FOLKER – Rezensionen

Rezensionen Nordamerika


THE COMFORTERS
Two Piece Orchestra

(Big Timbre Records, go! www.feelthecomforters.com )
10 Tracks, 38:10

Der Name des Albums lässt auf Minimalistenmusik schließen, doch Vorsicht: Falle! Zwar läuft der Titeltrack nur 1:32, bietet aber eine reizende Melodie, eine volle Akustikgitarre, liebliches Glockenspiel, Perkussion und eine Posaune! Das reichte anderen Bands für mindestens zwei Stücke in Standardlänge. So verschwenderisch setzt sich das zweite Album des Ehepaars Pia und Jason Robbins nicht fort, obwohl der nächste Song, „The Fall Of Fall“ mit seiner Melancholie und seinem wärmenden Cello unter dem Gesang genau den angemessenen Klang für diese Jahreszeit liefert. Danach bleibt die Mixtur aus Folk und Pop zwar schön, gerät aber auch ein wenig arm an Höhepunkten und erschöpft sich in ihrer ruhigen Atmosphäre. Doch gerade, als sich der Eindruck festsetzen will, dass hier Stimmungen vor Melodien rangieren, wecken uns die nach Oregon gezogenen Kalifornier mit einer federnden Nummer im Countrykleid: „Upside Down“. Das Ruder ist herumgerissen, die Langeweile abgewendet. Zeitweise, in den vielen ruhigen Momenten werden Erinnerungen an die Cowboy Junkies wach. Andere mögen mehr an die Kings of Convenience denken. Wie auch immer: Teewasser aufsetzen und wohlfühlen.

Volker Dick

 

THE COMFORTERS – Two Piece Orchestra


DAVID DONDERO
# Zero With A Bullet

(Affairs of the Heart HUG011CD/Indigo, go! www.indigo.de )
10 Tracks, 41:32, mit engl. Infos

„Jesus from 12 to 6, Beelzeebubba from 6 to midnight“ rockt er im Eröffnungstrack seines achten Soloalbums los – so könnte es gehen zwischen den Stühlen. Geboren 1969, steht der Sänger, Gitarrist und Schlagzeuger aus Duluth zwischen zwei Großgenerationen von Singer/Songwritern: den Altvorderen, die noch Geschichten erzählten, eigene Psyche hin oder her; und den Jungen, die eigentlich lieber in enigmatischer Befindlichkeitslyrik aufgehen, die etwas bedeuten kann oder nicht. „Job Boss“, erzählt zu Banjo, Mandoline und Akustischer, ist fast ganz herkömmlicher Folksong mit reichlich Sozialkalkül: „Job boss says the job ain’t right / You gotta stay here late tonight / You don’t get no benefits / You don’t like it? You can just quit“. „Wherever You Go“ dagegen: „Lookin’ to the eye in the sky of Berlin / All these affairs of the heart are always cavin’ in“ – ob damit die Plattenfirma gemeint ist? Es würde passen zur Nabelschau auf Indie/Alt.-Gekreisel mit weinerlichem Gesangston, der Nachgeborenen wie Conor Oberst und Zeitgenossen regelrecht zum Markenzeichen geworden ist. Aber nicht wirklich zu David Dondero – der hat eine ganze Reihe vielversprechende Optionen und dürfte es auch wissen.

Christian Beck

 

DAVID DONDERO – # Zero With A Bullet


BOB DYLAN
Folksinger’s Choice

(Leftfield Media LFMCD501/Chrome Dreams/In-akustik, go! www.in-akustik.com )
11 Musiktracks, 10 Interviewtracks, 57:32, mit engl. Infos

