Rezensionen EUROPA
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NATACHA ATLAS
Mounqaliba – In A State Of Reversal
(World VillageWVF479048/Harmonia Mundi, www.harmoniamundi.com)
18 Tracks, 53:23, mit engl. Infos
Starker Tobak in jeder Beziehung, was die Belgierin mit den arabischen Wurzeln
hier auf die Welt loslässt. Musikalisch ist Mounqaliba
von geradezu sagenhafter Schönheit und Kraft – unter der Regie ihres
Partners in Leben und Kunst, Geiger Samy Bishai, verschmilzt Natacha Atlas mit
einem 20-köpfigen türkischen Orchester arabische Melodik und Harmonik mit den
Pophörgewohnheiten unserer Tage zu majestätischen Balladen voll subtiler Poesie.
Wenn sie – wie nicht nur in der tief bewegenden Aneignung von Nick Drakes
River Man – ihre kraftvolle Stimme wie Samt und Seide erhebt, öffnen
sich Himmelspforten. Aber wer glaubt, damit gäbe sie sich zufrieden, der
übersieht, was das Biest in Natacha Atlas vermag. Zustand der Umkehr bedeutet
Mounqaliba etwa auf Deutsch – wenn es nach dem kleinen Kraftprotz geht, der das Album
geschaffen hat, die Umkehr der gesamten Menschheit von Spiritualität zum
Materialismus. Ja, richtig gelesen. Nicht anders herum. Damit wir uns schon mal
an die Realität gewöhnen können, agitiert Peter Joseph, Erfinder der
Zeitgeist-Bewegung, in sechs Interludien gegen das Geldsystem unserer Tage. Wir
sind nicht zum Vergnügen in diesem Geschäft. Nicht mal mit einem solch
betörenden Album.
Christian Beck
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AURELIA
The Hour Of The Wolf
(Homerecords.be 4446069, www.homerecords.be)
12 Tracks, 42:06, mit Infos
Einige der spannendsten Folkentdeckungen kommen seit geraumer Zeit aus Belgien.
Beinahe tollkühn vermischen belgische Bands traditionelle Einflüsse mit
Independentklängen, Jazz oder auch Kammermusik. Heraus kommen Mischungen, die
frisch und jugendlich klingen, die an den Strand ebenso passen wie in die
Philharmonie und zu denen man gleichzeitig tanzen und in die man sich versenken
mag. Eine der großen Formationen dieses Genres ist Aurelia. Mit ihrem nautischen
Konzeptalbum Hypognol
– welches sie auf einem Schiff tourten – brachen sie eine Bresche
in die festgefahrenen Folkstrukturen. Mit The Hour Of The Wolf,
ihrem vierten Album, gehen sie nun noch einen Schritt weiter, versuchen, die
Emotionen unter den Emotionen zu erreichen, spielen wie zufällig für sich
selbst, und der Hörer ertappt sich als akustischer Voyeur, der sich verzaubern
lässt. Die Stunde des Wolfes, die Stunde zwischen Nacht und Morgendämmerung, die
Zeit, wo der Schlaf tief, die Ängste groß und die Menschen verletzlich sind, ist
das Thema dieses Albums. Wer mutig genug ist, sollte diese Folkreise der anderen
Art unbedingt antreten.
Chris Elstrodt
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BEOGA
Live At Stockfisch Studio
(Stockfisch Records SFR 357.4053.2/In-akustik.com)
13 Tracks, 49:46, mit Songtexten u. Kurzinfos
Beoga, die Iren mit den zwei Akkordeons, lassen eine sehr gediegen klingende
Produktion hören. Das ganz wilde Element, welches gerade das letzte Album
dominierte, tritt erstaunlich weit in den Hintergrund zugunsten audiophiler
Detailbearbeitungen, die Günter Pauler in seinem renommierten Studio in Northeim
ohne Overdubs aus live eingespielten Takes der Band zusammengemischt hat. Trotz
einer Vielfalt an stilübergreifenden Elementen, von Swing, Chanson und Bluegrass
bis zu einem Steely-Dan-Cover, ist die Musik immer noch eindeutig irisch,
allerdings meist weit von der Tradition entfernt. Niamh Dunnes Stimme bewegt
sich innerhalb der verschiedenen Stimmungen auf fast durchweg gleich hohem
Niveau, die Instrumentals bieten eine tolle Variationsbreite, auf ein
faszinierendes Akkordeonduett folgen sehr fetzige, moderne Polkas bis hin zu
einem melancholischen Solid Man, eine Downtempo-Komposition von Damien McKee.
