederfand. Nicht so jedoch in der vorliegenden Interpretation der aus Bosnien
stammenden fantastischen Sängerin und Schauspielerin Nataa Mirkovic-De Ro und
des österreichischen Drehleiervirtuosen und Komponisten Matthias Loibner.
Ausgehend vom letzten Lied des Zyklus, Der Leiermann, meist als Sinnbild für
Tod und Erstarrung gesehen, entstand die Idee, Schuberts Winterreise
in einer Fassung ausschließlich für Gesang und Drehleier zu bearbeiten. Auf
diese Weise reduzierten die Interpreten das Kunstwerk quasi auf seinen Kern,
wodurch sie eine ungeheure Intensität und gleichzeitig auch eine schwebende
Leichtigkeit erzeugen, die eindrucksvoller kaum sein könnte. Übrigens: Das
fünfte Lied der Winterrreise ist das deutsche Volkslied
Der Lindenbaum (Am Brunnen vor dem Tore).
Kai Engelke
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SHAUNA MULLIN
Wishing Tree
(Eigenverlag; MULL001CD, www.shaunamullin.com
)
10 Tracks, 43:45, mit Infos
Die aus Ballyshannon, Donegal, stammende irische Sängerin hat seit einigen
Jahren den Gesangspart in der Band des Akkordeonvirtuosen Dave Munelly
übernommen. Sie hat ein Studium am World Music College der Uni Limerick
absolviert. Dies ist ihr erstes Soloalbum, auf dem sowohl unbegleitete irische
Sean-Nós-Songs als auch traditionelle und neu geschriebene Lieder in englischer
Sprache zu hören sind. Mullins tiefe, wohlklingende Stimme erinnert bisweilen
ein wenig an die Grand Dame des englischen Gesangs June Tabor – aber dazu
kommt noch eine gehörige Portion an klassischem Gesangstimbre sowie eine
gewisser jazziger Touch. Also eine sehr interessante, hörenswerte Stimme, die
sich besonders Menschen mit Affinität zu irischem Gesang einmal zu Gemüt führen
sollten. Die Stückauswahl ist abwechslungsreich, mit Schwerpunkt auf doch eher
langsameren Songs. Ned Of The Hill, Suantraí Seothín Seothó und Fill Fill A
Ruin Ó – letzteres aus dem Repertoire ihrer Mutter – stechen
hervor. Instrumental imponieren neben schönen Flute- und Akkordeontönen vor
allem die ausgeklügelten Pianoarrangements.
Johannes Schiefner
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NO BLUES
Hela Hela
(Continental Record Services CRS/Continental Europe CECD 37/In-akustik, www.noblues.nl
)
12 Tracks, 49:35, mit engl. Infos
Von Beginn an haben die Holländer ihre attraktive Arabicana, wie sie die
Mischung aus Arabischem und Americana nennen, ansatzlos zur Serienreife
enwickelt – Hela Hela knüpft exakt an, wo Lumen 2009
und 2007 auch bereits Ya Dunya
aufhörten: bei federleicht groovenden Songs westlicher Struktur mit einer
charakteristischen vorderorientalen Klangfärbung, die so ausgereift klingen,
als träfen sich die beiden Musikkulturen schon seit Jahrhunderten zu Tanz und
Gesang. Stilistisch dominiert wird der kraftvolle Akustikbastard von Ud und
arabischem Gesang des gebürtigen Galiläers Haytham Safia und der Gastsängerin
Shereene Fauzi Danial. Bass und Gitarre Ad van Meurs und Anne-Maarten van
Heuvelens sowie die Percussion des gebürtigen Sudanesen Osama Maleegi erden
diese für europäische Ohren exotischen Elemente in westlicher Produktion. Ankie
Keultjes und Bandleader van Meurs englischer Gesang sowie weitere Gäste
verdichten die Mischung, die Stücke sind eingängig und überwiegend munter.
Gelegentlich nachdenklich. immer unaufdringlich. Und nicht selten sehr
packend.
Christian Beck
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SONALP
Moutor
(Disques Office 65775, www.sonalp.com
)
12 Tracks, 49:44
Was für ein Untier, dieser
Moutor
: Hirschgeweih, Giraffenhals, Kamelhöcker und Kuheuter. Würde dieses Tier Musik
machen, bliese es Alphorn und Didgeridoo, jodelte es wie in den entferntesten
Alpentälern, um jäh von einer sägenden Elektrogitarre, einem stampfenden Bass,
Djembe- und Trommelwirbeln unterbrochen zu werden. Und genauso tönt er, dieser
Mutant aus Alpenklang, Weltmusik, Progrock und Jazz. Sonalp melken diesen
Bastard so, dass die Mixtur schmeckt. Natürlich entsteht auf diese Weise kein
Emmentaler Käse. Nein, hier erdreisten sich sechs Männer aus der
französischsprachigen Schweiz, dem Käse der Deutschschweizer Alpen die Gewürze
ihrer weltoffenen Küche beizumischen. Zum Glück. Endlich geht eine Schweizer
Gruppe derart radikal zur Sache. Moutor
ist keine Kunstmusik, kein intellektuelles Ethnojazzprojekt und schon gar keine
sanft renovierte neue Schweizer Volksmusik. Die Pole dieser Mischung stoßen
sich ab und ziehen sich zugleich an. Sind das die frühen Pink Floyd, die auf
einer Bergwanderung in einen Kuhfladen traten und auf einen bukolischen Trip
gerieten? Jedenfalls macht die Mischung Spaß. Etwas Moutorkäse würde in
Schweizer Küchen gewiss für Abwechslung sorgen.
