FOLKER – Rezensionen

Rezensionen EUROPA


PHIL BEER
Box Set One

(Chudleigh Roots CRCDB 001, go! www.chudleighroots.co.uk )
3 CDs, 46 Tracks, 176:01; DVD: 6 Tracks, 84:02

Das gibt es nicht oft – eine musikalische Autobiografie, Teil eins. Das spricht für ein pralles Musikleben. Phil Beer ist heutzutage zuallererst als Mitglied von Show of Hands bekannt, aber ihn darauf zu reduzieren, wäre völlig unzulässig. Sicherlich brilliert er auch als Begleiter mit Fiddle und allem, was sonst Saiten hat, von Ashley Hutchings über Mike Oldfield bis hin zu den Stones. Dennoch dürfte es für viele Fans besonders hierzulande überraschend sein, dass jenseits von Show of Hands und den Gastaktivitäten auch noch jede Menge Platz für andere Aktivitäten mit seiner eigenen Band ist. Diese bekommt auf der DVD den meisten Platz. Mit den anderen fünf Clips kommt Beer als bodenständiger, im positiven Sinne heimatverbundener – Devon! – und ausgesprochen kompetenter Musiker rüber. Definitiv eine Box für die wachsende Schar der Show-of-Hands-Fans, aber auch die Anhänger englischer Folkmusik generell sollten diese Angebot unbedingt annehmen. Wer den Hollies-Hit „Bus Stop“ in zwei verschiedenen Versionen wie einen traditionellen Folksong interpretieren kann, der hat eine ganz besondere Gehirnwindung.

Mike Kamp

 

PHIL BEER   Box Set One


BIRKIN TREE feat. MARTIN HAYES & DENNIS CAHILL
Virginia

(Felmay fy8164/Pool Music & Media, go! www.pool-musik.com )
8 Tracks, 62:41, mit engl. Infos

Irish swing at its best – und das aus Italien! Diese Musik fließt nur so dahin, berührt in leichtem Galopp kaum Stock und Stein, ein Ton greift in den anderen, Klavier in Pipes, Flute in Gitarre, man fühlt sich schon in Fiddler’s Green, da wird aus dem Reel ein Boogie und bleibt doch ein Reel, Jazz schiebt sich hinein, erschrickt zunächst, reißt dann mit, integriert sich. Oder aber umgekehrt: Klavier improvisiert, Pipes rasen davon, Perkussion treibt, und den letzten Ton des Sets hat die Whistle. Ruhigere Passagen laden zwischendurch zum Träumen ein, Saxofon und Regenrohr klingen zunächst wenig irisch, doch Gitarre und dann auch das Sax gehen in einen Slow Reel über, den sie an die Fiddle übergeben, begleitet von sacht gespieltem Schlagzeug, worauf sich das Sax wieder meldet, bald aber an die Pipes abgibt, und sanft gleitet es über die Irische See – oder ist es das Mittelmeer oder gar der Pazifik vor Kalifornien? Verantwortlich für dieses Meisterwerk sind Michel Balatti (fl), Daniele Caronna (v, g, bz), Devis Longo (p, sax), Fabio Rinaudo (uilleann pipes, tw), Dado Sezzi (perc), Fabio Vernizzi (p, keyb), Roberto Parazzoli (acc, keyb) und Martin Hayes (v) und Dennis Cahill (g) aus den USA.

Michael A. Schmiedel

 

BIRKIN TREE feat. MARTIN HAYES & DENNIS CAHILL   Virginia


THE DEMON BARBERS
The Adventures Of Captain Ward

(Demon Barber Sounds DBS 003/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
13 Tracks, 45:11

Die live bis zu siebzehn Jungs und Mädels aus England haben dieses Jahr in Rudolstadt so abgeräumt, dass ihre CDs ausverkauft waren. Kann und sollte man nachordern. Live sind sie eben echte Tiere, aber auch auf Tonträger machen sie eine eigenständige und energiegeladene Musik. Fast alles Trads mit Konzertina, Fiddle und Melodeon als Hauptinstrumente, nicht zu vergessen die Clogs! Aber alles durchgehend modern. Nein, kein Folkrock, absolut nicht, eher Folk ’n’ Dancefloor. Das trifft es wohl am besten, auch wenn auf The Adventures Of Captain Ward die beim TFF bevorzugten Tanz-Tunes den Liedern meist den Vortritt lassen. Nicht jedes einzelne Arrangement ist stimmig, aber Kraft, Freude und Spielwitz kommen immer rüber. Eine willkommene frische Brise auf der englischen Folkszene. Fertig machen zum ordern!