Gerade die langsameren Melodien haben es auf diesem Album in sich –
Forscarbaken und Soggys von Seán Óg Graham sind herausragende Höhepunkte.
Beoga live, sehr fantasievoll und virtuos, mit viel Liebe zum Detail, lassen
Freude aufkommen und bekommen hiermit eine große Empfehlung.
Johannes Schiefner
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KETIL BJØRNSTAD
Hvalenes Sang
(GRAPPA GRCD4328/Galileo MC, www.galileo-mc.de)
17 Tracks, 75:31 mit norweg. u. engl. Infos
Gegenüber aktiven Walschützern ist es kaum zu vermitteln, dass es sich hier um
ein Auftragswerk handelt zum Gedenken an den Gründer des norwegischen Walfangs
Svend Foyn (1809-1894), bekannt für seine harten Geschäftspraktiken, aber auch
für sein soziales Engagement. Damals – vor dem Ölboom – ging es in
Norwegen um das Überleben der Menschen, und die Zahl der erlegten Wale war
weitab von dem, was heute stattfindet. So kann man verstehen, dass dieses
Oratorium des Lyrikers, Romanautors, Pianisten und Komponisten Ketil Bjørnstad
den gesamten Rahmen des menschlichen Lebens umfasst. Die überwiegend
melancholische Musik mit wenigen Begleitinstrumenten wie Cello, Piano, Gitarre,
Bass und der sensiblen Stimme von Annelie Drecker unterstützt vom Sjøbod-Chor
spiegelt das Leid der Wale und die Einsamkeit der Menschen in gleicher Weise
wieder. Das kommt auch in den Texten von Alf Larsen, Aasmund Brynhildsen und
Peter Wesse Zapffe – einige Male ergänzt durch nonverbalen Gesang –
zum Ausdruck: aufgewacht an einer wilden Küste und verfolgt von den Schatten der
Vergangenheit, das Finden von Gott in der Einsamkeit, das Meer als Ursprung des
Lebens, Erkenntnis der Bruderschaft von Mensch und Tier.
Bernd Künzer
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BONOVO
Bonovo
(Do Fol Musica 10002039/Boa Music/Galileo MC, www.galileo-mc.de)
12 Tracks, 53:31, mit Infos
Bonovo, gegründet 2007, ist ein vielversprechendes Trio aus der galicischen
Szene. Moderne selbstgeschriebene Folkmusik mit etwas kühlem elektronischem
Appeal. Chef ist wohl Drehleierspieler Oscar Fernandez, der bereits als Mitglied
der Band Os Cempes bekannt wurde und jedenfalls die meisten der
abwechslungsreichen Kompositionen des vorliegenden Debütalbums geschrieben hat.
Ihm zur Seite stehen der Akkordeonist Roberto Grandal und der Schlagzeuger
Pulpino Viascon, der gelegentlich auch die Singende Säge spielt. Welche Wucht
das Trio erzeugen kann, zeigt es bei dem Blowzabella-Klassiker Spaghetti
Panic. Etwas aus dem Rahmen fällt am Ende der Sonnenschein-Reggae In The
Ocean, den Schlagzeuger Viascon schon früher unter eigenem Namen aufgenommen
hatte.
