Rezensionen EUROPA
|
KARIM BAGGILI
Lea & Kash
(Homerecords.be 4446064, www.homerecords.be
)
10 Tracks, 62:11
Ein ungeheuer farbiges, dichtes und inspiriertes Werk hat Flamencogitarrist
Karim Baggili beim belgischen Label für Ungewöhnliches veröffentlicht. Farbig
schon alleine aufgrund der reichen Instrumentierung: Neben Bagillis kraftvoller
und sehr präsenter Gitarre kommen Cello, Stimme, Flöte, Saxofon und diverse
Perkussionsinstrumente zum Einsatz. So geheimnisvoll und poetisch wie das reich
bebilderte Booklet sind dann auch alle Titel eines Albums, das den Hörer mit dem
ersten Ton in ein imaginäres Reich entlang südlicher Küsten entführt.
Sehnsuchtsvolle Gesangslinien, Andeutungen verschiedenster
musikalisch-kultureller Traditionen, feine harmonische Gestaltungen und ein
perfekt aufeinander abgestimmtes Ensemble – man kann ins Schwärmen
geraten. Hier wurde eine außergewöhnliche musikalische Vision in betörende
klangliche Bilder umgesetzt. Baggilis Gitarre ist dominant, wenn es musikalisch
folgerichtig erscheint. Sonst „verschwindet“ sie auch schon einmal
gruppendienlich im Hintergrund – eine echte Tugend, die besonders für
Gitarristen nicht gerade typisch ist. Auf www.karimbaggili.be gibt es einiges an
akustischem Bonusmaterial und sogar Tremoloübungen für den engagierten
Gitarristen.
Rolf Beydemüller
| |
|
CARMEN CONSOLI
Elettra
(Wrasse Records wrass256/Harmonia Mundi, www.harmoniamundi.com
)
10 Tracks, 38:09, mit Texten
Sizilien, Hitze, Amore, wallendes Blut. Diese Klischees bedient auch
Elettra, das vierzehnte Album der zierlichen Frau aus Catania mit der brüchig
erotischen Stimme. Doch Carmen Consolis Texte bohren tiefer. Schon der
Albumtitel lässt auf einen Strudel der Gefühle schließen – und die Elektra
der Sizilianerin enttäuscht nicht. Consoli liebt Bilder der Jahreszeiten. Der
glühend heiße Sommer kontrastiert mit dem Geschmack des Schnees. Eigentlich
fängt alles fröhlich an: „Die Vögel zwitschern, der Sommer kommt ..., hoch lebe
Italien, der Fußball, das Testosteron, hoch leben die Intrigen, die Huren ...“.
Schöne, zerbrochene Welt, Inzest, Verlust und Liebeswahn. Die Rosen der leichten
und beschwingten canzoni sind voller Dornen. Und wenn Carmen Consoli in „Mio Zio“ die Schmerzen über
einen Inzest herausschreit, spürt man die Frau, auch wenn man kein Wort
Italienisch spricht. Getragen werden die zehn eindrücklichen Lieder von einer
kompakten, meist akustisch aufspielenden Band. Nur hier und dort hätte man ein
paar Streicher weglassen können.
Martin Steiner
| |
|
RAY COOPER
Tales Of Love War & Death By Hanging
(Westpark Music 87188/Indigo, www.indigo.de
)
10 Tracks, 47:11, mit engl. Texten u. wenigen engl. Infos
OYSTERBAND
The Oxford Girl And Other Stories
(Westpark Music 87190/Indigo, www.indigo.de
)
14 Tracks, 52:11, mit engl. Infos
Oysters auf Solopfaden, Teil zwei (vgl. Besprechung John Jones in Heft 6/2009).
