FOLKER –
FOLKER
präsentiert:
20. TFF Rudolstadt

Redaktioneller Hinweis: Zur Wahrung der Authentizität wurden die damalige Rechtschreibung wie verwendete Schreibweisen weitgehend beibehalten, nur korrigiert, wo tatsächliche Druck-, Tipp- oder orthografische Fehler vorlagen.

Anlässlich der diesjährigen 20. Ausgabe des TFF in Rudolstadt dokumentiert der Folker in dem folgenden Onlinebeitrag einer Diskussion im Rahmen des Profolk-Treffens im November 1990 im hessischen Bad Hersfeld, das mit den Grundstein legte für das ein halbes Jahr später in seiner heutigen Form aus der Taufe gehobene Tanz- und Folkfest. Hierbei handelt es sich um die Wiedergabe eines Beitrags, der in zwei Teilen in den Ausgaben 3 und 4/1991 des Folk-Michel, einer der beiden Vorgängermagazine des Folker, abgedruckt war.

Die deutsch-deutsche Folk-Szene
nach der Vereinigung

Ganz im Zeichen der deutsch-deutschen Vereinigung lief das ProFolk-Herbsttreffen in Bad Hersfeld ab (9.-11.11.1990). Verständlicherweise stand in den Diskussionen die Verbandsarbeit im Vordergrund: hie (BRD) ProFolk – dort (DDR) Verband der Folkloristen, aber auch Folkies, die sich durch letzteren Verband nicht repräsentiert sehen. Im Anschluß an das Treffen setzten sich „Experten“ aus den beiden deutschen Staaten zusammen, um über Aspekte der damit auch einhergehenden Vereinigung der beiden Folk-Szenen zu diskutieren. Ein Wort zum Interview: Im Gegensatz zu Wolf Biermann ist bei uns „hier“ auch wirklich „hier“, d. h. der Grund und Boden der elf alten Bundesländer.

Folkländer ca. 1978. Von links.: G. Lattke, U. Doberenz, J. B. Wolff, M. Wagenbreth, E. Kross

Folkländer ca. 1978
Von links.: G. Lattke, U. Doberenz, J. B. Wolff, M. Wagenbreth, E. Kross

Am (fast runden) Tisch saßen: Michael Kleff (MIK, Bonn, Folk-MICHEL), Diskussionsleiter; Ulrich Doberenz (UD, Folkclub Leipzig, Ex-Folkländer-Manager, Plattenlabelchef); Bernhard Hanneken (BH, Bonn, Folk-MICHEL); Steffen Junghans (SJ, Berlin/Ost, Gitarrist und Konzertveranstalter); Jens-Peter Müller (JPM, Grasberg, Musiker, ProFolk-Vorsitzender); Reinhard „Pfeffi“ Ständer (PF, Hoyerswerda, Jugendclub-Veranstalter); Sabine Schumann (SS, Berlin/Ost, Musikerin, Verband der Folk-Musiker); Berthold Seliger (BS, Fulda, Konzertagent); Peter Uhlmann (PU, Folkclub Leipzig, Musiker); Colin Wilkie (CW, Stockheim, Musiker).

MIK: Colin, konfrontiert mit dem, was man deutsch-deutsche oder gesamtdeutsche Szene nennt, was hast du an Eindrücken gewonnen? Wo steht deiner Ansicht nach diese deutsche Folk-Szene?

CW: Die Leute aus dem Osten sind zuerst einmal wunderbare Musiker. Ich sehe keinen Grund, warum Osten und Westen nicht zusammenkommen könnten, um eine richtige, große deutsche Szene aufzubauen. Ich wohne in Deutschland seit 1966 und habe diesen Aufbau der Folk-Musik-Bewegung im Westen miterlebt. Als Shirley und ich nach Deutschland kamen, haben sie griechische Lieder gesungen, russische Lieder, jiddische Lieder, englische Lieder, irische Lieder, aber keine deutschen Lieder, außer Peter Rohland und Hein + Oss Kröher. Dann kamen langsam die Liedermacher wie Degenhardt, Süverkrüp, Moßmann usw., aber die jungen Deutschen haben immer ausländische Musik gesungen. Dann haben sie langsam herausgefunden, daß sie auch eine sehr lebendige, eine sehr schöne Tradition haben. Und jetzt gibt es so viele gute deutsche Liedermacher oder Songwriter, sehr gute Leute, die deutsche traditionelle Musik singen. Ich bin ganz sicher, daß auf dieser anderen, eingekapselten Seite Deutschlands die Tradition da ist, vielleicht stärker da ist als hier, wo immer die Franzosen, Holländer, Engländer usw. kommen und ihre Einflüsse einbringen konnten. Es würde mich interessieren, ob diese Tradition im Osten gefestigter ist als im Westen. Ich weiß nicht, ob das eine Antwort auf die Frage ist, aber es ist schön geschwätzt!

UD: Es gab zwei verschiedene Entwicklungen bei uns in der DDR. Schon alleine durch die Abgrenzung hatten wir territorial wenig Chancen zu sehen, was im Ausland wirklich passierte und wie sich dort gerade die Folk-Musik entwickelte. Leider hatten wir durch die politischen Verhältnisse ein noch gebrocheneres Verhältnis zur Tradition bei uns. Das Revival, wenn ich es mal so nennen darf, ist bei uns ein bisschen später entstanden, weil Anfang der 70er Jahre die Singe-Bewegung und die Liedermacherszene im Vordergrund standen, was ja auch, wie man heute feststellen kann, zum großen Teil so gesteuert wurde. Und erst Ende der 70er Jahre kamen wir zur Folk-Musik. Meine Meinung ist, daß das in der DDR auch ein paar Vorteile hatte. Das sieht man an dieser Szene, die existiert. Ich habe immer den Eindruck gehabt, daß in der BRD alles ein bisschen zersplitterter ist als bei uns. Bei uns hat es in letzter Zeit Auffassungsprobleme unter Folkleuten gegeben. Aber ansonsten war das immer eine große Familie, die sich alle kannte. Das ist, so habe ich den Eindruck, hier nicht so. Bei uns herrschte auch nie so ’n Konkurrenzkampf unter den Gruppen; den brauchten wir nicht. Im Prinzip hatte jeder dieselbe Chance, man mußte nur halt die entsprechende Qualität bringen, manchmal war es noch nicht einmal qualitätsabhängig. Ich habe, eigenartigerweise, zuerst mit Leuten von hier gearbeitet, die im Level ein bisschen oben stehen, mit Werner Lämmerhirt oder Peter Finger. Und da ist irgendwie die Atmosphäre ein bisschen kühler. Aber bei uns gab es auch einfach nicht eine Gruppe, die ganz oben war, oder eine, die Anfänger waren, zumindest in der ersten Zeit nicht. Und vielleicht, das ist so eine Hoffnung, könnte man davon noch einiges retten.

BH: Wobei ich eins interessant finde: Das kapitalistische System geht ja eigentlich davon aus, daß gerade dieser Konkurrenzkampf zu einer Auslese führt und mithin auch zu einer besseren Qualität. Wir haben aber festgestellt, daß die Situation doch eher umgekehrt ist, daß das also bei uns gar nicht so sehr zur Qualitätssteigerung einzelner Musiker oder Gruppen geführt hat, sondern daß im Gegenteil diese relative Sicherheit, in der die DDR-Gruppen gearbeitet haben, dennoch dazu geführt hat, daß heute noch bei uns der Eindruck entsteht, daß die DDR-Gruppen insgesamt gesehen qualitativ besser sind als unsere.

CW: Das glaube ich nicht. Ich glaube, es gibt in West-Deutschland, muss man immer noch sagen, ganz tolle Gruppen. Ich denke an Liederjan, Lilienthal ...

JPM: Nostalgie! Ich glaube, du hast einen Punkt vergessen: daß Qualität auch honoriert wird, entweder in Münze oder sonstwie. Und das hat ja nicht stattgefunden. Der kapitalistische Musikmarkt geht nicht unbedingt nur nach Qualität, sondern da werden auch ganz schön Sachen „gemacht“. Die Strukturen wollen wir jetzt nicht alle aufzählen, da müßte man lange reingucken. Ich würde das schon unterstützen, die hohe Qualität der DDR-Musiker insgesamt. Aber da konntet ihr bei euch von verschiedenen Liederwerkstätten, von Zusammenkünften, vom Handwerk lernen. Die Schule, durch die ein Künstler in der DDR gehen mußte, die war ganz wichtig, die gab es hier nicht. Und das, glaube ich, ist eher entscheidend.

UD: Das darfst du nicht so hoch ansetzen. Meiner Meinung nach zieht sich so ’n bisschen ein Mittelmaß durch. Wenn ich solche Gitarristen wie Lämmerhirt oder Finger sehe, die gibt es in der DDR einfach nicht. Es gab ein paar Vorzeigeleute wie Ralf Kothe, aber der war als Gitarrist ein Witz gegen diese Leute. Das konnte sich einfach nicht so richtig entwickeln, weil es auch kulturpolitisch ganz anders war. Die Leute, die wirklich gut waren auf einem Instrument, die machten ja was ganz anderes, aber keine Folk-Musik!