Christian Rath
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ANTONIO CASTRIGNANÒ
Mara La Fatìa
(Felmay FY8170/Pool Music & Media Service, www.pool-musik.com)
11 Tracks, 57:22, mit Texten u. ital./engl. Infos
Es war nicht einfach, die traditionellen Stücke von den Eigenkompositionen zu
unterscheiden, ohne auf die Angaben zu den Stücken schielen, schreibt Mauro
Pagani, Ethnomusiker und Mitglied von Premiata Forneria Marconi, im Beiheft. Der
Sänger, Komponist und Perkussionist Antonio Castrignanò ist mit der
traditionellen Musik seiner Heimat Salento aufgewachsen –
keiner versteinerten Tradition, wohlverstanden. Freude und Leid, Vergangenheit
und Gegenwart, sind darin eng aneinander gekoppelt. Das Titelstück Mara La
Fatìa (dt. Die Arbeit ist hart und bitter) etwa ist ein Klagelied über das
Leben der Landarbeiter. Über Jahrhunderte mussten sie auch nachts auf die
Felder, ohne dafür einen gerechten Lohn zu erhalten. Das Lied endet mit einer
irrwitzigen Pizzica-Mandolineneinlage und zeigt die unbändige Lebenslust dieser
Leute. Die schneidende Elektrogitarre, die das Stück in die Jetztzeit
befördert, ist ein Cello. Gitarren, Mandolinen und Trommeln dominieren den
Klang dieses akustischen, kraftvollen Albums. Ein Album voll lebendiger
Tradition, oft mit einem Augenzwinkern dargebracht, großartig gespielt und
gesungen. Jedes einzelne Stück ein Höhepunkt!
Martin Steiner
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DIVERSE
All Along The Wall
(Fellside Recordings FECD236, www.fellside.com)
23 Tracks, 76:59, mit engl. Infos
Manche Veröffentlichungen kann man nur unter Musikalische Wunder einsortieren.
Dieses randvolle Album zählt zu dieser Kategorie. Fünf erfahrene britische
Singer/Songwriter – Boo Hewerdine, Jez Lowe, Julie Matthews, Rory McLeod,
Ruth Notman – plus die beiden Dichter Kate Fox und Elvis McGonagall
begaben sich fünf Tage in die Einsamkeit Northumberlands, um ein 75-minütiges
Programm zum lokalen Thema Hadrians Wall zusammenzuschreiben. Eine durchaus
anspruchsvolle Aufgabe, aber es kam noch besser: Nach den fünf Tagen sollte das
Ergebnis live vor Publikum präsentiert und mitgeschnitten werden – das
Resultat ist unglaublich! Solo, in unterschiedlichen Kombinationen oder im
ganzen Ensemble rühren die glorreichen Sieben ihr Publikum abwechselnd zu Tränen
der Rührung und Tränen der Freude, subtile Zwischentöne inklusive. Die Qualität
der Songs ist hoch, nie hat man das Gefühl, einen Lückenfüller zu hören.
Etliches davon wird sich in den nächsten Jahren im Repertoire von Kollegen
wiederfinden. Vor allem aber hat der knappe Fünf-Tage-Zeitraum offenbar für
Spontaneität, Originalität und Frische des Materials gesorgt. Das Album beweist
zweierlei: Richtig gute Künstler sind in jedweder Kombination zu Großem fähig,
und nicht immer zeitigt monatelanges Herumfeilen im Studio die besseren
Resultate. Ein geniales Zeugnis eines unwiederbringlichen Projekts!
