FOLKER – Rezensionen

Rezensionen Deutschland


BLASSPORTGRUPPE
Steil

(Jazzhaus Records JHR 033/In-akustik, go! www.in-akustik.com )
12 Tracks, 55:21, mit dt. Texten

Muss zeitgenössische Blasmusik eigentlich inzwischen immer partytauglich sein? Muss immer der ganze Balkan darin mitbrodeln? Die Blassportgruppe Südwest aus Mannheim reiht sich erfreulicherweise da nicht ein. Obwohl wahrhaftig auch bei ihr der Spaß nicht zu kurz kommt, was an den vielen Ideen im Arrangement und den originellen Texten von Gruppensänger Tobias Christl liegt. Etwa wenn er in „Herz sticht“ von seiner unerreichbaren Traumfrau fabuliert: „Deine Finger – geile Dinger / Deine Füße – zuckersüße / Dein Schoß ist famos / Das Blöde daran ist bloß / Du willst mich nicht.“ Außer Eigenkompositionen präsentieren die zehn Blassportler auf ihrem zweiten Album ins Deutsche übertragene, jazzige Trinklieder US-amerikanischer Herkunft und Klassiker der deutschen Popwelt wie „So lang’ man Träume noch leben kann“ und Rio Reisers „Junimond“. Und dabei zeigt die BSG, wie eine gute Coverversion sein soll: keine 1:1-Kopie, sondern eine Neuinterpretation. So wird „Junimond“ zu einer lyrischen Jazzballade samt Chet-Baker-Trompete, mit einer Länge von fast sieben Minuten. New Orleans, Bayern, Lateinamerika – langweilig wird’s mit der Sportgruppe nicht: Ob Blech, ob Holz, der ganze Stolz!

Volker Dick

 

BLASSPORTGRUPPE – Steil


FAYVISH
Yiddpop

(Danzone DANZ 102/Oriente Musik, go! www.oriente.de )
13 Tracks, 54:36, mit hebr./engl. Texten

Bandleader Fabian Schnedler (g, voc) startete das Projekt Yiddpop zunächst solo, holte sich jedoch 2007 Steffen Illner (b) und Philipp Bernhardt (dr) dazu. Da von nichts bekanntlich nichts kommt, hatte sich Schnedler seit 1989 akribisch mit Workshops bei Giora Feidman oder Alan Bern (Brave Old World) musikalisch vorbereitet. Das Studium der jiddischen Sprache an der Trierer Universität sollte folgen. Immerhin ist Fayvish offenbar angesehen genug, dass man für das vorliegende Album glatt die beiden Wahlberliner Alan Bern höchstselbst (acc) und Paul Brody (tr) gewinnen konnte. Wenngleich auch poppig aufgemacht: In Musik und Text – der hebräische im Booklet auch in hebräischen Buchstaben – lehnte man sich an längst Bekannte Vorbilder wie Chava Alberstein, Beyle Schaechter-Gottesman, Itsik Feffer oder Itzik Manger an. Schnedler spielt aber trotz Hang zum Alten „Jiddische Musik der Gegenwart“, zwischen den musikalischen Welten wandelt man umher in den Genres Pop, Rock, Jazz oder Bossa Nova. Etwas mehr Heavy Rock würde den Arrangements zusätzliche Farbe geben, das Zeitgenössische noch deutlicher betonen. Man darf auf weitere Projekte gespannt sein!

Matti Goldschmidt

 

FAYVISH – Yiddpop


WOLFGANG KALB
Got Them Old Walkin’ Blues

(Eigenverlag, go! www.wolfgangkalb.de )
15 Tracks, 55:43, mit engl. Infos

Ein neuer Name am Blueshimmel, eine echte Entdeckung: Aus Hirschaid in Oberfranken kommt der Gitarrist, Sänger und Mundharmonikaspieler Wolfgang Kalb. Er hat sich dem akustischen Countryblues der Zwanziger- bis Vierzigerjahre verschrieben. Bereits als er 1964 Blues im Radio hörte, wollte der damals Siebenjährige Musiker werden. Seit 35 Jahren ist er es nun, seit 2004 auch wieder auf Tour durch Europa. Bei seinen Konzerten erzählt er zu den Songs viele Geschichten aus der Frühzeit des ländlichen Blues. Fingerpicking und Slide auf verschiedenen Gitarren sind seine Spezialitäten. Auch seine Resonatorgitarre hat er fest im Griff. Gefühlvolle Balladen und rollenden Ragtime interpretiert er frisch und gekonnt. Die Stimme ist variabel und versucht nicht, mit aller Gewalt schwarz zu klingen. Kalb versteht sich auf die Bluenotes, spielt ruhig und ohne Anstrengung. Titel von Muddy Waters, Robert Johnson und Blind Blake sowie Bluestraditionals sind auf dieser wirklich tollen Platte versammelt. Aber für die grafische Gestaltung der nächsten Scheibe sollte Kalb einen Profi engagieren – der authentische Vertreter des akustischen Blues hat es verdient, einem größeren Publikum bekannt zu werden.

