FOLKER – Rezensionen

Rezensionen EUROPA


NATACHA ATLAS
Mounqaliba – In A State Of Reversal

(World VillageWVF479048/Harmonia Mundi, www.harmoniamundi.com)
18 Tracks, 53:23, mit engl. Infos

Starker Tobak in jeder Beziehung, was die Belgierin mit den arabischen Wurzeln hier auf die Welt loslässt. Musikalisch ist Mounqaliba von geradezu sagenhafter Schönheit und Kraft – unter der Regie ihres Partners in Leben und Kunst, Geiger Samy Bishai, verschmilzt Natacha Atlas mit einem 20-köpfigen türkischen Orchester arabische Melodik und Harmonik mit den Pophörgewohnheiten unserer Tage zu majestätischen Balladen voll subtiler Poesie. Wenn sie – wie nicht nur in der tief bewegenden Aneignung von Nick Drakes „River Man“ – ihre kraftvolle Stimme wie Samt und Seide erhebt, öffnen sich Himmelspforten. Aber wer glaubt, damit gäbe sie sich zufrieden, der übersieht, was das Biest in Natacha Atlas vermag. „Zustand der Umkehr“ bedeutet Mounqaliba etwa auf Deutsch – wenn es nach dem kleinen Kraftprotz geht, der das Album geschaffen hat, die Umkehr der gesamten Menschheit von Spiritualität zum Materialismus. Ja, richtig gelesen. Nicht anders herum. Damit wir uns schon mal an die Realität gewöhnen können, agitiert Peter Joseph, Erfinder der Zeitgeist-Bewegung, in sechs Interludien gegen das Geldsystem unserer Tage. Wir sind nicht zum Vergnügen in diesem Geschäft. Nicht mal mit einem solch betörenden Album.

Christian Beck

 

NATACHA ATLAS – Mounqaliba – In A State Of Reversal


AURELIA
The Hour Of The Wolf

(Homerecords.be 4446069, www.homerecords.be)
12 Tracks, 42:06, mit Infos

Einige der spannendsten Folkentdeckungen kommen seit geraumer Zeit aus Belgien. Beinahe tollkühn vermischen belgische Bands traditionelle Einflüsse mit Independentklängen, Jazz oder auch Kammermusik. Heraus kommen Mischungen, die frisch und jugendlich klingen, die an den Strand ebenso passen wie in die Philharmonie und zu denen man gleichzeitig tanzen und in die man sich versenken mag. Eine der großen Formationen dieses Genres ist Aurelia. Mit ihrem nautischen Konzeptalbum Hypognol – welches sie auf einem Schiff tourten – brachen sie eine Bresche in die festgefahrenen Folkstrukturen. Mit The Hour Of The Wolf, ihrem vierten Album, gehen sie nun noch einen Schritt weiter, versuchen, die Emotionen unter den Emotionen zu erreichen, spielen wie zufällig für sich selbst, und der Hörer ertappt sich als akustischer Voyeur, der sich verzaubern lässt. Die Stunde des Wolfes, die Stunde zwischen Nacht und Morgendämmerung, die Zeit, wo der Schlaf tief, die Ängste groß und die Menschen verletzlich sind, ist das Thema dieses Albums. Wer mutig genug ist, sollte diese Folkreise der anderen Art unbedingt antreten.

Chris Elstrodt

 

AURELIA – The Hour Of The Wolf


BEOGA
Live At Stockfisch Studio

(Stockfisch Records SFR 357.4053.2/In-akustik.com)
13 Tracks, 49:46, mit Songtexten u. Kurzinfos

