FOLKER – Rezensionen

Rezensionen BÜCHER


THOMAS ANTONIETTI, BRUNO MEIER, KATRIN RIEDER (HG.)
Rückkehr in die Gegenwart –
Volkskultur in der Schweiz

Baden: Hier und Jetzt Verlag, 2008
256 S., mit Abb.
ISBN 978-3-03919-089-8

Seit über zehn Jahren mittlerweile forschen und experimentieren Musiker aller Genres in den engmaschigen Nischen der Schweizer Volksmusik. Gegenüber einer proklamierten ungebrochenen Tradition und in Fernsehformaten erstarrten musikalischen Volkskultur wurde eine Gegenposition aufgebaut, die einen ungeahnten, anhaltenden Kreativitätsschub ausgelöst hat. Namen wie Hans Kennel, Noldi Alder, Nadja Räss, Fabian Müller oder Markus Flückiger (die Liste ließe sich lange fortsetzen) haben neue Impulse für die gesamte schweizerische Musiklandschaft gebracht und eine Diskussion angezettelt, die in der Publikation Rückkehr in die Gegenwart, herausgegeben von der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, erstmals versucht, alle Bereiche der Volkskultur in den Diskurs einzubeziehen. In diesem lesenswerten Kompendium wird der Versuch unternommen, in allen volkskulturellen Praktiken ähnliche Tendenzen wie in der Musik ausfindig zu machen und auch bisher streng in der Tradition verhaftete Bereiche nach ihrer Anbindung an das zeitgenössische Kunstschaffen zu befragen. Gleich zu Anfang hat die Wissenschaft das Wort und demontiert fürs Erste die vermeintlich stabilen Begrifflichkeiten der „Volkskultur“. Auf diesem fragilen Boden bewegen sich in der Folge wohl oder übel alle Autoren in diesem Band. Wobei die Texte aus Forschung und Praxis am Interessantesten sind. Der Musiker und Tanzexperte Johannes Schmid-Kunz bringt die disparate Lage auf den Punkt wenn er feststellt, dass das Leistungsprinzip den Tanzenden die letzte Konzentration abverlangt, ähnlich wie die in Konzentration erstarrten Gesichter vieler Volksmusikanten sich unter dem Begriff der konzertanten Volksmusik zu viel zumuten. So verkümmert Volkskultur in hermetisch geschlossenen Zirkeln und schließt das Volk von einer Beteiligung aus. Die zahlreichen kulturpolitischen, künstlerischen und verbandsinternen Positionen in diesem Buch aber zeigen, dass sich Risse im Gefüge gebildet haben, an denen die sich so erfrischend frei und doch mit viel Ernsthaftigkeit entwickelnde Neue Schweizer Volksmusik maßgeblichen Anteil hat.

Johannes Rühl

 

THOMAS ANTONIETTI, BRUNO MEIER, KATRIN RIEDER (HG.) – Rückkehr in die Gegenwart


GERD GEBHARDT, JÜRGEN STARK
Wem gehört die Popgeschichte?

O. O.: Bosworth, 2010
382 S., mit s/w Fotos. [Bosworth Edition; BOE 7414]
ISBN 978-3-86543-289-6

Musikjournalist Jürgen Stark und Musikindustrie-Insider Gerd Gebhardt, beide anerkannte Experten und jahrelange Szeneprominente, laden ein zu einer faszinierenden Reise durch die Kulturgeschichte der populären Musik des letzten Jahrhunderts. Beeindruckend, amüsant und inspirierend ist die Vielfalt und die Vielschichtigkeit des verarbeiteten Materials: Auf fast 400 Seiten werden Interviews mit Künstlern, literarische Splitter und politische Texte kombiniert mit witzigen Zitaten, sensibel ausgewählten Fotos und persönlichen Erinnerungen. Der Rhythmus der Abhandlung folgt dabei ebenso wie die Materialdichte der persönlichen Verflechtung der Autoren mit der jeweiligen Etappe dieser Geschichte. Und so kommen sie wohl nicht nur am Ende ihres Buches zu der Frage nach der Zukunft der Popmusik: „… woran sollen sich Künstler noch reiben in einer Gesellschaft, in der Friede, Freude, Eierkuchen alles stimmungsmäßig dominiert, vor allem auf den meinungsrelevanten medialen Sendeplätzen?“ Hoffnungsvoll zuversichtlich setzen sie auf einen Mix aus „individuellen Farben der Folkloren“ mit „ internationaler Pop- und Rockmusik“, unangepasstem künstlerischem Extremismus und Mut zum Risiko.

Katrin Werlich

Bezug: go! www.bosworth.de

 

GERD GEBHARDT, JÜRGEN STARK – Wem gehört die Popgeschichte?


ANTONINO D’AMBROSIO
A Heartbeat and a Guitar –
Johnny Cash and the Making of Bitter Tears

New York: Nation Books, 2009
279 S., mit s/w-Fotos
ISBN 978-1-56858-407-2

Das Fazit vorweg: D’Ambrosios Buch ist eines der besten seiner Art. Hier werden Musik, Geschichte und Politik in einer Weise miteinander verbunden, dass man sich fragt, warum eigentlich eigens Schulbücher geschrieben werden, die in der Regel mehr verschweigen als sie mitteilen. Und zudem meist viel weniger anregend sind. Worum geht es? Die „Hauptakteure“ sind Ira Hayes, Peter La Farge und Johnny Cash.

Hayes war ein Pima-Indianer, der im Zweiten Weltkrieg als Soldat des United States Marine Corps an der Schlacht um die japanische Insel Iwojima teilnahm. Berühmt wurde er durch ein vom US-amerikanischen Kriegsfotografen Joe Rosenthal geschossenes Foto, auf dem er zusammen mit fünf anderen Soldaten die US-Flagge auf einem Berg der Insel hisste. Doch mit dem damit verbundenen Ruhm wurde er nicht fertig. Er verfiel dem Alkoholismus und starb 1955 im Alter von 32 Jahren. Folksinger La Farge veröffentlichte in den frühen Sechzigerjahren fünf Alben bei Folklways, die sich unter anderem mit den Problemen der US-Ureinwohner beschäftigten. Sein bekanntester Titel: „Ira Hayes“. Johnny Cash wiederum nahm 1964, nachdem er La Farge kennengelernt hatte, ein ganzes Album auf, das Respekt für die Indianer einforderte und Cash als Verteidiger der Bürgerrechte auftreten ließ: Bitter Tears. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Das Album wurde als „unamerikanisch“ aus dem Rundfunk verbannt und spielt heute kaum eine Rolle in Cashs Biografie. In faszinierender Weise – das Buch liest sich wie ein spannender Krimi – verbindet D’Ambrosio auf mehreren Erzählebenen die handelnden Personen vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Zustände miteinander. Der Leser erfährt nicht nur, wie Bitter Tears entstand. Zugleich gibt es interessante Einblicke in die Folk- und Singer/Songwriterszene jener Jahre sowie erschreckende, aber nicht wirklich überraschende Erkenntnisse in Sachen US-Politik, die – allen voran Präsident John F. Kennedy – um der puren Macht willen die Rechte der Ureinwohner mit Füßen trat.

Michael Kleff

Bezug: go! www.nationbooks.org

 

ANTONINO D’AMBROSIO – A Heartbeat and a Guitar

Update vom
09.02.2023
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