Nun traut sich auch Cellostreicher und Bassist Ray Cooper alias Chopper mit
einer folkigen Mischung aus vornehmlich schottischer und skandinavischer
Tradition sowie hochwertigen eigenen Liedern an die Öffentlichkeit. Kein Sänger
der John-Jones-Klasse versteht er es dennoch, in den Liedern mit vollem Sound
und wenig fremder Hilfe eine packende, dichte Atmosphäre zu erzeugen. Was man
heutzutage mit Können, Kreativität und einem Heimstudio alles leisten kann! Für
Oyster-Fans ein Muss, für den Rest der Folkwelt eine durchaus erfreuliche
Veröffentlichung. Aber die Oysters leben weiterhin auch als Band, selbst wenn
die aktuelle Veröffentlichung bereits letztes Jahr als
Dreißig-Jahre-Jubiläums-Album im Eigenverlag erschien. Ein Querschnitt aus drei
Dekaden, akustisch und „re-imagined and re-arranged for now“, wie es nicht
passender auf The Oxford Girl And Other Stories
stehen könnte. Die Songs beweisen, dass sie ohne folkrockige Elemente wie
Schlagzeug und E-Gitarre nicht weniger kraftvoll rüberkommen. Ein überzeugendes
Album mit zärtlichen Liedern wie „By Northern Lights“ und regelrechten Hymnen
wie „Blood-Red Roses“. Und das Schönste ist: Im Spätherbst kommt die Oysterband
mit diesem akustischen Programm auf Deutschlandtour!
Mike Kamp
| |
|
GARISH
Wenn dir das meine Liebe nicht beweist
(Schönwetter Schallplatten 025/Broken Silence, www.brokensilence.de
)
Promo-CD, 11 Tracks, 39:08
Garish sind ein ewiger Geheimtipp der österreichischen Indiepopszene. Die Musik
ihres sechsten Albums kommt direkt und unverschnörkelt aus den Boxen. Welchen
Weg sie dann nimmt, hängt vom Hörer ab. Sie kann direkt in die Beine gehen. Die
Melodien sind eingängig, aber nicht eintönig. Gitarren, Akkordeon, Bass und
Schlagzeug erzeugen holzschnittartige Gebilde. Dazu spielen mal ein
Glockenspiel, ein Banjo oder Blechbläser auf. Der Weg kann aber auch direkt in
den Kopf führen. Die Texte sind oft nicht leicht zu verstehen. Sänger Thomas
Jarmer singt zwar Hochdeutsch, nuschelt aber gelegentlich etwas. Mit ein wenig
Aufmerksamkeit kann man dann doch die Geschichten in den Liedern entdecken. Fast
wie eine Theaterszene zum Beispiel wirkt der Titelsong. Poetisch heißt es dort:
„Ich kann mir meine Füße so verdreh’n, / damit sie, wenn sie vorwärts rückwärts
geh’n. / Wenn dir das meine Liebe nicht beweist / bin ich des Lebens nicht mehr
froh“. Aus den Lautsprechern kann der Weg aber auch direkt ins Herz gehen. In
jedem Stück steckt Liebe zu Musik und Text. Mal rau, mal sanft, mal nachhaltig,
meistens aber eher beiläufig sind Garish mit ihrem neuen Album jedenfalls sehr
authentisch.
Sarah Habegger
| |
|
GWENAN GIBBARD
Sidan Glas
(Sain Records SCD2581, www.sainwales.com
)
15 Tracks, 50:55, mit walis./engl. Infos
LLEUWEN
Penmon
(Gwymon CD001/Sain Records, www.sainwales.com
)
11 Tracks, 41:43, mit walis. Texten
Zwei junge Damen aus Wales mit unterschiedlichen Konzepten. Wie die Premiere, so
der Nachfolger, das ist das knappe Fazit des neuen Albums der Harfenistin und
Sängerin Gwenan Gibbard – und warum sollte sie auch das starke
Begleiterteam des Erstlings ändern (vgl. Folker
2/2007)! Die Mischung aus Tradition und vorsichtiger Moderne überzeugt. Und da
nun auch der Gesang weniger künstlich klingt, gewinnt die Produktion an Wärme
und somit Qualität. Lleuwens Album aus dem Jahr 2007 war ihr erstes wirklich
eigenes Album. Mit Tastenmann Huw Warren und weiteren Kollegen singt sie mit
zwar ausgebildeter, aber kraftvoll gehauchter oder beseelter Stimme vornehmlich
Eigenes aus der Kategorie Folk/Jazz/Blues/Pop. Und wenn dann am Ende ein
typisch walisischer Männerchor erklingt, ist das lediglich eine letzte
Bestätigung von Lleuwens Wurzeln.
