Rezensionen NORDAMERIKA
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NELL BRYDEN
What Does It Take
(Cooking Vinyl COOKCD508/Indigo, www.indigo.de
)
11 Tracks, 36:11
Das Cover von Nell Brydens Album zitiert mit herrlichem Retrodesign die Zeit,
als Stereophonie aufkam. Die hellblonde Sängerin scheint also ihre musikalischen
Quellen in den frühen Sechzigern zu haben. Dabei zeigt sie sich äußerst
vielseitig. Das erste Stück, einen druckvollen R-’n’-B-Titel mit Gospeltouch,
singt sie mit leicht rauchiger Stimme, um dann übergangslos auf eine beseelte
Soulnummer und einen fetzigen Countrytitel zu wechseln. Doch auch mit Rock ’n’
Roll und sogar Ragtime macht Bryden eine gute Figur. Ihre Stimme ist enorm
wandlungsfähig, bekommt die verzückten Schreie von Soulsängerinnen genauso hin
wie die Schluchzer der Countrymusik oder die laszive Intonation von
Jazzsängerinnen. Endlich mal eine Sängerin, die sich nicht so leicht einordnen
lässt, aber dennoch rundum stimmig wirkt. Ihre Stimme braucht Vergleiche mit der
in Intonation und Ausdruckskraft ähnlichen Annie Lennox nicht zu scheuen. Der
Begriff „Americana“ wird ja oft bemüht – bei dieser weißen Sängerin, die
wie eine Countrymusikerin wirkt, aber mit einer schwarzen Soulstimme
beeindruckt, ist das Wort einmal definitiv angebracht. Wenn auch nicht im
üblichen Sinne.
Hans-Jürgen Lenhart
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MARY CHAPIN CARPENTER
The Age Of Miracles
(Rounder Records 0611 4311332/Decca/Universal, www.universal-music.de
)
12 Tracks, 50:13, mit engl. Texten
Das Besondere an Mary Chapin Carpenter ist ihr unangestrengter Gesang, wie man
ihn am ehesten noch bei irischen Sängerinnen erleben kann. Sie hat dieses
Gänsehaut erzeugende Hauchen in der Stimme, dennoch zeigt sie auch genügend
Intensität für temporeiche New-Country-Stücke. Ihre vorzügliche Band zaubert
passend einen federnden Klang vornehmlich aus akustischen und elektrischen
Gitarren sowie dezenten Drums und Orgel, über den sie perfekt hinwegschwebt. Ein
wohliger Sound, der keine Experimente braucht. Auch wenn hier alles dezent
klingt, gehen die Melodien direkt in die Seele. Es ist eben eine große Kunst,
aus Zurückhaltendem mehr als bloße angenehme Hintergrundmusik zu machen. Dass
sich Carpenter für vorwiegend ruhige, akustische Arrangements entschieden hat
und sich nur wenige rockige und Country-Elemente finden, hat vielleicht mit der
Überwindung ihrer gefährlichen Lungenkrankheit zu tun. Der Titel feiert ihre
Genesung entsprechend auch als kleines Wunder. Andererseits könnte man ihn auch
als dezenten Hinweis auf ihre Stärke verstehen, genau auf der Schnittstelle
zwischen zeitgenössischem Folk und Country zarte Funken aus beiden zu schlagen.
Hans-Jürgen Lenhart
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FRAZEY FORD
Obadiah
(Nettwerk NETT 0896/Soulfood, www.soulfood-music.de
)
Promo-CD, 13 Tracks, 58:40
Dies ist das erste Soloalbum von Frazey Ford. Seit Ende der Neunzigerjahre ist
die Kanadierin mit den Be Good Tanyas erfolgreich in ihrer Heimat unterwegs.
Obadiah fällt nicht aus dem gewohnten Country-Americana-Rahmen der Band. Die
weiche, volle Stimme Fords schmiegt sich hier wie dort harmonisch ein. Zum
bewährten Bandmodell hinzu kommen hier nun noch mehr melodische Gospel- und
Folkelemente. Die Sängerin appelliert dabei auf Tracey-Chapman-Art, säuselt nach
Al-Green-Manier, nähert sich gelegentlich dem schlichten erzählerischen Stil
einer Joni Mitchell und dann wieder dem erdigen Ton eines Neil Young. Alle
Stücke hören sich nah und intim an, auf technischen Schnickschnack wurde
verzichtet. Alles klingt handgemacht. Frazey Ford hat das Rad nicht neu
erfunden, aber nach altem Vorbild ein sehr hübsches neues gebaut. Die Lieder
rollen dahin; ein Lagerfeuer und ein paar gute Freunde passen sehr gut dazu. Und
ist das letzte Lied zu Ende, möchte man sofort auf „Wiederholen“ drücken und
immer weiter entspannen.
