Rezensionen EUROPA
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PHIL BEER
Box Set One
(Chudleigh Roots CRCDB 001, www.chudleighroots.co.uk
)
3 CDs, 46 Tracks, 176:01; DVD: 6 Tracks, 84:02
Das gibt es nicht oft – eine musikalische Autobiografie, Teil eins. Das
spricht für ein pralles Musikleben. Phil Beer ist heutzutage zuallererst als
Mitglied von Show of Hands bekannt, aber ihn darauf zu reduzieren, wäre völlig
unzulässig. Sicherlich brilliert er auch als Begleiter mit Fiddle und allem, was
sonst Saiten hat, von Ashley Hutchings über Mike Oldfield bis hin zu den Stones.
Dennoch dürfte es für viele Fans besonders hierzulande überraschend sein, dass
jenseits von Show of Hands und den Gastaktivitäten auch noch jede Menge Platz
für andere Aktivitäten mit seiner eigenen Band ist. Diese bekommt auf der DVD
den meisten Platz. Mit den anderen fünf Clips kommt Beer als bodenständiger, im
positiven Sinne heimatverbundener – Devon! – und ausgesprochen
kompetenter Musiker rüber. Definitiv eine Box für die wachsende Schar der
Show-of-Hands-Fans, aber auch die Anhänger englischer Folkmusik generell sollten
diese Angebot unbedingt annehmen. Wer den Hollies-Hit „Bus Stop“ in zwei
verschiedenen Versionen wie einen traditionellen Folksong interpretieren kann,
der hat eine ganz besondere Gehirnwindung.
Mike Kamp
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BIRKIN TREE feat. MARTIN HAYES & DENNIS CAHILL
Virginia
(Felmay fy8164/Pool Music & Media, www.pool-musik.com
)
8 Tracks, 62:41, mit engl. Infos
Irish swing at its best – und das aus Italien! Diese Musik fließt
nur so dahin, berührt in leichtem Galopp kaum Stock und Stein, ein Ton greift in
den anderen, Klavier in Pipes, Flute in Gitarre, man fühlt sich schon in
Fiddler’s Green, da wird aus dem Reel ein Boogie und bleibt doch ein Reel, Jazz
schiebt sich hinein, erschrickt zunächst, reißt dann mit, integriert sich. Oder
aber umgekehrt: Klavier improvisiert, Pipes rasen davon, Perkussion treibt, und
den letzten Ton des Sets hat die Whistle. Ruhigere Passagen laden zwischendurch
zum Träumen ein, Saxofon und Regenrohr klingen zunächst wenig irisch, doch
Gitarre und dann auch das Sax gehen in einen Slow Reel über, den sie an die
Fiddle übergeben, begleitet von sacht gespieltem Schlagzeug, worauf sich das Sax
wieder meldet, bald aber an die Pipes abgibt, und sanft gleitet es über die
Irische See – oder ist es das Mittelmeer oder gar der Pazifik vor
Kalifornien? Verantwortlich für dieses Meisterwerk sind Michel Balatti (fl),
Daniele Caronna (v, g, bz), Devis Longo (p, sax), Fabio Rinaudo (uilleann pipes,
tw), Dado Sezzi (perc), Fabio Vernizzi (p, keyb), Roberto Parazzoli (acc, keyb)
und Martin Hayes (v) und Dennis Cahill (g) aus den USA.
Michael A. Schmiedel
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THE DEMON BARBERS
The Adventures Of Captain Ward
(Demon Barber Sounds DBS 003/Rough Trade, www.roughtrade.de
)
13 Tracks, 45:11
Die live bis zu siebzehn Jungs und Mädels aus England haben dieses Jahr in
Rudolstadt so abgeräumt, dass ihre CDs ausverkauft waren. Kann und sollte man
nachordern. Live sind sie eben echte Tiere, aber auch auf Tonträger machen sie
eine eigenständige und energiegeladene Musik. Fast alles Trads mit Konzertina,
Fiddle und Melodeon als Hauptinstrumente, nicht zu vergessen die Clogs! Aber
alles durchgehend modern. Nein, kein Folkrock, absolut nicht, eher Folk ’n’
Dancefloor. Das trifft es wohl am besten, auch wenn auf The Adventures Of Captain
Ward die beim TFF bevorzugten Tanz-Tunes den Liedern meist den Vortritt lassen. Nicht
jedes einzelne Arrangement ist stimmig, aber Kraft, Freude und Spielwitz kommen
immer rüber. Eine willkommene frische Brise auf der englischen Folkszene. Fertig
machen zum ordern!