Mike Kamp

 

THE DEMON BARBERS   The Adventures Of Captain Ward


MATS EDÉN, DANIEL SANDÉN-WARG, LEIF STINNERBOM, MAGNUS STINNERBOM
Anno 2010

(Giga Folkmusik GCD-73, go! www.giga.w.se )
21 Tracks, 53:18, mit schwed. und engl. Infos

Mit diesem abwechslungsreichen Album setzt das schwedische Label Giga die besonderen Einspielungen traditioneller Musik fort. Hier sind es Melodien verschiedener Stilrichtungen aus dem westschwedischen Värmland, unter anderem von den Spielleuten Magnus Olsson (um 1900) aus Arvika und Per Löf aus Ekshärad. Einige der Melodien wurden von Mats Edén und Leif und Magnus Stinnerbom nachkomponiert beziehungsweise bearbeitet. Eine Besonderheit sind die Jossehärspolskas, die anders als die normalen Polskas mit akrobatischen Einlagen getanzt wurden. Die Geiger Mats Edén und Leif Stinnerbom sind Jugendfreunde seit den Siebzigerjahren im Värmland. Schon damals gruben sie traditionelle Musik aus Archiven aus und fuhren über die Dörfer, um Musik zu sammeln. Heute ist Edén Mitglied bei Groupa und Crane Dance und Dozent an der Musikakademie in Malmö, Stinnerholm Regisseur am Västanå Teater in Sunne. Die nächste Generation, Sohn Magnus Stinnerbom (Geige, Akkordeon, Komposition) und Daniel Sandén-Warg (Viola d’Amore, Moraharpa) aus Setesdal, Norwegen, fallen nicht weit vom Stamm. Sie spielen neben diesem Projekt auch in anderen renommierten Gruppen wie der Ale Möller Band, Harv und Hedningarna.

Bernd Künzer

 

MATS EDÉN, DANIEL SANDÉN-WARG, LEIF STINNERBOM, MAGNUS STINNERBOM   Anno 2010


DICK GAUGHAN & ANDY IRVINE
Parallel Lines

(Wundertüte CD TÜT 72.400/Conträr Musik 939292/Indigo, go! www.indigo.de )
8 Tracks, 38:08

ANDY M. STEWART
Songs Of Robert Burns

(Wundertüte CD TÜT 72.140/Conträr Musik 939322/Indigo, go! www.indigo.de )
11 Tracks, 37:45

WIZZ JONES
The Village Thing Tapes

(Wundertüte CD TÜT 72.157/Conträr Musik 939312/Indigo, go! www.indigo.de )
18 Tracks, 72:46

Drei Wiederveröffentlichungen? Falsch! Diese Wundertüte-Klassiker werden lediglich von Conträr vertriebsmäßig wieder unters Folk gebracht und dafür sei Meister Limbach Dank.

Für Dick Gaughan und Andy Irvine gilt immer noch, was ich bereits Anfang der Achtziger schrieb: Guter Plattentitel, zwei Könner musizieren wunderbar nebeneinander her und treffen sich nie. Aber schlecht ist das dennoch nicht.

Andy Stewart mit seinen Robert-Burns-Liedern hat ein stimmiges Konzept und gute Mitmusiker. Der Sound jedoch leidet trotz eines renommierten Aufnahmestudios in Edinburgh unter den zwanzig Jahren, die die Aufnahme auf dem Buckel hat.

Bleibt Wizz Jones – und das ist wörtlich zu nehmen. Diese generöse Ladung an Songs von Amerika über England bis Jones höchstselbst ist trotz ihres Alters von fünfunddreißig bis vierzig Jahren einfach zeitlos. Wizz Jones bringt’s – das ist auch heute noch so!

