Schon mit der Bossa Nova entdeckte Brasilien überaus erfolgreich und nachhaltig die Langsamkeit. Die lebenslustigen Bewohner des riesigen Landes taumeln nicht nur in treibenden, flotten Rhythmen, sondern wissen auch die musikalische Entschleunigung durchaus zu schätzen. Wie die Sängerin Céu aus São Paulo. Sie zelebriert – schon der Name ihres gefeierten zweiten Albums Vagarosa tut es kund – die Gemächlichkeit und zieht damit Menschen in aller Welt in ihren Bann. Text: Katrin Wilke „Ein wenig Bedächtigkeit und Faulheit schadet niemanden. Dorival Caymmi lag damit ganz richtig.“ Diesen Hinweis auf eins von Céus großen Idolen gibt ein brasilianischer Kollege auf ihrer Myspaceseite. „Ich bin nicht faul, ich bin kontemplativ“, soll der 2008 im Alter von 94 Jahren verstorbene Barde aus Salvador einmal fast trotzig auf die wiederholte Frage nach seiner musikalisch meisterhaft kultivierten tranqüilidade gesagt haben. Vielleicht geht es der schönen Frau mit dem buchstäblich himmlischen Namen und der himmlisch schwebenden und doch geerdeten, glasklaren Stimme ähnlich. Schon auf ihrem gefeierten Debütalbum hatte es die damals 25-Jährige musikalisch nicht allzu eilig. Nun, vier, fünf Jahre später, hat sich die Künstlerin und junge Mutter gänzlich auf eine tropikalisch-stoisch anmutende Gangart verlegt. Ihre Songs wiegen sich in lässigen, unaufgeregten und doch so aufregend klingenden Rhythmen. Auf wundersame Art lässt sich Céu herausfallen – aus brasilianischen Klischees, aus Zeit und Raum und ganz konkret aus dem sie umgebenden Großstadtgetriebe. „Ich lebe in São Paulo, dieser wirklich sehr beschleunigten Stadt voller Informationen, voller Krach. Wohl genau deshalb fühlte ich das starke Bedürfnis nach Stille, nach der Langsamkeit bestimmter Dinge. All dem, was dem Menschen gut tut. Der braucht nicht diese Kontinuität, diese sekündliche Information. Auf diese Weise ist er nie wirklich präsent, in seinem konkreten Moment, seiner Gegenwart. São Paulo reißt einen ständig mit sich fort. Man kann gerade noch die jeweils nächsten Aufgaben begreifen. Das Leben in dieser Stadt, die mir das abverlangt und antut, versetzte mich in eine innere Unruhe. Und die ließ mich einen Klang suchen. Dabei ist Vagarosa entstanden.“
Doch die 1980 als Maria do Céu Whitaker Poças in São Paulo geborene Singer/Songwriterin weiß ihre Heimatstadt auch zu schätzen: Als einen Ort, der in seiner Härte und Ambivalenz viel Kreativität und Arbeitslust heraufbeschwört und heutzutage die meisten Künstler anzieht – weg von Rio, wo man aus ihrer Sicht immer noch der Bossa Nova nachhängt. Nicht dass Céu etwas gegen die das Land einst revolutionierende Musik hätte. Auch nicht gegen den von der Bossa Nova aufgegriffen und entschleunigten Samba. Vagarosa beginnt sogar mit einem – ganz naturbelassen mit Stimme und Cavaquinho. Doch schleicht der sich nach nur einer Minute unter dem Knacksen einer alten Platte davon. Und schon treidelt die Sängerin in dem Stück „Cangote“ durch dubbig-jazzige Fahrwasser, gebettet auf betörend bizarren, altmodisch wie futuristisch wirkenden Orgel- und Mellotromklängen. ... mehr im Heft |
|