MIK: Liegt das vielleicht auch am System, daß durch die verschiedenen Stufen bei der Einstufung einerseits, andererseits aber auch, daß, egal, wieviele Leute im Clubhaus waren, der Gig bezahlt wurde, weil es im Kulturetat des Jugendhauses halt drin war, daß sich auch viel Mittelmaß halten konnte. Dem Künstler konnte unter dem Strich egal sein, ob fünf oder 100 da waren. Sein Geld bekam er. Das ist ja jetzt ganz anders, weil, wenn zweimal fünf kommen, sich keiner mehr finden wird, der ihn einlädt.

UD: Man mußte natürlich bei uns bisher zwischen der Amateur- und der Profiszene unterscheiden. Wir hatten ganz wenig Profis. Es sind ja nur drei, vier Gruppen gewesen, Horch, Wacholder, Folkländer damals, und ein paar Einzelleute, und dann hört es aber auch schon auf. Wobei hier ja die Profiszene viel größer ist als bei uns. Die wenigen Profis hatten es natürlich nicht schwer, problemlos Konzerte zu kriegen und dementsprechend auch zu leben.

SS: Es war aber auch für die Amateurgruppen verhältnismäßig einfach, Auftritte zu kriegen, weil natürlich immer irgendwelche zentralen Strukturen vorhanden waren, die vermittelt haben, weil man ja registriert war, von der Einstufung her und so weiter. Und wo Bedarf war, da wurde eben gefragt: Wollt ihr? Wollt ihr nicht? Und auf diese Art und Weise brauchte sich auch ’ne Amateurgruppe kaum selbst zu kümmern. Es war immer so, daß man durch Mund-zu-Mund-Propaganda zu Auftritten kam, egal, wie du schon sagtest, ob die besucht waren oder nicht. Man hat sein Geld gekriegt. Aber ich glaube, das war nicht das eigentlich entscheidende. Die meisten haben diese Musik auch nicht für Geld gemacht, gerade in der Amateurszene. Die haben es einfach gemacht, weil es ihnen Spaß gemacht hat. Ich sehe für die Zukunft die Gefahr, daß in dem Moment, wo sich alles daran orientiert, wie viele Zuschauer ich kriegen kann, wenn ich zum Beispiel ein Folk-Programm mache, ein ganzer Teil der Amateurgruppen abstürzen wird. Das ist meine Befürchtung. Das Genre ist im Prinzip für Minderheiten gemacht, und da wird in der Zukunft auch bei uns die Qualität ’ne wesentlich größere Rolle spielen als eben die Masse.

MIK: Wird das auch Einfluss haben auf die Musikauswahl?

SS: Es wird auf jeden Fall Einfluss haben auf die Breite, nehme ich an, also, wieviele Leute Musik machen, und es wird natürlich auch auf die Qualität Einfluss haben bzw. haben müssen. Das ist wohl vorprogrammiert. Inwiefern das nun immer positiv ist, sei dahingestellt.

BS: Ich glaube, daß es einen ganz wichtigen Unterschied, zumindest in Teilen der Szene, die ich mit Liederleuten beschreiben möchte, zwischen den beiden „Deutsch-Ländern“ gegeben hat und damit notwendigerweise auch noch weiter geben wird: Liederleute in der DDR hatten eine Rolle; sie haben politisch etwas dargestellt, wofür dann halt auch die Leute in die Konzerte gekommen sind, in Massen, in denen sie bei uns nicht kommen. Wenn eine Barbara Thaiheim oder ein Gerhard Schöne oder Wenzel + Mensching durch die großen Theater der DDR getourt sind, dann waren da eben Tausende von Leuten, jeden Abend, und die große Halle in Suhl, was wirklich ein Kaff ist, war mit 4.000 Leuten voll. Und das hing damit zusammen, daß die viel mehr in der gesellschaftlichen Realität standen, durch die Rolle, die sie hatten: Wenn die den Mut hatten, das zu formulieren, was sie gedacht haben – es gab ja nun auch viele Feige, das wollen wir nicht beschönigen -, haben sie das eben als einzige getan. Sie haben ihre Freiräume genutzt, und dafür hatten sie ihr Publikum von Leuten, die ähnlich dachten und diese Oppositionsrolle getragen haben. Ich beobachte das in der BRD schon seit Jahren nicht mehr, daß Liederleute wirklich so in einem politischen Brennpunkt stehen. Das gab es vielleicht zum letzten Mal in Hochzeiten der Friedensbewegung oder Anti-AKW-Bewegung, wo Moßmann so eine Rolle zum Teil ausgefüllt hat. Aber ich glaube, daß das eine ganz wichtige Rolle ist, die die DDR-Liederleute hatten. Und da gibt es ganz unterschiedliche Erfahrungen, die auch eine Rolle spielen, für das, was heute besteht. Denn natürlich kauen gerade diese politischen Liederleute in der DDR daran, daß sie dieses Publikum heute nicht mehr haben, weil es heute auch einfach nicht mehr so wichtig ist, diese Position gegen dieses SED-Regime so zu formulieren und da Freiräume zu nutzen. Ich hatte neulich ein Gespräch mit dem Menschen vom Unterhaus in Mainz, der die Szene bei uns sehr gut beobachtet. Der sagte mir, wenn die DDR-Liederleute das schaffen, sich in der BRD durchzusetzen, dann haben viele bundesdeutsche Leute keine Chance mehr, einfach deshalb, weil die DDR-Leute qualitativ wesentlich besser sind, musikalisch viel besser sind. Als Veranstalter und Konzertagent bin ich natürlich auch froh, daß dieser Exotismus weg ist, also diese Neger, die zufällig noch gleichzeitig deutsch sprechen und die man von der Haustür kaufen kann. Auf der anderen Seite ist das natürlich auch ein Problem, weil das im Hinterkopf trotzdem noch abgespeichert ist. Barbara Thalheim ist eben die große DDR-Liedermacherin, aber das ist verrückt. Ich denke, daß die großen DDR-Leute es immer sehr gut gekonnt haben, uns auch Sachen zu sagen, die für unsere Lebensverhältnisse genauso wichtig waren. Mich hat als Rezipient auch immer dieser Zusatzkontext DDR interessiert, aber mich hat erst mal interessiert, was sagt mir als Person in der BRD ein Text von Thalheim oder Sonnenschirm usw. Das hat immer gut funktioniert. Die guten Leute schaffen das. Und deshalb glaube ich, daß eine große Chance besteht, daß eine künstlerische Befruchtung in einer dann gesamtdeutschen Szene erfolgen kann, wovon beide Seiten profitieren können, wodurch der Qualitätslevel insgesamt nach oben geschraubt wird.

Gerhard Schöne
Gerhard Schöne

BH: Wobei das, was du gesagt hast, für die Vergangenheit zumindest genauso auf die Folk-Gruppen zutraf.

BS: Das kann ich nicht beurteilen.

BH: Da lag ja die gesellschaftliche Relevanz nicht in den eigenen Texten, sondern in dem, was sie ausgewählt haben und wie sie es arrangiert haben. Das berühmteste Beispiel sind die Folkländer mit ihren vielen musikalischen Zitaten, die sie eingestreut haben, bei denen das Publikum sehr genau gemerkt hat, wo es herkam, wenn z. B. in ein Auswandererlied hineinkam „Let’s go to San Francisco“, oder ein Zitat einer verbotenen Gruppe wie Renft. Oder wenn in Handwerksliedern gesungen wurde: „Wir gehen nach Hamburg“: Das war für die DDR nicht erreichbar. Insofern gab es in der DDR auch bei den traditionellen Liedern immer ein „Zwischen-den-Zeilen-Lesen“. Das ändert sich aber für die Zukunft. Denn dieses „Zwischen-den-Zeilen-Lesen“ ist durch die Veränderung im politischen Bereich nicht mehr so einfach möglich. Der Bedarf ist nicht mehr da. Bei den Liederleuten ist es etwas anders. Da ist ja auch eine ganz andere literarische Qualität und ein ganz anderer Umgang mit Sprache vorhanden als bei uns. Da spürt man auch noch eine ganz andere Betroffenheit. Wecker ist schon längst nicht mehr betroffen.

MIK: Dieses Problem wird aber auch für die Liederleute bleiben. Sie brauchen jetzt de facto nicht mehr so mit Sprache arbeiten.

BS: Sie müssen nicht, sie können aber trotzdem!