Beoga, die Iren mit den zwei Akkordeons, lassen eine sehr gediegen klingende Produktion hören. Das ganz wilde Element, welches gerade das letzte Album dominierte, tritt erstaunlich weit in den Hintergrund zugunsten audiophiler Detailbearbeitungen, die Günter Pauler in seinem renommierten Studio in Northeim ohne Overdubs aus live eingespielten Takes der Band zusammengemischt hat. Trotz einer Vielfalt an stilübergreifenden Elementen, von Swing, Chanson und Bluegrass bis zu einem Steely-Dan-Cover, ist die Musik immer noch eindeutig irisch, allerdings meist weit von der Tradition entfernt. Niamh Dunnes Stimme bewegt sich innerhalb der verschiedenen Stimmungen auf fast durchweg gleich hohem Niveau, die Instrumentals bieten eine tolle Variationsbreite, auf ein faszinierendes Akkordeonduett folgen sehr fetzige, moderne Polkas bis hin zu einem melancholischen „Solid Man“, eine Downtempo-Komposition von Damien McKee. Gerade die langsameren Melodien haben es auf diesem Album in sich – „Forscarbaken“ und „Soggy’s“ von Seán Óg Graham sind herausragende Höhepunkte. Beoga live, sehr fantasievoll und virtuos, mit viel Liebe zum Detail, lassen Freude aufkommen und bekommen hiermit eine große Empfehlung.

Johannes Schiefner

 

BEOGA – Live At Stockfisch Studio


KETIL BJØRNSTAD
Hvalenes Sang

(GRAPPA GRCD4328/Galileo MC, www.galileo-mc.de)
17 Tracks, 75:31 mit norweg. u. engl. Infos

Gegenüber aktiven Walschützern ist es kaum zu vermitteln, dass es sich hier um ein Auftragswerk handelt zum Gedenken an den Gründer des norwegischen Walfangs Svend Foyn (1809-1894), bekannt für seine harten Geschäftspraktiken, aber auch für sein soziales Engagement. Damals – vor dem Ölboom – ging es in Norwegen um das Überleben der Menschen, und die Zahl der erlegten Wale war weitab von dem, was heute stattfindet. So kann man verstehen, dass dieses Oratorium des Lyrikers, Romanautors, Pianisten und Komponisten Ketil Bjørnstad den gesamten Rahmen des menschlichen Lebens umfasst. Die überwiegend melancholische Musik mit wenigen Begleitinstrumenten wie Cello, Piano, Gitarre, Bass und der sensiblen Stimme von Annelie Drecker unterstützt vom Sjøbod-Chor spiegelt das Leid der Wale und die Einsamkeit der Menschen in gleicher Weise wieder. Das kommt auch in den Texten von Alf Larsen, Aasmund Brynhildsen und Peter Wesse Zapffe – einige Male ergänzt durch nonverbalen Gesang – zum Ausdruck: aufgewacht an einer wilden Küste und verfolgt von den Schatten der Vergangenheit, das Finden von Gott in der Einsamkeit, das Meer als Ursprung des Lebens, Erkenntnis der Bruderschaft von Mensch und Tier.

Bernd Künzer

 

KETIL BJØRNSTAD – Hvalenes Sang


BONOVO
Bonovo

(Do Fol Musica 10002039/Boa Music/Galileo MC, www.galileo-mc.de)
12 Tracks, 53:31, mit Infos

Bonovo, gegründet 2007, ist ein vielversprechendes Trio aus der galicischen Szene. Moderne selbstgeschriebene Folkmusik mit etwas kühlem elektronischem Appeal. Chef ist wohl Drehleierspieler Oscar Fernandez, der bereits als Mitglied der Band Os Cempes bekannt wurde und jedenfalls die meisten der abwechslungsreichen Kompositionen des vorliegenden Debütalbums geschrieben hat. Ihm zur Seite stehen der Akkordeonist Roberto Grandal und der Schlagzeuger Pulpino Viascon, der gelegentlich auch die Singende Säge spielt. Welche Wucht das Trio erzeugen kann, zeigt es bei dem Blowzabella-Klassiker „Spaghetti Panic“. Etwas aus dem Rahmen fällt am Ende der Sonnenschein-Reggae „In The Ocean“, den Schlagzeuger Viascon schon früher unter eigenem Namen aufgenommen hatte.