Mike Kamp
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RENAUD GARCÍA-FONS
Méditerranées
(Enja ENJ-9563 2/Edel:Kultur, www.edel.com)
17 Tracks, 65:02, franz. u. engl. Infos
Extrem fleißig ist der Paganini des Kontrabasses. Gerade noch lustwandelte man
auf seiner La Línea Del Sur. Schon steht
der Nachfolger im Plattenladen. Diesmal geht es noch
ausdrücklicher als ohnehin auf seinen zehn Alben in den sinnenreichen Kulturraum
ums Mittelmeer. Ausufernd und doch konzentriert verläuft die Reise, die im
südlichsten Spanien beginnt, wo es vom Flamenco nur ein Katzensprung ist zu
marokkanischen und anderen maghrebinischen Rhythmen und Stilen. Die sieben
Mitmusiker lassen es an nichts fehlen, der Reichtum an Saiten- und
Perkussionsinstrumenten ist immens, Auswahl und Arrangements sind jeweils
wohlbedacht. Mal lehnt man sich zurück, es wird gemächlich, klanglich
überschaubarer. Dann gewinnt die Tour an Fahrt und Dynamik – man will
schließlich die ganze Küste entlang, über den Bosporus, den Libanon bis nach
Ägypten und schließlich zur nordafrikanischen Seite der Straße von Gibraltar,
dem Reiseziel. Der Reiseleiter bewegt sich auf nicht ganz ungewohnten Pfaden,
hat der gebürtige Franzose doch spanische beziehungsweise katalanische und
italienische Wurzeln. Stressfreier und erbaulicher kann es auf einer
einstündigen Reise durch den Mittelmeerraum kaum zugehen.
Katrin Wilke
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TOMASZ GAWOREK
Born To Be Together
(Acoustic Music Records 319.1451.2/Rough Trade Distribution, www.rough-trade.net)
12 Tracks, 42:36, mit engl. Infos
Außergewöhnliche Stimmen auf einem so gewöhnlichen Instrument wie der Gitarre
sind rar. Technisch versiert sind sie heute ja alle, tappen, was das Zeug hält,
präsentieren staunenswerte Tunings oder nutzen die perkussiven Möglichkeiten des
Vielsaiters. In dieser Situation fällt jemand, der sich auf die melodische Kraft
der Gitarre besinnt, natürlich gerade wieder auf. Ja, die Gitarre kann singen!
Der polnische Akustikgitarrist Tomasz Gaworek verlässt sich voll und ganz auf
die Kraft der Klänge, die seine Finger dem Instrument entlocken, und auf den
Geist der Musik, dem er damit auf poetische Weise Leben einhaucht. Jede Nuance,
die leiseste und feinste, scheint bis auf den Tongrund durchseelt. Das ist mehr
als künstlerisch wohlüberlegte Durchgestaltung einer kompositorischen Form.
Gaworek macht Innenwelt hörbar. Die zartesten Töne sind es auch, die beim Hören
am intensivsten wirken. Die Arrangements zweier Turlough-OCarolan-Tunes bilden
den Rahmen des Albums. Dazwischen Eigenkompositionen des in Berlin lebenden
Künstlers, ein Stück von B. S. Okudzhava oder das schlichte katalanische
Volkslied El Noy De La Mare. Wer sich die Zeit für Gaworek nimmt, wird reich
belohnt.
Rolf Beydemüller
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GHETONIA
Riza
(Italian World Music IWM250, www.italianworldmusic.com)
CD: 15 Tracks, 75:20; DVD: 16 Tracks, 79:07; mit ital./engl. Infos
Von der äußersten Stiefelspitze im Süden Italiens bis nach Griechenland sind es
rund fünfzig Seemeilen. Noch immer sprechen 40.000 Menschen in der Gegend von
Lecce, der Grecia Salentina, Griko, eine Sprache, die altgriechische,
byzantinische und italienische Elemente aufweist. Federführend im Erhalten der
Kultur der Region ist Roberto Licci, Sänger und Bandleader von Ghetonia. Das
2008 in Calimera aufgezeichnete Livekonzert beweist, wie nah sich die Kulturen
Griechenlands, des Balkans und Süditaliens in dieser Gegend kommen. Die Stücke
weisen oft neotraditionelle Hauptmotive auf, geprägt von der schneidenden Stimme
Liccis. Immer wieder lösen Klarinette, Saxofon, Querflöte, Gitarre, Perkussion,
Akkordeon und der Kontrabass alle Muster bis zur freien Form auf, um wieder zum
Grundmotiv zurückzukommen. Aus der virtuosen Band stechen der unglaublich agile
Bassist Giorgio Vendola und der albanische Akkordeonist Admir Shkurtaj mit
herrlich dissonanten Einlagen heraus. Die einfühlsam gefilmte DVD zeigt ein
hochkonzentriertes Septett, das dem Publikum einiges abverlangt. Vielleicht
erklärt dies dessen zurückhaltenden Applaus. Der Folker jedenfalls gibt
eine stehende Ovation.