Mike Kamp

 

DICK GAUGHAN & ANDY IRVINE – Parallel Lines

ANDY M. STEWART – Songs Of Robert Burns

WIZZ JONES – The Village Thing Tapes


THE INCREDIBLE STRING BAND
The Incredible String Band

(Fledg’ling Records FLED 3076/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
16 Tracks, 45:21, mit engl. Infos u. Texten

The 5000 Spirits Or The Layers Of The Onion

(Fledg’ling Records FLED 3077/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
13 Tracks, 50:06, mit engl. Infos u. Texten

The Hangman’s Beautiful Daughter

(Fledg’ling Records FLED 3078/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
10 Tracks, 49:40, mit engl. Infos u. Texten

Wee Tam & The Big Huge

(Fledg’ling Records FLED 3079/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
Do-CD, 18 Tracks, 87:54, mit engl. Infos u. Texten

Die erste LP der Incredible String Band, die ich Ende der Sechzigerjahre hörte, war The Hangman’s Beautiful Daughter, und die Musik legte ich in der Schublade Underground ab; akustischer Underground zwar, aber definitiv kein Folk. Als ich Jahre später die Doppel-LP Wee Tam & Big Huge in die Hände bekam, da war das Folk, keine Traditionals zwar, aber ganz klar die Kategorie „Folk“. So war die Incredible String Band mit ihrer unendlichen Liste an akustischen Instrumenten schon in den Sechzigern – alle vier vorliegenden Alben stammen aus jenem Jahrzehnt – Unterschiedliches für viele verschiedene Geschmäcker. Immer Vorreiter, immer Taktgeber für Künstler aus den Bereichen Folk bis Rock. Bei der ersten Produktion war Banjo-As Clive Palmer noch dabei, danach machten Robin Williamson und Mike Heron allein weiter, oft mit der heute gewöhnungsbedürftigen musikalischen Philosophie des „Summer of Love“, oft als musikalischer Schwamm, der folkloristische Einfüsse rund um den Globus aufsaugte, frühe Weltmusik sozusagen. Schön, diese wegweisenden Produktionen wieder zu hören und noch viel schöner, dass die Protagonisten inklusive Produzent Joe Boyd beim Remastering ihre Finger im Spiel hatten.

Mike Kamp

 

THE INCREDIBLE STRING BAND – The Incredible String Band

THE INCREDIBLE STRING BAND – The 5000 Spirits Or The Layers Of The Onion

THE INCREDIBLE STRING BAND – The Hangman’s Beautiful Daughter

THE INCREDIBLE STRING BAND – Wee Tam & The Big Huge


SETH LAKEMAN
Hearts & Minds

(India Records/Rough Trade 471084-2, go! www.roughtrade.de )
11 Tracks, 42:26

Mit dem fünften Album ist Seth Lakeman sozusagen erwachsen geworden. Bislang war er der moderne, aber verspielte Geschichtenerzähler, der seine Songs zum Beispiel mit mystischen Figuren seiner Heimatprovinz Devon bevölkerte. Nun ist er ganz offensichtlich im 21. Jahrhundert angekommen – und mit ihm seine Themen. Ich sage nur: Banker! Hohe Konzentration ist jedoch angesagt, denn leider liegen mal wieder die Texte nicht bei. In England entert Lakeman, der aus einer extrem musikalischen Familie stammt, die Charts, verkauft locker mal hunderttausend Alben und bezeichnet sich dennoch weiterhin als Folkie. Und er bleibt seiner musikalischen Linie treu, verbessert lediglich den Sound – das klingt nach Rock und Pop mit vielen akustischen Beigaben wie seiner Fiddle – Vorbild: Tom McConville – oder Banjo und Mandoline. Die vierköpfige Band passt ungeheuer gut zusammen und dürfte derzeit auch in Deutschland für Furore sorgen. Aktuell ist er nämlich im Vorprogramm von Runrig auf Tour – und das ehrt die Schotten. Einen solch starken Anheizer dürften sie nämlich schon lange nicht mehr gehabt haben.

Mike Kamp

 

SETH LAKEMAN   Hearts & Minds


LAU VS KARINE POLWART
Evergreen

(Lau Music LAUKP 1, go! www.lau-music.co.uk )
5 Tracks, 22:18

KRIS DREVER
Mark The Hard Earth

(Navigator Records NAVIGATOR30/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
11 Tracks, 44:17

Den Anfang in einer Serie von Lau-Kooperationen macht die unnachahmliche Karine Polwart mit der EP Evergreen. Und? Erfolgreich? Eigentlich schon; schade nur, dass der einzige Titel, den alle vier zusammen geschrieben haben, der Titeltrack, ein wenig ziellos durch die Gehörgänge geistert. Der Rest zeigt Musiker, die auf einer Wellenlänge liegen, topaktuelle Folkmusik aus Schottland mit Gitarre, Fiddle, Akkordeon und Gesang der Sonderklasse.