Mike Kamp
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MATS EDÉN, DANIEL SANDÉN-WARG, LEIF STINNERBOM, MAGNUS STINNERBOM
Anno 2010
(Giga Folkmusik GCD-73, www.giga.w.se
)
21 Tracks, 53:18, mit schwed. und engl. Infos
Mit diesem abwechslungsreichen Album setzt das schwedische Label Giga die
besonderen Einspielungen traditioneller Musik fort. Hier sind es Melodien
verschiedener Stilrichtungen aus dem westschwedischen Värmland, unter anderem
von den Spielleuten Magnus Olsson (um 1900) aus Arvika und Per Löf aus Ekshärad.
Einige der Melodien wurden von Mats Edén und Leif und Magnus Stinnerbom
nachkomponiert beziehungsweise bearbeitet. Eine Besonderheit sind die
Jossehärspolskas, die anders als die normalen Polskas mit akrobatischen Einlagen
getanzt wurden. Die Geiger Mats Edén und Leif Stinnerbom sind Jugendfreunde seit
den Siebzigerjahren im Värmland. Schon damals gruben sie traditionelle Musik aus
Archiven aus und fuhren über die Dörfer, um Musik zu sammeln. Heute ist Edén
Mitglied bei Groupa und Crane Dance und Dozent an der Musikakademie in Malmö,
Stinnerholm Regisseur am Västanå Teater in Sunne. Die nächste Generation, Sohn
Magnus Stinnerbom (Geige, Akkordeon, Komposition) und Daniel Sandén-Warg (Viola
d’Amore, Moraharpa) aus Setesdal, Norwegen, fallen nicht weit vom Stamm. Sie
spielen neben diesem Projekt auch in anderen renommierten Gruppen wie der Ale
Möller Band, Harv und Hedningarna.
Bernd Künzer
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DICK GAUGHAN & ANDY IRVINE
Parallel Lines
(Wundertüte CD TÜT 72.400/Conträr Musik 939292/Indigo, www.indigo.de
)
8 Tracks, 38:08
ANDY M. STEWART
Songs Of Robert Burns
(Wundertüte CD TÜT 72.140/Conträr Musik 939322/Indigo, www.indigo.de
)
11 Tracks, 37:45
WIZZ JONES
The Village Thing Tapes
(Wundertüte CD TÜT 72.157/Conträr Musik 939312/Indigo, www.indigo.de
)
18 Tracks, 72:46
Drei Wiederveröffentlichungen? Falsch! Diese Wundertüte-Klassiker werden
lediglich von Conträr vertriebsmäßig wieder unters Folk gebracht und dafür sei
Meister Limbach Dank.
Für Dick Gaughan und Andy Irvine gilt immer noch, was ich bereits Anfang der
Achtziger schrieb: Guter Plattentitel, zwei Könner musizieren wunderbar
nebeneinander her und treffen sich nie. Aber schlecht ist das dennoch nicht.
Andy Stewart mit seinen Robert-Burns-Liedern hat ein stimmiges Konzept und gute
Mitmusiker. Der Sound jedoch leidet trotz eines renommierten Aufnahmestudios in
Edinburgh unter den zwanzig Jahren, die die Aufnahme auf dem Buckel hat.
Bleibt Wizz Jones – und das ist wörtlich zu nehmen. Diese generöse Ladung
an Songs von Amerika über England bis Jones höchstselbst ist trotz ihres Alters
von fünfunddreißig bis vierzig Jahren einfach zeitlos. Wizz Jones bringt’s
– das ist auch heute noch so!
