FOLKER – Rezensionen

Rezensionen Europa


BERROGÜETTO
Kosmogonías

(Berroguetto Musica/Discmedi Blau BM-002/Galileo MC, go! www.galileo-mc.de )
11 Tracks, 48:55, plus DVD: Catálogo De Galaxias Sociais: O Berro Do Universo + Detrás Das Kosmogonías, 33:37, mit span. u. engl. Texten u. Infos

FUXAN OS VENTOS
Terra De Soños

(Nonsi Servizos Culturais/Galileo MC10002038, go! www.galileo-mc.de )
20 Tracks, 77:51, plus DVD: 28 Tracks, 125:10, mit span. u. galic. Texten

DIVERSE
Cantigas Do Camiño

(Do Fol Música/Galileo MC 10002042, go! www.galileo-mc.de )
13 Tracks, 51:04, mit galic., span. u. engl. Texten u. Infos

Drei mal Neues aus Galicien: Berrogüettos fünfte Veröffentlichung ist ein Konzeptalbum, das sich mit dem Verhältnis von Universum und Mensch beschäftigt, wohl eher metaphorisch gemeint – die Musik hat jedenfalls keinen kosmischen Charakter. Im Gegensatz zur zugehörigen DVD, die zum Verständnis der Musik nicht nötig ist. Da schöpfen Berrogüetto wie immer aus dem Vollen, lassen auch Irisches und Zigeunerjazz anklingen. Einziger Schwachpunkt eines empfehlenswerten Albums, auch wenn es nicht ganz die Intensität seines Vorgängers erreichen mag, ist die Konzentration auf den neue Sänger Xabier Díaz, der Vorgängerin Gaudi Galego ersetzt hat.

Besser führt Galiciens großes Potenzial an Sängern und Sängerinnen Fuxan os Ventos (galic. „lass den Wind vorbeiziehen“) vor, ein neunköpfiges Vokalensemble mit ebenso zahlreicher instrumenteller Begleitung der allerfeinsten Sorte. Gegründet schon 1972, war von der Gruppe seit zwei Jahrzehnten nichts mehr zu hören. Terra De Soños (galic. „Traumland“) gibt ein Konzert aus dem Auditorio de Galicia in Santiago de Compostela vom Oktober 2008 wieder, das sich besser über die DVD anhört und -sieht, weil es dort als Zusammenschnitt von zwei Abenden vollständiger ist. Bei manchen Stücken wirken zusätzliche Gäste mit, darunter der bereits erwähnte Xabier Díaz und eine beeindruckende Mercedes Peón. Insgesamt waren 27 Musiker/innen bei dem fantastischen Konzert zugange, das einen Einblick in die große Bandbreite der traditionellen Lieder des Landes gibt. Das geht unter die Haut und wäre eigentlich eine besondere Besprechung wert.

Dem Jakobsjahr und seinem gut ausgestatteten galicischen Kulturprogramm Xacobeo 2010 verdankt schließlich das Album Cantigas Do Camiño seine Existenz. Stücke, die sich mit dem Jakobsweg (camiño) befassen, von Künstlern wie Susana Seivane (Gesang), Faltiqueira, Milladoiro, aber eben auch Fuxan os Ventos und Berrogüetto – alle auf hohem Niveau.

Andel Bollé

 

BERROGÜETTO – Kosmogonías

FUXAN OS VENTOS – Terra De Soños

DIVERSE – Cantigas Do Camiño


CACI VORBA
True Speech – Szczera Mowa

(Oriente Musik RIEN CD 75/Fenn Music Service, go! www.fenn-music.de )
Promo CD, 13 Tracks, 53: 46, mit engl. Infos