Lau-Gitarrist Kris Drever bezeichnet die Band als seinen „day job“, abends geht’s dann wohl solo weiter, und das nicht zu knapp. Sein zweites Soloalbum Mark The Hard Earth hat mehr als nur einen gewissen Americana-Einschlag. Das kann nicht nur an Saitenmeister Tim O’Brien liegen, denn die anderen hochklassigen Kollegen wie Phil Cunningham, John McCusker oder Heidi Talbot sind von dieser Seite des Atlantiks. Nein, Americana scheint Drevers momentane Vorliebe zu sein. Und es klingt gut – das ganze Album, das ohne Ausnahme hochklassige Musik beinhaltet. Da freut sich schon der klingende Folker auf Byte FM!

Mike Kamp

 

LAU VS KARINE POLWART   Evergreen

KRIS DREVER   Mark The Hard Earth


MIRCO MENNA & BANDA DI AVOLA
E L’Italiano Ride

(Felmay fy8160/Pool Music & Media, go! www.pool-musik.com )
11 Tracks, 42:19, mit Infos

La banda, „die Blaskapelle“, jede italienische Stadt hat mindestens eine. Manche tönen wunderbar schräg, als seien sie direkt aus Maestro Fellinis Filmen herausgestiegen. Cantautori, „Liedermacher“, hat Italien auch manch hochkarätige hervorgebracht. Was aber, wenn die Banda auf einen Cantautore trifft? Von Paolo Conte wissen wir, dass sich das italienische Lied gut zu Bläsern eignet. Der Bologneser Mirco Menna unddie Banda di Avola gehen aber einen großen Schritt weiter. Hier setzen die Bläser nicht nur einen jazzigen Akzent. Die Sizilianer machen aus Mennas Liedern einen Soundtrack, bei dem nur der Film fehlt. E L’Italiano Ride – „Und der Italiener lacht“ – ist ein passender Titel für ein Album, das einen immer wieder zum Schmunzeln bringt. Wenn auch nicht alle Italiener über Texte wie „Hoch lebe der doofe Anführer, hoch lebe der fettabgesaugte Arsch, hoch leben San Remo, San Pio und seine gesegneten Wallfahrtsorte“ lachen werden. Die fünfzigköpfige Banda verstärkt den Sarkasmus des Sängers zur Groteske, pustet aus vollen Rohren und nimmt sich zurück, wenn leise Töne angesagt sind. Ein herrlich anderes Album! Kaum zu glauben, dass der Altersdurchschnitt der Banda einiges unter zwanzig liegt.

Martin Steiner

 

MIRCO MENNA & BANDA DI AVOLA   E L’Italiano Ride


SAM MITCHELL
Bottleneck/Slide Guitar

(Acoustic Music Records 319.1441.2/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
19 Tracks, 49:40, mit engl. Infos und kleiner Anleitung zur Spieltechnik

Kicking Mule Records, Stefan Grossmans Gitarrenlabel, das in den Siebzigerjahren Meilensteine der Fingerstyle-Gitarrenmusik herausbrachte, ist wieder da. Auf Acoustic Music Records erscheinen die Aufnahmen nun als wohldokumentierte Wiederveröffentlichungen auf CD. Unter ihnen sticht Sam Mitchells Album Bottleneck/Slide Guitar von 1976 hervor. Geboten werden eine Menge knackig eingespielter Songs, die eine Lebendigkeit ausstrahlen, die heutige Veröffentlichungen des Genres meist vermissen lassen. Für Interessierte bietet das Booklet zu jedem Track Erklärungen zu Tuning und mehr; Tabulaturen fast aller Songs sind als PDF-Dateien beigefügt. Schöner kann es kaum sein. Zumal Sam Mitchell auch als Typ sehr gut rüberkommt, mit einer coolen Musik und großartigem Können – und zwar gleichermaßen auf akustischer und elektrischer Gitarre wie Dobro, bei drei Songs begleitet von Steve York (b) und George Butler (dr). „Crossroad Blues“, „Livingston Blues“, „Come On In My Kitchen“ sind bekannter; dazu gibt es gegenüber der Originalveröffentlichung vier Bonustracks, unter anderem „Nobody’s Fault But Mine“. Diese Musik wiederentdecken zu dürfen, ist ein Geschenk – nehmen wir es an!

