HEIMSPIEL
Erst Hurrikan Katrina, nun die schockierende Ölkatastrophe vor den Küsten Louisianas: Frustrierende Eindrücke prägen derzeit unser Bild des südlichen US-Bundesstaates. Wenigstens das Folkpublikum in aller Welt weiß, dass aus der Sumpfregion westlich von New Orleans auch eine mitreißend-lebensfrohe wie akkordeonsatte Landmusik kommt – Cajun und Zydeco. Dank der Organisation durch die deutsch-englischen Cajun Roosters wird die hiesige Szene mit einem Cajun- und Zydecofestival seit 2001 bestens bei Laune gehalten. Michael Bentele, Bassist der Band, sorgt von Köln aus für die Hauptlogistik, im englischen Derby laufen die vielen Szenekontakte des Akkordeonisten Chris Hall zusammen. TEXT: MICHAEL BORRASCH In den Neunzigerjahren waren die heutigen Roosters noch als Cajun Pioneers unterwegs – das komplett deutsch besetzte Quintett hatte die Liebe zum Louisianafolk mit eigenem Programm auf die Bühne gebracht und schließlich 2001 das heute wichtigste Cajun- und Zydecofestival im deutschen Sprachraum begründet. Nach dem Unfalltod ihres Akkordeonisten Luitger Fräger im Februar 2005 stand die Band – und damit das Festival – allerdings kurz vor dem Aus. Es war der Kontakt zu den Engländern Chris Hall und Sam Murray (Schlagzeug), der schließlich für einen Neustart unter verändertem Namen sorgte. Bentele: „Ich kenne Chris und Sam schon seit mehr als zehn Jahren. Nach dem Ende der Pioneers waren die beiden für mich erste Wahl, auch wenn es logistisch nicht ganz einfach ist. Aber dank Internet schicken wir ständig Audiodateien von Mittelengland nach Köln und zurück.“ Nach neuerlicher Umbesetzung in diesem Frühjahr – an der Gitarre jetzt Hazel Scott, deren formidabler Gesang Von der Eifel an die ThemseNeben ihren internationalen Bandaktivitäten konnten die Roosters ein Festival etablieren, das inzwischen Kreise zieht – vom kleinen Eifelort Baasem (siebzig Kilometer südlich von Köln) aus. Was hier vor neun Jahren erstmals über die Bühnenbretter des Dorfsaales fegte, erreicht heuer ein Publikum zwischen München und London. Bentele: „Als wir unser Festival entwickelten, gab es große europäische Cajun-und-Zydeco-Veranstaltungen lediglich im englischen Gloucester, in Raamsdonksveer in den Niederlanden und in Saulieu in Frankreich. ... mehr im Heft
Wer in Nordrhein-Westfalen die Radiolandschaft nach Klängen von allen Kontinenten durchforstet, wird nicht nur bei Funkhaus Europa fündig. Auch die Kulturwelle WDR 3 hat in dieser Hinsicht einiges zu bieten. Hier lautet das Stichwort: Musikkulturen. TEXT UND FOTO: WOLFGANG KÖNIG Federführend in Sachen Musik aus aller Welt ist bei WDR 3 seit der Pensionierung von Jan Reichow 2005 dessen langjähriger Mitstreiter Werner Fuhr. Der gebürtige Hesse, Jahrgang 1950, hat an der Freiburger Musikhochschule eine Lehrerausbildung absolviert, zusätzlich Musikwissenschaft studiert und über die Musik der deutschen Arbeiterbewegung promoviert. Die Aussicht, als Musiklehrer aufs Land geschickt zu werden, war für Fuhr allerdings nicht besonders verlockend. Per Zufall wurde er 1977 auf eine beim Westdeutschen Rundfunk in Köln ausgeschriebene Stelle für einen Chormusikredakteur in der Abteilung „Volksmusik“ aufmerksam. Er bekam den Job in der für ihn noch fremden Stadt und erlebte kurz darauf einen Umbruch seiner Stellenbeschreibung. Hatte man bislang hauptsächlich Kantaten und deutsche Volkslieder in netten Bearbeitungen mit Orchestermusikern oder Kinderchören produziert, nahm jetzt auch der WDR Notiz vom damaligen bundesdeutschen Folkrevival. Dazu gehörte, dass neue Sendeplätze eingerichtet wurden, zum Beispiel die Reihe „Matinee der Liedersänger“. Das WDR-Folkfestival (später