Die wahre oder wahrhaftige Sprache ist die Musik. Der Name des jungen polnisch-ukrainischen Ensembles ist hier Programm, und das springt den Hörer regelrecht mit Temperament und Lebensfreude an. Caci Vorba nennen die Roma aus dem rumänisch-serbisch-ungarischen Grenzgebiet selbst ihre Musik. Die Produktion entführt über 13 Tracks in traditioneller Instrumentierung – Violinen, Akkordeon, Darabuka, Tombak, ungarische Bracsa, rumänische Cobza, griechische Bouzouki, türkische Kemençe – und typischer Stilistik – Skalierung, unsymmetrische Rhythmen, Phrasierungen – kreuz und quer über den Balkan, durch Griechenland, nach Kleinasien, in den Vorderen Orient, wartet mit mediterranen Klangfarben ebenso auf wie mit dem Geschwindigkeitsrausch in der Tanzdynamik der Magyaren und Südslawen. Die Musiker um Maria Natanson (voc, v) bieten historische Hochzeitsmusik mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie eine moderne Fusion aus Ethnomusik, Romaswing und Blues dar. In der Person ihrer Sängerin und Violinistin Maria Natanson addieren sich jugendliche Frische mit femininem Selbstbewusstsein und musikalischer Souveränität – sie gilt derzeit als aufgehender Stern der polnischen Folkszene. Zu Recht!

Cathrin Alisch

 

CACI VORBA – True Speech – Szczera Mowa


GENNARO DESIDERIO ENSEMBLE
Plays Astor Piazolla: Saints & Sinners (Santi & Peccatori)

(Connector Records, LC 10449/In-akustik 06159880, go! www.in-akustik.com )
Promo-CD, 8 Tracks, 44: 44, mit dt. u. ital. Infos

Bereits der erste Ton dieser Produktion ist atemberaubend, und man fragt sich unwillkürlich, wie will der Maestro diesen Spannungsbogen durchhalten – die ganz große Geste? Ist das Pathos nicht zu hoch gestapelt? Nein, ist es nicht. Als ob Astor Piazolla und Niccolò Paganini persönlich Pate gestanden hätten, überzeugt hier ein großartiger Geiger nicht nur durch handwerkliche Perfektion, Spieltechnik, Dynamik, und Intonation – das können auch andere – sondern durch eine bemerkenswert eigenwillige Interpretation, ja Improvisation, und den Mut zu zarter, beinahe zärtlicher Fragilität. Töne wie Seide, als Gegenpol zur kraftvollen Bodenständigkeit gesetzt und auf die Spitze getrieben. Das ist – in des Wortes ureigener Bedeutung – unerhört. Desiderio – zu Deutsch „Wunsch, Verlangen“ – kommt aus einer Musikerfamilie in Neapel, arbeitet oft mit seinen Brüdern Gaetano (p, auch auf der vorliegenden Aufnahme) und Aniello zusammen und beweist sich hier hervorragend in mehr als einer Doppelrolle – als Solist und Ensembleleiter, und als Grenzgänger zwischen den Genres ebenso wie zwischen Musik und Tanz.

Cathrin Alisch

 

GENNARO DESIDERIO ENSEMBLE – Plays Astor Piazolla


DIVERSE
The Rough Guide To Paris Café

(Rough Guides/World Music Network RGNET 1240CD/Harmonia Mundi, go! www.harmoniamundi.com )
20 Tracks, 57:18, plus Bonus-CD Beltuner, 24 Tracks, 77:41, mit Infos

Bal Musette und Akkordeonmusik aus den Cafés von Montmartre waren der Soundtrack der Filme mit Jean Gabin. Und der ehemalige Revuesänger singt auf Paris Café denn auch ein Lied aus dem 1936 erstandenen Film La Belle Équipe. Neben historischen Aufnahmen führt die nunmehr zweite Ausgabe des Samplers aber vor allem zu jungen Interpreten der heutigen Zeit. Einmal tönt die Musik sehr traditionell, als sei sie direkt von der Auvergne in den Hinterhöfen von Paris gelandet, dann wieder sehr aktuell. Oft steht Django Reinhardt Pate, und bei der Gruppe Beltuner singt deren algerischer Gastsänger auf Arabisch. Die Best-of-Zusammenstellung von Beltuners ersten beiden Alben, die als Bonus-CD beiliegt, ist das Glanzlicht von Paris Café. Das Quartett aus Akkordeon, zwei akustischen Gitarren und Kontrabass glänzt mit grenzenloser Musikalität: Mazurka, Gypsyswing, Tango, Jazz und Einflüsse aus allen Erdteilen fügen sich organisch ineinander. „Rumsteck“ etwa hört sich zuerst nach Ali Farka Touré an, bis das Akkordeon den Blues in Richtung Balkan entführt. Beltuner bringen einem immer wieder zum Schmunzeln – die höchste Auszeichnung für eine Gruppe, die fast ausschließlich instrumental aufspielt.