MIK: Sie können theoretisch, aber sie müssen nicht mehr. Wenn man das zurückblickend sieht, war dieser Umgang mit Sprache auch ein Ergebnis der Situation: Einen Text zu machen, der genaugenommen zwei Inhalte hatte: einen, wie man ihn liest, und einen, wie er sich aus dem Zusammenhang ergibt für die Leute. Und deshalb sind sie gekommen.

JPM: Ich würde da ein bisschen widersprechen und dies nicht nur auf den politischen Kitzel reduzieren. Ich denke, man zahlt sein Lehrgeld, man lernt irgendwo. Da gab es zum Beispiel das Frankfurter Chanson-Festival, wo ein unheimlicher Reiz bestand, auch ein Wettbewerbsanreiz, und wo man Kontakte geknüpft hat. Das war kein konkurrenzfreier Raum. Bei den Folkies habe ich das Gefühl, daß eine sehr starke Auseinandersetzung auch mit den Traditionen stattfindet, z. B. mit Brecht, mit Eisler. Manchmal war das ein Krampf in der Schule, aber ich habe gemerkt, die haben einfach einen fundierteren Hintergrund. Dann die vielen Auftrittsmöglichkeiten, die es auch für die Amateurszene gab. Durch Auftritte lernt man den Umgang mit dem Publikum. Es kann vielleicht sein, daß sich das angleicht, aber auch nur dann, wenn es diese Foren gibt, Auftrittsmöglichkeiten, Werkstätten, und wenn es Anreize gibt, durch Wettbewerbe oder durch Medien, wie z. B. eine Lieder-Bestenliste. Wenn es interessant wird, wenn es gerade auf der Folk-Szene weiterhin diese Spielmöglichkeiten gibt, dann ist man motiviert, etwas zu tun, und man lernt durch diese Auftritte nur, man bekommt die Resonanz. Ich denke, das ist eine Grundlage gewesen, warum aus der DDR eine qualitativ hochwertige Kultur in dem Bereich kam. Es wäre schön, wäre das auch in der Zukunft weiter gegeben.

BS: Ein kurzer Widerspruch. Ich möchte gerne deine Forderung aufnehmen, aber das auf Foren, auf Austauschmöglichkeiten, auf Förderungsmöglichkeiten begrenzen wollen, nicht auf diese exaltive Finanzierung einer Clubszene übertragen, die eigentlich niemanden interessiert und die auch in der DDR dazu geführt hat, daß ein Mittelmaß schon in einer Breite durchgezogen wurde, wo es mir teilweise kalt den Rücken herunterläuft, wenn ich mir so etwas mal freiwillig anhöre. Ich glaube, daß diese blinde Förderung – jemand bekommt ’ne Pappe und kann sein Geld abzocken, dafür, daß er halt irgendwo spielt, egal ob es die Leute betrifft, ob sie da reingehen wollen oder nicht – nicht geht.

JPM: Ja, nicht die Künstlerförderung, aber die Clubförderung, daß immerhin die Foren da sind, wo man spielen kann.

BS: Aber dann nach anderen Auswahlmechanismen.

JPM: Ja, aber ich denke, da bricht ganz viel zusammen, von hundert auf null, das geht so nicht. Aber es wird sich auch wenig angleichen können.

PU: Nun wurde ja in der DDR versucht, diese Folklore-Gruppen zentral anzuleiten und die Werkstätten durch Kulturfunktionäre zu bestücken und ausrichten zu lassen, und das ist mit Sicherheit schon zusammengebrochen. Daß die finanziellen Mittel für die Clubs nicht da sind, ist eigentlich schade. Aber inwiefern nun diese Anleitung, das System der Einstufung sich ausgewirkt hat auf die Qualität, wage ich nicht zu beurteilen. Bei einigen hat es sicherlich positiv gewirkt, bei anderen nicht, die haben sich abgekehrt. Aus manchen ist dann eben auch ein guter Profi geworden. Wir hatten natürlich auch nicht die Möglichkeit, ins Studio zu gehen und eine Platte herauszugeben. Das ändert sich auch, das ist doch etwas Positives. Colin fragte, ob da etwas Eigenständiges entstanden ist. Mit Sicherheit ist es relativ eigenständig, aber es ist nicht so, daß alle nur im eigenen Saft geschmort haben. Wir haben schon nach Osten und Westen geschaut und gehört und waren eigentlich nie so ganz losgelöst.

CW: Es ist mir klar, daß man Sachen hört. Was ich eher meinte: Hier im Westen konnte jeder kommen und gehen. Das war kein Problem. Ob man wollte oder nicht, man hat Einflüsse mitgebracht. In den 60er Jahren habe ich in Berlin gespielt, und danach kamen eine ganze Menge Leute und haben gefragt: Was hast du gespielt? Es war nur ein ganz einfaches Fingerpicking, aber das hat man nicht gekannt. Und dann hat man mich aufgefordert zu zeigen, wie das funktioniert. Ich habe gesagt: Für uns in England ist das ganz normal, weil Jack Elliott das schon in den 50er Jahren eingebracht hat. Aber das meinte ich mit diesen Einflüssen. Die Leute waren da, die Franzosen. Viele unserer Freunde wurden beeinflußt von französischen Chansonniers.

UD: Ich bin überzeugt, daß ein ganzer Teil unserer Folk-Leute besser informiert war über die hiesige Szene als die bundesdeutschen Folkies selber. Nur als Beispiel: Vor zwei Jahren habe ich jeden Satz. im MICHEL gelesen. Heute gucke ich Überschriften: Interessiert mich im Moment nicht – weg! Das kam aus einer Not heraus: Du hast jede Information in dich hineingesaugt, wenn du mal irgendwo eine Zeitschrift kriegtest oder eine Platte oder ein Band. Das hat man auch sofort gespeichert. Heute trifft man eine Auswahl. Die Zeitschriften, die Platten, wenn mal eine auftauchte, die gingen rum, und jeder hat natürlich soviel Informationen, wie er daraus nehmen konnte, behalten. Aber diese Informationen haben ja nicht gereicht; es fehlte einfach der persönliche Kontakt. Man kann zwar versuchen, das nachzuspielen, aber das Feeling kriegst du von der Platte nicht runter. Das kriegst du nur mit, wenn du den Menschen kennst, wenn du selber mit Leuten persönlich sprichst.

PU: Aus dieser Notsituation heraus haben wir die Leute ja auch eingeladen: Weil wir nicht hinfahren konnten. Wir haben gesehen, so geht das nicht weiter, wir brauchen jetzt mehr Beziehungen, wir müssen nach außen, damit das einfach nicht stagniert, damit nicht hier Schluss ist. Es fehlte einfach an Leuten, die uns neue Ideen brachten.

MIK: Heißt das denn jetzt, wo alle Möglichkeiten auch in dieser Szene vorhanden sind, daß es einen Nachholbedarf gibt, d. h. daß jetzt Zeitschritte gemacht werden müssen, um den einen oder anderen Einfluss, der hier vor fünf oder zehn Jahren da war, im Schnelldurchgang musikalisch nachzuholen?

PU: Es wird sich alles anders entwickeln. Das kannst du nicht nachholen.

UD: Das beste Beispiel sind für mich die jetzigen Besucherzahlen. Wenn du jetzt in Leipzig Leute triffst, die wir kennen, die jahrelang zu irgendwelchen Folk-Veranstaltungen gekommen sind, und sie fragst „Wo wart ihr denn?“, bekommt man zur Antwort: „Ach du, wir waren jetzt gerade in Hamburg, und da haben wir das gesehen, und jetzt schon wieder ...“ Die Auswahl ist jetzt größer, die Möglichkeiten sind andere, jetzt wählt man aus, wo man hingeht. Früher hat man alles mitgenommen, was sich irgendwo bot.

BH: Wobei mich als Westbesucher trotzdem eins immer gewundert hat: Auf der einen Seite hab’ ich schon das Gefühl gehabt, daß viele Leute zu den Folk-Veranstaltungen oder zu Veranstaltungen der Liedermacher gegangen sind, weil es nicht soviel Auswahl gab. Andererseits war das Publikum außerordentlich aufmerksam. Wenn ich mir z. B. vorstelle, ich gehe nur irgendwo hin, weil ich das Bedürfnis habe, rauszugehen, und das ist das einzige, was läuft, na gut, dann gehe ich halt zu ’ner Folk-Veranstaltung. Ich würde mir vielleicht lieber die Stones anhören oder Albert Mangelsdorff, aber die treten nun mal nicht auf.

JPM: Das ist jetzt aber nur ein Beispiel, oder?

BH: Ja! Dann gehe ich stattdessen zu einer Folk-Veranstaltung und denke mir, da lümmel’ ich mich irgendwo hinten hin und versuche, mir ’nen schönen Abend zu machen. So war es aber ja nicht. Was damals Dieter Hildebrandt erzählt hat, nach seinem Auftritt in Leipzig bei den Academixern mit Werner Schneyder, nämlich daß im Gegensatz zum Westpublikum die Ostleute mit dem Arsch ganz vorne auf dem Stuhl sitzen, womit er meinte, daß sie außerordentlich aufmerksam sind, wirklich auf jedes Wort achten und auf alles, was da vorne abläuft – das war ja auch bei diesem Massenpublikum der Fall.