Mike Kamp
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THE INCREDIBLE STRING BAND
The Incredible String Band
(Fledg’ling Records FLED 3076/Rough Trade, www.roughtrade.de
)
16 Tracks, 45:21, mit engl. Infos u. Texten
The 5000 Spirits Or The Layers Of The Onion
(Fledg’ling Records FLED 3077/Rough Trade, www.roughtrade.de
)
13 Tracks, 50:06, mit engl. Infos u. Texten
The Hangman’s Beautiful Daughter
(Fledg’ling Records FLED 3078/Rough Trade, www.roughtrade.de
)
10 Tracks, 49:40, mit engl. Infos u. Texten
Wee Tam & The Big Huge
(Fledg’ling Records FLED 3079/Rough Trade, www.roughtrade.de
)
Do-CD, 18 Tracks, 87:54, mit engl. Infos u. Texten
Die erste LP der Incredible String Band, die ich Ende der Sechzigerjahre hörte,
war The Hangman’s Beautiful Daughter, und die Musik legte ich in der
Schublade Underground ab; akustischer Underground zwar, aber definitiv kein
Folk. Als ich Jahre später die Doppel-LP Wee Tam & Big Huge in die
Hände bekam, da war das Folk, keine Traditionals zwar, aber ganz klar die
Kategorie „Folk“. So war die Incredible String Band mit ihrer unendlichen Liste
an akustischen Instrumenten schon in den Sechzigern – alle vier
vorliegenden Alben stammen aus jenem Jahrzehnt – Unterschiedliches für
viele verschiedene Geschmäcker. Immer Vorreiter, immer Taktgeber für Künstler
aus den Bereichen Folk bis Rock. Bei der ersten Produktion war Banjo-As Clive
Palmer noch dabei, danach machten Robin Williamson und Mike Heron allein weiter,
oft mit der heute gewöhnungsbedürftigen musikalischen Philosophie des „Summer of
Love“, oft als musikalischer Schwamm, der folkloristische Einfüsse rund um den
Globus aufsaugte, frühe Weltmusik sozusagen. Schön, diese wegweisenden
Produktionen wieder zu hören und noch viel schöner, dass die Protagonisten
inklusive Produzent Joe Boyd beim Remastering ihre Finger im Spiel hatten.
Mike Kamp
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SETH LAKEMAN
Hearts & Minds
(India Records/Rough Trade 471084-2, www.roughtrade.de
)
11 Tracks, 42:26
Mit dem fünften Album ist Seth Lakeman sozusagen erwachsen geworden. Bislang war
er der moderne, aber verspielte Geschichtenerzähler, der seine Songs zum
Beispiel mit mystischen Figuren seiner Heimatprovinz Devon bevölkerte. Nun ist
er ganz offensichtlich im 21. Jahrhundert angekommen – und mit ihm seine
Themen. Ich sage nur: Banker! Hohe Konzentration ist jedoch angesagt, denn
leider liegen mal wieder die Texte nicht bei. In England entert Lakeman, der aus
einer extrem musikalischen Familie stammt, die Charts, verkauft locker mal
hunderttausend Alben und bezeichnet sich dennoch weiterhin als Folkie. Und er
bleibt seiner musikalischen Linie treu, verbessert lediglich den Sound –
das klingt nach Rock und Pop mit vielen akustischen Beigaben wie seiner Fiddle
– Vorbild: Tom McConville – oder Banjo und Mandoline. Die
vierköpfige Band passt ungeheuer gut zusammen und dürfte derzeit auch in
Deutschland für Furore sorgen. Aktuell ist er nämlich im Vorprogramm von Runrig
auf Tour – und das ehrt die Schotten. Einen solch starken Anheizer dürften
sie nämlich schon lange nicht mehr gehabt haben.
Mike Kamp
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LAU VS KARINE POLWART
Evergreen
(Lau Music LAUKP 1, www.lau-music.co.uk
)
5 Tracks, 22:18
KRIS DREVER
Mark The Hard Earth
(Navigator Records NAVIGATOR30/Rough Trade, www.roughtrade.de
)
11 Tracks, 44:17
Den Anfang in einer Serie von Lau-Kooperationen macht die unnachahmliche Karine
Polwart mit der EP Evergreen. Und? Erfolgreich? Eigentlich schon; schade
nur, dass der einzige Titel, den alle vier zusammen geschrieben haben, der
Titeltrack, ein wenig ziellos durch die Gehörgänge geistert. Der Rest zeigt
Musiker, die auf einer Wellenlänge liegen, topaktuelle Folkmusik aus Schottland
mit Gitarre, Fiddle, Akkordeon und Gesang der Sonderklasse.