Sarah Habegger
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LITTLE AXE
Bought For A Dollar, Sold For A Dime
(Real World CDRWDJ178/Indigo, www.indigo.de
)
Promo-CD, 14 Tracks, 58:56
Wenn in der afroamerikanischen Musik einer musikalisch mehr will als auf
eingefahrenen Geleisen schaukeln, dann ist es Skip McDonald. Soul mit James
Brown, das Rap-Basismodell inklusive „The Message“ mit der Sugarhill-Hausband,
Dub mit Adrian Sherwood, der hier mit McDonald koproduzierte, Industrial Funk
mit Tackhead und zurück zum Blues mit Little Axe sind nur die Eckdaten –
viel davon fließt nun in seltener stilistischer Harmonie auf Bought For A
Dollar ... mit ein, und Call My Name mit Daby Toure von 2009 dazu:
„Tell Me Why“ mit dem Gesang des Senegalesen aus Mauretanien verleibt McDonalds
Essenz der Schwarzen Musik über Kontinente und Jahrzehnte auch den Wüstenblues,
beziehungsweise -reggae ein. Anderswo wird mal härter, mal abgeklärt („Can’t
Stop Walking Yet „) funky gegroovt oder sich auf einer Art Gospelchorus
afrikanisch leicht in die Lüfte erhoben („Another Friend Is Gone“). Über die
jeweiligen Sänger macht die Promo-CD leider keine detaillierten Angaben –
mit dabei neben McDonald selbst jedenfalls noch: Bernard Fowler, Kevin Gibbs,
Saranella Bell, Madeleine Edgehill und Valerie Skeete. Und der Stile und Musiker
mehr – afroamerikanisch, groovy, entspannt. Eine Freude.
Christian Beck
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MAUVAIS SORT
Droit Devant
(NG Productions NGCD 5472, www.ngprod.com
)
15 Tracks, 48:22, mit franz. Texten
LES CHARBONNIERS DE L’ENFER
En Personne
(La Tribu TRICD7248, www.latribu.ca
)
CD plus DVD, 20 Tracks, 75:25
Zwei Empfehlungen aus Québec. Da sind zum einen Mauvais Sort, eigentlich ein
Quartett, wurden aber für das aktuelle Album mit Bass und Bläsern zum Septett
aufgestockt. Akkordeon und Fiddle dürfen nicht fehlen, aber der für die Provinz
so typische Call-and-Response-Gesang wird durch intelligente Arrangements etwas
in den Hintergrund gerückt. Druckvoll kommt bei diesem Folk ’n’ Roll, wie sie es
nennen, unbändige Lebensfreude rüber – und das seit über zehn Jahren bei
sechshundert Konzerten in neun Ländern. Deutschland ist bisher leider nicht
dabei.
Wie viele Variationen von A-capella-Gesang mit Fußperkussion gibt es eigentlich?
Auf En Personne der Charbonniers de l’Enfer sind zwanzig zu hören –
und die begeistern allesamt. Das Album von 2005 ist nicht ihr aktuellstes, aber
ihr repräsentativstes: ein komplettes Konzert, einmal als CD und ein mal als
DVD. Und live kommt die unverwechselbare Stärke der fünf „Kohlenmänner der
Hölle“ am besten zur Geltung: Gesang, Fußperkussion und Maultrommel zelebrieren
mit traditionellen Liedern eine Musik, die in gewissen Momenten mehr Power als
eine Heavy-Metal-Band besitzt. Wirklich umwerfend!
Mike Kamp
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PHOSPHORESCENT
Here’s To Taking It Easy
(Dead Oceans DOC025/Cargo Records, www.cargo-records.de
)
Promo-CD, 9 Tracks, 44:20
Es muss wohl etwas wie das Prinzip Dialektik sein, woraus Matthew Houck aus
Alabama auf seinem fünften Album unter dem Namen Phosphorescent diese Kraft
schöpft: Ein Toast aufs Leichtnehmen – wenn er ganz offensichtlich nicht
der Typ ist, der das auch nur könnte, geschweige denn wollte; eine melodie- und
harmonietrunkene Country/Folkrock-Seligkeit wie aus den kalifornischen
Sechzigern, die in New York entstanden ist und auch nur selten von anderen
Dingen redet als Großstadt, Bars, Menschen, die nicht wissen, wie, was, warum
und wozu, und der Sorte flüchtiger Begegnungen, die sich mit ihnen den ganzen
Tag ergeben. Ganz anders als To Willie, seine fast auf Null gedrehte
Hommage an Willie Nelson noch vor einem Jahr, geht der Nachfolger musikalisch
mehr als einmal in die Vollen: Tempo, Schwung, ja geradezu Überschwang sind das
eine Standbein, betörende Intensität mit zuweilen regelrecht hypnotischen
Mantraqualitäten das andere. Alle Arten von Gitarren, Klavier und
Harmoniegesänge wie zu besten Hippiezeiten machen aus jedem einzelnen der Tracks
ausgereifte Modelle, die einige Zeit halten können. Jede Wette, dass dies ihrem
Schöpfer persönlich auch nur bedingt weiter helfen wird ...
Christian Beck
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FOLKER auf Papier
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