WDR-Weltmusikfestival) wurde gegründet, an dem sich auch das Fernsehen beteiligte. Der musikalische Horizont weitete sich rasant, und weil es einen nennenswerten Tonträgermarkt für das, was heute unter „Weltmusik“ läuft, noch nicht gab, gehörte es auch zum Job von Werner Fuhr und seinen Kollegen, Musik mit mobiler Technik dort aufzunehmen, wo sie beheimatet war (was immer noch billiger kam, als größere Ensembles zu Studioproduktionen nach Köln einzufliegen). Einige Ergebnisse von solchen Aufnahme-Expeditionen und auch Mitschnitte von den WDR-Folkfestivals sind vom Frankfurter Network-Label im Rahmen einer CD-Edition veröffentlicht worden. ... mehr im Heft
Sich in Wien auf einem Badeschiff mit dem Musikjournalisten, Veranstalter und Autoren Richard Schuberth zu einem Interview zu treffen, erscheint unkonventionell, passt aber zu diesem Mann, dem das Balkan Fever Festival zu verdanken ist und der sich prächtig auf das Freibeuterwesen versteht. TEXT UND FOTO: HARALD JUSTIN Trunken vor musikalischer Glückseligkeit möchte man zu Boden fallen – wenn es nur inmitten des aneinandergedrängten Publikums möglich wäre. Ort des Geschehens: das ausverkaufte Porgy & Bess, Wiens schönster und bekanntester Musikklub. Zeitpunkt: Sommer 2004. Anlass: das erste Balkan Fever Festival. Natürlich gab es schon vor dieser Veranstaltung Musik auf dem Balkan und in Wien, und wenn schon nicht mehr die Musik neu erfunden werden konnte, so musste man wenigstens ein Festival erfinden, auf dem das Potenzial südosteuropäischer Musik westlichen Hörern zugänglich gemacht werden konnte. Initiator und künstlerischer Leiter war damals bis heute – dem einen Großereignis folgten bis in das Frühjahr 2010 alljährlich weitere – die Wiener Kreativzelle Richard Schuberth. Manchmal bedarf es halt des Engagements Einzelner, um die Kräfte so zu fokussieren, dass aus einem gemächlich dahinfließenden Bach eine Welle wird, die an fremden Ufern tosend aufschlägt. So geschehen eben an diesem Abend, als das Sandy Lopicic Orkestar die Gelegenheit nutzte, um seine zweite CD Balkea vorzustellen, die innerhalb kurzer Zeit zu einem Bestseller wurde. Schuberth hatte für das Nachfolgealbum des erfolgreichen Debüts Border Confusion aus dem Jahr 2001 die Linernotes geschrieben, und er sieht sich damit nicht ganz zu Unrecht als einer der Verursacher des Balkanhypes, der eine Zeitlang schnauzbärtige Blechbläser in schlecht sitzenden Anzügen zu den Lieblingen des Feuilletons machte. ... mehr im Heft
Ohne den italienischen Musiker Marco Ambrosini, der heute bei Marburg zu Hause ist, hätte sich die hessische Akademie Burg Fürsteneck kaum zu einem internationalen Zentrum für die Nyckelharpa entwickelt: Als junger, gut ausgebildeter und begnadeter Violinsolist entdeckte er 1980 während einer Konzertreise im Instrumentenmuseum von Trondheim das „schrecklich klingende schwedische Instrument“ – so damals die Erläuterung des norwegischen Kustos. Unerschrocken bestellte Ambrosini eine Nyckelharpa für seine private Sammlung – schon wegen des ungewöhnlichen Aussehens. Aus anfänglicher Skepsis entwickelte sich eine musikalische Liebesbeziehung. Und nach einer gravierenden Fingerverletzung wurde die Nyckelharpa sein Hauptinstrument, das er mit seinem Ensemble Oni Wytars und als Solist in vielen anderen Formationen und in Konzertsälen auf der ganzen Welt spielt. TEXT UND FOTO: ANGELIKA MAIER Die Nyckelharpa, mit historischem deutschem Namen „Schlüsselfidel“ genannt, ist ein Saiteninstrument, das mit kurzem Bogen gestrichen und mit Tasten (den Schlüsseln) in der Tonhöhe verändert wird. Mitschwingende Resonanzsaiten tragen ... mehr im Heft |
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