Christian Rath

 

BONOVO – Bonovo


ANTONIO CASTRIGNANÒ
Mara La Fatìa

(Felmay FY8170/Pool Music & Media Service, www.pool-musik.com)
11 Tracks, 57:22, mit Texten u. ital./engl. Infos

„Es war nicht einfach, die traditionellen Stücke von den Eigenkompositionen zu unterscheiden, ohne auf die Angaben zu den Stücken schielen“, schreibt Mauro Pagani, Ethnomusiker und Mitglied von Premiata Forneria Marconi, im Beiheft. Der Sänger, Komponist und Perkussionist Antonio Castrignanò ist mit der traditionellen Musik seiner Heimat Salento aufgewachsen – keiner versteinerten Tradition, wohlverstanden. Freude und Leid, Vergangenheit und Gegenwart, sind darin eng aneinander gekoppelt. Das Titelstück „Mara La Fatìa“ (dt. „Die Arbeit ist hart und bitter“) etwa ist ein Klagelied über das Leben der Landarbeiter. Über Jahrhunderte mussten sie auch nachts auf die Felder, ohne dafür einen gerechten Lohn zu erhalten. Das Lied endet mit einer irrwitzigen Pizzica-Mandolineneinlage und zeigt die unbändige Lebenslust dieser Leute. Die schneidende Elektrogitarre, die das Stück in die Jetztzeit befördert, ist ein Cello. Gitarren, Mandolinen und Trommeln dominieren den Klang dieses akustischen, kraftvollen Albums. Ein Album voll lebendiger Tradition, oft mit einem Augenzwinkern dargebracht, großartig gespielt und gesungen. Jedes einzelne Stück ein Höhepunkt!

Martin Steiner

 

ANTONIO CASTRIGNANÒ – Mara La Fatìa


DIVERSE
All Along The Wall

(Fellside Recordings FECD236, www.fellside.com)
23 Tracks, 76:59, mit engl. Infos

Manche Veröffentlichungen kann man nur unter „Musikalische Wunder“ einsortieren. Dieses randvolle Album zählt zu dieser Kategorie. Fünf erfahrene britische Singer/Songwriter – Boo Hewerdine, Jez Lowe, Julie Matthews, Rory McLeod, Ruth Notman – plus die beiden Dichter Kate Fox und Elvis McGonagall begaben sich fünf Tage in die Einsamkeit Northumberlands, um ein 75-minütiges Programm zum lokalen Thema Hadrian’s Wall zusammenzuschreiben. Eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe, aber es kam noch besser: Nach den fünf Tagen sollte das Ergebnis live vor Publikum präsentiert und mitgeschnitten werden – das Resultat ist unglaublich! Solo, in unterschiedlichen Kombinationen oder im ganzen Ensemble rühren die glorreichen Sieben ihr Publikum abwechselnd zu Tränen der Rührung und Tränen der Freude, subtile Zwischentöne inklusive. Die Qualität der Songs ist hoch, nie hat man das Gefühl, einen Lückenfüller zu hören. Etliches davon wird sich in den nächsten Jahren im Repertoire von Kollegen wiederfinden. Vor allem aber hat der knappe Fünf-Tage-Zeitraum offenbar für Spontaneität, Originalität und Frische des Materials gesorgt. Das Album beweist zweierlei: Richtig gute Künstler sind in jedweder Kombination zu Großem fähig, und nicht immer zeitigt monatelanges Herumfeilen im Studio die besseren Resultate. Ein geniales Zeugnis eines unwiederbringlichen Projekts!