Martin Steiner

 

DIVERSE – The Rough Guide To Paris Café


JULIEN JACOB
Sel

(Volvox Music Vol1001/Cargo Records, go! www.cargo-records.de )
11 Tracks, 38:35, plus Bonus-CD, 3 Tracks, 13:33, mit Texten

Julien Jacob hat karibisch-afrikanische Wurzeln, ist aber in Frankreich aufgewachsen und seine Musik entzieht sich eigentlich geografisch jeder Kategorisierung. Er singt sehr sanft eigene Songs in einer reinen Fantasiesprache, begleitet sich dabei selbst nur mit gezupfter akustischer Gitarre, ein wenig Perkussion und einem Begleitchor aus lauter parallel singenden Julien Jacobs, und schafft so seine ganz persönliche Spielart von Singer/Songwritertum. Erstaunlich wirkungsvoll ist das: Der Hörer versteht kein Wort, die Begleitung ist spartanisch, und dennoch nimmt das Album vom ersten Hören an gefangen. Schön eingängig, dabei nicht glatt. Es ist bereits Jacobs viertes Album seit Shanti, das vor zehn Jahren noch vergleichsweise fett produzierter Pop war. Es wird interessant sein, zu sehen, ob er auf dem Weg immer weiterer Reduzierung noch weiter kommt. Die Gesamtdauer des Albums ist arg kurz, aber zum Ausgleich gibt es eine Bonus-CD mit drei Remixen, die mal eben demonstrieren, wie sich die Songs mit größerem Studiozauber aufgepeppt anhören – ein kleiner Rückzieher vom eigenen Konzept? Kühles Marktkalkül? Was auch immer.

Gunnar Geller

 

JULIEN JACOB – Sel


KARDEMIMMIT
Kaisla

(FriggMusic FRIGGCD 0006/Digelius Music, go! www.digelius.com )
10 Tracks, 45:55, mit finn./engl. Infos

Kardemimmit sind vier Finninnen, die auf traditionelles finnisches Material zurückgreifen, selbst komponieren, 15- und 38-saitige Kantele spielen und wunderschön singen. Für Kaisla haben sie sich die Herren Kukka Lehto (v) und Antti Järvelä (bj) zur Verstärkung geholt. Das Album beginnt getragen, fast sakral, was kein Wunder ist, wird damit doch die schwarzhaarige Göttin der Unterwelt besungen, die mit ihrem Boot angerudert kommt, um die Seelen der Toten einzusammeln. So unheimlich geht es aber nicht weiter, als Nächstes kommt ein angerockter Schottisch, komponiert von Anu Alviola, über die das Beiheft leider gar nichts mitteilt. Kardemimmit lassen sich nicht nur von der finnischen Tradition inspirieren, so ist die von Bandmitglied Anna Wegelius komponierte Melodie zu Stück Nummer 3, dessen Titel „Gefrorene Rose“ bedeutet, vom Gesang der afrikanischen Pygmäen inspiriert. Auch irische Einflüsse lassen sich erahnen – die Kantelepassagen klingen bisweilen wie höfische irische Suantraí-Musik der Gruppe Comhluadar. So geht es weiter auf diesem ungeheuer abwechslungsreichen Album – wunderbare Harmonien, hinreißende Instrumentalmusik, der ganze Silberling perfekter Genuss.

Gabriele Haefs

 

KARDEMIMMIT – Kaisla


BENEDICTE MAURSETH
Alde

(Heilo Records HCD 7259/Grappa Records/Galileo MC, go! www.galileo-mc.de )
15 Tracks, 47:03, mit norweg. u. engl. Infos