Lau-Gitarrist Kris Drever bezeichnet die Band als seinen „day job“, abends
geht’s dann wohl solo weiter, und das nicht zu knapp. Sein zweites Soloalbum
Mark The Hard Earth hat mehr als nur einen gewissen Americana-Einschlag.
Das kann nicht nur an Saitenmeister Tim O’Brien liegen, denn die anderen
hochklassigen Kollegen wie Phil Cunningham, John McCusker oder Heidi Talbot sind
von dieser Seite des Atlantiks. Nein, Americana scheint Drevers momentane
Vorliebe zu sein. Und es klingt gut – das ganze Album, das ohne Ausnahme
hochklassige Musik beinhaltet. Da freut sich schon der klingende Folker
auf Byte FM!
Mike Kamp
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MIRCO MENNA & BANDA DI AVOLA
E L’Italiano Ride
(Felmay fy8160/Pool Music & Media, www.pool-musik.com
)
11 Tracks, 42:19, mit Infos
La banda, „die Blaskapelle“, jede italienische Stadt hat mindestens eine.
Manche tönen wunderbar schräg, als seien sie direkt aus Maestro Fellinis Filmen
herausgestiegen. Cantautori, „Liedermacher“, hat Italien auch manch
hochkarätige hervorgebracht. Was aber, wenn die Banda auf einen Cantautore
trifft? Von Paolo Conte wissen wir, dass sich das italienische Lied gut zu
Bläsern eignet. Der Bologneser Mirco Menna unddie Banda di Avola gehen aber
einen großen Schritt weiter. Hier setzen die Bläser nicht nur einen jazzigen
Akzent. Die Sizilianer machen aus Mennas Liedern einen Soundtrack, bei dem nur
der Film fehlt. E L’Italiano Ride – „Und der Italiener lacht“ –
ist ein passender Titel für ein Album, das einen immer wieder zum Schmunzeln
bringt. Wenn auch nicht alle Italiener über Texte wie „Hoch lebe der doofe
Anführer, hoch lebe der fettabgesaugte Arsch, hoch leben San Remo, San Pio und
seine gesegneten Wallfahrtsorte“ lachen werden. Die fünfzigköpfige Banda
verstärkt den Sarkasmus des Sängers zur Groteske, pustet aus vollen Rohren und
nimmt sich zurück, wenn leise Töne angesagt sind. Ein herrlich anderes Album!
Kaum zu glauben, dass der Altersdurchschnitt der Banda einiges unter zwanzig
liegt.
Martin Steiner
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SAM MITCHELL
Bottleneck/Slide Guitar
(Acoustic Music Records 319.1441.2/Rough Trade, www.roughtrade.de
)
19 Tracks, 49:40, mit engl. Infos und kleiner Anleitung zur Spieltechnik
Kicking Mule Records, Stefan Grossmans Gitarrenlabel, das in den Siebzigerjahren
Meilensteine der Fingerstyle-Gitarrenmusik herausbrachte, ist wieder da. Auf
Acoustic Music Records erscheinen die Aufnahmen nun als wohldokumentierte
Wiederveröffentlichungen auf CD. Unter ihnen sticht Sam Mitchells Album
Bottleneck/Slide Guitar von 1976 hervor. Geboten werden eine Menge
knackig eingespielter Songs, die eine Lebendigkeit ausstrahlen, die heutige
Veröffentlichungen des Genres meist vermissen lassen. Für Interessierte bietet
das Booklet zu jedem Track Erklärungen zu Tuning und mehr; Tabulaturen fast
aller Songs sind als PDF-Dateien beigefügt. Schöner kann es kaum sein. Zumal Sam
Mitchell auch als Typ sehr gut rüberkommt, mit einer coolen Musik und
großartigem Können – und zwar gleichermaßen auf akustischer und
elektrischer Gitarre wie Dobro, bei drei Songs begleitet von Steve York (b) und
George Butler (dr). „Crossroad Blues“, „Livingston Blues“, „Come On In My
Kitchen“ sind bekannter; dazu gibt es gegenüber der Originalveröffentlichung
vier Bonustracks, unter anderem „Nobody’s Fault But Mine“. Diese Musik
wiederentdecken zu dürfen, ist ein Geschenk – nehmen wir es an!