Mike Kamp

 

DIVERSE – All Along The Wall


RENAUD GARCÍA-FONS
Méditerranées

(Enja ENJ-9563 2/Edel:Kultur, www.edel.com)
17 Tracks, 65:02, franz. u. engl. Infos

Extrem fleißig ist der „Paganini des Kontrabasses“. Gerade noch lustwandelte man auf seiner La Línea Del Sur. Schon steht der Nachfolger im Plattenladen. Diesmal geht es noch ausdrücklicher als ohnehin auf seinen zehn Alben in den sinnenreichen Kulturraum ums Mittelmeer. Ausufernd und doch konzentriert verläuft die Reise, die im südlichsten Spanien beginnt, wo es vom Flamenco nur ein Katzensprung ist zu marokkanischen und anderen maghrebinischen Rhythmen und Stilen. Die sieben Mitmusiker lassen es an nichts fehlen, der Reichtum an Saiten- und Perkussionsinstrumenten ist immens, Auswahl und Arrangements sind jeweils wohlbedacht. Mal lehnt man sich zurück, es wird gemächlich, klanglich überschaubarer. Dann gewinnt die Tour an Fahrt und Dynamik – man will schließlich die ganze Küste entlang, über den Bosporus, den Libanon bis nach Ägypten und schließlich zur nordafrikanischen Seite der Straße von Gibraltar, dem Reiseziel. Der Reiseleiter bewegt sich auf nicht ganz ungewohnten Pfaden, hat der gebürtige Franzose doch spanische beziehungsweise katalanische und italienische Wurzeln. Stressfreier und erbaulicher kann es auf einer einstündigen Reise durch den Mittelmeerraum kaum zugehen.

Katrin Wilke

 

RENAUD GARCÍA-FONS – Méditerranées


TOMASZ GAWOREK
Born To Be Together

(Acoustic Music Records 319.1451.2/Rough Trade Distribution, www.rough-trade.net)
12 Tracks, 42:36, mit engl. Infos

Außergewöhnliche Stimmen auf einem so „gewöhnlichen“ Instrument wie der Gitarre sind rar. Technisch versiert sind sie heute ja alle, tappen, was das Zeug hält, präsentieren staunenswerte Tunings oder nutzen die perkussiven Möglichkeiten des Vielsaiters. In dieser Situation fällt jemand, der sich auf die melodische Kraft der Gitarre besinnt, natürlich gerade wieder auf. Ja, die Gitarre kann singen! Der polnische Akustikgitarrist Tomasz Gaworek verlässt sich voll und ganz auf die Kraft der Klänge, die seine Finger dem Instrument entlocken, und auf den Geist der Musik, dem er damit auf poetische Weise Leben einhaucht. Jede Nuance, die leiseste und feinste, scheint bis auf den Tongrund durchseelt. Das ist mehr als künstlerisch wohlüberlegte Durchgestaltung einer kompositorischen Form. Gaworek macht Innenwelt hörbar. Die zartesten Töne sind es auch, die beim Hören am intensivsten wirken. Die Arrangements zweier Turlough-O’Carolan-Tunes bilden den Rahmen des Albums. Dazwischen Eigenkompositionen des in Berlin lebenden Künstlers, ein Stück von B. S. Okudzhava oder das schlichte katalanische Volkslied „El Noy De La Mare“. Wer sich die Zeit für Gaworek nimmt, wird reich belohnt.

Rolf Beydemüller

 

TOMASZ GAWOREK – Born To Be Together


GHETONIA
Riza

(Italian World Music IWM250, www.italianworldmusic.com)
CD: 15 Tracks, 75:20; DVD: 16 Tracks, 79:07; mit ital./engl. Infos

Von der äußersten Stiefelspitze im Süden Italiens bis nach Griechenland sind es rund fünfzig Seemeilen. Noch immer sprechen 40.000 Menschen in der Gegend von Lecce, der Grecia Salentina, Griko, eine Sprache, die altgriechische, byzantinische und italienische Elemente aufweist. Federführend im Erhalten der Kultur der Region ist Roberto Licci, Sänger und Bandleader von Ghetonia. Das 2008 in Calimera aufgezeichnete Livekonzert beweist, wie nah sich die Kulturen Griechenlands, des Balkans und Süditaliens in dieser Gegend kommen. Die Stücke weisen oft neotraditionelle Hauptmotive auf, geprägt von der schneidenden Stimme Liccis. Immer wieder lösen Klarinette, Saxofon, Querflöte, Gitarre, Perkussion, Akkordeon und der Kontrabass alle Muster bis zur freien Form auf, um wieder zum Grundmotiv zurückzukommen. Aus der virtuosen Band stechen der unglaublich agile Bassist Giorgio Vendola und der albanische Akkordeonist Admir Shkurtaj mit herrlich dissonanten Einlagen heraus. Die einfühlsam gefilmte DVD zeigt ein hochkonzentriertes Septett, das dem Publikum einiges abverlangt. Vielleicht erklärt dies dessen zurückhaltenden Applaus. Der Folker jedenfalls gibt eine stehende Ovation.