Mike Kamp
| |
|
GROEF
Des Avonds In Klein Maneschijn
(Appel Rekords APR 1322, www.tsmiske.be
)
10 Tracks; 58:50; mit Infos und Texten
Musik aus den Niederlanden ist selten im Weltmusikplattenhandel, enthält dafür
aber trotzdem jede Menge hochkarätige und interessante Aufnahmen wie das hier
vorliegende Album von Groef. Konzeptionell handelt es sich um von Mastermind Guy
Roelofs für Bal Folk arrangierte Musik aus den „Lage Landen“. Neben den zumeist
im traditionellen Idiom neu komponierten genretypischen Tänzen wie Schottisch
oder Bouree gibt es auffallend viele ebenso tanzbare Lieder. Alte Texte wurden
mit neuen Melodien versehen. Der kreative Umgang mit dem traditionellen Material
setzt sich auch im Klang fort. Akkordeon, Fiddle und Flute als Leadinstrumente
– gespielt von den Belgiern Raquel Gigot und Rudy Velghe (Orion) sowie
Jenny van Diggelen – werden durch ein farbenfrohes Backing mit
Synthesizern, E-Piano, Bass, Perkussion und Drumloops unterstützt. Namentlich
die Bouzouki des Bandleaders ist zu leise gemischt, ihr treibender Charakter
könnte die Arrangements prägnanter bereichern. Die zeitweise komplexe, insgesamt
spannende Mixtur gewinnt beim Hören und kann sich zu einem Dauerdreher im
Spieler entwickeln! Anspieltipps: „Suite Marguérite“, „Wiegelied“ und „Tjade“.
Johannes Schiefner
| |
|
RAY HEARNE
The Wrong Sunshine
(No Masters NMCD31, www.nomasters.co.uk
)
15 Tracks, 65:02, mit engl. Texten u. Infos
Den kennt hier keiner – wetten? Hearne ist eben kein jugendlicher
Popstar-Aspirant, sondern ein Nordengländer mit Lebenserfahrung, die er
destilliert und politisch, aber undogmatisch in seinen Songs weitergibt. Und das
in extrem gemeiner Form: Politisch messerscharfe Analysen werden mit viel Talent
bei der Wortwahl in ausgesprochen ohrwurmartige Melodien gepackt. Man muss
gehört haben, wie Hearne in dem Song „Baghdad-on-Dearne“ über Bombenopfer im
Irakkrieg die Textzeile „And there’s bits of the Corporal all over the place ...“
ganz harmlos, fast nett und definitiv mitsingbar intoniert. Das verstärkt die
Kritik, ohne dass der Holzhammer bemüht wird. Genial! Mitglieder der Kooperative
No Master wie Chumbawamba, Coope, Boys & Simpson oder Jo Freya unterstützen
Hearne bei seinen süß-brutalen Songs kongenial. Wenn wundert’s, dass seine
Lieder bereits von vielen Kollegen übernommen wurden. Diese Mischung aus
inhaltlicher Schwere und textlicher sowie musikalischer Luftigkeit ist höchst
willkommen.
Mike Kamp
| |
|
ROBYN HITCHCOCK & THE VENUS 3
Propellor Time
(Sartorial Records FIT047CD/Cargo Records, www.cargo-records.de
)
Promo-CD, 10 Tracks, 40:15
Für die Generation, die in den Sechzigern aufwuchs, haben die Songs zwar einen
etwas grelleren Klang und – „We live in a Pornocracy“ – einen etwas
schärferen Ton als für die Folkies davor, bleiben gleichwohl aber doch dasselbe
in Grün. Und für die nächsten Generationen im Prinzip genauso: Bis zu Johnny
Marr, der mit den Smiths dem Indierock eines seiner musikalisch glänzendsten
Gewänder schneiderte, reicht die Riege erstklassiger Unterstützer des ehemaligen
Softboys Robyn Hitchcock auf seinem 17. Album, kurz davor rangieren Led
Zeppelins John Paul Jones, Pubrock-Papst Nick Lowe und Peter Buck von R.E.M.,
der sogar als integrales Venus-3-Mitglied firmiert. Gewisse Charakteristika
liegen also schon auf der Hand: erstklassiges Songwriting, das R-’n’-R- und
R-’n’-B-Vokabular in Perfektion, gern psychedelisch klingelnde Gitarren überall,
gern in Formation. Hitchcock singt das Material – eine Art Folksongs in
transparenter Folkrockgarderobe -, ohne den überbordenden Wohlklang dabei zu
torpedieren, mit schneidender Präsenz. Und The Venus 3 und Gäste jubilieren
dazu, wenn’s passt – „Sickie Boy“! – als seien die Beatles und die
Byrds zusammen bei Laune ...