Carina Prange
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FLORIN NICULESCU
Django Tunes
(Enja Records ENJ-9559-2/Edel:Kultur, www.edel.com
)
13 Tracks, 47:15, mit engl. und franz. Infos
THE ROSENBERG TRIO & BIRELI LAGRENE
Djangologists
(Enja Records ENJ-9558-2/Edel:Kultur, www.edel.com
)
CD 18 Tracks, 62:13, mit engl. und franz. Infos; DVD: mit Studio-Atmo und Interviews
Gleich doppelt ehrt Enja den Jazzgitarristen Django Reinhardt, der dieses Jahr
hundert Jahre alt geworden wäre. Doch wird nicht nur dem Musiker Ehre erboten,
sondern auch dem Komponisten, der in seinen Stücken gängige Jazzstile mit der
traditionellen Musik der Roma zu einer neuen Stilrichtung verband; wir würden
dergleichen heute „Weltmusik“ nennen. Das Florin-Niculescu-Ensemble (v, g, p, b,
dr) kommt Reinhardts Quintette du Hot Club de France der Dreißiger nahe. Hier
darf sich Geiger Niculescu dann auch gleich mit dem Kollegen des Quintette
messen – und das war immerhin Stéphane Grapelli. Doch Niculescu und sein
Ensemble bewältigen diese Aufgabe mühelos. Eher den Reinhardt-Trios der
Nachkriegszeit bis zu dessen Tod im Jahre 1953 verpflichtet sind Stochelo (lead
g), Nous’che (rhythm g) und Nonnie Rosenberg (b). So lebt deren Triospiel denn
auch stark von Stochelos virtuosen Soli, die er für vier Stücke mit dem
Gitarrenzauberer Bireli Lagrene teilt. Der Atmosphäre wegen sollte man Django
Reinhardts Originalaufnahmen – oft nur auf Schellack – gehört haben.
Wer seine Musik perfekt interpretiert in zeitgemäßer Tonqualität haben möchte,
dem seien diese beiden Alben empfohlen.
Walter Bast
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SAIMAA
Taika
(Herzel Records, LC 15764, www.agentur69grad.de
)
13 Tracks, 51:12, mit dt. Infos
Die alten Finnen galten ihren Nachbarn oft als Zauberer. Hört man die finnische
Sängerin Anna Katariina Hollmérus, meint man zu verstehen, warum. Zart,
raumfüllend und eigenwillig suggeriert diese Stimme zunächst Abkehr vom
modernistischen Allerweltssound. Sie wird behutsam durch einem filigranen
Background von Schlagzeug (David Herzel), Piano und Bass (Christian Beckers) und
zuweilen Akkordeon (Andreas Hermeyer) umschmeichelt. Das Geheimnis dieser
Produktion scheint im menschlichen Maß der Dinge zu liegen – keine
überarrangierten Konstruktionen, keine Technikverzückung, sondern tatsächlich
Musik, die entschleunigt, transparent bleibt und damit eine außerordentliche
Klangästhetik zulässt. Die setzt einen subtilen, aber deutlichen Akzent auch
gegen die derzeitigen Tangoklischees zwischen Berlin, Paris und Zürich. Nur
wenige wissen, erklärt Hollmérus, dass die Finnen neben den Argentiniern eine
der tangoverrücktesten Nationen sind – aber ganz anders. Der finnische
Tango ist wie ein trauriger Gedanke, den man tröstlich tanzen kann. Die
Übergänge zur jazzigen Ballade sind dabei beinahe so fließend wie die unzähligen
Arme des Saimaa-Sees zwischen Helsinki und der russischen Grenze.
