Wienerlied mit Soul5/8erl in Ehr’n und NetnakisumEin Achterl nicht nur für die MusikantenGespeist vom Geist des Widerspruchs erspielen sich österreichische Musiker wie 5/8erl in Ehr’n oder Netnakisum beim Heurigen mit Wein, Dialekt und Frechheit ihre Identität. TEXT: HARALD JUSTIN
Was ist das? Der Bassist zupft sich in einen Jazzgroove hinein, ein Akkordeonist schwelgt in Akkorden, und ein Mann mit leichtem Soulschmelz in der Stimme, singt: „A de März, April und Juni / Kennan doch olle leiwand fliagn“. Die Sprache klingt bekannt, zugleich fremd. Dann ertönt eine Gitarre zwischen Flamenco und Blues, dazu Cello- und Violinenakzente, noch mehr Gesang: „Wos du wüst, is, wos du kriagst.“ Was bekommt man, wenn man weiß, dass die Klangmixtur von einer Truppe stammt, von der es heißt, sie „passe in keine Schublade“? Noch dazu hört der Bassist auf den exotischen Vornamen Hanibal. Ein Künstlername? „Nein“, lacht er, „ich heiße wirklich so!“
Einen weiteren Wirklichkeitsbeweis erbringt die Truppe mit ihrer CD Bitte schön, auf deren Cover die eine Dame und die vier Herren in altertümlichen Kleidern zu sehen sind. Ihre Musik allerdings, die verstehen sie als modern. Wer genau hinhört, weiß, was es gibt, wenn man, wie auf dem Cover zu lesen, 5/8erl in Ehr’n bestellt: Musik, nicht aus Hamburg oder New York, sondern aus dem Herzen Europas, aus Wien. Was das letztendlich bedeutet, lässt sich nur verstehen, wenn man weiß, dass der „typische Wiener“ genau das eigentlich nicht sein will und dennoch mit jeder Faser seines Wesens genau das ist: ein typischer Wiener. Ganz Österreich scheint von diesem Widerspruch zu sich zu leben. Das Land ist klein, aber reich an Widersprüchen. Mit einem Österreicher zu sprechen, heißt, sofort zu hören zu bekommen, dass man eigentlich ein Burgenländer, ein Niederösterreicher, ein Kärntner sei oder aus der Steiermark komme. Das Kleine wird noch kleiner gemacht, um größer zu wirken. Die deutsche Sprache spricht man, gezwungenermaßen, aber lieber ist der Dialekt, den man schon im nächsten Tal, pardon, Bundesland schwerlich versteht. So kennt man sich (nicht), identifiziert sich aber miteinander. War es Zufall, dass Freud in Wien die Neurose als Antwort auf die verklemmte Sexualmoral des 19. Jahrhunderts fand und der Österreicher Leopold Sacher-Masoch dem Masochismus seinen Namen gab? Da passt es ins Bild, dass die größten Österreich-Verächter selbstverständlich Österreicher sind, die, von Thomas Bernhard über Helmut Qualtinger bis André Heller und Franzobel, gerne dort hasslieben und -liebten. Wohin man schaut, gelebt wird aus dem Widerspruch: Das strenge Exerzitium der Neuen Wiener Schule ist ohne schmalzige Opern- und Operettenseligkeit der Stadt ebenso wenig denkbar wie das Wienerlied, das sich gleichzeitig in oppositioneller Nähe und Ferne zu allem und nichts bewegt. Es kann literarisch und musikalisch anspruchsvoll sein – aber auch dumm-dumpf. Mit ihm ist jedwede Gratwanderung zwischen Spott, schwarzem Humor, reinstem Kitsch, Selbstmitleid, Morbidität und sinnloser Herumnörgelei möglich, und wer abstürzt – natürlich immer nur durch die Schuld der anderen –, fällt bevorzugt in ein Glas Wein, beweint sein Schicksal noch heftiger und lacht darüber! Wer einmal Hans Moser „Ich muss im früh’ren Leben a Reblaus g’wesen sein, / Sonst wär die Sehnsucht nicht so groß nach einem Wein“ singen gehört hat, wird es nicht vergessen. ... mehr im Heft |
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