Martin Steiner
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FAY HIELD
Looking Glass
(Topic Records TSCD573, www.topicrecords.co.uk)
11 Tracks, 42:33, mit engl. Texten
Rezensenten haben manchmal seltsame Probleme. Sie hören ein Album und finden es
einfach gut. Oder sehr gut, so vom Bauch her. Dummerweise müssen sie dieses
Gefühl aber begründen, und das ist nicht immer so einfach, wenn die Qualität
jenseits der Kategorie Die schnellste Fiddle westlich von Grimsby liegt. Nun
denn! Die Stimme der Engländerin Hield erinnert an Maddy Prior, auch in Sachen
Qualität. Klar, Vergleiche sind unfair, aber sie vermitteln eine Idee. Auf ihrem
Solodebüt wird sie von zwei Mitgliedern der Gruppe Bellowhead unterstützt
– Jon Boden und Sam Sweeney an Gitarre, Fiddle, Viola, Konzertina,
Nyckelharpa – und das wars auch schon fast. Ein wenig Begleitgesang,
Perkussion und Clogs, alles streng akustisch. Das fast vollständig traditionelle
Material klingt unverbraucht und ideenreich, ohne auf andere Stilelemente
zurückzugreifen, einfach englische Folkmusik. Und einfach gut. Oder sehr gut,
aber das wurde ja bereits erwähnt.
Mike Kamp
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GEORGE LEITENBERGER
Café Comercial
(DMG GERMANY DSMG 54.218109.2/Broken Silence Independent Distribution, www.brokensilence.de)
16 Tracks, 67:39, mit Infos
George Leitenberger ist in Deutschland aufgewachsen, lebte viele Jahre in
Berlin, zwischenzeitlich auch in Frankreich und in Großbritannien, und ist seit
ein paar Jahren in der Schweiz ansässig. Er ist ein wirklicher Weltenbürger, und
das merkt man auch seinen Songs an, die er mit seiner rauchigen, leicht
melancholischen Stimme auf Deutsch, Englisch und Französisch interpretiert. Der
imposanten Liste der Künstler, mit denen er bereits verglichen wurde – von
Django Reinhardt über Leonard Cohen bis George Brassens – ließen sich ohne
weiteres noch George Moustaki und Serge Gainsbourg hinzufügen. Inhaltlich geht
es unter anderem um eine Reise nach Kurdistan, um Ignoranz und Toleranz, um die
Tristesse der Vorstädte, um verschobene Erinnerungen und natürlich um die Liebe.
Die orientalischen Anklänge in einigen seiner Lieder erweitern das Spektrum auf
reizvolle Weise. Schade ist, dass die Texte im Booklet nicht nachzulesen sind.
Das wäre umso wichtiger, da nicht immer jedes Wort zu verstehen ist. Da wurde
vom Plattenlabel an der falschen Stelle gespart. Trotzdem ist Café Comercial
auf alle Fälle eines der raren Alben, die bei wiederholtem Anhören zunehmend
interessanter werden.