Experten streiten darüber, ob diese Ausgabe von Cynthia Goodings Radioshow „Folksinger’s Choice“ je ausgestrahlt wurde. Sicher ist nur, dass ihre Begegnung mit Bob Dylan am 13. Januar 1962 in den New Yorker WBAI-Studios aufgenommen wurde. Das Debütalbum des damals praktisch noch unbekannten Dylan war noch nicht erschienen. Seit Beginn des Vorjahres war er im Village aufgetreten, im Oktober 1961 in Oscar Brands „Folk Festival“ auf WNYC. Die vorliegenden Aufnahmen zeigen einen jungen Dylan, der munter drauflos plappert – mehrheitlich belangloses Zeug. So erfährt man, dass er damals für einen Dollar und einen Cheeseburger auftrat. Das waren noch Zeiten, als er noch keine Millionen mit Auftritten für die Waffenindustrie oder Dessouswerbung für Victoria’s Secret machte. Einzige wichtige Aussage: Schon 1962 machte Dylan klar, er sei kein Folksänger. Musikalisch ist das Dokument vor allem interessant wegen der bislang einzigen Aufnahmen von Woody Guthries „Hard Travelin’“, Howlin’ Wolfs „Smokestack Lightning“ und Dylans eigenem „Roll On, John“. Sowie wegen der ersten Version von „The Death Of Emmett Till“ – das Lied über die Ermordung eines 14 Jahre alten schwarzen Jungen gilt als Dylans erster Protestsong.

Michael Kleff

 

BOB DYLAN – Folksinger’s Choice


EVA
Bittersweet Sessions

(Honx Music HM 021001-2/Al!ve, go! www.alive-ag.de )
11 Tracks, 42:46, mit Texten und Infos

Alle paar Jahre wieder gibt es einen Hype um schöne Frauen, die – möglichst barfuß – ihre selbstgeschriebenen romantischen Songs auf der akustischen Gitarre zum Besten geben. Was an sich begrüßenswert ist – tolle Frauen mit tollen Stimmen und tollen Songs – kann dann schnell zu einem Überangebot führen, so auch dieser Tage im Zuge des Suzanne-Vega-Comebacks und womöglich auch im Falle Evas – was sehr schade wäre. Sie scheint zwar exakt dem Klischee der New Yorker Songschreiberin zu entsprechen und bedient sich sogar aus dem Musikerumfeld besagter Kollegin, aber wen stört es? Die Songs sind wirklich einschmeichelnd, das Album wurde liebevoll von Frauenhand gestaltet, die Künstlerin selbst taugt exzellent als Projektsionfläche manch romantischen Gedankens. Und um das Folkieherz vollends zum Schmelzen zu bringen, wurden die Bittersweet Sessions quasi live innerhalb einer drei Tagen in einem Apartment aufgenommen. Das ist noch handgemachte Musik, jubelt der Kenner nach Hören des Albums auf seiner High-End-Anlage. Recht hat er. Man muss das Klischee aushalten. Zur Not auch barfuß.

Chris Elstrodt

 

EVA – Bittersweet Sessions


GILKYSON GORKA KAPLANSKY
Red Horse

(Red House Records RHR CD 233/In-akustik, go! www.in-akustik.com )
12 Tracks, 44:29, mit engl. Infos

Keine schlechte Idee war es für die drei Folkveteraen und -veteraninnen, sich zu einem gemeinsamen Album zu finden. Schon der Einstieg, „I Am A Child” von Neil Young, erinnert an die Zeit, als Young mit seinen Kollegen Crosby, Stills & Nash Songs mit atemberaubenden Harmoniegesängen zauberte. Eliza Gilkyson, John Gorka und Lucy Kaplansky nutzen zudem den Synergieeffekt solcher Zusammenkünfte. Sie teilen sich den Leadgesang, singen aber oft die Lieder der je anderen. So bekommen deren Klassiker eine neue Wirkung, was insbesondere John Gorka zu inspirieren scheint, der hier vor Lebendigkeit sprüht und weniger reduziert klingt als gewohnt. Und sein bekannter, melancholischer Song „Blue Chalk“ erstrahlt hier ebenfalls in einer luftigen Version. Auch Lucy Kaplanskys „Promise Me“ schwebt betörend aus der Box, nur mit wenigen Akkorden der E-Gitarre und Slides der Pedal Steel begleitet. Eliza Gilkyson hat die rauchigste Stimme, was aber ihren eher vom Country beeinflussten Balladen eine besondere Note gibt. Die Songs sind ausnehmend gefühlvoll vorgetragen und arrangiert. Stimmlich passen die drei hervorragend zusammen. Man wünscht sich auf jeden Fall eine Fortsetzung.