UD: Das war für mich die erste Erschütterung des Live-Erlebnisses hier in der BRD, die ich erlebte: Im Saal war ein Lärmpegel, und dabei Musik zu machen, war für mich undenkbar. Aber dann war der Titel zu Ende, und es ging ein Getobe los, daß ich dachte: Ich falle tot um – das geht doch gar nicht! Die Musik setzte wieder ein. Ansage, nächster Titel, alles drehte sich um, und: Geräusche, der Titel war zu Ende und: Gejohle. Das ging den ganzen Abend so. Ich habe mir dann die Philosophie zurechtgelegt, daß 80% der Leute eigentlich nicht interessiert sind. Die haben teuren Eintritt bezahlt, und die haben sich wohl gesagt, wir müssen uns jetzt vergnügen, auf Teufel komm raus, ob das gut oder schlecht ist, was da vorne läuft. Ich habe das jetzt schon oft erlebt. Das war bei uns natürlich ein bisschen anders.

JPM: Aber wo sind die Leute, die alle mit den offenen Ohren dagesessen haben? Jetzt auf einmal ist etwas anderes offen, nach der Öffnung, und jetzt sind die nicht mehr da. Das scheint niemanden zu interessieren. Die Leute müssen doch, wie du erzählt hast, mit Leib und Seele dabei gewesen sein, so habe ich sie ja auch erlebt. Spielt das keine Rolle mehr?

SJ: Das ist doch gar nicht das Problem, daß es die Leute nicht mehr interessiert, sondern das waren damals doch Dinge, auf die sich vieles konzentriert hat, denn es hat doch nicht so viele Dinge gegeben, die, sagen wir mal, exotisch waren. Und ihr aus dem Westen wart ja für uns auch Exoten. Das war etwas, wo ein ganz anderes Flair drum war, das uns eine ganz andere Erfahrung rüberbringen konnte. Mir haben ganz viele Musiker von hier erzählt, daß sie nicht gewöhnt sind, daß wie hier die Leute nach dem Konzert ankamen und ihnen Löcher in den Bauch fragten. Na logisch, das waren die einzigen wirklich intensiven Informationsquellen. Und jetzt ist es einfach so, daß ein riesengroßes Umfeld da ist. Das ist doch das eigentliche Problem: Der normale Verbraucher ist erst mal auf ganz andere Dinge neugierig. Der hat doch nicht irgendwo seine Leidenschaft verloren, die ist sicherlich noch da, aber momentan stürzt so viel auf ihn ein, daß er das erst mal aussortieren muß.

BS: Ich glaube, ein wichtiger Bereich ist das, was du gesagt hast über die Empfänglichkeit der Leute, und da schließt sich auch ein Kreis zu dem, was du am Anfang gesagt hast zu der Frage Kultur und Kapitalismus. Es ist ja nicht nur so, daß in diesem Kapitalismus irgendwie eine Auslesefunktion innerhalb der kulturellen Darbietungen erfolgt, sondern es ist ja auch ganz einfach so, daß Kultur in diesem System eine ganz andere Rolle spielt, nämlich zu einem ganz wesentlichen Teil die einer Konsumrolle. Es geht da eben um kulturelles Fastfood, und man geht, genauso wie man zum Italiener, zum Griechen essen geht, eben mal zum Folkie oder zum Liedermacher und zieht sich ein Konzert rein. In der DDR, so habe ich das oft erlebt, ging es in den Konzerten darum, Auseinandersetzungsflächen, Reibeflächen zu entdecken: Wie kann man Gesellschaft verändern? Und deswegen hat man sich dann auch mit den Texten ganz anders auseinandergesetzt. In der Literatur ist es ja ähnlich. Wenn ich z. B. meinen Anteil an Zeitungslektüre und Zeitschriftenlektüre mit dem an Bücherlektüre vergleiche, und das vergleiche mit Freunden, mit Künstlern aus der DDR, dann ist das ein gigantischer Unterschied. Man ist selber schon so gepolt, daß man eben die Rezension in der ZEIT lesen und den Artikel im SPIEGEL noch gelesen haben muss, und dann bleibt halt immer weniger Zeit für Literatur. Ich glaube, daß die Rolle, die Kultur hierzulande spielt, eine ganz wesentliche Funktion hat. Und damit waren wir eigentlich auch bei dem Punkt, warum sich das jetzt ändert. Es ändert sich nicht nur, weil natürlich die Leute in der DDR jetzt erst mal ihre Lebensverhältnisse anders organisieren müssen, sondern es ändert sich natürlich auch deswegen, weil unser System übernommen wurde und nicht das der DDR.

MIK: Viele amerikanische Songwriter, die herkommen und in Clubs spielen, sagen: Mensch, was hören die Leute hier zu. In den USA ist die Fastfood-Kultur natürlich noch weiter als bei uns. Das unterstützt ja auch diese Argumentation.

SS: Aber das große Interesse und die wesentlich höhere Aufmerksamkeit bei uns entsprach eigentlich dem Umstand, daß in der DDR im Prinzip eine Opposition gegen EINE Sache immer irgendwo existent war: Das war eben die zentrale staatliche Leitung, die man gemeinschaftlich abgelehnt hat. Jetzt ist aber ein Punkt erreicht, wo man merkt, daß man mit dieser Freiheit auch einen Toleranzbereich braucht, den viele Leute noch gar nicht haben. Die Leute haben Schwierigkeiten, sich mit der Vielfalt der Meinungen auseinanderzusetzen, daß z. B. auch bei denjenigen, mit denen man immer zusammen war, Differenzen in der politischen Auffassung bestehen.

Steffen Junghans
Steffen Junghans

MIK: Der eine ist jetzt beim Bündnis 90, der andere ist in der CDU.

SS: Ja, und dann ist auf einmal so ’ne Zersplitterung da, die auch in einer Intoleranz gegenüber bestimmten Musikrichtungen oder bestimmten Aussagen deutlich wird, die durch Liedermacher oder auch Folk-Leute nach wie vor artikuliert werden. Die Tendenz wird sich mit Sicherheit dahin entwickeln, wie sie hier schon ist.

UD: Man muss aufpassen, daß man nicht in eine politische Richtung gedrückt wird. Das hat man ja früher gemacht. Im Prinzip war die Folk-Szene eine grüne Szene. Also hat man uns in eine politische Richtung gedrückt. Und heute muss man ganz stark aufpassen, daß das hier nicht von der CDU übernommen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man jetzt unbedingt von CDU-Seite aus eine grüne Szene fördert. Man spricht zwar immer von Fachkompetenz, aber ich bin da vorsichtig, ob man da nur Fachkompetenz meint.

JPM: Wenn einer ein Mal bei der PDS gesungen hat, hat ein Veranstalter schon Angst, dann wird schon mal ein Auftritt abgesagt, weil man einen PDS-Sänger nicht auftreten lassen kann. So ist es Detlef Hörold ergangen. Dann kann ich mir vorstellen, was bei den Liedermachern aus der DDR abläuft. So weit ist es jetzt, ein Jahr später, schon wieder in der anderen Richtung.

SJ: Natürlich hat es bei uns unter den ganzen Leuten, die zu den Veranstaltungen gegangen sind, sicher auch Konsumenten gegeben. Und für die ist nun die Situation entstanden, wo einer aus einem kleinen Dörfchen plötzlich in einen riesigen Supermarkt kommt und erst mal gar nicht weiß, wo er das, was er sucht, finden könnte; er schlängelt sich da durch und wird natürlich dadurch abgelenkt.

UD: Ich glaube, es ist eine Zeitfrage. Wir haben jetzt im Herbst – ich hab es an den Konzerten vom Duo Sonnenschirm gesehen – schon wieder eine steigende Tendenz. Man beruft sich doch wieder auf die Umgebung, in der man lebt, weil du nicht ständig unterwegs sein kannst. Du hast ja auch einen Job, und du musst ja auch mal da sein. Und die kulturellen Bedürfnisse sind auf jeden Fall bei den Leuten noch da. Da spielen jetzt finanzielle Faktoren eine wichtige Rolle. Sie scheuen natürlich, hohe Eintrittsgelder zu zahlen. Das ist verständlich, weil viele von den Jugendlichen jetzt arbeitslos sind oder Studenten mit 200 Mark Stipendium. Und davon 20 oder 15 Mark Eintritt zu bezahlen, ist viel Kohle.