Die jetzt 27-jährige Benedicte Maurseth, aufgewachsen in Hardanger, lebt als freie Musikerin in Bergen. Mit sieben Jahren begann sie die Hardingfele zu spielen. Die mit Resonanzsaiten ausgestattete Geige gilt als Nationalinstrument der Norweger. Wegen ihres geheimnisvollen entrückenden Klangs galt sie als „des Teufels“ und war in den Kirchen lange verboten. Lehrmeister der hochbegabten Maurseth war und ist der Geiger Knut Hamre mit dem sie auch 2006 ihr erstes Album Rosa I Botnen einspielte. Inzwischen komponiert sie, singt und spielt außerdem die Viola d’Amore. Zu dem Theaterstück Schlaflos von Jon Fosse hat sie die Musik beigetragen. 2007 wurde sie als „Junge Folkmusikerin des Jahres“ ausgezeichnet. Ihr erstes Soloalbum Alde enthält ausschließlich Eigenkompositionen für Hardingfele und die Viola d’Amore. Es sind keine Lieder wie auf ihren früheren Alben, sondern Klangbilder. Maurseth benutzt verschiedene bei norwegischen Geigern bekannte offene Stimmungen und entlockt ihrem Instrument damit immer wieder neue Nuancen. Zwei Stücke untermalt sie unisono mit ihrer Stimme. Eine unbeschreibliche Musik – norwegisches Geigengefühl in Reinkultur; zum Versinken und Träumen.

Bernd Künzer

 

BENEDICTE MAURSETH – Alde


MUCHACHITO BOMBO INFIERNO
Idas Y Vueltas

(El Orfanato Eléctrico OE03CD/EXIL/Indigo, go! www.indigo.de )
13 Tracks, 45:08, mit span. Texten u. Infos

Der spindeldürre, quirlige Ventilator-Gitarrist mit der suggestiven Reibeisenstimme und der vor Energie nur so sprudelnden Mixtur aus Rumba Catalana, Flamenco, Latin, Funkrock und Swing meldet sich mit seinem dritten Album zurück. In dessen 13 poetisch-schelmischen Songs klingt Jairo Perera Viedman alias Muchachito, Katalane aus einem eher unscheinbaren Städtchen im Windschatten Barcelonas, noch abgehangener und agiler als bisher ohnehin. Sie sind Gassenhauer im Wortsinn, ist doch ihr Interpret ein wahrer, sympathisch unhipper Straßenpoet mit smartem Ganovenimage. Wieder hat er sich mit einer kribbelbunten Musikertruppe nebst etlichen Gästen umgeben, um diese von Pauken und Trompeten angetriebene, ohnehin extrem kurzweilige Dreiviertelstunde zu bestreiten. Die Scheibe macht womöglich den ein oder anderen Tänzer atemlos, denn mit ihr lässt sich mühelos jede schlapp gewordene Party retten. Der Albumtitel greift den gerade in der Musikgeschichte Spaniens, so auch im Flamenco, zentralen Aspekt des historischen „Hin und Her“ zwischen Alter und Neuer Welt auf. Es bekommt mit einer Band wie dieser eine Art Update – eine dem 21. Jahrhundert angemessene, lebendige Ausdrucksform.

Katrin Wilke

 

MUCHACHITO BOMBO INFIERNO – Idas Y Vueltas


NIAMH NÍ CHARRA
Súgach Sámh – Happy Out

(Imeartas Records IMCD002/New Music Distribution, go! www.nmd-newmusic.de )
13 Tracks; 55:24, mit detaillierten Infos u. Texten

Der erste Soloauftritt der jungen irischen Musikerin konnte trotz eines nicht zu übersehenden Hypes nicht wirklich überzeugen. Diesmal allerdings hat Niamh Ní Charra es geschafft, ein auch konzeptionell schönes Album hinzulegen. Sowohl ihre Fiddletunes als auch die Einlagen auf Konzertina kommen nicht nur sehr fröhlich und technisch brilliant gespielt daher, es stimmen auch die Tuneauswahl und der Mix von Altem und Neuem aus dem großen Fundus der irischen Musik und auch der keltischen Randgebiete, die Ní Charra auf ihren Tourneen mit Carlos Núñez kennengelernt hat. Der stimmungsvolle Bogen spannt sich über diesen „globalen“ Ansatz bis hin zu Tunes ihrer Heimat Sliabh Luachra. Großen Anteil am gelungenen Gesamtgefühl der Produktion haben auch die Gast- und Begleitmusiker, vor allem Donogh Hennessey und Trevor Hutchinson, beide von der Milleniumband Lúnasa, sowie das gelungende Fiddleduett mit dem in County Clare ansässigen Manus McGuire. Zur Abwechslung hat Niamh Ní Charra einige Songs eingestreut, die einen allerdings nicht so ganz packen. Dennoch ein sehr schönes, ausgewogenes und abwechslungsreiches Album.