Martin Steiner
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DIE STROTTERN
Das größte Glück
(Cracked Anegg Crack 092010039/Sunnymoon, www.diestrottern.at
)
16 Tracks, 72:97, mit dt. Texten und Infos
Da sind sie wieder, die Gauner, die Strauchdiebe, eben die Strottern. Nach einer
Handvoll Aufnahmen unter eigenem Namen und mit wechselnden Gästen, legen die
beiden Erneuerer des Wienerlieds ein in Wien 2010 live eingespieltes Album vor.
Klemens Lendl, Gesang und Violine, und David Müller, ebenfalls Gesang, aber auch
Gitarre, treten mit einem Programm an, das bereits nach wenigen Tönen ihre
Meisterschaft erweist. Denn alles, worauf es beim Wienerlied ankommt,
demonstrieren sie mit großer, der Sache wichtiger Lässigkeit: Kleine rhythmische
Verzögerungen und die punktgenau, leicht daneben klingende, sich reibende
Intonation setzen akkurate Akzente. Textlich setzt das Duo ebenfalls auf
intelligente Lösungen, mit Bedacht befreien sie das Wienerlied von Kitsch und
Reaktionärem. Aus dem Repertoire des Althergebrachten wird ausgewählt, was sich
kritisch zur Wiener Wirklichkeit verhielt, stets wird aktualisiert, etwa mit
Bezug auf Tom Waits oder mittels eines instrumental hergestellten Grooves, der
Hörgewohnheiten aufbricht. Das Publikum dankts mit Beifall und Gelächter. Näher
kann man dem Wienerlied kaum kommen – höchstens direkt im Konzert.
Harald Justin
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TERRAKOTA
World Massala
(Ojo Records OJO005/Ojo Música/Galileo MC, www.myspace.com/terrakota
)
11 Tracks, 62:71 mit ausführlichen Infos
Die Band aus Lissabon hat sich schon auf früheren Alben unverfroren an Afrobeat,
brasilianischem Folk und Reggae versucht und fügt diesmal selbst indische Klänge
hinzu. Das macht das Septett gewissenhaft, war mit indischen Musikern in Ladakh
im Studio und hat sich nicht nur mal eben schnell den Sari übergeworfen.
Textlich fallen die überwiegend portugiesisch vorgetragenen Songs in alter
Afrobeat-Tradition anscheinend gern ins Engagierte, soweit sich das aus Titeln
wie Illegal und Gripe Economica schließen lässt. Die überzeugenden
Arrangements beweisen spielerisch leicht die Verträglichkeit der heterogenen
Einflüsse, ohne je Gefahr zu laufen, in seichten Weltpop abzudriften. Auch wenn
es gute Gründe gibt, die dagegen sprechen, alles mit allem in einem großen Topf
zu vermengen – so lässt es sich hören. Terrakota beherrschen ihre
Instrumente von der Ngoni bis zur Sitar, Romi Anauel hat eine Stimme, die selbst
mit den ganz großen afrikanischen Sängerinnen keinen Vergleich scheuen muss. Das
Tempo ist überwiegend hoch, aber am schönsten ist die zurückhaltend arrangierte,
westafrikanisch anmutende Ballade Né Djarabi, ein Duett Anauels mit dem
angolanischen Gastsänger Paulo Flores.
Gunnar Geller
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FERNANDO TERREMOTO
Terremoto
(Bujío BJ-209/Galileo MC, www.galileo-mc.de
)
12 Tracks, 58:02, mit span., franz. u. engl. Infos
Posthum erscheinen 2008 und 2009 entstandene Aufnahmen des tief in der
Flamencotradition von Jerez verwurzelten Sängers und Sohnes einer mythischen
Figur im dortigen Cante. Im Februar 2010 mit vierzig gestorben, hatte er die
Linie seines stimmlich und optisch ähnlichen Vaters ins Heute verlängert. Dem
von der Orthodoxie des Flamencogesangs ausgehenden Andalusier ging es stets um
die Erweiterung seines musikalischen Vokabulars. Für die Offenheit El Terres
spricht schon sein mit Rock und Blues verbandelter Produzent, der
Singer/Songwriter Gecko Turner. Das Album birgt einige Überraschungen: den
seltenen Stil Liviana-Serrana sowie den modernisierbarsten flotten
Buleríarhythmus mit Trompete und Posaune oder, wie beim auf Flamenco getrimmten
Tangoklassiker Cambalache, mit der Mundharmonika des jungen Virtuosen Antonio
Serrano. Der gehört zu Paco de Lucías aktueller Band, so wie einst der
brasilianische Percussionist Rubem Dantas, der mit dem Didgeridoo ganz zart
einen freien, sonst unbegleiteten Gesang Terremotos mit den Hijas del Sol, zwei
in Spanien lebenden Äquatorialguineerinnen untermalt. Und mit Diego de Morao und
Alfredo Lagos sind überaus gute Gitarrengeister am Werk.
Katrin Wilke
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FOLKER auf Papier
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