Annie Sziegoleit

 

 


RALF KLEEMANN
Hugs & Kisses

(Eigenverlag, go! www.kleeworld.de )
12 Tracks, 61:15, mit dt. u. engl. Infos

Eine Stunde Harfe solo, kein zweites Instrument, kein Gesang, doch von Langeweile keine Spur. Orientiert an irischer, schottischer, walisischer und bretonischer traditioneller Musik komponierte Ralf Kleemann zehn eigene Stücke und entwickelte je eines aus einem irischen Air-Jig-Set und aus einem Reel des schottischen Pipers Gordon Duncan. Die harten Saiten seiner Harfe lassen jeden Ton zu einem einschneidenden Erlebnis werden, auch wenn er sie hier und da rhythmisch und fließend ineinander übergehen lässt. Die meisten Stücke laden zum ruhigen, geradezu meditativen Zuhören ein. So mancher Ton kommt anders als erwartet und hat gerade dadurch die Kraft, Emotionen zu wecken. Es sind absichtliche Quertöne, die zwar wieder in harmonischere Tonfolgen münden, aber so etwas wie das Salz in der Suppe sind. Hinter dem geistigen Auge des Hörers mögen Filme ablaufen, keineswegs nur Szenen von felsigen Meeresküsten, Inseln und windgebeugten Bäumen, sondern viel individuellere, dem Alltag mit seinen Ungereimtheiten entspringende, für den diese Musik Soundtrack und Medizin in einem sein kann.

Michael A. Schmiedel

 

RALF KLEEMANN – Hugs & Kisses


JÜRGEN SCHWAB
Heute noch

(Jazz ’n’ More Records JNM 1003/Bellaphon, go! www.bellaphon.de )
13 Tracks, 56:38, mit dt. Texten u. Infos

Endlich mal wieder ein Singer/Songwriter deutscher Sprache, der sich inhaltlich nicht in den unendlichen Weiten der Unverbindlichkeiten verliert, sondern einfach aufmerksam seine Umgebung betrachtet und konkrete, nachvollziehbare und damit glaubhafte Lieder aus seinen Beobachtungen macht. Ob Vaterprobleme mit der pubertierenden Tochter oder ein vergessener Hochzeitstag, ein abgebrochener Flugzeugstart oder vermehrt auftretende Zipperlein – Jürgen Schwab findet immer den passenden Ton, sowohl textlich als auch musikalisch. Seine Lieder klingen nach Rock oder Blues, kommen auch mal in der typischen Liedermacheart daher und ganz häufig im Gewand des Jazz. Kernstück des Albums ist ein längeres Lied über und für Fritz Rau, den Urvater aller deutschen Konzertveranstalter, den der Musiker, Journalist und Musikwissenschaftler Schwab bei dessen Memoiren-Lesungen begleitet. Ein weiterer Jürgen-Schwab-Song statt der schlichten Version von Bruce Springsteens „Streets Of Philadelphia“ hätte sicherlich gut getan, aber wie auch immer: Heute noch präsentiert intelligente Texte mit Witz und Esprit zu nahezu eleganten, immer passenden, mit Bedacht gestalteten Arrangements.

Kai Engelke

 

JÜRGEN SCHWAB – Heute noch


SCHWARZBRENNER
Stadt am Abend

(Eigenverlag, go! www.schwarzbrenner.de )
Doppel-CD, 12 Tracks, 50:12 und 12 Tracks, 50:53, mit dt. Texten u. Infos

Die drei Musiker der Band Schwarzbrenner haben sich der Lyrik des frühexpressionistischen Dichters Georg Heym verschrieben – und das ist eine ausgezeichnete Idee. Weshalb auch, wie es leider viel zu viele deutschsprachige Liedtexter tun, am laufenden Band Plattitüden und Binsenweisheiten produzieren, wenn es doch noch so viele weitgehend unbekannte, aussagestarke Texte gibt, die sich durchaus zum Vertonen eignen? Georg Heym, der bereits 1912 als erst 25-Jähriger beim Schlittschuhlaufen ertrank, verfasste Gedichte, die in beklemmenden Bildern und ekstatischen Visionen die Tristesse und Dämonie der Großstädte thematisieren, andererseits aber auch Poeme voller Sehnsucht, Hoffnung und Zartheit. Heym spricht durch seine Gedichte mit junger, kraftvoller Stimme. Dazu passt bestens der vorwärtstreibende, schnörkellos geradlinige Bluesrock der Gruppe Schwarzbrenner, das sind Wolfgang Becker (Gesang, Gitarre), Christoph Keisers (Schlagzeug) und Rolf Menzen (Bass). Stadt am Abend ist eine Auswahl aller Alben aus den 15 bisherigen Jahren Schwarzbrenner, eine prima Bluesrock-Anthologie mit Tiefgang.

Kai Engelke

 

SCHWARZBRENNER – Stadt am Abend

Update vom
09.02.2023
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