MIK: Blicken wir jetzt doch mal, damit wir nicht in diesem analytischen Blick nach hinten steckenbleiben, nach vorne. Was sollte man tun, um diese Spielwiesen als Quelle kultureller Vielfalt zu erhalten? Die Tendenz geht ja in eine andere Richtung. In Berlin wird diskutiert, ob das HDJT (Haus der jungen Talente) geschlossen werden soll, das sicherlich auch ’ne Quelle nicht nur von Kreativität, sondern auch von Opposition war. Was sich da in den Kellern abgespielt hat, war ja oft etwas anderes, als was offiziell stattgefunden hat. Es gibt unheimlich viel, was zur Disposition steht oder schon gefallen ist, und was sich ja dann auch auswirkt auf die Zahl der Gruppen und Musiker, die im Folk- oder Liederbereich aktiv sind.

SJ: Ich halte das, was hier beim ProFolk-Treffen passiert ist, für unheimlich wichtig, auch wenn heute Morgen einige Musiker etwas unzufrieden waren. Man muss ja überhaupt erst mal lernen, miteinander umzugehen, weil wir teilweise ja ein unterschiedliches Deutsch sprechen. Wir müssen uns erstmal verständigen können, wir müssen erst mal begreifen: Wie seid ihr rangegangen – wie sind wir rangegangen? Und ich halte es für unheimlich wichtig, dass solche Sachen viel intensiver entstehen müssen.

BH: Es gibt da zwei verschiedene Ebenen. Im Verhältnis der BRD zur DDR ist es doch so, daß die Menschen hier, und damit auch die Folkies, wesentlich weniger informiert waren über das, was in der DDR abgelaufen ist, als es umgekehrt der Fall war. Das hatte verschiedene Gründe, die brauchen wir jetzt nicht aufzuführen. Insofern ist das aber für uns eine völlig neue Szene. Die DDR war wesentlich weiter weg für die bundesdeutsche Folk-Szene als bspw. Ungarn, von wo regelmäßig Gruppen rübergekommen sind. Die zweite Ebene ist innerhalb der DDR selbst: Da gibt es ökonomische Zwänge, da gibt es persönliche Verhaltensweisen, wie es jetzt mit den Clubs weitergeht, was die Clubleitungen machen, wofür die sich interessieren. Was ich für wichtig halte, ist der Austausch, das Kennenlernen, aber auch die Arbeit an gemeinsamen Projekten wie bspw. dem Festival in Rudolstadt.

JPM: Ich glaube auch, daß dieses Kennenlernen wichtig ist, und auch dieses Auflisten, was ist eigentlich da. In den letzten drei, vier Jahren haben ja diese innovativen Gruppen von außen in beiden Ländern etwas bewirkt, Blowzabella, oder Groupa im norddeutschen Bereich. Die haben auf Jams gewirkt, die jetzt zu Welterfolg gekommen sind, und auch auf bundesdeutsche Gruppen wie La Rotta. Da merkt man ganz klar die Auswirkungen. Die Drehleier-Szene, die ganze Szene oben im Norden ist so beeinflußt worden von Blowzabella. In der ganzen Auffassung von Geigenmusik in Verbindung mit Blasinstrumenten hat sich unheimlich viel getan. Oder nehmen wir die Oyster Band, die bei Folkländers Bierfiedler ganz deutlich zu spüren ist. Ich sehe das tatsächlich als Chance der Addition und als eine große Chance zu sagen: Hier, die deutsche Folk-Szene hat ganz schön viel zu bieten.

UD: Bernd, vor einem halben Jahr haben wir bei mir zu Hause gesessen und haben schon mal drüber geredet: Machen wir jetzt immer noch im Folk-MICHEL die Rubrik „Szene DDR“. Damals habe ich schon gesagt, eigentlich ist alles gelaufen und wir können eigentlich nur versuchen, so schnell wie möglich inhaltlich zusammenzuwachsen, weil dann haben wir ’ne Chance, das noch in den Griff zu kriegen. Denn es gibt unterschiedliche Auffassungen, auch von Folk-Bands; da gibt es oft genug Leute, die dagegen sind, die gerne noch was Eigenes machen wollen, weil sie ja auch bestimmte Funktionen verlieren, Stellen verlieren. Der Folkloristenverband überlegt, ob sie nicht selbst ihren eigenen Verband lassen. Die werden sich nächstes Jahr noch nicht entscheiden, du wirst es sehen. Aber es ist einfach Quatsch, es ist nur aufgeschobene Zeit. Ich war auch ein Gegner dieser schnellen Vereinigung, aber wenn es jetzt eben gelaufen ist – was soll man dem lange nachtrauern? Wir müssen versuchen, so schnell wie möglich einen gleichen Level zu kriegen. Sonst geht irgendwo was unter. Und das ist doch unser gemeinsames Ding: Wenn dann in Suhl ein guter Club vielleicht krachen geht, daß die Leute in Hamburg sich dafür einsetzen, und umgedreht, daß die Leute in Görlitz sich einsetzen, wenn in Bremen die Folk-Initiative Schwierigkeiten hat – ich spinne jetzt mal. Das ist jetzt ein bissel extrem territorial; aber so in diese Richtung müßte von beiden Seiten etwas kommen.

SJ: Ich glaube, daß von unserer Seite noch eine ganze Menge mehr Idealismus kommt, der eigentlich nicht nur regional begrenzt ist, denn die Leute hingen ja ganz intensiv an einer ganz bestimmten Sache.

BH: Ich glaube auch, daß in der DDR die Zersplitterung wesentlich weniger fortgeschritten ist als bei uns. Das hatte natürlich politische Gründe, weil man in gewisser Weise in einer gemeinsamen Oppositionsrolle war, man war aber auch organisatorisch enger verbunden. D. h. dieses Solidaritätsdenken des Miteinander-Arbeitens ist wesentlich stärker ausgeprägt.

BS: Dafür gab es aber auch räumliche Gründe, und das hängt auch mit 16 Millionen und 60 Millionen zusammen. Beides kein Widerspruch, sondern eine Ergänzung: In der DDR kennt sich nun mal jeder.

UD: Die DDR-Folkleute müssen so schnell wie möglich spüren, daß sie zur gesamtdeutschen Folk-Szene gehören und nicht immer noch aus den fünf neuen Bundesländern kommen. Das finde ich wichtig, daß sie auch mit diesem Stellenwert eingegliedert werden.

JPM: Also ich glaube wirklich, in der DDR ist der Neuanfang da. Das merkt man überall; und man sagt ja auch immer, ein Neuanfang ist eine Chance. Und ich glaube, daß die aus dem Westen – hier bei dem Profolk-Treffen ist die Beteiligung ja gleich Null – erkennen, wir können diesen gemeinsamen Neuanfang auch nutzen.

BS: Es ist nicht die Realität. Ich möchte es gerne so sehen, aber ich sage, es wird nicht so sein.

JPM: Es wird nicht so sein – das habe ich auch immer gedacht. Wir hängen so ’n bisschen durch mit ProFolk, und der entscheidende Impuls kam heute Morgen durch Ulis Vorschlag, dieses Festival in Rudolstadt zu machen. Da wurden auf einmal Kräfte frei. Auf einmal meldeten sich vier Leute aus dem Westen, die sonst nie bereit gewesen sind: Da machen wir mit! ProFolk ist jetzt voll beteiligt bei diesem Festival, d. h. es ist tatsächlich die Chance zu sehen. Vielleicht ist das kulturpolitisch ein gemeinsamer Neuanfang.

UD: ’Ne Veranstaltung für uns, die man nutzen kann.

JPM: Genau, aber das sieht im Westen kaum jemand. Aber wer an diesem Wochenende hier war, hat mitgekriegt, daß die Chance da ist.

UD: Es kann einen positiven Effekt geben, wenn jetzt viele Folkies bei uns die Chance nutzen, bei ProFolk einzusteigen, weil das der Dachverband der Folkmusik ist. Vielleicht wollen dann auch viele aus dem Westen mitziehen. Die quantitative Seite spielt eine gewisse Rolle. Das könnte einen Effekt geben.

PF: Die DDR-Gruppen werden sich nicht mehr lange abkapseln können.

UD: Das macht ja auch keiner. Die einzige Schwierigkeit, die im Moment besteht, ist die Frage: Folkloristenverband und wir. Das hat Sabine gestern Abend ganz klipp und klar zu mir gesagt.

CW: Ich glaube, es kann nur richtig anfangen, wenn man aufhört zu sagen, „ehemalige DDR“ oder „Fünf Neue Bundesländer“, wenn man von Deutschland spricht. Ich finde diese Trennung völlig falsch. Ich glaube, man soll das alles vergessen und sagen: Wir arbeiten zusammen. Wir sind ein Land!

SJ: Es ist aber auch so, daß es viele Leute gibt, die bei der Bezeichnung „ehemalige DDR“ nicht Minderwertigkeitskomplexe haben, sondern sich als Exoten fühlen. Das Extrem wird es ja auch geben.