Christian Beck
| |
|
TERJE ISUNGSET
Wintersongs
(All Ice Records ALLICE1006/Grappa/Galileo MC, www.galileo-mc.de
)
11 Tracks, 49:58
Als es noch keine Möglichkeit gab, Töne und Klänge zu speichern und bei Bedarf
zu reproduzieren, bezeichnete man Musik gerne auch als die „flüchtige“ Kunst,
denn kaum, dass der letzte Ton verklungen war, verflüchtigte sich das
musikalische Kunstwerk und lebte nur noch im Gedächtnis seiner Zuhörer weiter.
Zurück blieben Instrumente und Noten als einzige Option, das Gehörte zukünftig
noch einmal zum Leben erwecken zu können. Diesen Aspekt der Vergänglichkeit
greift der norwegische Komponist und Schlagwerker Terje Isungset auf, indem er
auch die Instrumente für seine Musik aus einem Material formt, das sich bei
entsprechenden klimatischen Bedingungen verflüchtigt: Eis! Zum Einsatz kommen
hier die Eisvarianten von Harfe, Gitarre, Perkussion, Horn und Xylofon, ja sogar
das norwegische Nationalinstrument, die Hardangerfiedel, gibt es in der
Tiefkühlversion. Aufgeführt in XXL-Iglus während zweier Eismusikfestivals in
Norwegen und Italien, begleitet von Lena Nymark (voc) als kongenialer
Duopartnerin und diversen Gastsolisten, hat Terje Isungset ein wundervolles
Stück Naturmusik geschaffen. Und schön, dass wir inzwischen dank mobiler
Aufnahmetechnik daran teilhaben können.
Walter Bast
| |
|
PASCAL LAMOUR
Avais-Je Rêvé?
(BNC/Coop Breizh DB 13, www.breizh.de
)
10 Tracks, 42:11, plus DVD, ca. 30:00, mit breton. Texten u. frz. Übersetzung
Welch ein Kontrast. Ausgerechnet ein alter Mann macht die modernste Folkmusik
der Bretagne. Pascal Lamour ist zwar erst knapp über fünfzig, doch wirkt der
kleine Mann mit seinem weißen dünnen Haar und der leicht buckligen Erscheinung
deutlich älter. Musikalisch ist er der Jugend aber lange voraus. Seit zwei
Jahrzehnten schon experimentiert der Sänger und Multiinstrumentalist –
Bombarde, Keyboards, Gitarre, Hackbrett – mit elektronischen Sounds.
Passend zu seinem Äußeren und seinem Interesse an Druidismus nennt sich Lamour
auch Elektroschamane. Sein neues Album Avais-Je Rêvé?
geht diesen Weg konsequent weiter. Leider plätschern viele Stücke nur vor sich
hin. Gut ist Lamour aber immer dann, wenn die Musik den packenden Groove
bretonischer Tanzmusik mit griffigem Elektrosound bündelt, etwa bei den Tracks
„Minoarh“ und „Enig Roial“. Die beigelegte DVD gibt in einer halbstündigen
Reportage Einblick in das Denken und Arbeiten Lamours. Dort erfährt man zum
Beispiel, dass er eigentlich Apotheker ist. Also doch ein Druide.
Christian Rath
| |
|
LAURA & THE COMRATS
Creating Memories
(Lindo Records lindo 009/Broken Silence, www.brokensilence.de
)
11 Tracks, 41:28, mit engl. Texten
Die Wiener Sängerin Laura Rafetseder singt ihre selbstgeschriebenen
Folkpopballaden in Englisch. Vor zwölf Jahren kam die Niederösterreicherin vom
Land in die Hauptstadt und ist seitdem Teil der Wiener Singer/Songwriter-Szene.
