EDITORIALLiebe Musikfreundinnen und -freunde, der Artikel in diesem Heft über die Rolle von Weltmusikern und Liedermachern im Rahmen der Veranstaltungen bei Ruhr 2010 war schon abgeschlossen, als am 24. Juli bei einer Massenpanik auf der Loveparade in Duisburg einundzwanzig Menschen ums Leben kamen und rund fünfhundert verletzt wurden. Das Motto der Veranstaltung „The Art of Love“ wurde innerhalb weniger Minuten ad absurdum geführt. Verantwortung für die Katastrophe will natürlich keiner übernehmen. Der Vorsitzende des Richterbundes Nordrhein-Westfalen, Rainer Lindemann, schließt nicht aus, dass die Ermittlungen zur Ursache des Unglücks ähnlich lange dauern könnten wie beim Düsseldorfer Flughafenbrand 1996. Bis zur Urteilsverkündung dauerte es damals fünf Jahre. Damit es überhaupt zum Prozess kommt, muss allerdings eine Person gefunden werden, die strafrechtlich belangt werden kann! Am Unglücksort soll am 4. September erst einmal eine Gedenktafel angebracht werden. Doch auch ohne sie könnten die erzielten oder auch verfehlten Errungenschaften des Kulturhauptstadtjahres letzten Endes nicht mehr ohne Blick auf die Tragödie bei der Loveparade in Duisburg bewertet werden. Mit Trottoir hat ein weiteres Printmagazin das Handtuch geworfen (der Folker berichtete, siehe „Szene“ der Ausgabe 4/2010). Siebzehn Jahre lang berichtete das Kleinkunstmagazin über Kabarett, Comedy, Varieté und Artverwandtes. Begründet wird die Einstellung des Blattes als Printorgan unter anderem mit der zunehmenden Nutzung des mobilen Internets als Informationsweg der Leser. Auch das selbsternannte Flaggschiff der Folk- und Weltmusikfachpresse FRoots hat einen Brandbrief an seine Leserschaft geschickt, in dem unter anderem aufgefordert wird, zur Unterstützung der Zeitschrift ein lebenslanges Abo abzuschließen. Das sind keine guten Nachrichten! Dazu passt, dass unsere Kollegen vom Bluesnews-Magazin erstmals CD-Kritiken bringen, bei denen die Rezensenten die CDs überhaupt nicht in Händen gehalten haben, weil diese entweder nur als Download erhältlich oder nur über einen geschützten Zugang im Internet abzuhören waren. Zur Begründung schreibt Chefredeakteur Dirk Föhrs im Editorial, „dass sich bluesnews auf Dauer allgemeinen Trends nicht verschließen kann“. Gleichzeitig weist er auf die verringerte Bedeutung solcher Besprechungen hin, „denn Angaben zum Klang haben nur bedingt Aussagekraft und wesentliche Informationen wie die Namen der Songautoren, der beteiligten Musiker/-innen und Produzenten fehlen mitunter“. Dies sind mit Gründe, weshalb die Folker-Redaktion dabei bleibt, nur solche Veröffentlichungen zu besprechen, die unsere Rezensentinnen und Rezensenten auch physisch vor sich bekommen. Wobei sogenannte „Weißpressungen“ als Vorab-CDs ohne Booklet und detaillierte Angaben schon schlimm genug sind. Wie lange wir diese Politik durchhalten können? Wenig ermutigend ist in diesem Zusammenhang sicherlich, dass wegen der Praxis vieler Labels, nur noch digitale Downloads als Besprechungsmuster zur Verfügung zu stellen, erste Promotionagenturen aufgeben. In einem Presserundschreiben unter der Überschrift „Letztes von Ueberzahl“ hieß es Ende Juli: „Ueberzahl schließt seine Türen, ... zum Glück auch, bevor da nur noch digitale Downloads sind.“ Wie gesagt: das sind keine guten Nachrichten! Aber wir wollen das Positive natürlich nicht vergessen. Erfreulich – zumindest für die entsprechenden Amtsinhaber – sind die Gehälter des Führungspersonals im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Spitzenverdienerin ist WDR-Intendantin Monika Piel, die im vergangenen Jahr 308.000 Euro erfolgsunabhängiges Gehalt bekam, wie der Westdeutsche Rundfunk kürzlich bekanntgab. Die größte ARD-Anstalt ist dazu neuerdings gesetzlich verpflichtet. Für alle anderen Anstalten gibt es keine solche gesetzliche Pflicht, dennoch zog der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) nach: Intendantin Dagmar Reim bekommt jährlich 220.000 Euro. Etwas mehr bekamen die beiden Chefs von Radio Bremen – allerdings zusammen: Auf 297.000 Euro summierten sich 2009 die Gehälter von Intendant und Programmdirektor, sagte ein Sprecher. Ich erinnere mich daran, bei Radio Bremen für ein aufwendiges Neunzig-Minuten-Feature über Pete Seeger noch kurz vor Einführung des Euro knappe 400 D-Mark Honorar bekommen zu haben. Na ja, das war ja auch nur journalistische Arbeit und hat wenig mit der Verantwortung zu tun, die von den Damen und Herren in den oberen Etagen der ARD-Anstalten getragen wird. Und schließlich braucht man das Geld der Gebührenzahler zudem auch, um schon bei den Privaten absahnende Vielverdiener wie Thomas Gottschalk oder Günther Jauch „angemessen“ zu bezahlen. Die ARD wird Jauch für seine ab Herbst geplante Sonntagabendtalkshow 4.487,18 Euro bezahlen. Nein – aber auch das wäre schon zu viel -, nicht pro Show, sondern für jede Sendeminute. Die Grenzen zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten schwinden ohnehin zunehmend – sowohl in Bezug auf die Programmqualität als auch in Bezug auf formale Unterschiede. Nach dem Erfolg von Lena Meyer-Landrut beim Eurovison Song Contest (ESC) ließen sich Pro-Sieben-Sat-1-Fernsehvorstand Andreas Bartl und NDR-Intendant Lutz Marmor feiern. Und weil es doch so schön war, ernannte dessen Unterhaltungschef Thomas Schreiber Stefan Raab mal eben so informell zum Projektleiter für den ESC 2011 in Deutschland. Und der erklärte dann auch schon einmal, wer für unser Land antritt: Lena natürlich. Das ist die Privatisierung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags auf Kosten der Gebührenzahler. Merkt das eigentlich keiner? Wo sind die gesellschaftlichen und politischen Kräfte, die sich gegen diese Entwicklung wehren? Dies alles musste einfach einmal gesagt werden. Da bleibt jetzt kein Platz mehr, auf die Inhalte dieser neuen Folker-Ausgabe einzugehen. Für die Beiträge auf den folgenden Seiten muss ich aber auch nicht eigens werben. Sie werden sich von ihrer Qualität bei der Lektüre selbst überzeugen können, zu der ich Sie wieder einmal herzlich einlade. Ihr Folker-Chefredakteur PS: Mein Kommentar zum aktuellen gesellschaftlichen Diskurs im Land der Freien und Mutigen will ich dieses Mal kurz halten. Ein Liedtitel von Wenzel bringt es auf den Punkt: „Zeit der Irren und Idioten“ ... |
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