Johannes Schiefner

 

NIAMH NÍ CHARRA – Súgach Sámh – Happy Out


TATÈ NSONGAN TRIO
Tatè Nsongan Trio

(Kinkoba 01-2009, go! www.tatensongan.it )
12 Tracks, 55:46, ital. Infos

In seiner italienischen Wahlheimat ist der 1958 in Douala, Kamerun, geborene Gitarrist, Sänger und Songschreiber längst eine feste Größe in der Weltmusikszene. Von Kindesbeinen trat er permanent auf, wurde 1973 Mitglied in dem renommierten Musik- und Tanzensemble Les Génies Noirs de Douala. Anfang der Achtzigerjahre tourte Nsongan mit den Génies in Italien, und blieb schließlich dort. Viele Jahre war er Perkussionist bei der Turiner Ethnorockband Mau Mau. Weitere Engagements als Sessionmusiker folgten. Mit dem Koraspieler Cheikh Fall und dem Cellisten Lamberto Curtoni hat sich Tatè Nsongan nun zusammengetan und ein sehr ansprechendes Debütalbum produziert, wofür auch diverse Gastmusiker und -sängerinnen geladen wurden. Die durchweg selbst komponierten Lieder sind mehr als gefällig, zeichnen sich durch einen dezenten Groove aus. Unterschiedliche Stilrichtungen treffen aufeinander, wobei gerade Gitarre-, Kora- und Cellospiel wundervoll harmonieren. Neben den Instrumentals überzeugen auch die Gesangsstücke, etwa das Miriam Makeba gewidmete „Mama Africa“, deren kamerunischer Touband Nsongan 1981 angehörte,oder der Reggaesong „Comme Une Plume“. Bitte einsortieren unter: Kammerweltmusik.

Roland Schmitt

 

TATÈ NSONGAN TRIO – Tatè Nsongan Trio


OLD BLIND DOGS
Wherever Yet May Be

(Compass Records 7 4542 2/Sunnymoon, go! www.sunny-moon.com )
12 Tracks, 55:19, mit engl. Infos

Die Old Blind Dogs werden erwachsen! Naja, zumindest werden sie 18 Jahre alt, und das ist schon mal eine Leistung für sich. Wer da schon alles mitgespielt hat! Sollte man mal googeln. Jonny Hardie heißt der einzige Ur-Hund (Fiddle, Gitarre, Gesang), neu ist Piper und Whistler Ali Hutton, dazwischen kamen Saitenspezi und Sänger Aaron Jones und der treibende Perkussionist Fraser Stone in die Hundehütte. Frisch klingen die Herren aus Schottland. Die ausgewogene Mischung aus Songs und Tunes birgt nichts Neues oder gar Revolutionäres, dafür aber Qualität, Drive und Fantasie ohne Ende. Tradition souverän gemischt mit Moderne, da zeigt sich die Erfahrung der langen Jahre. Ali Hutton ist trotzdem noch ein ziemlich Junger, obwohl der innovative Piper auf dem Cover eher aussieht wie eine Kopie von Ozzy Osborne. Bei einem solchen Album kommt einfach Freude auf, und das Bedürfnis, die Old Blind Dogs einmal wieder live zu erleben. Wäre doch eigentlich Zeit für einen erneuten Deutschlandbesuch, Jungs – meint ihr nicht?

Mike Kamp

 