Mit ihrer Band, den Comrats, hat die Dreißigjährige jetzt ihr erstes Album
aufgenommen. Die Kompositionen gehen alle ins Ohr und können sich auch
international hören lassen. Die von Kritikern vielgelobte Stimme Rafetseders
entpuppt sich allerdings als durchschnittlich. Für den besonderen Pfiff sorgt
eher Michael Huber an Leadgitarre und Mandoline. Zu den Comrats gehören außerdem
Martin Mixan am Bass und Marc Bruckner an den Drums. Der Albumtitel Creating Memories
ist den drei Babys gewidmet, die die Bandmitglieder inklusive Rafetseder
während der Produktion des Albums bekamen – man wollte ihnen bleibende
Erinnerungen hinterlassen. Die besten Tracks – „Rise“ und „Vast Gigantic
Sea“ – finden sich, psychlogisch geschickt, am Anfang und Ende des
Albums.
Christian Rath
| |
|
LYDOM & HØIRUP
Svip Svap Svolstikke
(GO’ Danish Folk Music GO0510, www.gofolk.dk
)
13 Tracks, 50:11, mit dän. und engl. Infos
Gitarrist Morten A. Høirup macht seit dreißig Jahren Musik. Richtig bekannt
geworden ist er mit dem Duo Haugaard & Høirup. Und wie eine Trennung auch
befreien kann: Er scheint jetzt mehr Zeit für Neues zu haben. Mit dem
Akkordeonisten Sonnich Lydom hat er seit den Achtzigerjahren öfter irische und
frankokanadische Musik gemacht. Sie teilen aber auch die Begeisterung für die
dänische Folkmusik des 18. und 19. Jahrhunderts. In diesem ersten gemeinsamen
Projekt spielten sie mit Gastmusikern meist ruhige Melodien ein. Eine Polka
fehlt mit „Cornelius Polka“ natürlich trotzdem nicht. Einige der insgesamt 18
Stücke sind in Sets zusammengefasst. Sie kommen aus dem Repertoire von Sonnich
Lydom, etwa aus Notenbüchern von der Insel Fanø, oder sind Kompositionen von
Morten Høirup, wie „Frændeløs“ (dän. „Geächtet“), inspiriert von der Musik
Fanøs, „Huset Ved Havet“, das Haus am Meer, wo man innere Ruhe finden möge, und
„Boulevarden“, das einer Straße seines Heimatorts Frederiksberg gewidmet ist.
Drei Lieder singt Channe Nussbaum mit ihrer berührenden Altstimme, eines davon
als Zweitstimme zu Høirup. Seine Singstimme war bisher kaum bekannt; sie ist
ehrlich und einfühlsam. Mehr davon!
Bernd Künzer
| |
|
SARAH MACDOUGALL
Across the Atlantic
(Copperspine Records CPS 743, www.sarahmacdougall.com
)
10 Tracks, 37:37
Die schwedische Singer/Songwriterin Sarah MacDougall hat den Titel
Across the Atlantic
nicht von ungefähr gewählt – sie ist jetzt im kanadischen Vancouver
ansässig geworden. So wechseln sich europäische Elemente wie der Polkabeat mit
amerikanischen Countryballaden voller sehnsüchtiger Dobroklänge ab.
Gleichzeitig setzt sie dem Jazz entliehene Instrumente wie Euphonium, Trompete
und Klarinette ein oder lässt mehrfach Walzerrhythmen erklingen. Ein subtiles
Bezugsmuster amerikanischer und europäischer Momente „über den Atlantik“ hinweg
also. Doch Europa scheint sie persönlich abgehakt zu haben: Der Opener startet
wie aus einer fern zurückliegenden Zeit mit einer Grammofonstimme und erzählt
von Abschied, bis sich leise Dobroklänge einmischen und das Stück in vollem
Hi-Fi-Sound losgeht. So kann man seine Geschichte eben auch ausdrücken.
MacDougalls Stimme erinnert entfernt an Melanie Safka, ein bisschen gebrochen
und wehmütig, aber umso individueller. Dennoch mischt sie einige frohgelaunte
Ohrwürmer wie den Ragtime „Crow’s Lament“ unter. Ein Album voller
unkonventioneller Arrangements und stimmungsmäßiger Kontraste zwischen
besinnlich und humorvoll.