UD: Es kann auch was Negatives sein, wenn ein Moderator auf die Bühne geht und sagt: Und wir freuen uns und sind glücklich, daß wir jetzt endlich mal jemanden aus der DDR ... Wenn man es besonders hervorhebt, auch wenn man es gut meint, kann es genau umgekehrt, negativ wirken. Wir sollten nicht wie unsere Wirtschaft oder die großen Politiker ganz bewußt die Zweitklassigkeit der DDR-Leute hervorheben.

JPM: Das haben wir ja schon von Anfang an bei dieser Diskussion herausgestellt, daß wir eigentlich vom Umgekehrten ausgehen. Wenn man sich das wirklich mal halbwegs objektiv anguckt, dann ist im künstlerischen Bereich überhaupt keine Minderwertigkeit angesagt.

MIK: Aber man macht sich natürlich irgendwo etwas vor, wenn man jetzt sagt: Okay, wir sind jetzt dieses eine Deutschland, und hier ist die einige Folk-Musik, die wir machen. Die Voraussetzungen sind natürlich sehr unterschiedlich und werden auf Jahre hinaus unterschiedlich bleiben, denn diese Unterschiede inhaltlicher Art, musikalischer Art, in der Entwicklung, die lassen sich ja nicht von heute auf morgen wegräumen. Und hinzu kommen jetzt noch die zusätzlichen sozialen Probleme, die sich für den einen oder die andere in der ehemaligen DDR ergeben. Da wird sich mancher fragen müssen, kann er eigentlich diese Art von Musik überhaupt weitermachen, schon aus beruflichen Gründen, weil er einfach sehen muß, wie er seine Kohlen zusammenkriegt. Ich glaube, daß wir uns da nichts vormachen dürfen, als seien wir nun alle am Runden Tisch und säßen alle auf demselben hohen Stuhl und packen es jetzt gemeinsam an und machen jetzt eine ordentlich starke Szene. Ich glaube, wir können uns nicht lösen von den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, in denen wir stehen. Und die sind, im Grunde genommen, doppelt schlecht: Die sind für den Bereich der ehemaligen DDR schlecht und für uns eigentlich auch. Siehe die Entwicklung in den Rundfunksendern: Die Tendenz geht einfach dahin, mehr Mainstream zu senden, keine Höhen, keine Tiefen im Programm, stramm durch zwischen Madonna und wem auch immer, damit die Leute nicht zuhören und stocken und nachdenken. Und bei der Zeitung ist es ähnlich. In Nürnberg hatten wir ja mal den Versuch gemacht einer Diskussion über die Rolle von Folk in den Medien. Dazu hatten wir unter anderem einen Kollegen vom MUSIKEXPRESS eingeladen, der auch zugesagt hatte, dann aber leider nicht erschienen ist. Wir wollten mal thematisieren: Warum kommt Folk eigentlich immer erst dann in diese Blätter, wenn die Goldene Schallplatte von Suzanne Vega oder wem auch immer verkauft ist? Wir konnten es leider nicht diskutieren, weil der Kollege eben nicht gekommen ist – was aber eigentlich auch ein Dokument ist, daß die das nicht interessiert. Da haben wir Probleme, die auch Folk-MICHEL und MUSIKBLATT nicht lösen, denn das sind nach wie vor Insider-Blätter. Das ist auch eine Aufgabe, die vor uns steht: diese Schwelle zu durchbrechen, Leute zu erreichen, die eben nicht in der In-Group dieser Musik sind. Im Grunde genommen haben wir derzeit schlechte Startvoraussetzungen.

SJ: Wenn ich in diesen Blättern Informationen oder Interviews zum Thema „Folk“ lese, dann habe ich das Gefühl, daß an vielen Ecken Müdigkeit gegenüber diesem Begriff da ist.

BH: Ja, aber das ist eine Müdigkeit, die sich durch fast schon jahrzehntelange Diskussionen ergeben hat. Der Begriff „Folk“ ist eigentlich immer diskreditiert worden. Wir haben, wenn ich das bundesdeutsche Folk-Revival nehme, es nie geschafft, einen Begriff zu finden, der wirklich darauf anzuwenden ist. „Folk“ kommt ja nun aus dem angloamerikanischen Bereich, abgeleitet von dem dortigen Folk-Revival Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre, vor allem aus dem Amerikanischen, das damals zusammenhing mit den Bürgerrechts-Bewegungen und den CND Marches und ähnlichem. Wir haben uns dann herumgeplagt mit dem Begriff „Volkslied“. Aber „Folk“, wenn wir es auf die deutsche Szene angewandt haben, implizierte eigentlich immer gewisse Spielweisen, Arrangements, Adaptionen aus bspw. dem keltischen, dem angloamerikanischen Bereich. Etwas Eigenes haben wir da nie auf die Reihe gekriegt. Ich weiß nicht unbedingt, ob das schlecht ist. Aber insofern haben wir uns immer an einem Begriff reiben müssen, der von außen besetzt worden ist und der dann auch immer als von außen hereingeführter Begriff so von den Massenmedien verwendet worden ist. Und dann ist bspw. eine Suzanne Vega oder eine Tracy Chapman auf einmal der große neue Folk-Star, aber wenn man über Walter Moßmann oder Liederjan oder Sommerfolk oder Argem oder Folkländers Bierfiedler spricht, dann ist das etwas ganz anderes.

Colin Wilkie
Colin Wilkie

BS: Aber ist es nicht so, daß diese Folk-Szene hier in der BRD – ich begebe mich auf Glatteis, weil ich mich da nicht so besonders gut auskenne – auch irgendwo stehengeblieben ist, und zwar schon vor einigen Jahren? Es gab keine Weiterentwicklung, sich politisch zu artikulieren und zu reiben, auch keine künstlerische Weiterentwicklung. Das beste Beispiel ist für mich immer noch das Duo Sonnenschirm, die heute eben keine Folklore mehr machen. Die kennen diese Szene zwar, aber die machen heute etwas ganz anderes ...

JPM: Das schätzt du aber genau falsch ein.

BS: ... die haben sich künstlerisch weiterentwickelt.

UD: Die fühlen sich aber noch in der Szene.

BS: Aber das sind keine Folkies mehr. Aber lasst mich doch mal den Gedanken weiterentwickeln. Biermösl Blosn ist für mich das Musterbeispiel: Leute, die etwas in Folk-Sachen entwickelt haben, politisch, künstlerisch, die die neuen Entwicklungen in der BRD in den 80er Jahren geprägt haben, die sitzen eben gerade nicht hier, die würden auch nie hierherkommen und fühlen sich dieser Folklore-Szene nicht verhaftet. Ist das nicht auch ein Problem dieser Szene?

JPM: Ich würde sagen, daß du da Recht hast. Aber umgekehrt, die Folkies, die zählen Sonnenschirm, Biermösl Blosn und Liederjan dazu.

BS: Das ist schon klar, aber deswegen ist es noch nicht die Szene.

JPM: Nein, aber wir empfinden es immer noch so. Wenn Sonnenschirm mit den Balalaikas oder Bandoneons oder so spielt, dann ist das für mich ’ne logische Fortsetzung.

BS: Aber die spielen nicht in den Folk-Clubs. Ich betrachte das als Veranstalter ...

JPM: Die könnten aber in ’nem Folkclub spielen, wenn wir Geld hätten.

BS: Das ist finanziell uninteressant.

JPM: Aber das ist doch auch der Grund ...

BS: Aber ist das Geld die Frage der Szene? Jeder Folk-Club könnte Duo Sonnenschirm bezahlen, wenn er 100 Leute in ein Konzert von Duo Sonnen schirm kriegen würde, was offensichtlich nicht erfolgt. Das ist doch nicht ’ne Frage von Duo Sonnenschirm, sondern inwieweit ein Veranstalter als Folk-Club in der Öffentlichkeit steht oder als Kleinkunstbühne.

BH: Der Nachteil ist, daß eine Dachorganisation, wie wir sie jetzt mit ProFolk mit all ihren Vor- und Nachteilen haben, in der Blütezeit des Folk-Fevivals in der zweiten Hälfte der 70er Jahre in der Bundesrepublik gefehlt hat. Es fehlt der Folk-Szene eine Organisation, die als Lobbyist auftreten kann. Und die hätte man Ende der 70er Jahre gebraucht, als Folk in war und es Folk-Gruppen gab, die große Säle gefüllt haben, Zupfgeigenhansel und Liederjan, die auch überregional bekannt geworden sind. SOUNDS z. B., als DAS deutsche Rock-Magazin, hat damals mehrere Berichte über die Burg Waldeck gebracht, hat große Berichte über Ougenweide usw. gebracht. Das war ’ne aktuelle Musik gewesen. Was danach passierte, ist doch folgendes: Die großen Stars sind auf einmal weggefallen. Der Mittelbau ist musikalisch, inhaltlich wesentlich besser geworden als das, was in den 70er Jahren da war. Aber es fehlten die Stars, die das auch nach außen hin hätten werbewirksam vertreten können, und als Ersatz dafür hätte es vielleicht eine Organisation machen können, die dafür gesorgt hätte, daß dieser Begriff nicht so diskreditiert wird. Die fehlte aber auch.