Kai Engelke
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ELEANOR MCEVOY
Id Rather Go Blonde
(Moscodisc MOSCD408, www.eleanormcevoy.com)
11 Tracks, 35:44, mit Texten
Mit ihrem neuen Album ist es der Irin einmal mehr gelungen, kritische Themen
sprachlich gekonnt und musikalisch abwechslungsreich zu verpacken. Ihre Texte
haben Tiefgang, wollen wachrütteln, Anstöße geben und Salz in gesellschaftliche
Wunden streuen. In Look Like Me beispielsweise nimmt sie den Modewahn aufs
Korn, in Just For The Tourists beschäftigt sie sich mit dem Massentourismus
unserer Tage. Es geht bei Eleanor McEvoy um die Welt, und zuweilen geht es auch
um Gott, wie in dem beeindruckenden Deliver Me (From What You Do). Aber
natürlich kommt auch die Liebe nicht zu kurz. Die Sängerin und
Multiinstrumentalistin kann nämlich sehr romantische Lieder schreiben, ohne je
kitschig zu werden: The Thought Of You ist ein Beispiel hierfür. Und mit For
Avoidance Of Any Doubt nimmt sie, herrlich sarkastisch, das Thema Partnersuche
auf die Schippe. Texte zum Schmunzeln und Nachdenken – folkig, bluesig und
poppig präsentiert.
Markus Dehm
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FRANCO MORONE
Miles Of Blues
(Acoustic Guitar Records, www.francomorone.it)
13 Tracks, 46:17 mit engl. u. ital. Infos
Ein italienischer Fingerstylegitarrist und ausschließlich Blues? Spätestens seit
Beppe Gambetta wissen wir ja, dass ein Italiener verdammt amerikanisch klingen
kann. Gleiches gilt für Franco Morone, der auf der Bühne nur so vor guter Laune
strotzt und mit strahlendem Lächeln und beeindruckender Musikalität ein großes
Auditorium mitreißen kann. Dass es bei der vorliegenden Aufnahme dann auch nicht
um den Blues als Schmerzensmusik geht, ist schnell klar. Grooveorientierte
Rhythm-n-Blues-Tunes, herrlich swingende Fußwipper und natürlich auch reich
harmonisierte Balladen – Franco Morone meint es gut mit der Gilde der
Gitarristen, denn gerade dem Kenner wird schnell warm ums Herz ob derart
berückender Gitarrenkunst. So verwandeln sich unter Morones Händen auch
altbekannte Standards wie Summertime oder Joe Zawinuls Mercy, Mercy, Mercy
in erstaunliche 6-Saiten-Perlen. Wer einen kleinen Einblick in des Meisters
Küche werfen will, sei auch auf sein Buch Acoustic Blues Guitar
verwiesen, ebenfalls bei Acoustic Guitar Records erschienen und über Acoustic
Music Records zu beziehen. Zumindest ein Titel des Albums ist dort zu finden.
Signore Morone zeigt mit lässigem Charme, wie viel Spaß es machen kann, den
Blues zu haben.
Rolf Beydemüller
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THE PREACHER & THE BEAR
Suburban Island
(Black Star Foundation BSF41/Cargo Records, www.cargo-records.de)
9 Tracks, 32:10, mit Texten
The Preacher & The Bear sind eine Band aus Schweden. Ein kleines bisschen
anders geschrieben, ist es auch der Name einer populären Aufnahme von 1905 von
Arthur Collins. Der gemeinsame Nenner: Americana. Country, Folk, Blues –
das weite Feld der Stile, die aus der amerikanischen Folklore entstanden sind.
Suburban Island
ist das Debütalbum von Elin Piel und Fredrik Pettersson, die seit 2008
gemeinsam komponieren und musizieren. Es ist Musik, die von innen kommt,
persönliches Erleben schildert, sich um sich selbst dreht. Piels Stimme kann
verzweifelt klingen und wild, sanft und rau. Schnörkel und Verzierungen werden
weitestgehend weggelassen. Immer die Gitarre als Basis, wird je nach Anzahl der
weiteren Begleitinstrumente mal Nähe, mal Distanz, Schall, Dichte und Tempo
geschaffen. Die beiden Debütanten haben mit Suburban Island
eine poetische, fast surreale halbstündige Insel geschaffen, die sich, wie das
Cover zeigt, im nordischen Dämmerlicht befindet. Düster ist sie aber nicht.