Hans-Jürgen Lenhart
| |
|
BRIAN MCNEILL
The Baltic Tae Byzantium
(Mad River Records/Greentrax Recordings CDTRAX341, www.greentrax.com
)
11 Tracks, 51:43, mit engl. Texten u. Infos
BRIAN MCNEILL/DRONES & BELLOWS
The Crew O’ The Copenhagen
(Fenn Music Service FMS 2102, www.fenn-music.de
)
11 Tracks, 55:35, mit engl. Texten u. Infos
Nach einem längeren akademischen Intervall ist der gewichtige Schotte zu seinen
Wurzeln zurückgekehrt: Lieder schreiben, Alben aufnehmen und ab auf Tour. Der
Untertitel des aktuellen Albums sagt es: „Tales Of The Scots In Europe“ –
und zwar vornehmlich Richtung Osten. So schließt der Multiinstrumentalist an
sein Meisterwerk Back O’ The Northwind
von 1991 an, auf dem er die Abenteuer seiner Landsleute in Nordamerika
verfolgte. Die Songs und Tunes sind ebenso hochkarätig wie die Gäste, zum
Beispiel Dick Gaughan oder Patsy Seddon, auch wenn diese lehrreiche
Ostgeschichte – beim ersten Hören – nicht so eingängig klingt wie
die Westversion. Brian McNeills Zusammenarbeit und Freundschaft mit dem
dänischen Quartett Drones & Bellows ist eine lange und bewährte. Sie gibt
ihm die Chance, fünf weitere seiner Klassesongs unterzubringen, die durch sechs
Instrumentalsets ergänzt werden. Das Titelstück ist ein besonderer Ohrwurm mit
einer überaus interessanten Geschichte und wird gewiss ein Klassiker werden.
Qualität gepaart mit Inhalt, das ist Brian McNeill sowohl solo als auch mit
Drones & Bellows.
Mike Kamp
| |
|
JOHN MCSHERRY
Soma
(Compass Records 7 4358 2/Sunnymoon, www.sunny-moon.com
)
10 Tracks, 39:39, mit Infos
John McSherry gehört seit vielen Jahren zur Oberliga der irischen Uilleann
Piper. Sein sanfter Sound begeisterte Hörer von Alben und Bands wie Donal
Lunnys Coolfin oder At First Light, er sorgte als Gründungsmitglied mit dem
Jahrtausendensemble Lúnasa für Furore. McSherry befleißigt sich eines
hochmodernen Stils, des „open piping“, also sehr legato und cremig klingend,
dabei zeigt er gerade auf seinem hier vorliegenden ersten wirklichen Soloalbum,
dass er auch sehr komplexe stakkatierte Verzierungsfolgen mit enormer Präzision
und schier unglaublicher Fingerfertigkeit beherrscht. Einen auffallend hohen
Stellenwert misst er dabei den klassischen Pipingelementen bei und erreicht
dabei ein Maß an Virtuosität, das sich mit klassischen Virtuosen vergleichen
lässt. Sein Vorbild Paddy Keenan ist immer noch herauszuhören, dennoch hat
McSherry einen sehr eigenen, fast unverwechselbaren Stil entwickelt. Der neue
Chanter nach dem Diebstahl seines Uilleann-Pipes-Sets klingt vielleicht etwas
weniger fröhlich und mehr gedeckt als der alte, aber insgesamt ist die
Produktion, die etwa von Donal O’Connor (Fiddle), Ruben Bada (Bouzouki) und
Paul McSherry (Gitarre) veredelt wird, ein Ohrenschmaus.
Johannes Schiefner
| |
|
OQUESTRADA
Tasca Beat – O Sonho Português
(Jaro Medien JARO 4295-2, www.jaro.de
)
Promo-CD, 13 Tracks, 43:35
„Hinweis: Oquestrada spielen keinen Fado, sie zelebrieren den Fado und die
Fadistas; Oquestrada spielen keine Weltmusik, sie zelebrieren die Welt auf
portugiesische Art.“ Besser als mit diesem Eintrag auf ihrer Website könnte man
die Musik des Quintetts nicht umschreiben. Versuchen wir trotzdem, noch ein paar
Fakten zu dieser sympathischen Kapelle und ihrem locker leichten Erstling
hinzuzufügen. Der Name ist ein Wortspiel mit „Orquestrar a Estrada“; die Gruppe
macht die Straße zur Bühne. Dazu braucht es gut transportierbare Instrumente.