Hans-Jürgen Lenhart

 

GILKYSON GORKA KAPLANSKY – Red Horse


JW-JONES
Midnight Memphis Sun

(CrossCut Records CCD 11102/In-akustik, go! www.in-akustik.com )
12 Tracks, 48:33

Memphis – das ist dieser singend-swingende Groove, soulig-funkige Gitarren, dezente Backgrounds und natürlich satte Bläsersätze. In dieser Hinsicht ist der Titel des Albums absolut gerechtfertigt, denn genau das sind die Zutaten für „Off The Market“, das erste Stück. Mit einem Lächeln im Gesicht und im Takt wippenden Füßen geht es dann munter weiter, mal schlägt das Pendel mehr in Richtung Swamp Blues wie bei „Kissin’ In Memphis“, wo Charlie Musselwhite an der Mundharmonika begleitet, dann wieder gibt es ein Fest für Gitarristen wie bei „Born Operator“ mit seinem vertrackten Rhythmus oder „Howlin’ With Hubert“ mit dem großartigen Hubert Sumlin an der Gitarre. Insgesamt also ein sehr abwechslungsreicher Streifzug durch Memphis und Umgebung. Dem jungen Kanadier JW-Jones gelingt hier vorbildlich, was viele anstreben, aber nur wenige beherrschen: große Tradition in ein modernes und frisches Gewand zu kleiden und das ganze mit der eigenen individuellen Spielfreude so richtig auszuleben.

Achim Hennes

 

JW-JONES – Midnight Memphis Sun


CHARLIE MUSSELWHITE
The Well

(Alligator Records ALCD 4939/In-akustik, go! www.in-akustik.com )
Promo-CD, 13 Tracks, 47:36, mit engl. Infos

Schön länger zahlt sich aus, dass der 66-jährige Mundharmonikaspieler und Sänger noch nie Berührungsängste zeigte – ein Album für Real World, ein Gastauftritt bei Tom Waits stehen dafür ebenso wie der Gitarristenjob, den er für Sanctuary 2004 an Charlie Sexton vergab. So ist Charlie Musselwhites Musik immer in Bewegung geblieben, sein Klang lebendig – was nun auch The Well wieder auszeichnet. Mag die gepflegte Art von Chicago Blues auch in keinster Weise innovativ sein, so klingt sie im Falle des Indianerabkömmlings aus Mississippi, der den Blues qua nationalem Erbe auch für sich reklamiert, doch durch und durch zeitgemäß. Und vor allem enorm frisch – selbst wenn er von seinen Gefängnisstrafen, seiner Trunksucht oder dem Mord an seiner Mutter singt. Es zeigt sich mit der Zeit selbst die Tatsache, dass Musselwhite eigentlich über keine große Stimme verfügt, als Trumpf – so bescheiden wie sein Gesang immer in den Mix gebettet war, konnte er sich auch noch nicht abnutzen. Präzise und ohne die geringsten Altersschwächen spaziert er auf den kraftvoll-entspannten Tracks durch ein Album als wäre er immer noch munter dabei, immer noch weiter zu reifen – scheint sehr gut möglich!

Christian Beck

 

CHARLIE MUSSELWHITE – The Well


ESPERANZA SPALDING
Chamber Music Society

(Heads Up HUI-31810-02/In-akustik, go! www.in-akustik.com )
11 Tracks, 56:20, mit engl. Infos

Die singende Kontrabassistin erinnert mit ihrem dritten, erneut sehr gelungenen Album an eine entscheidende, erste Etappe ihres musikalischen Weges – an ihre Arbeit als 15-jährige Konzertmeisterin des hier titelgebenden Kammermusikvereins in Oregon. Die dort geborene Tochter eines Afroamerikaners und einer mexikanisch-walisischen Mutter webt mit Leichtigkeit und Fantasie sowie einem panamerikanischen Verbund exzellenter Instrumentalisten ihre Visionen aus den musikalischen Welten beider Amerikas, zwischen freiem Jazz, intimer, streicherlastiger Kammermusik oder Tango. Auch eine starke Spur der Folklore Argentiniens legt sie mit „Chacarera“, wobei ihr der von dort stammende Drummer Quintino Cinalli mit der traditionellen Perkussion zur Hand geht. Mit von der Partie ist auch der brasilianische Barde Milton Nascimento, der sich in Spaldings Komposition „Apple Blossom“ zu ihrem mädchenhaften Gesang gesellt. Aber nicht etwa in dem in der Vergangenheit auch schon von ihm intonierten Jobim-Klassiker „Inútil Paisagem“. Den holt die Sängerin gemeinsam mit der Kollegin Gretchen Parlato aus Bossa-Nova-Sphären in ein nur von Kontrabass und luftigen Stimmen gewebtes Spinnennetz.