Martin Steiner

 

GHETONIA – Riza


FAY HIELD
Looking Glass

(Topic Records TSCD573, www.topicrecords.co.uk)
11 Tracks, 42:33, mit engl. Texten

Rezensenten haben manchmal seltsame Probleme. Sie hören ein Album und finden es einfach gut. Oder sehr gut, so vom Bauch her. Dummerweise müssen sie dieses Gefühl aber begründen, und das ist nicht immer so einfach, wenn die Qualität jenseits der Kategorie „Die schnellste Fiddle westlich von Grimsby“ liegt. Nun denn! Die Stimme der Engländerin Hield erinnert an Maddy Prior, auch in Sachen Qualität. Klar, Vergleiche sind unfair, aber sie vermitteln eine Idee. Auf ihrem Solodebüt wird sie von zwei Mitgliedern der Gruppe Bellowhead unterstützt – Jon Boden und Sam Sweeney an Gitarre, Fiddle, Viola, Konzertina, Nyckelharpa – und das war’s auch schon fast. Ein wenig Begleitgesang, Perkussion und Clogs, alles streng akustisch. Das fast vollständig traditionelle Material klingt unverbraucht und ideenreich, ohne auf andere Stilelemente zurückzugreifen, einfach englische Folkmusik. Und einfach gut. Oder sehr gut, aber das wurde ja bereits erwähnt.

Mike Kamp

 

FAY HIELD – Looking Glass


GEORGE LEITENBERGER
Café Comercial

(DMG GERMANY DSMG 54.218109.2/Broken Silence Independent Distribution, www.brokensilence.de)
16 Tracks, 67:39, mit Infos

George Leitenberger ist in Deutschland aufgewachsen, lebte viele Jahre in Berlin, zwischenzeitlich auch in Frankreich und in Großbritannien, und ist seit ein paar Jahren in der Schweiz ansässig. Er ist ein wirklicher Weltenbürger, und das merkt man auch seinen Songs an, die er mit seiner rauchigen, leicht melancholischen Stimme auf Deutsch, Englisch und Französisch interpretiert. Der imposanten Liste der Künstler, mit denen er bereits verglichen wurde – von Django Reinhardt über Leonard Cohen bis George Brassens – ließen sich ohne weiteres noch George Moustaki und Serge Gainsbourg hinzufügen. Inhaltlich geht es unter anderem um eine Reise nach Kurdistan, um Ignoranz und Toleranz, um die Tristesse der Vorstädte, um verschobene Erinnerungen und natürlich um die Liebe. Die orientalischen Anklänge in einigen seiner Lieder erweitern das Spektrum auf reizvolle Weise. Schade ist, dass die Texte im Booklet nicht nachzulesen sind. Das wäre umso wichtiger, da nicht immer jedes Wort zu verstehen ist. Da wurde vom Plattenlabel an der falschen Stelle gespart. Trotzdem ist Café Comercial auf alle Fälle eines der raren Alben, die bei wiederholtem Anhören zunehmend interessanter werden.