Also Gitarren, portugiesische Gitarre, Akkordeon, Perkussion, einen einsaitigen
Kontrabass Marke Eigenbau, eine Posaune. Und eine Sängerin, die Blicke und Ohren
auf sich zieht. Abwertend könnte man Tasca Beat, diesen
unwiderstehlichen Mix aus portugiesischen, kapverdischen und
brasilianischen Einflüssen, gesungen auf Portugiesisch, Spanisch und
Französisch, als portugiesische Mestizovariante bezeichnen. Doch diese
Etikettierung greift zu kurz. Oquestrada hatten keine Wahl, ein eigenes Etikett
musste her: Tasca Beat ist der Rhythmus der Tasca-Bars, der kleinen Tavernen.
Die aktuelle, nostalgische, luftig verspielte Sommermusik aus Lissabon.
Martin Steiner
| |
|
SCAN TESTER
I Never Played To Many Posh Dances
(Topic Records TSCD581D, www.topicrecords.co.uk
)
Do-CD, 55 Tracks, 100:17, mit engl. Infos
EWAN MacCOLL
Ballads
(Topic Records TSCD576D, www.topicrecords.co.uk
)
Do-CD, 29 Tracks, 139:59, mit engl. Texten u. Infos
LOUIS KILLEN
Ballads And Broadsides
(Topic Records TSCD126, www.topicrecords.co.uk
)
9 Tracks, 33:35, mit engl. Infos
Eine weitere Serie von Jubiläumswiederveröffentlichungen, die eines gemein
haben: Sie sind für Hardcorefolkies gedacht. Beispiel eins: Scan Tester mit 55
englischen Konzertinatunes. Den Mann aus Sussex (1887-1972) bezeichnet das Label
als „one of the greatest traditional musicians this country has produced“. Er
spielt auch Fiddle, Melodeon und Tamburin, aber die Aufnahmen aus den Fünfzigern
sind eher etwas für Konzertinafreaks und Folkarchäologen. Beispiel zwei: der
mächtige Ewan MacColl mit weit über zwei Stunden unbegleitet gesungenen Balladen
aus dem gesamten Königreich. Auch hier sind die Archäologen die Zielgruppe
– sie werden eine Riesenfreude an dem vorbildlichen 64-seitigen Beiheft
haben. Beipiel drei: der jugendliche Louis Killen aus dem County Durham. Er
veröffentlichte sein Debüt 1965 und wurde als Sänger von großer Integrität und
Individualität gepriesen. Auch hier liegt trotz zweimaligen Einsatzes der
Konzertina der Schwerpunkt auf A-capella-Gesang, doch die halbe Stunde englische
Balladen sind im Gegensatz zu Ewan MacColls Ballads für Nicht-Spezialisten
eher zu bewältigen.
Mike Kamp
| |
|
CHRIS SIMMANCE
Moving Roots
(Way Out Records, www.simmance.de
)
14 Tracks, 43:35, mit engl. Infos und Texten
Man glaube nicht, Straßensänger sei ein leichter Beruf voller Musik und
Leichtigkeit! Und da die beste Muse für Poesie und Liedermacherei ein Leben ist,
das nicht alle Sehnsüchte erfüllt, ist Chris Simmance äußerst kreativ. Tonträger
Nummer einundzwanzig seit 1981 legt wieder Zeugnis ab vom Leben des in Schwaben
lebenden südenglischen Straßenmusikers, der sein eigenes Tonstudio in seinem
Wohnmobil hat, mit dem er durch die Lande reist, um dem geschäftlichen Treiben
in Fußgängerzonen einen Hauch von Musikfestival zu verleihen, für eine
freiwillige Spende als Eintrittspreis. Die Texte bewegen sich diesmal zwischen
Heimweh („Moving Roots“) und Aufbruch („New Town Feeling“), Sehnsucht nach
verflossener Liebe („Vision“) und Sommerfreude („Sing Cucuu“), dem Leid an der
dahinfließenden Zeit („Gentle Time“) und dem Räsonieren über die Schwierigkeiten
(„No Future“) und Schönheiten des Straßensängerlebens („Streetsinger“, seit der
ersten Begegnung mit Simmance ein Lieblingslied des Rezensenten; hier neu
aufgenommen). Der Verzicht auf Perkussion und Computerklänge bekommt den Liedern
sehr gut, der auf das Akkordeon und die reine Beschränkung auf die Gitarre
hätten aber nicht sein müssen.