OLD BLIND DOGS – Wherever Yet May Be


OMNIA
Wolf Love

(Banshee Records/Alive!)
16 Tracks, 63:48, plus Bonus-DVD

Die niederländische Sextett Omnia wird seit den Neunzigern mit dem Etikett „Pagan Folk“ versehen. Wolf Love werden wohl die meisten nur titelweise goutieren – zu unterschiedlich sind die Stile und Arrangements. Wer den Rap-Gothic-Crossover von „Dance Until We Die“ mag, wird vielleicht mit dem mongolischem Obertongesang in „Shamaniac“ oder dem eher persischen „Moon“ nichts anfangen können. Wunderschöne Mehrstimmigkeiten oder das keltisch orientierte „Cornwall“ gehen in eine ganz andere Richtung. Pianoläufe und Gesang bedienen sich der Songwriterstilistik wie im Leonard-Cohen-Cover „Teachers“. Dazu ein Klavierstück von Philipp Emanuel Bach. Und manches ist halt nur seichter – „Love In The Forest“ – oder zumindest leichter Pop. Die Arrangements sind ausgefeilt und sehr unterschiedlich. Viele Stücke werden intensiv interpretiert wie der wunderbare „Wolf Song“. Und über die Texte, Geschichten und Legenden mag man wacker streiten – die Spannbreite reicht von kitschig bis philosophisch. Die beiliegende DVD bringt ein Livekonzert in Castlefort 2009, Videos von Unpluggedversionen, ein „Behind The Scenes“ und verschiedene Extras.

Piet Pollack

 

OMNIA – Wolf Love


JOHN PEARSE
The Lost 1966 Waldeck Audition

(Bear Family Records BCD 17143 AH, go! www.bear-family.de )
18 Tracks, 41:33, mit ausführlichen engl. Infos

Dieser Mann hat dem Leben des Rezensenten zu einem wichtigen Zeitpunkt einen starken, wenn nicht den entscheidenden Impuls gegeben. Ich habe den Begegnungen mit ihm entgegengefiebert. Einmal die Woche. Gitarrenunterricht per Fernsehen. Für die damalige Zeit, in den Siebzigern, ein absolutes Novum: Songs von Mississippi John Hurt, wie „Candy Man“, Instrumentals wie „Guitar Train“. Tausende williger Gitarrenadepten folgten dem sympathischen Engländer und seiner Folkgitarre, um nicht zu sagen „folkten“. Dank der Neuerwerbung einer Revox-Bandmaschine wurde 1966 schon mitgeschnitten, was heute als sensationelle Entdeckung gefeiert werden darf: ein mehr als entspanntes Konzert des Burg-Waldeck-Dauergastes bei einem Gläschen Wein hinter den Kulissen des Festivals. Im wunderbaren Booklet wird die Lebensgeschichte des einflussreichen Folkmusikers und Saitenvirtuosen erzählt. Zu Wort kommt unter anderem Folklegende Colin Wilkie, der wochenlang mit John bis zur völligen Erschöpfung durch Deutschland tourte und diese Zeit auf unnachahmliche Weise beschreibt. Eine ausgesprochen schöne Erinnerung an den 2008 verstorbenen Gitarristen und Sänger.

Rolf Beydemüller

 

JOHN PEARSE – The Lost 1966 Waldeck Audition


PEUT-ÊTRE DEMAIN
Peut-être Demain

(Wild Boar Music WBM 21094, go! www.wildboarmusic.com )
12 Tracks, 52:26, mit Texten

Viele reden schlecht über Belgien und denken nur an Streit und Chaos. In der Folkmusik ist aber alles ganz anders, da ist Belgien ganz vorne, zum Beispiel mit der jungen Band Peut-être Demain. Sie spielt Bal-Folk-Tanzmusik und Folkrock à la Kadril. Letzteres ist kein Wunder, da Erwin Libbrecht von Kadril das vorliegende erste Album der Band produziert hat. Doch die Band ist kein Kadril-Klon, sondern hat viel eigenes Potenzial. So haben die sechs Bandmitglieder, alle um die zwanzig Jahre alt, sämtliche Stücke selbst geschrieben, viele mit Ohrwurmqualitäten. Gut die Hälfte ist instrumental, bei den anderen singt Geigerin Lisa Jordens. Leider sind manche Gesangstücke etwas süßlich geraten. Dennoch ist das ein tolles Debüt einer Band, bei der man spürt, dass sie schon seit vier Jahren zusammenspielt, und für die es hoffentlich – und nicht nur vielleicht – ein Morgen gibt. Neben Lisa Jordens spielen bei Peut-être Demain noch Linde Carrijn (Geige), Frauke Boegert (Akkordeon), Wouter Devriese (Gitarre), Gielis Cautaers (Drums) und Joren Cautaers (Bass).