Katrin Wilke

 

ESPERANZA SPALDING – Chamber Music Society


TORI SPARKS
The Scorpion In The Story

(Glass Mountain Records GMR 644167077620/Sunnymoon, go! www.sunny-moon.com )
15 Tracks, 52:41, mit engl. Infos

Vieles an Tori Sparks ist ungewöhnlich. Das fängt schon bei der Idee ihres Albums an. Jeden Song hat die amerikanische Liedermacherin einer Person gewidmet, die sie auf ihrer USA-Tournee im Jahr 2008 getroffen hat. Eine Landkarte im Booklet verrät uns die Stationen, wo die Lieder entstanden. Ein Konzeptalbum also, was in diesem Genre nicht allzu häufig passiert. Aber auch ihre Stimme ist ungewöhnlich: brüchig, voller Schluchzer, dennoch kraftvoll. Musikalisch schert sie sich nicht um Definitionen. In ihre Folkballaden, Bluesstücke, Countrysongs und Waltzes mischt sie unerwartete Klänge von Trompeten, Akkordeon oder Ukulele. Ihre Experimentierfreudigkeit geht so weit, ihr Stück „Rubbernecking“ vollständig mit urbanen Hintergrundgeräuschen zu unterlegen. Gleichzeitig merkt man ihr die Rampensau an, die den größten Teil des Jahres tourt. Die Begleitmusiker, Leute wie der stilistisch sehr variable Bassist Victor Krauss, kommen aus dem anspruchsvollen Umfeld der New Acoustic Music. Dies alles trägt dazu bei, dass The Scorpion In The Story unverbraucht klingt und die Americana um eine sehr individuelle Variante erweitert. Das sollte man definitiv als Empfehlung verstehen.

Hans-Jürgen Lenhart

 

TORI SPARKS – The Scorpion In The Story


TAKKA TAKKA
Migration

(Lili is Pi Records/Broken Silence CD 13213, go! www.brokensilence.de )
Promo-CD, 12 Tracks, 39:22

Das Mündungsfeuergeknatter des Roy-Lichtenstein-Bildes, dem sie offenbar ihren Namen entliehen haben, ist so ziemlich genau das Gegenteil des Quartetts aus Brooklyn. Feuern gegen Gott und die Welt tun sie nämlich gar nicht, sondern mit Kusshand übernehmen, was die Völker urbi et orbi alles so mitbringen nach New York. Und zu einem neuen Weltmusikbastard verschmelzen, urbaner als die bisherigen, noch internationaler, subtiler. Besonders beliebt sind unter jungen Indiebands am Hudson River derzeit afrikanisch inspirierte Rhythmusgeflechte, eine sehr nordeuropäisch ätherische Verblasenheit und repetitive Elemente, wie man sie etwa in südostasiatischen Musiktraditionen finden kann, um nur mal drei Extreme zu nennen, aus denen diese verblüffend sanftmütige neue Spielart urbaner Alternativ-Klubkultur gespeist wird. Integration ist eines der Zauberworte zum Verständnis dieser Musik. Eine nur andeutungshafte Aneignung aller Arten von Einflüssen, möglichst durchlässig und leicht, damit sie möglichst natürlich ineinander aufgehen. In einem nicht sehr konturstarken Kontinuum. Ein langer, ruhiger Fluss von musikalischen Motiven aller möglichen Herkunft und Zwecke – mit einstweilen noch vollkommen offenem Ausgang ...

Christian Beck

 

TAKKA TAKKA – Migration

Update vom
09.02.2023
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