Kai Engelke

 

GEORGE LEITENBERGER – Café Comercial


ELEANOR MCEVOY
I’d Rather Go Blonde

(Moscodisc MOSCD408, www.eleanormcevoy.com)
11 Tracks, 35:44, mit Texten

Mit ihrem neuen Album ist es der Irin einmal mehr gelungen, kritische Themen sprachlich gekonnt und musikalisch abwechslungsreich zu verpacken. Ihre Texte haben Tiefgang, wollen wachrütteln, Anstöße geben und Salz in gesellschaftliche Wunden streuen. In „Look Like Me“ beispielsweise nimmt sie den Modewahn aufs Korn, in „Just For The Tourists“ beschäftigt sie sich mit dem Massentourismus unserer Tage. Es geht bei Eleanor McEvoy um die Welt, und zuweilen geht es auch um Gott, wie in dem beeindruckenden „Deliver Me (From What You Do)“. Aber natürlich kommt auch die Liebe nicht zu kurz. Die Sängerin und Multiinstrumentalistin kann nämlich sehr romantische Lieder schreiben, ohne je kitschig zu werden: „The Thought Of You“ ist ein Beispiel hierfür. Und mit „For Avoidance Of Any Doubt“ nimmt sie, herrlich sarkastisch, das Thema Partnersuche auf die Schippe. Texte zum Schmunzeln und Nachdenken – folkig, bluesig und poppig präsentiert.

Markus Dehm

 

ELEANOR MCEVOY – I’d Rather Go Blonde


FRANCO MORONE
Miles Of Blues

(Acoustic Guitar Records, www.francomorone.it)
13 Tracks, 46:17 mit engl. u. ital. Infos

Ein italienischer Fingerstylegitarrist und ausschließlich Blues? Spätestens seit Beppe Gambetta wissen wir ja, dass ein Italiener verdammt amerikanisch klingen kann. Gleiches gilt für Franco Morone, der auf der Bühne nur so vor guter Laune strotzt und mit strahlendem Lächeln und beeindruckender Musikalität ein großes Auditorium mitreißen kann. Dass es bei der vorliegenden Aufnahme dann auch nicht um den Blues als Schmerzensmusik geht, ist schnell klar. Grooveorientierte Rhythm-’n’-Blues-Tunes, herrlich swingende Fußwipper und natürlich auch reich harmonisierte Balladen – Franco Morone meint es gut mit der Gilde der Gitarristen, denn gerade dem Kenner wird schnell warm ums Herz ob derart berückender Gitarrenkunst. So verwandeln sich unter Morones Händen auch altbekannte Standards wie „Summertime“ oder Joe Zawinuls „Mercy, Mercy, Mercy“ in erstaunliche 6-Saiten-Perlen. Wer einen kleinen Einblick in des Meisters Küche werfen will, sei auch auf sein Buch Acoustic Blues Guitar verwiesen, ebenfalls bei Acoustic Guitar Records erschienen und über Acoustic Music Records zu beziehen. Zumindest ein Titel des Albums ist dort zu finden. Signore Morone zeigt mit lässigem Charme, wie viel Spaß es machen kann, den Blues zu haben.

Rolf Beydemüller

 

FRANCO MORONE – Miles Of Blues


THE PREACHER & THE BEAR
Suburban Island

(Black Star Foundation BSF41/Cargo Records, www.cargo-records.de)
9 Tracks, 32:10, mit Texten

The Preacher & The Bear sind eine Band aus Schweden. Ein kleines bisschen anders geschrieben, ist es auch der Name einer populären Aufnahme von 1905 von Arthur Collins. Der gemeinsame Nenner: Americana. Country, Folk, Blues – das weite Feld der Stile, die aus der amerikanischen Folklore entstanden sind. Suburban Island ist das Debütalbum von Elin Piel und Fredrik Pettersson, die seit 2008 gemeinsam komponieren und musizieren. Es ist Musik, die von innen kommt, persönliches Erleben schildert, sich um sich selbst dreht. Piels Stimme kann verzweifelt klingen und wild, sanft und rau. Schnörkel und Verzierungen werden weitestgehend weggelassen. Immer die Gitarre als Basis, wird je nach Anzahl der weiteren Begleitinstrumente mal Nähe, mal Distanz, Schall, Dichte und Tempo geschaffen. Die beiden Debütanten haben mit Suburban Island eine poetische, fast surreale halbstündige Insel geschaffen, die sich, wie das Cover zeigt, im nordischen Dämmerlicht befindet. Düster ist sie aber nicht.