Christian Rath

 

PEUT-ÊTRE DEMAIN – Peut-être Demain


DOMINIK PLANGGER
Gestern noch

(LeeBelle, CD 080101, go! www.myspace.com/leebellemusic )
15 Tracks, 50:39, mit dt. Texten und Infos

Einmal im Jahr entschwindet Dominik Plangger auf eine Alm in seiner Südtiroler Heimat, um Kühe zu hüten, zur Ruhe zu kommen – und neue Lieder zu schreiben. Die handeln von Einsamkeit und Sehnsucht, vergangener Liebe, Vagabunden und Zigeunern. Es ist das ganz besondere Timbre in der Stimme des Sängers, das sofort aufhorchen lässt. Hinzu kommen die eigenartigen Melodieführungen und meist ungereimte, poetische Texte, die kleine, sonderbare Geschichten erzählen: Da ist der schlecht behandelte Künstler, dessen Schicksal Schande über das Land bringen wird; ein Kind, das für immer im Nebelwald verschwindet; der Dreißigjährige sinniert über die Tage, die ihm noch bleiben; und Angst und Glück liegen immer dicht beieinander. Dobro, Mandoline, Kontrabass, Akkordeon, Klavier und verschiedenste Perkussionsinstrumente liefern die warmen, handgemachten Klänge für Planggers bildreiche, zuweilen ein wenig verschlüsselte Lieder. Er selbst spielt Akustikgitarre und hin und wieder auch Mundharmonika. Gestern noch ist das grandiose Debütalbum des Liedermachers: „Und auf kraftvoll neue Weise / Werd ich Lieder schreiben / Sie sollen nicht ungesungen sein“, singt er. Nehmen wir es als ein Versprechen.

Kai Engelke

 

 


EMILY SPIERS
The Half-Moon Lovers

(Bonna Musica 2010 BM001, go! www.bonna-musica.com )
12 Tracks, 46:37, mit engl. Infos und Texten

Die gute Nachricht zuerst: Mit der im Rheinland lebenden Dame aus Oxford hat die Folkszene eine neue, großartige und ausdrucksstarke Stimme! Wie sie die traditionellen Lieder interpretiert, ist eine Achterbahnfahrt der wohligen Gefühle – und dennoch ist ihr Debütalbum leider kein uneingeschränkter Hörgenuss. Das liegt an der instrumentalen Seite der Platte. Die Damen und Herren Musiker, meist Deutsche, scheinen begeisterte Teilnehmer der beliebten „Irish Sessions“ zu sein, was einige Male ziemlich störend auf dieses Album abfärbt. Wenn beispielsweise ein Song aus Devon wie „The Smuggler“ kräftig mit irisch klingenden Whistle-Verzierungen arrangiert wird, dann will das nicht so recht passen. Eher funktionieren Lieder wie „Bedlam City“, wo geradeaus musiziert wird. Noch besser klingt „The Emigrant’s Farewell“, nur spärlich mit Whistle und Harmonium instrumentiert. Das kommt dem intimen Idealklang am nächsten. Der ist, wie bereits angedeutet, in nächster Reichweite: Eine Stimme wie die von Emily Spiers nennt man im Englischen wohl „One in a million“.

Mike Kamp

 

EMILY SPIERS – The Half-Moon Lovers


IRMIE VESSELSKY
Parantheses Of Antitheses

(Cracked Anegg Records Crack 0031/Sunnymoon, go! www.sunny-moon.com )
13 Tracks, 43:38, mit Texten

Eine Frau interpretiert ihre eigenen Songs kraftvoll am Klavier. Irgendjemand, der nicht an Tori Amos denkt? Irmie Vesselsky kommt ihrem Vorbild sehr nahe und schafft es doch, mit einem Schuss Melanie und etwas Pop einen eigenen Stil zu entwickeln, der das Album zum Erlebnis macht. Die Niederösterreicherin textet und singt in Englisch. Ihre Devise lautet „Weniger ist mehr“, und so braucht sie kein Orchester für die großen Gefühle – ihr Flügel, ein paar Streicher, minimale Perkussion und ein leicht melancholischer Untertron reichen ihr, um das Hörerherz in Flammen zu schlagen. Und der intime Einblick in die Gedanken der Künstlerin wird zu einer Reflexion in die eigene Seelenwelt. Irmie Vesselsky besingt ihr Leben, aber sie berührt damit unseres – genau so soll Musik sein.

Chris Elstrodt

 

IRMIE VESSELSKY – Parantheses Of Antitheses

Update vom
09.02.2023
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