Carina Prange

 

SAM MITCHELL   Bottleneck/Slide Guitar


FLORIN NICULESCU
Django Tunes

(Enja Records ENJ-9559-2/Edel:Kultur, go! www.edel.com )
13 Tracks, 47:15, mit engl. und franz. Infos

THE ROSENBERG TRIO & BIRELI LAGRENE
Djangologists

(Enja Records ENJ-9558-2/Edel:Kultur, go! www.edel.com )
CD 18 Tracks, 62:13, mit engl. und franz. Infos; DVD: mit Studio-Atmo und Interviews

Gleich doppelt ehrt Enja den Jazzgitarristen Django Reinhardt, der dieses Jahr hundert Jahre alt geworden wäre. Doch wird nicht nur dem Musiker Ehre erboten, sondern auch dem Komponisten, der in seinen Stücken gängige Jazzstile mit der traditionellen Musik der Roma zu einer neuen Stilrichtung verband; wir würden dergleichen heute „Weltmusik“ nennen. Das Florin-Niculescu-Ensemble (v, g, p, b, dr) kommt Reinhardts Quintette du Hot Club de France der Dreißiger nahe. Hier darf sich Geiger Niculescu dann auch gleich mit dem Kollegen des Quintette messen – und das war immerhin Stéphane Grapelli. Doch Niculescu und sein Ensemble bewältigen diese Aufgabe mühelos. Eher den Reinhardt-Trios der Nachkriegszeit bis zu dessen Tod im Jahre 1953 verpflichtet sind Stochelo (lead g), Nous’che (rhythm g) und Nonnie Rosenberg (b). So lebt deren Triospiel denn auch stark von Stochelos virtuosen Soli, die er für vier Stücke mit dem Gitarrenzauberer Bireli Lagrene teilt. Der Atmosphäre wegen sollte man Django Reinhardts Originalaufnahmen – oft nur auf Schellack – gehört haben. Wer seine Musik perfekt interpretiert in zeitgemäßer Tonqualität haben möchte, dem seien diese beiden Alben empfohlen.

Walter Bast

 

FLORIN NICULESCU   Django Tunes

THE ROSENBERG TRIO & BIRELI LAGRENE   Djangologists


SAIMAA
Taika

(Herzel Records, LC 15764, go! www.agentur69grad.de )
13 Tracks, 51:12, mit dt. Infos

Die alten Finnen galten ihren Nachbarn oft als Zauberer. Hört man die finnische Sängerin Anna Katariina Hollmérus, meint man zu verstehen, warum. Zart, raumfüllend und eigenwillig suggeriert diese Stimme zunächst Abkehr vom modernistischen Allerweltssound. Sie wird behutsam durch einem filigranen Background von Schlagzeug (David Herzel), Piano und Bass (Christian Beckers) und zuweilen Akkordeon (Andreas Hermeyer) umschmeichelt. Das Geheimnis dieser Produktion scheint im menschlichen Maß der Dinge zu liegen – keine überarrangierten Konstruktionen, keine Technikverzückung, sondern tatsächlich Musik, die entschleunigt, transparent bleibt und damit eine außerordentliche Klangästhetik zulässt. Die setzt einen subtilen, aber deutlichen Akzent auch gegen die derzeitigen Tangoklischees zwischen Berlin, Paris und Zürich. Nur wenige wissen, erklärt Hollmérus, dass die Finnen neben den Argentiniern eine der tangoverrücktesten Nationen sind – aber ganz anders. Der finnische Tango ist wie ein trauriger Gedanke, den man tröstlich tanzen kann. Die Übergänge zur jazzigen Ballade sind dabei beinahe so fließend wie die unzähligen Arme des Saimaa-Sees zwischen Helsinki und der russischen Grenze.

Cathrin Alisch

 

SAIMAA   Taika


DER SCHWIMMER
Poplawok

(Lindo Records lindo 003, go! www.lindo.at )
11 Tracks, 40:20

Viele Worte macht er nicht, der Schwimmer aka Klaus Tschabitzer. Läge seinem dritten Album ein Textheft bei, es wäre denkbar dünn. Denn die Worte wiederholen sich, Passagen wirken wie Mantras, und wenn sich etwas verändert, dann eher unmerklich. Was soll man auch viele Worte machen angesichts der umfänglichen Sinnlosigkeit: Rumsitzen, Rumfahren, Rumglotzen – Rumleben! Davon erzählt der Wiener Musiker an der Gitarre mit seinen Begleitern Jürgen Plank (Orgel) und Dieter Preisl (Schlagzeug), ergänzt durch Gäste. Hier überarbeitet sich keiner, Minimalismus siegt. So eröffnet das Album ein Instrumental namens „Blinka“: Die Hammondorgel tönt beruhigend samt Klopfgeist, bevor die Gitarre sacht das Thema liefert. Entspannt geht es weiter, der Schwimmer bietet surreale Alltagsszenen, unterlegt von elektroakustischem Teppich, wiedererkennbar durch Orgelriffs zum Liebhaben. Man muss ihn überhaupt liebhaben, den Schwimmer. Er kann Reggae und Jazz. Er ist witzig. Irgendwie ein Dada-Mann. Sind alle Leute in Badeanstalten so? Man müsste mal wieder hingehen. Attwenger sind bestimmt schon da. Und der Schwimmer trägt keine Badekappe.