Sarah Habegger

 

THE PREACHER & THE BEAR – Suburban Island


RED HOT CHILLI PIPERS
Music For The Kilted Generation

(Rel Records RECD572/New Music Distribution, www.nmd-newmusic.de)
13 Tracks, 49:52

Party hin, Stimmung her, die Chillis müssen sehr disziplinierte Menschen sein. Wie sonst ist zu erklären, dass die neun Schotten trotz proppevollem Tourkalender, nicht nur in Deutschland, die Zeit fanden, ein neues Album einzuspielen? Konzeptionell bietet Music For The Kilted Generation nichts Neues. Warum auch? Die Mischung ist vertraut und beliebt: traditionelle und eigene Pipetunes gemischt mit knackigen Pop-Rock-Oldies von Leuten wie Queen, The Who, Deep Purple oder etwas aktueller Robbie Williams und Snow Patrol. Auch der Schmachtfetzen „Amazing Grace“ muss im Gospelgewand dran glauben. All das ist anspruchsvoller und dichter arrangiert als die Vorgänger, und auch die Bläsersektion spielt eine größere Rolle. Insgesamt wären ein paar Infos mehr nett gewesen. Die Fans werden es trotzdem lieben, denn die nehmen das Albums sowieso als das, was es in Wirklichkeit ist: die bestmögliche Überbrückung zwischen zwei Konzerten der Red Hot Chilli Pipers!

Mike Kamp

 

RED HOT CHILLI PIPERS – Music For The Kilted Generation


RUNRIG
50 Great Songs

(Sony Music 8697792102, www.sonymusic.de)
3 CDs: 50 Tracks, 227:57 ; DVD: 65:00

Die Frage lautet: Wer braucht noch einen weiteren Runrig-Sampler? Kennen wir doch alles, fast zumindest. Einige Remixe, einige unveröffentlichte Liveaufnahmen mit einer Überraschung: Dick Gaughan singt „Dance Called America“. Okay, und eine DVD mit Aufnahmen von 2003 in Stirling („The 30th Anniversary Concert“) bis 2009 am Loch Lomond, auch nicht ganz uninteressant. Eigentlich müsste die Box heißen „50 Great Songs – (fast) ohne Donnie Munro“. Nur auf der dritten, komplett gälischen CD konnte man wohl nicht völlig auf ihn verzichten. Ist legitim, sollte man aber wissen. Die Frage also noch mal: für wen? Natürlich für alle Riggies, die ganz harten Runrig-Fans. Die fahren auch zu jedem halbwegs erreichbaren Konzert. Für normale Runrig-Fans? Eher nicht, denn die meisten Songs hat man im Schrank. Sollte aber jemand erstmals – und darauf liegt hier die Betonung – das Bedürfnis haben, sich so richtig gute, von den Fans ausgewählte Runrig-Songs zuzulegen, ja, dann ist dieser Sampler auch für ihn.

Mike Kamp

 

RUNRIG – 50 Great Songs


MAKIS SEVILOGLOU
Anchors

(Pinguin Records PG-2200101/Cargo Records, www.cargo-records.de)
Promo-CD, 14 Tracks, 57:07

Makis Seviloglou ist ein genialer Geschichtenerzähler. Deutlich griechischer Identität: Kurzerhand wagt er einen Zeitsprung von gut zweieinhalb Jahrtausenden, identifiziert sich mit der Grille einer Äsop-Fabel, und zwar so innig und unbedingt, dass er darüber an die Wertigkeit von Musik und Poesie im Allgemeinen appelliert und den krassen Gegensatz von Kunst und Kommerz in unserer aktuellen Massenkultur im Besonderen beklagt. Er weiß ganz genau, „was es bedeutet, ein Musikinstrument zu einem Teil von sich selbst zu machen“. Und seine Musikerkollegen – einfühlsame Violine: Thanos Giuletzis; bodenständiger Bass: Dimitris Kitsios – wissen das auch. Daran bleibt kein Zweifel vom ersten Akkord bis zur letzen Sentenz dieser Aufnahmen (Caspar Falke). Was da auf den ersten Blick locker, leicht und heiter in modernem Rockballadengewand daherkommt, entpuppt sich auf den zweiten als spielverliebtes, aber auch sensibel zusammengefügtes Gewebe mit Zitaten aus sehr verschiedenen musikalischen Stilschichten und dem rechten Händchen für Transparenz im Arrangement – „… bis ans Ende, wenn das Salzwasser allen lehrt, dass auch Anker nicht stark genug sind, um das Schicksal aller zu bestimmen“.