Sarah Habegger
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RED HOT CHILLI PIPERS
Music For The Kilted Generation
(Rel Records RECD572/New Music Distribution, www.nmd-newmusic.de)
13 Tracks, 49:52
Party hin, Stimmung her, die Chillis müssen sehr disziplinierte Menschen sein.
Wie sonst ist zu erklären, dass die neun Schotten trotz proppevollem
Tourkalender, nicht nur in Deutschland, die Zeit fanden, ein neues Album
einzuspielen? Konzeptionell bietet Music For The Kilted Generation
nichts Neues. Warum auch? Die Mischung ist vertraut und beliebt: traditionelle
und eigene Pipetunes gemischt mit knackigen Pop-Rock-Oldies von Leuten wie
Queen, The Who, Deep Purple oder etwas aktueller Robbie Williams und Snow
Patrol. Auch der Schmachtfetzen Amazing Grace muss im Gospelgewand dran
glauben. All das ist anspruchsvoller und dichter arrangiert als die Vorgänger,
und auch die Bläsersektion spielt eine größere Rolle. Insgesamt wären ein paar
Infos mehr nett gewesen. Die Fans werden es trotzdem lieben, denn die nehmen das
Albums sowieso als das, was es in Wirklichkeit ist: die bestmögliche
Überbrückung zwischen zwei Konzerten der Red Hot Chilli Pipers!
Mike Kamp
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RUNRIG
50 Great Songs
(Sony Music 8697792102, www.sonymusic.de)
3 CDs: 50 Tracks, 227:57 ; DVD: 65:00
Die Frage lautet: Wer braucht noch einen weiteren Runrig-Sampler? Kennen wir
doch alles, fast zumindest. Einige Remixe, einige unveröffentlichte
Liveaufnahmen mit einer Überraschung: Dick Gaughan singt Dance Called America.
Okay, und eine DVD mit Aufnahmen von 2003 in Stirling (The 30th Anniversary
Concert) bis 2009 am Loch Lomond, auch nicht ganz uninteressant. Eigentlich
müsste die Box heißen 50 Great Songs – (fast) ohne Donnie Munro. Nur auf
der dritten, komplett gälischen CD konnte man wohl nicht völlig auf ihn
verzichten. Ist legitim, sollte man aber wissen. Die Frage also noch mal: für
wen? Natürlich für alle Riggies, die ganz harten Runrig-Fans. Die fahren auch zu
jedem halbwegs erreichbaren Konzert. Für normale Runrig-Fans? Eher nicht, denn
die meisten Songs hat man im Schrank. Sollte aber jemand erstmals – und
darauf liegt hier die Betonung – das Bedürfnis haben, sich so richtig
gute, von den Fans ausgewählte Runrig-Songs zuzulegen, ja, dann ist dieser
Sampler auch für ihn.
Mike Kamp
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MAKIS SEVILOGLOU
Anchors
(Pinguin Records PG-2200101/Cargo Records, www.cargo-records.de)
Promo-CD, 14 Tracks, 57:07
Makis Seviloglou ist ein genialer Geschichtenerzähler. Deutlich griechischer
Identität: Kurzerhand wagt er einen Zeitsprung von gut zweieinhalb
Jahrtausenden, identifiziert sich mit der Grille einer Äsop-Fabel, und zwar so
innig und unbedingt, dass er darüber an die Wertigkeit von Musik und Poesie im
Allgemeinen appelliert und den krassen Gegensatz von Kunst und Kommerz in
unserer aktuellen Massenkultur im Besonderen beklagt. Er weiß ganz genau, was
es bedeutet, ein Musikinstrument zu einem Teil von sich selbst zu machen. Und
seine Musikerkollegen – einfühlsame Violine: Thanos Giuletzis;
bodenständiger Bass: Dimitris Kitsios – wissen das auch. Daran bleibt kein
Zweifel vom ersten Akkord bis zur letzen Sentenz dieser Aufnahmen (Caspar
Falke). Was da auf den ersten Blick locker, leicht und heiter in modernem
Rockballadengewand daherkommt, entpuppt sich auf den zweiten als
spielverliebtes, aber auch sensibel zusammengefügtes Gewebe mit Zitaten aus sehr
verschiedenen musikalischen Stilschichten und dem rechten Händchen für
Transparenz im Arrangement –
bis ans Ende, wenn das Salzwasser allen
lehrt, dass auch Anker nicht stark genug sind, um das Schicksal aller zu
bestimmen.