MIK: Aber ist das nicht auch ein Vorwurf an die Szene, daß man sich hat die Leute nehmen lassen? Vielleicht, weil man beleidigt war, gesagt hat: Die brauchen wir eh nicht, weil das ist eh kein Folk? Manchmal erlebt man ja oft auch Situationen, wo so mancher Folk-Club oder Folkie sehr puristisch denkt und sehr schnell ausgrenzt und man damit ja auch ganz bewußt in eine Ecke rutscht, wo man dann ganz automatisch bestimmte Leute nicht mehr erreicht.

BH: Ich glaube, daß man da den einen oder den anderen Folk-Club oder den einen oder den anderen Meinungsträger, der solches vielleicht gedacht hat oder so gehandelt hat, in seiner Bedeutung überbewertet. Denn wenn ich mir z. B. die Zeitschriften angucke, egal, ob das damals das FOLK-MAGAZIN war oder in den 80er Jahren der Folk-MICHEL oder das MUSIKBLATT hier in der BRD ist, wir haben eigentlich immer diese Bandbreite gehabt. Wir haben ja Duo Sonnenschirm und Rolly Brings gemacht, alles Leute, die doch etwas am Rande des traditionellen Folk-Begriffs liegen. Aber wir haben immer gesagt, die gehören dazu. Und wir haben uns ja immer auch verstanden als Sprachrohr der Szene.

JPM: Ich glaube, das ist wirklich wichtig mit dieser Lobby. Ich will es mal in den Kabarett-Bereich ausweiten: Da gibt es als Einrichtung den Unterhaus-Preis und als Institution die Münchener Lach- und Schieß-Gesellschaft, die ständig dieses Genre vertreten haben, auch groß in den Medien. So etwas meinst du wahrscheinlich mit den Stars der Folk-Szene. All das ist in den 80er Jahren zusammengebrochen. Das gab es überhaupt nicht mehr. Und dann kam noch hinzu: Du redest ja immer noch von Lilienthal – die sind in der Folk-Szene gar nicht mehr präsent, die spielen auch kaum mehr. Ich weiß gar nicht, was sie machen. Liederjan ist noch da, und Liederjan fühlt sich auch noch zugehörig. Die sind aber nach außen irgendwo abgekoppelt worden.

UD: Man muß sich ja nicht immer an die alten Leute hängen. Es gibt ja genug gute neue Leute – siehe Jams. Jams ist doch ein gutes Beispiel. Die kann man doch powern, auch von ProFolk aus, so daß die auch die Chance kriegen, in kommerzielle Sachen reinzukommen, sprich Fernsehen und so: ihnen Unterstützung geben. Jo Meier wird sich immer zu dieser Szene bekennen. Der wird nicht eines Tages sagen: Jetzt bin ich ganz da, und jetzt lass ich mal ...

JPM: Aber die sind jetzt bei einer Agentur, die knallhart 3.000 Mark fordert oder 2.500, und das fällt weg für uns. Und die sind diesen Schritt auch gegangen!

UD: Aber die müssen davon leben, und wenn sie nicht wie Blowzabella auffliegen wollen, weil sie keine Kohle haben, müssen sie irgendetwas tun. Und bei anderen Gruppen sollte man aufpassen, wenn sie diesen Sprung schaffen, ob sie nicht von ProFolk eine Unterstützung kriegen können, daß sie es schaffen. Du hast immer das Risiko, daß sie eines Tages sagen: So, jetzt wollen wir mit euch nichts mehr zu tun haben. Aber du kannst auch die Chance haben, daß du dir ein paar Stars schaffst, die diese Sache dann auch tragen. Ich denke, es ist möglich.

BH: Ich glaube, es ist ganz wichtig, noch einmal aufzugreifen, daß die DDR-Gruppen für uns eine Chance darstellen, die Selbstdarstellungsmöglichkeiten der Szene zu verbessern. Die Qualität der DDR-Gruppen kann uns einen entscheidenden Schritt weiterbringen, weil wir nämlich dadurch eine größere Basis von Musikern haben, von denen wir sagen können: Die sind handwerklich sehr gut, es gibt keinen Grund mehr, die bspw. nicht in Magazin-Sendungen im Radio zu spielen oder große Konzerte mit denen zu veranstalten.

PF: Es muß aber nach Möglichkeiten gesucht werden, die Gruppen allgemein zu unterstützen. Viele fallen jetzt einfach runter. Wir sind das jahrelang gewöhnt, Gelder bekommen zu haben, Probenmöglichkeiten, Auftrittsmöglichkeiten, durch die FDJ und durch die Jugendclubs, und von denen sind die meisten eingegangen, und das fehlt den Gruppen jetzt. Und damit nicht jetzt ein großes Sterben dieser vielen Gruppen, die noch auf der untersten Stufe, ganz am Anfang stehen, einsetzt, sondern daß die auch merken, es ist jetzt jemand da, der sich auch ein bisschen kümmert ...

JPM: Mal ’ne Einschränkung: Bedenke mal, können wir das wirklich?

PF: Nicht ProFolk! Da müßten sich jetzt Gruppen drum kümmern, die schon ein bisschen weiter sind. Vielleicht so eine Art Patenschaften.

JPM: Ein Beispiel: Folk-Initiative Bremen. Wir machen seit drei Jahren Programm, und wir hatten bisher keinen einzigen Flop. Und wir haben darunter eine ganz große Bandbreite: Wir hatte Jams, Gerhard Schöne, Groupa, Blowzabella, also wirklich die ganze Bandbreite. Und trotzdem schaffen wir es nicht, das Publikum so zu ziehen, als wenn Jams jetzt im „Modernes“ spielen würde. Die haben sofort das Zehnfache an Zuschauern. Wir schaffen es nur mit dem ganz gängigen Muster. Darüber muß man vielleicht auch mal reden. Wenn wir eine keltische Harfe auf die Bühne stellen: Wuff! Dann machen wir ein Plus, davon zehren wir das ganze Jahr. Weißt du, die Leute gehen einfach nicht mit! Wir können zwar sagen, wir haben die Stars. Aber die Stars für die Öffentlichkeit, die sind in den 70er Jahren Stars geworden, als alle offen waren, als alle mitgezogen sind. Wer zieht denn heute noch mit? Wenn ich heute über Liedermacher in der Bundesrepublik eine Sendung höre, oder es fällt der Begriff Liedermacher, welche Leute werden aufgezählt? Degenhardt, Süverkrüp, Hüsch, Moßmann. Süverkrüp sagt von sich selber ganz ehrlich: Ich bin doch kein Liedermacher, ich schreib’ gar nichts mehr! Hüsch sagt das auch so. Aber es wird überhaupt nicht an die neuen Leute gedacht. Noch nicht einmal die Medien ziehen im Bereich Liedermacher großartig mit. Jetzt vielleicht ja, bei Thalheim und Schöne, aber sonst hängen sie immer noch an den Leuten, die auf der Waldeck hochgekommen sind, wie Reinhard Mey, der jetzt die ganze Zeit auf Platz 1 der Lieder-Bestenliste stand.

UD: Oh, ist das peinlich.

JPM: Da merkt man doch, es ist nur Nostalgie.

BS: Aber das hängt doch mit dem geistigen Klima unserer Bundesrepublik zusammen. Es ist doch im literarischen Bereich genauso. Wer sind die großen bundesdeutschen Autoren? Das sind Grass, und Böll wird immer noch genannt, obwohl er schon eine ganze Weile tot ist; das ist die Gruppe 47, die in den 50er Jahren irgendwann einmal wichtige Bücher geschrieben hat! Und das ist natürlich in der Liedermacher-Szene ganz genauso. Es ist ganz klar, daß das geistige Klima dieser Republik – nun gerade in dem konservativen 80er Jahrzehnt, und das scheint nun ja auch noch weiterzugehen -, daß dieses geistige Klima träge geworden ist, daß da keine Auseinandersetzung mehr stattfindet, daß die Generation, die in den 50er und vor allem 60er Jahren Wichtiges geleistet hat, auch heute noch die öffentliche Diskussion beherrscht.

PF: Im DDR-Fernsehen ist es ja noch schlimmer. Da werden Schlagersänger als Liedermacher hingestellt, die damit überhaupt nichts zu tun haben.

JPM: Ich wollte noch mal aus der Musikersicht hier in diesem Kreis etwas sagen: Was Not tut als Musiker, ist, daß es Veranstalter gibt, denn wenn es Veranstalter gibt, kann ich auch überleben. Irgendjemand nimmt uns schon. Deshalb muß man auch in den Medien, in den Rundfunk-Sendungen die Veranstalter rausbringen: Wenn in einer Region Veranstaltungen sind, das ankündigen und eine Musik spielen. Wir brauchen einfach den Namen der Gruppe in der Folk-Szene und wo sie spielen, denn den Leuten gefällt es ja. Die Resonanz ist doch gut.