Cathrin Alisch
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DER SCHWIMMER
Poplawok
(Lindo Records lindo 003, www.lindo.at
)
11 Tracks, 40:20
Viele Worte macht er nicht, der Schwimmer aka Klaus Tschabitzer. Läge seinem
dritten Album ein Textheft bei, es wäre denkbar dünn. Denn die Worte wiederholen
sich, Passagen wirken wie Mantras, und wenn sich etwas verändert, dann eher
unmerklich. Was soll man auch viele Worte machen angesichts der umfänglichen
Sinnlosigkeit: Rumsitzen, Rumfahren, Rumglotzen – Rumleben! Davon erzählt
der Wiener Musiker an der Gitarre mit seinen Begleitern Jürgen Plank (Orgel) und
Dieter Preisl (Schlagzeug), ergänzt durch Gäste. Hier überarbeitet sich keiner,
Minimalismus siegt. So eröffnet das Album ein Instrumental namens „Blinka“: Die
Hammondorgel tönt beruhigend samt Klopfgeist, bevor die Gitarre sacht das Thema
liefert. Entspannt geht es weiter, der Schwimmer bietet surreale Alltagsszenen,
unterlegt von elektroakustischem Teppich, wiedererkennbar durch Orgelriffs zum
Liebhaben. Man muss ihn überhaupt liebhaben, den Schwimmer. Er kann Reggae und
Jazz. Er ist witzig. Irgendwie ein Dada-Mann. Sind alle Leute in Badeanstalten
so? Man müsste mal wieder hingehen. Attwenger sind bestimmt schon da. Und der
Schwimmer trägt keine Badekappe.
Volker Dick
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FRANÇOIS SCIORTINO
French Guitar
(Acoustic Music Records 319.1444.2/Rough Trade, www.roughtrade.de
)
15 Tracks, 46:56, mit frz., engl. und dt. Infos
Elegant, leichtfüßig, kraftvoll, delikat, eloquent – all das trifft auf
das umwerfende Album des französischen Steelstringgitarristen François Sciortino
mehr als zu. Gleich das eröffnende „Caribou Express“ mit der leicht orientalisch
anmutenden harmonischen Färbung entlässt einen nicht so schnell aus dem Staunen.
Mitreißender Drive und höchste technische Perfektion, selbst in den schnellsten
Passagen. Auch wenn es nach Klischee klingt: Die charmante, feine Lässigkeit und
Leichtigkeit scheint sehr typisch für unsere französischen Nachbarn. Ein
studierter Fingerpicker, der seinen Vorbildern nicht nur huldigt, sondern
wahrhaft alle Ehre macht. Sciortinos ausgereiftes Travis-Picking führt durch
einen bunten Reigen von Bluestunes, Ragtimes und keltischen Melodien. Im „Blues
For Jerry“ hören wir den Australier Michael Fix an der zweiten, nylonbesaiteten
Gitarre. Das bereits sechste Soloalbum des Vollblutmusikers ist ein echt großer
Wurf. Und auch ein Blick auf die Website des Künstlers lohnt sich. Dort gibt es
neben den üblichen Hinweisen auf Veröffentlichungen und Konzerte sogar
kostenlosen Unterricht!
Rolf Beydemüller
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TITOM
Un Cri Dans L’Ébène
(L’OZ Production 61/Coop Breizh, www.breizh.de
)
11 Tracks, 50:00, mit Infos
Titom war ein lustiges Tier in einer französischen Zeichentrickserie. Jetzt ist
Titom der Künstlername des bretonischen Bombardespielers Thomas Lotout.
Un Cri Da L’Ébène ist sein erstes Soloalbum, das er aber im Bandformat
eingespielt hat, vor allem mit Fab Beaumin an der Bouzouki, Steph de Vito am
Bass, Yannig Alori an der Querflöte und Mick Bourdois am Schlagzeug. Der Sound
erinnert oft an die legendäre bretonische Band Ar Re Yaouank, die
Fest-Noz-Tanzmusik im akustistischen Rockstil populär machte. Kein Wunder, denn
Steph de Vito, der bei Un Cri Dans L’Ébène auch die Aufnahmeleitung hatte,
war früher Bassist von Ar Re Yaouank; und den Bombardenspieler von Ar Re
Yaouank, David Pasquet, kennt Titom schon seit seiner Jugend. Überhaupt ist der
heute 27-Jährige schon lange in der Fest-Noz-Szene aktiv. Mit seinem älteren
Bruder Joseph (Dudelsack) spielte er zehn Jahre als Frères Lotout. Auf
Un Cri Dans L’Ébène ist der Bruder aber nicht mit dabei, dafür so bekannte
Gastmusiker wie Pat O’May, der ein E-Gitarren-Solo beisteuert. Thomas Lotout hat
auf diesem Album, das fast ohne Ausreißer auskommt, alle Stücke selbst
geschrieben. Ein vielversprechendes Debüt.
Christian Rath
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FOLKER auf Papier
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