Cathrin Alisch
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SYD MATTERS
Brotherocean
(Because Music Because 0367/AL!VE, www.alive-ag.de)
Promo-CD, 10 Tracks, 44:53
Bruder Ozean – gemäß dem Bild des Albumtitels ist von schillernden Oberflächen,
melancholischen Tiefen, Weite, leichten Brisen, Sehnsucht und Blicken in die
Ferne alles vorhanden; nur der Sturm fehlt. Der Franzose Jonathan Morali aus
Paris, Jahrgang 1980, hat mit seiner Band ein homogenes, transparentes
halbakustisches Album mit Wiedererkennungswert aufgenommen. Wie für
französische Bands üblich, auf hohem handwerklichen Niveau. Im Vordergrund
stehen akustische Gitarren, Orgeln, Klavier, Streicher, mehrstimmiger Gesang
und ein Schlagzeug das einige Akzente zu setzen weiß. Nicht nur im Namen des
Projekts haben die frühen Pink Floyd deutliche Spuren hinterlassen, auch im
Songwriting und in den Arrangements sind die Referenzen stets präsent, und auch
Pink Floyds Folkeinflüsse haben sich weitervererbt, freilich ohne zu sehr im
Vordergrund zu stehen. Aber wo der frühe David Bowie exzentrisch, die Eels
verstörend und die Incredible String Band versponnen wirken – um einige
weitere Assoziationen zu nennen – bleiben Syd Matters freundlich. Nur
wenn sie in Harmoniegesang und psychedelischen Klangteppichen schwelgen, steht,
Stichwort Meer, manchen Stücken das Wasser dann doch bis zum Hals.
Dirk Trageser
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TERRAE
Unknown People
(FolkClub Ethnosuoni ES 5387, www.folkclubethnosuoni.com)
12 Tracks, 44:20, mit Texten
Unknown People
ist ein verwirrender Albumtitel für eine Gruppe, die sich eine Compagnia di
Musiche Popolari nennt. Verwirrend deshalb, weil die Gruppe mit polyphonem
sizilianischem Gesang glänzt und nur das Titelstück eine englische Vokaleinlage
aufweist. Unknown People,
das sind für Terrae die Leute, die unsere Geschichtsschreibung auslässt: die
Bauern, die Habenichtse und der junge Mann, der Sizilien verlässt, um in Spanien
für die Republik und die Freiheit zu kämpfen. Alle Texte des Konzeptalbums
beziehen sich auf einen Abschnitt der sizilianischen Geschichte. Bereits auf
Terraes letzten Werk, 38° Parallelo Instabili Terre, kontrastierten
Geigenlinien und filigrane Gitarrenläufe zwischen Experiment
und Klassik mit der Kultur Siziliens. Auf Unknown People
geht die Gruppe einen Schritt weiter. Neu hinzu kommen ungewöhnliche
elektronische Einsprengsel, musikalische Ideenfetzen aus aller Welt und
Gastmusiker, die zusätzliche Akzente setzen. Fast könnte man Unknown People
als akustischen Progrock katalogisieren. Doch das ginge zu weit und greift zu
kurz: Die Wurzeln von Terrae liegen im Mittelmeer, und ihre Musik ist nicht nur
spannend – sie berührt.
Martin Steiner
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FOLKER auf Papier
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