Michael A. Schmiedel
| |
|
ANDERS SVENSSON & MAGNUS GUSTAFSSON
Bålgetingen – Låtar Efter August Strömberg, Jät
(GIGA GCD-81/82, www.giga.w.se
)
Do-CD, 60 Tracks, 151:06, mit schwed. und engl. Infos
„Die Hornisse – Melodien nach August Strömberg aus Jät am Åsnen-See“. Etwa
tausend Melodien hat der Spielmann August Strömberg (1860-1947) aus dem
schwedischen Småland hinterlassen. Die jeweils als „Riksspelman“ ausgezeichneten
Geigenspieler Magnus Gustafsson und Anders Svensson haben daraus hundert Lieder
ausgewählt und mit Susanne Gustafsson (Zither), Anders Löfberg (Kontrabass,
Cello) und Jörgen Axelsson (Harmonium) eingespielt. Sechzig davon liegen hier
nun vor. „Du sollst spielen wie eine Hornisse, zum Teufel“, sagte Strömberg
einmal zu einem Schüler. Das haben sich die Musiker bei Bålgetingen
wohl zu Herzen genommen, denn trotz der riesigen Menge an Melodien ist es ihnen
geglückt, in einer Art zu spielen, die nicht nur bei Geigenspielern keine
Langeweile aufkommen lässt. Mit diesem Projekt lebt die Musik Strömbergs auf,
wird damit eine Quelle für Tausende von Geigenspielern in Schweden und anderswo
sein. Im Booklet sind ausführliche Informationen zu jedem Stück. Magnus
Gustafsson spielt in den Gruppen Sågskära, mit Anders Svensson, und Höök,
organisiert seit 25 Jahren das Korrö-Folkfestival und ist unter anderem Leiter
des seit 1992 bestehenden Småland-Musikarchivs sowie Musikautor und
-journalist.
Bernd Künzer
| |
|
THE TALLEST MAN ON EARTH
The Wild Hunt
(Dead Oceans/Cargo Records 42971, www.cargo-records.de
)
10 Tracks, 34:44
Hinter dem seltsamen Pseudonym The Tallest Man on Earth versteckt sich nicht
etwa Bob Dylan, wie man beim Hören glauben könnte, sondern der schwedische
Folksänger Kristian Matsson. Tatsächlich wirkt dieser dem frühen Dylan ungemein
ähnlich, dennoch überzeugt Matsson musikalisch so sehr, dass man solche
Vergleiche gleich wieder vergessen sollte. Er hat zwar die gleiche nasale
Intonation wie das frühe „Sprachrohr seiner Generation“ und spielt zudem die
gleiche Art von schmucklosen Songs, aber Matsson ist vor allem dynamischer als
Dylan, der sich mit seinem Nuschelgesang ja schon vor Zeiten nicht nur Freunde
machte. Matssons Stimme ist schneidig, gepresst, sich manchmal überschlagend,
fast krächzend und wie er in die Saiten seiner Gitarre schlägt, ein
anpeitschendes Tempo vorlegt, da nimmt man ihm ab, dass er angeblich auf der
Bühne eine Show mit viel überschüssigem Adrenalin bietet. Vor allem ist da einer
am Werk, dem man die Inbrunst seines Vortrags abnimmt, der in seinen Liedern
aufgeht, der nicht nur unterhalten möchte. Ursprünglicher Folk, der mit der
Hingabe eines Headbangers gespielt wird. Kultverdächtig.
Hans-Jürgen Lenhart
| |
| |
FOLKER auf Papier
|
---|
Dieser Artikel ist ein Beispiel aus der Print-Ausgabe!
Bestelle sie Dir! Einfach das Schnupper-Abo!
bestellen und
drei Ausgaben preiswert testen. Ohne weitere Verpflichtung!
Oder gleich das Abo
?
|
|