FOLKER – Carnaval Multicultural
Maracatu-Tänzerinnen

Zentnerschwere Glockengestelle unter bunten Ponchos, das erwartet man eher in der Schweizer Fastnacht als bei dreißig Grad im brasilianischen Karneval. Genau das gehört jedoch zur Grundausstattung der caboclos de lança, der Lanzen tragenden Karnevalsfiguren in Pernambuco. Die Ponchos sind zudem mit Tausenden von bunt glitzernden Pailletten bestickt, und auf dem Kopf thront eine fußballgroße Perücke aus langen rosa, grün, blau oder gold schillernden Lamettafäden. Turnschuhe, eine Sonnenbrille und bunte, lange Unterhosen vervollständigen das Kostüm, in dem auch stundenlang wild getanzt wird, denn die so Kostümierten beschützen ein Kongo-Königspaar und seinen barocken Hofstaat: Straßentheater, das auf afrobrasilianischer Geschichte beruht.
Ein buntes Spektakel von vielen, mit denen Recife im Februar über sechshundertfünfzigtausend nationale und internationale Besucher in den brasilianischen Nordosten lockt, die dann zusätzlich zu den fast vier Millionen Einwohnern der Stadt fünf tolle Tage lang Karneval feiern.

TEXT: CHRISTIANE GERISCHER

CARNAVAL MULTICULTURAL
Recife feiert die vielen Gesichter Brasiliens

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Der multikulturelle Karneval von Recife hat viele Gesichter, die sich zudem schnell wandeln. Selten geht es um Tradition, häufig jedoch um soziale und kulturelle Identität. Manchmal verbindet sich beides, beispielsweise im Fall der städtischen Maracatu-de-baque-virado-Gruppen (port. „Maracatu mit ‚verdrehtem‘ Beat“). Ihre Geschichte reicht bis ins achtzehnte Jahrhundert zurück. Mitglieder afrobrasilianischer Kulte manifestierten nicht nur ihren Glauben und ihre Ideale, darunter auch das Gedenken an afrikanische Könige, sondern spielten auch Musik, die bis heute von vielen Offbeats auf tiefen Basstrommeln geprägt ist. Aktuell faszinieren jedoch nicht nur die alten traditionsreichen Maracatus – Musikstil und Gruppen heißen so – wie Estrela Brilhante, die mit ihrem typischen Sound herausragen, interessant ist vor allem, dass mehr als zwei Drittel der über dreißig nações de maracatu (nação = port. „Volk, Nation“) seit den Neunzigerjahren neu gegründet wurden, weil es
Caboclo de lança
so viele und immer mehr Maracatubegeisterte gibt. Dieser Maracatu ist in Mode, nicht mehr nur in den ärmeren afrobrasilianischen Schichten, sondern auch in der weißen Mittelschicht.

Vor zwanzig Jahren war das Bild noch anders. Wenn die Maracatus spät in der Nacht in der zentralen passarela, der Tribünenstraße für die Umzüge der Karnevalsvereine, aufmarschierten, harrten nur Angehörige aus den jeweiligen Vierteln für „ihren“ Maracatu aus. Aus den Gesichtern, den Kostümen, den abgewetzten Trommeln sprachen Armut und Verelendung. Rhythmus, Tanz und Gesang waren dennoch anrührend kraftvoll. Recife rangierte damals auf Platz drei der Städte mit den weltweit schlechtesten Lebensbedingungen. Die zahlreichen Flüsse, die Recife durchziehen – das Zentrum liegt auf zwei Inseln – stanken bestialisch, und das heutige Recife Antigo, die schön renovierte Altstadt und ganzjährige Ausgehmeile, war absolutes No-go-Areal, halb verfallen und völlig heruntergekommen.

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Update vom
09.02.2023
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Dieser Text ist nur ein Auszug des Original-Artikels der Print-Ausgabe!

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