Cathrin Alisch

 

MAKIS SEVILOGLOU – Anchors


SYD MATTERS
Brotherocean

(Because Music Because 0367/AL!VE, www.alive-ag.de)
Promo-CD, 10 Tracks, 44:53

Bruder Ozean – gemäß dem Bild des Albumtitels ist von schillernden Oberflächen, melancholischen Tiefen, Weite, leichten Brisen, Sehnsucht und Blicken in die Ferne alles vorhanden; nur der Sturm fehlt. Der Franzose Jonathan Morali aus Paris, Jahrgang 1980, hat mit seiner Band ein homogenes, transparentes halbakustisches Album mit Wiedererkennungswert aufgenommen. Wie für französische Bands üblich, auf hohem handwerklichen Niveau. Im Vordergrund stehen akustische Gitarren, Orgeln, Klavier, Streicher, mehrstimmiger Gesang und ein Schlagzeug das einige Akzente zu setzen weiß. Nicht nur im Namen des Projekts haben die frühen Pink Floyd deutliche Spuren hinterlassen, auch im Songwriting und in den Arrangements sind die Referenzen stets präsent, und auch Pink Floyds Folkeinflüsse haben sich weitervererbt, freilich ohne zu sehr im Vordergrund zu stehen. Aber wo der frühe David Bowie exzentrisch, die Eels verstörend und die Incredible String Band versponnen wirken – um einige weitere Assoziationen zu nennen – bleiben Syd Matters freundlich. Nur wenn sie in Harmoniegesang und psychedelischen Klangteppichen schwelgen, steht, Stichwort Meer, manchen Stücken das Wasser dann doch bis zum Hals.

Dirk Trageser

 

SYD MATTERS – Brotherocean


TERRAE
Unknown People

(FolkClub Ethnosuoni ES 5387, www.folkclubethnosuoni.com)
12 Tracks, 44:20, mit Texten

Unknown People ist ein verwirrender Albumtitel für eine Gruppe, die sich eine „Compagnia di Musiche Popolari“ nennt. Verwirrend deshalb, weil die Gruppe mit polyphonem sizilianischem Gesang glänzt und nur das Titelstück eine englische Vokaleinlage aufweist. Unknown People, das sind für Terrae die Leute, die unsere Geschichtsschreibung auslässt: die Bauern, die Habenichtse und der junge Mann, der Sizilien verlässt, um in Spanien für die Republik und die Freiheit zu kämpfen. Alle Texte des Konzeptalbums beziehen sich auf einen Abschnitt der sizilianischen Geschichte. Bereits auf Terraes letzten Werk, 38° Parallelo Instabili Terre, kontrastierten Geigenlinien und filigrane Gitarrenläufe zwischen Experiment und Klassik mit der Kultur Siziliens. Auf Unknown People geht die Gruppe einen Schritt weiter. Neu hinzu kommen ungewöhnliche elektronische Einsprengsel, musikalische Ideenfetzen aus aller Welt und Gastmusiker, die zusätzliche Akzente setzen. Fast könnte man Unknown People als akustischen Progrock katalogisieren. Doch das ginge zu weit und greift zu kurz: Die Wurzeln von Terrae liegen im Mittelmeer, und ihre Musik ist nicht nur spannend – sie berührt.

Martin Steiner

 

TERRAE – Unknown People

Update vom
09.02.2023
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