FOLKER – Rezensionen

Besondere CDs


DIE BESONDERE – EUROPA

MERCEDES PEÓN
SÓS

(Do Fol Musica folmusica10002048/Galileo MC, go! www.mercedespeon.es )
10 Tracks, 41:49, galic. Texte u. Infos

Mercedes Péon

Den schon länger eingeschlagenen Weg, handgemachte Klänge und Feldaufnahmen in spannende Elektrokontexte zu bringen, setzt die Folkvisionärin konsequent fort – das vierte Album, das die singende Multiinstrumentalistin aus A Coruña seit 2000 unter eigenem Namen veröffentlicht, klingt dem Titel nach wie ein Hilferuf. Diese Assoziation ist mit weiteren kombiniert, so dem „Alleinsein“, was sós in ihrer galicischen Sprache auch meint. Ebenso spielt die Künstlerin mit philosophischem Hang auf das Aussterben vieler Dinge im Verlauf der von uns Menschen selbst angezettelten Globalisierung an. All dies steckte sie samt unzähliger musikalischer Ideen in ein schwarzes Metalletui, die Hülle der CD. In den gut vierzig klanglich dicht gepackten, aber auch raffiniert gewebten Klangminuten wird man auf eine Art Reise mitgenommen, die durch ihre Intensität beim Hören viel länger erscheint. Nicht von ungefähr, ist Sós doch die Frucht vieler Reiseerlebnisse, welche die gleichermaßen lokal wie weltläufig gesinnte Galicierin beim ausgiebigen Touren durch die ganze Welt in den letzten Jahren sammelte. Es gibt direkte Referenzen wie im Stück „São Paolo“, in dem sich Ton- und Stimmspuren übereinanderschichten, die Peón beim Gang durch die brasilianische Megacity mit ihrem Aufnahmegerät auflas. Und auch in „Babel“ wird ihr galicischer Gesang und das Spiel des Schellentambourins, der Pandereta, mit verschiedensten, etwa arabischen und englischen Sprachschnipseln verzahnt, umgeben von heftigen, teils fast verstörenden Klängen. Zwischenzeitlich meint man, alles drohe in dem babylonischen Wirrwarr unterzugehen. Doch Mercedes Peón lässt sich mit ihrer Unruhe, aber auch mit hörbarer Wonne davon mitreißen. Und letztlich ordnen sich die Dinge, ergeben eine eigenwillige Schönheit, in der die wundersam starken Säulen der charismatischen Musikkultur Galiciens stehen bleiben. Wie die der pandereteiras, der singenden und Tambourin spielenden Frauen, die den musikalischen Weg der heute 43-Jährigen initiierten.

Katrin Wilke

 

MERCEDES PEÓN – SÓS


DIE BESONDERE – INTERNATIONAL

DANIEL KAHN & THE PAINTED BIRD
Lost Causes

(Oriente Musik Oriente RIENCD77/Fenn Music Service, go! www.paintedbird.net )
Promo-CD, 12 Tracks, 53:32, mit jidd./engl. Texten

Daniel Kahn and The Painted Bird

Mit den „Verlorenen Anliegen“ des dritten Painted-Birds-Albums kann nicht die Musik gemeint sein. Daniel Kahn, das Enfant terrible des Klezmer, benutzt sie effektiv als Kampfmittel, gewissermaßen zur Agitation der Unterdrückten, seine Anliegen erscheinen durchweg politischer Natur. Textlich und mitunter auch musikalisch mag man sich nicht nur durch Brecht-Anleihen in die Zwanziger- oder Dreißigerjahre zurückversetzt fühlen, etwa mit „Klezmer Bund“, während der vermittelte Zeitgeist durchaus auch Platz in der amerikanischen Protestbewegung der Fünfziger- und Sechzigerjahre haben könnte. Bereits der erste Titel „Avreml der Marvikher“ (Text: Mordechai Gebirtig) setzt die Eckpfeiler des Albums: Lange wird der Dieb nicht leben, er ist krank vom Leben auf der Straße und hinter Gefängnismauern … – das Judentum des östlichen Mitteleuropa in all seinen Facetten! Nicht nur musikalisch treibt später „Der Marsch der Arbeitslosen“ (nochmals Gebirtig) das tägliche Leben des jüdischen Proletariats auf die Spitze: verrostete Arbeitswerkzeuge, man schläft in Zelten, denn das Geld reicht nicht für die Miete. Hampus Melin (dr), Michael Tuttle (b), Michael Winograd (cl), Jake Shulman-Ment (v), Dan Blacksberg (tb) und Paul Brody (tr) bilden neben Multiinstrumentalist Kahn das derzeitige Gerippe von Painted Bird. Dabei brilliert der Wahlberliner Kahn auch als Komponist und Texter, etwa in „Sunday After The War“ oder „Inner Emigration“. Dass man sich in Klezmerkreisen gegenseitig unterstützt, zeigt die beachtliche Liste der Studiogäste, darunter bekannte Namen wie Michael Albert, Geoff Berner oder Lorin Sklamberg. Ein wie in „Dem Milners Trern“ (Text: Mark Warshavsky) mit Tränen endendes Album mag „verloren“ klingen – immerhin ist der Müller, der sein Leben lang der nun geschlossenen Mühle gedient hat, nun ohne Arbeit und Wohnsitz. Als Teil eines agitatorischen Albums wie Lost Causes aber ist auch er – wie alle Beteiligten – am Ende auf eine Art doch noch auf der Gewinnerstraße!

Matti Goldschmidt

 

DANIEL KAHN & THE PAINTED BIRD – Lost Causes

Update vom
09.02.2023
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