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DER VERKANNTE VOLKSSÄNGER
Adriano Celentano
Von wegen Vater der Klamotte
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Der Mailänder Musiker kann auf ein unvergleichliches musikalisches Werk
zurückblicken, das hierzulande völlig aus dem Blick geraten ist. Er hat mehr zu
bieten als Azzurro und mittelmäßige, miserabel synchronisierte Filmkomödien:
Unmengen grandioser, hymnisch-stampfender Lieder, irgendwo zwischen
italienischen Folktraditionen und Sixties-Beat. 1960 erschien sein erstes Album.
Eine Ehrenrettung im Folker – fünfzig Jahre später.
TEXT: GUNNAR GELLER
„Grandiose,
hymnisch-stampfende
Lieder, irgendwo
zwischen
italienischen
Folktraditionen
und Sixties-Beat.“
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Celentano? Das ist so eine Art italienischer Didi Hallervorden, der irgendwann
auch mal einen oder gar zwei ganz hübsche Schlager gesungen hat. Darüber ist man
sich hierzulande einig, quer durch alle Alters- und Bildungsschichten. Wer
Celentano bei der Beschreibung eigener musikalischer Präferenzen angibt, stößt
in der Regel auf ungläubiges Kopfschütteln, in deutschen Musikzeitschriften war
nie auch nur eine Zeile über ihn zu lesen, und als dann, aus gegebenem Anlass,
vor drei Jahren immerhin vier vermeintliche Qualitätsmedien aus dem deutschen
Sprachraum Geburtstagsgrüße zum Siebzigsten veröffentlichten, las sich das so:
Der Schlagersänger ist als eher flacher Unterhaltungshanswurst bekannt und
wird wohl der liebenswerte Junge bleiben, der nichts kann, dies aber mit Charme
und unvergleichlichem Erfolg richtig gut. Meinte die Süddeutsche Zeitung.
In der Neuen Zürcher Zeitung wurde darüber gestaunt, dass Adriano Celentano
der populärste Italiener sei, rätselhaft sei der Erfolg, denn: Herausragend
waren seine Platten nie, seinen kehligen Bariton kennt man zur Genüge, und sein
letzter Hit liegt 24 Jahre zurück. [
] Keine Modewelle von Disco bis Electropop,
auf welcher der Anpässler nicht gesurft wäre.
„Azzurro ist
fast schon
so etwas wie
Italiens
inoffizielle
Nationalhymne.“
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Springers Welt gilt Celentano als Vater der Klamotte, dessen Timbre
wenig mehr bietet als die schmale Bandbreite zwischem rauem Schmelz und
röhrendem Schmalz. Nur die Frankfurter Allgemeine stieß nicht in das
gleiche Horn, sondern attestierte Celentano in gewisser Weise mehr Radikalität
als Che Guevara. Auf den kam der Autor allerdings nur, wegen der Silbe Che
beziehungsweise Ce, auf die nur in Italien ein lentano folge und überall
sonst eben ein Guevara. Zur Musik des Radikalen ist dem FAZ-Redakteur
dann aber auch nicht viel eingefallen: Mit erschütternder Ahnungslosigkeit wird
nur etwas über die fesselnde Reibeisen- und Gummistimme dahingeschrieben,
außerdem gebe es zwei Knaller (Azzurro und Una Festa Sui Prati), auf die
noch heute kaum eine Disconacht verzichte.
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Das schreit nach einem sachkundigeren und faireren Porträt des Sängers, und so
haben wir uns um ein Interview bemüht, direkt bei seiner eigenen Firma, Clan
Celentano, die von seiner Frau Claudia Mori geleitet wird. Per Fax, per Mail und
per Telefon haben wir angefragt, erst auf Englisch und, als es daraufhin
keinerlei Antwort gab, noch einmal in formvollendetem Italienisch.
Von Sony Music, seinem deutschen Vertrieb, hörten wir schließlich, dass es
keinem deutschen Medium, weder dem ZDF noch dem Spiegel, in den
letzten zwei Jahrzehnten gelungen sei, zum Sänger vorzudringen: Adriano und
sein Management haben daran kein Interesse, tut uns leid. Wir bekommen selbst
weder Fotos noch Antworten, und auch unsere Kollegen in Italien können uns
leider seit Jahren nicht helfen.
„Celentano ist ein
begnadeter Tänzer,
der nach Worten
und Rhythmen dürstet.“
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Schade. Aber vielleicht macht das auch nichts. In einem der raren Interviews,
die er in den letzten Jahren in Italien gab, erzählte er etwa dem Autoren der
Repubblica lang und breit von Adam und Eva – im Ernst, die
biblische Geschichte vom Sündenfall -, wetterte gegen Umweltsünden und gab
Ratschläge zur Weltrettung, viel Zeit, über seine Musik und sein Leben zu
sprechen, ist da offenbar nicht geblieben. Es könnte sein, dass ein Gespräch mit
ihm zwar eine interessante Erfahrung wäre, man aber kaum hilfreiche Antworten
bekäme. Für diese Geschichte müssen wir also leider auf Informationen aus erster
Hand verzichten. Es gibt trotzdem viel zu erzählen.
„Ihm ist wurscht,
ob und was die
Medien über ihn
berichten ...
Er macht einfach,
was er will.“
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Angefangen hat alles mit Rock n Roll. 1956 gründete der Achtzehnjährige mit
Freunden eine Band, die Rock Boys. Celentano gab den Elvis, und die Truppe
konnte die US-Originale bald so überzeugend nachspielen, dass sie zum ersten
italienischen Rock-n-Roll-Festival eingeladen wurde, das im Mai 1957
ausgerechnet in ihrer Heimatstadt Mailand stattfand. Den kurzen Auftritt der
Rock Boys sah auch Walter Gürtler, ein gebürtiger Schweizer, der dort eine
Plattenfirma betrieb. Und schwups gab es einen Vertrag und Aufnahmen, im
Frühjahr 1958 kamen schon die ersten Singles des Solokünstlers Celentano auf dem
Jolly-Label heraus: Kein sehr originelles Programm, Rip It Up, Jailhouse
Rock, Tutti Frutti, und so ging das bis 1959 weiter. Musikalisch waren das
nicht mehr als passable Kopien, doch war die Stimme sofort ein Ereignis.
Celentanos Organ war rau, ja, geradezu soulig, hatte aber gleichzeitig etwas
Croonerhaftes und verfügte über eine erstaunliche Spannbreite. Von der ersten
Aufnahme an war er unverwechselbar.
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FOLKER auf Papier
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