Volker Dick

 

DER SCHWIMMER   Poplawok


FRANÇOIS SCIORTINO
French Guitar

(Acoustic Music Records 319.1444.2/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
15 Tracks, 46:56, mit frz., engl. und dt. Infos

Elegant, leichtfüßig, kraftvoll, delikat, eloquent – all das trifft auf das umwerfende Album des französischen Steelstringgitarristen François Sciortino mehr als zu. Gleich das eröffnende „Caribou Express“ mit der leicht orientalisch anmutenden harmonischen Färbung entlässt einen nicht so schnell aus dem Staunen. Mitreißender Drive und höchste technische Perfektion, selbst in den schnellsten Passagen. Auch wenn es nach Klischee klingt: Die charmante, feine Lässigkeit und Leichtigkeit scheint sehr typisch für unsere französischen Nachbarn. Ein studierter Fingerpicker, der seinen Vorbildern nicht nur huldigt, sondern wahrhaft alle Ehre macht. Sciortinos ausgereiftes Travis-Picking führt durch einen bunten Reigen von Bluestunes, Ragtimes und keltischen Melodien. Im „Blues For Jerry“ hören wir den Australier Michael Fix an der zweiten, nylonbesaiteten Gitarre. Das bereits sechste Soloalbum des Vollblutmusikers ist ein echt großer Wurf. Und auch ein Blick auf die Website des Künstlers lohnt sich. Dort gibt es neben den üblichen Hinweisen auf Veröffentlichungen und Konzerte sogar kostenlosen Unterricht!

Rolf Beydemüller

 

FRANÇOIS SCIORTINO   French Guitar


TITOM
Un Cri Dans L’Ébène

(L’OZ Production 61/Coop Breizh, go! www.breizh.de )
11 Tracks, 50:00, mit Infos

Titom war ein lustiges Tier in einer französischen Zeichentrickserie. Jetzt ist Titom der Künstlername des bretonischen Bombardespielers Thomas Lotout. Un Cri Da L’Ébène ist sein erstes Soloalbum, das er aber im Bandformat eingespielt hat, vor allem mit Fab Beaumin an der Bouzouki, Steph de Vito am Bass, Yannig Alori an der Querflöte und Mick Bourdois am Schlagzeug. Der Sound erinnert oft an die legendäre bretonische Band Ar Re Yaouank, die Fest-Noz-Tanzmusik im akustistischen Rockstil populär machte. Kein Wunder, denn Steph de Vito, der bei Un Cri Dans L’Ébène auch die Aufnahmeleitung hatte, war früher Bassist von Ar Re Yaouank; und den Bombardenspieler von Ar Re Yaouank, David Pasquet, kennt Titom schon seit seiner Jugend. Überhaupt ist der heute 27-Jährige schon lange in der Fest-Noz-Szene aktiv. Mit seinem älteren Bruder Joseph (Dudelsack) spielte er zehn Jahre als Frères Lotout. Auf Un Cri Dans L’Ébène ist der Bruder aber nicht mit dabei, dafür so bekannte Gastmusiker wie Pat O’May, der ein E-Gitarren-Solo beisteuert. Thomas Lotout hat auf diesem Album, das fast ohne Ausreißer auskommt, alle Stücke selbst geschrieben. Ein vielversprechendes Debüt.

Christian Rath

 

TITOM   Un Cri Dans L’Ébène

Update vom
09.02.2023
Links
go! Home
go! Vorige Rezis
go! Nächste Rezis
FOLKER auf Papier
Dieser Artikel ist ein Beispiel aus der Print-Ausgabe!
Bestelle sie Dir! Einfach das
go! Schnupper-Abo! bestellen und drei Ausgaben preiswert testen. Ohne weitere Verpflichtung!
Oder gleich das
go! Abo ?