BS: Wenn die Leute erst mal drin sind, gefällt es ihnen.

JPM: Wir müssen irgendwie ne Möglichkeit finden, sie dahinzubringen. Da müssen wir an den verschiedenen Ecken gucken, vor allem in der Veranstalterszene, daß dort die öffentlichen Gelder laufen, daß die weiterhin was machen können. Wenn wir in der Folkinitiative unsere 3.000 Mark Zuschuss gestrichen kriegen, dann können wir manches nicht mehr machen.

PF: Ich glaube, daß die Werbung bei Folkloristen sehr schlecht ist. Ich bin, weil ich beruflich ja auch in der Kultur arbeite, viel herumgekommen in verschiedenen Kulturhäusern in der DDR und in Clubs. Ich habe mir das mal angesehen, was die für brechendvolle Karteien haben von Werbematerial von Rockgruppen. Aber von Folkgruppen habe ich dort kaum mal etwas gesehen. Das hat sich verloren, das waren vielleicht ein oder zwei Gruppen, die dem Veranstalter Werbematerial geschickt hatten. Die meisten Veranstalter kannten überhaupt keine Folkgruppen, aber nicht etwa, weil sie die nicht kennen wollten, sondern weil die überhaupt nichts davon gehört hatten. Die haben nichts gekriegt an Material. Dafür müssen auch die Gruppen selbst sorgen, mehr Werbung für sich selbst zu machen.

MIK: Da schließt sich aber auch der Kreis einer Problematik, wo es um Kommerzialität und Professionalität geht. Es ist völlig klar: Im Rockbereich geht es in der Regel auch um andere Gelder, da steigen Plattenfirmen ganz anders ein. Es ist eben genau der Punkt: Dieses handgemachte Flugblatt der Gruppe xy hat eben einen anderen Effekt, als wenn du von der Plattenfirma Polydor ’ne Mappe kriegst, da liegt links das Foto drin, die Visitenkarte vom Manager und rechts ein paar Presseausschnitte und der Lebenslauf oder wie auch immer. Ob man das mag oder nicht, ist ja erst mal egal, es hat den entsprechenden Effekt. Und von den Folkies kriegst du in der Regel ein schlecht kopiertes, verwaschenes Blatt Papier. Nur Form und Inhalt haben eben etwas miteinander zu tun. Und da glaube ich auch, daß das bei allen Zielpunkten, die genannt worden sind in dieser Runde, mir einer wirklich noch fehlt: Das ist eben der Zielpunkt Professionalität, in der Art, wie man auftritt und wie man sich gibt. Das hat dann auch etwas damit zu tun, ob man 2.000 Mark in den Folk-Club reinkriegt oder nicht. Das hat auch etwas mit Professionalität und der Art, wie man sich dem Publikum präsentiert, zu tun.

JPM: Du weißt doch selber, daß die Folk-Clubs nicht professionell arbeiten. Das sind alles ehrenamtliche Leute.

Reinhard ŽPfeffiŽ Ständer
Reinhard „Pfeffi“ Ständer

MIK: Ist schon klar, ich bin ja auch nur der Ansicht, vielleicht findet man, wenn man das differenziert betrachtet, ein paar Punkte, an denen man wirklich arbeiten kann, die man vielleicht beseitigen kann.

UD: In dem ehemaligen Gebiet der DDR gibt es gute Möglichkeiten, Publikationen wie MICHEL oder MUSIKBLATT oder LEIPZIGER POLKBLATT nicht nur bei den Musikern, sondern auch bei den Veranstaltern unterzukriegen. Ich habe jahrelang meine ganzen Informationen eigentlich aus dem MICHEL geholt, ob das Adressen oder Telefonnummern waren ...

SJ: Das ist das, was mich eigentlich hier wundert, das gerade solche Sachen wie MUSIKBLATT oder MICHEL von den Veranstaltern und auch von den Musikern zu wenig als Plattform genutzt werden, denn so seht ihr euch ja.

BS: Das muß man auch mal ganz klar sagen, das ist ganz brutal kommerziell: Für mich ist die Anzeige im FOLK-MICHEL am uninteressantesten von allen Werbesachen, die ich überhaupt mache. Nicht jetzt wegen eurer Zeitung, sondern es ist genauso im MUSIKBLATT: Ich habe so gut wie keine Veranstalterresonanz. Da ist es wirklich besser, wenn ich 1.200 Faltblätter rumschicke. Es ist einfach so, daß diese Zeitschriften, die ja nun auch irgendwie für etwas stehen in dieser Szene, scheinbar für Veranstalter oder auch kommerzielle Aspekte kaum eine Rolle spielen. Und das beschreibt zum großen Teil die Probleme, mit denen wir ja alle zu tun haben.

BH: Ich glaube, das ist ein Problem, mit dem die Zeitschriften seit Jahren kämpfen: daß die Zeitschrift aus der Szene eigentlich nicht als Plattform akzeptiert wird. Als ich bspw. damals, und das ist ja nun legendär geworden, diese Doppelrezension zu Liederjan geschrieben habe, haben soundsoviel Leute den MICHEL abbestellt, weil sie das unsäglich fanden. Dabei geht die Information, die du für 25 Mark beim MICHEL und für 35 Mark beim MUSIKBLATT im Jahr bekommst, weit über eine Doppelrezension, über die du dich ärgerst, oder irgendeinen Kommentar, den man vielleicht nicht so gut findet, hinaus. Es sollte eigentlich bei allen mehr die Bereitschaft da sein, die Zeitschriften auch zu unterstützen. Aber das ist bei Musikern nicht so, und das ist bei Veranstaltern nicht so. Wir versuchen sie ja, darüber zu informieren oder ihnen den MICHEL schmackhaft zu machen. Aber mehr als ihn anbieten können wir nicht. Wir können nicht sämtlichen Veranstaltern den MICHEL kostenfrei ins Haus liefern. Ich kenne viele Veranstalter, ich kenne viele Musiker, die ganz begeistert sind, wenn sie den MICHEL in die Hand bekommen. Ich nehme an, das ist beimMUSIKBLATT genauso, weil sie darin Tournee-Ankündigungen sehen, teilweise auch Anzeigen sehen, in denen Tourneen angekündigt werden, oder auch Termine, wo sie Adressen von Folk-Clubs herausfinden. Aber die nehmen das einmal in die Hand, kommen aber nicht darauf, ihre aktuelle Begeisterung in ein Abo umzuwandeln und das Heft regelmäßig zu lesen. Und man muß eins natürlich dazu sagen: Manches ist auch ein kommerzielles Problem: Wenn wir z. B. eine Liste der Agenturen veröffentlichen, dann sagt jede Agentur: Warum soll ich dann noch eine Anzeige machen? Und wir leben natürlich von den Anzeigen. In deinem Fall, Berthold, kann ich sagen, du subventionierst dadurch die Zeitung.

BS: Es war auch gar keine Kritik an euch, ganz im Gegenteil: Ich denke, es steht für eine Szene. Ich möchte als Vergleich SPEX erwähnen, die ja nun eine riesige Rolle für die Independent-Szene hat, in der die Veranstalter von Böblingen bis Bremen ihre Konzerte inserieren, wo ich immer denke: Menschenskinder, in ’ner bundesweiten Zeitschrift, die auch noch an den Kiosken liegt, das ist eigentlich verrückt. Aber da funktioniert das. Da weiß man, man ist informiert, wenn man diese Zeitschrift liest, und deshalb wird sie angenommen. Das ist das Blatt der Szene, das in der Szene badet und umgekehrt. Und das scheint mir in der Folk-Szene weniger zu sein. Woran liegt das?

JPM: Ganz so pessimistisch würde ich das nicht sehen. Ich habe das Gefühl, daß in manchen dieser Zeitungen alles drinsteht, was klein anfängt, und später steht es dann im MUSIKEXPRESS.

BS: Das spricht für die Qualität.

JPM: Aber so ist es doch. Es wandert aus der Folk-Szene oder aus den Folk-Zeitungen in die anderen Zeitungen oder in die anderen Szenen rein.

MIK: Das Problem ist, dann sind sie weg.

JPM: Und da sind wir wieder bei so einem schönen Punkt: Daß wir uns nicht verändern, daß sich die Szene nicht verändert. Die Szene kommt nicht mit den Leuten hoch. Wir bleiben immer unten. Wir in der Folk-Initiative Bremen gucken, wenn zwei Studenten, die mitgearbeitet haben, wieder wegziehen oder so, und der Folk-MICHEL bleibt immer ein ehrenamtliches Blatt. Wie es eben immer so läuft.

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Update vom
09.02.2023
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