FOLKER – Rezensionen

Rezensionen Nordamerika


BALKAN BEAT BOX
Blue Eyed Black Boy

(Crammed Discs craw55/Indigo, go! www.indigo.de )
14 Tracks, 48:40, mit engl. und span. Texten

Das vierte Album der New Yorker Balkan Beat Box, aufgenommen in Wien, Belgrad und Tel Aviv, basiert auf gut ausgewählten Dancefloorbeats zu arabischen, Latin- und Reggaeklängen und -Texten. Neben zahlreichen überaus begabten Gastmusikern aus aller Frauen Länder und Aufnahmeregionen, gehören zum festen Line-up Tomer Yosef (Gesang, Schlagzeug, Perkussion, klassische Gitarre), Tamir Muskat (Programmierung, Schlagzeug, Perkussion) und Ori Kaplan. Dieser zeichnet sich durch die Bedienung diverser Blasinstrumente der Handelsmarke Balkan verantwortlich, wie er es bereits bei Firewater und Gogol Bordello anschaulich demonstrierte. Mit Blue Eyed Black Boy beweisen die drei Livetitanen der Balkan Beat Box, dass sie ihre energetische Spielwut auch auf Konserve gepresst bekommen. Zu einem intelligent verdrehten „We can show you how to send you to outer space – to fly on your own“ bedient man sich gekonnt bei Max Romeo. „Look Them Act“ ist ein Ausflug in den Hip-Hop, „Balcumbia“ oder „War Again“ haben Hymnenpotenzial. Höhepunkt aber bleibt bis zum Ende der Opener „Move It“, der schlicht ins feste Repertoire eines jeden Weltbeat-DJs gehört.

Matthias Lewy

 

BALKAN BEAT BOX – Blue Eyed Black Boy


DIVERSE
Things About Comin’ My Way – A Tribute To The Music Of The Mississippi Sheiks

(Black Hen Music BHMCD 55/In-akustik.com, go! www.in-akustik.com )
17 Tracks, 66:11, mit ausführlichen engl. Infos zu Interpreten wie Titeln

Ein Hoch auf die Vorväter! Und diejenigen, die sie im Bewusstsein der Nachgeborenen halten: The Mississippi Sheiks sind heutigen Liebhabern nicht zuletzt seit Bob Dylans Killerinterpretationen ihrer Songs „The World Is Going Wrong“, „Sittin’ On Top Of The World“ und „Blood In My Eyes“ wieder präsent. Die Stringband der Kinder des früheren Sklaven Henderson Chatmon aus Bolton, Mississippi, begann nach einem erfolgreichen Jahrzehnt als Livekapelle im Delta 1930 als eine der ersten Folkkapellen damit, ihr Repertoire im Studio zu verewigen – noch heute fast das gesamte Americanaspektrum: Folk, Blues, Country, Dixie – die „Folks“ wollten es, die Sheiks spielten es. Und schrieben unterwegs ein Füllhorn voll Songs, die man längst für Traditionals hält – auf Things About Comin’ My Way wiedervorgelegt in durchweg hochinspierierten, meist regelrecht berauschenden Interpretationen solcher Schwergewichte wie Geoff Muldaur, Madeleine Peyroux, John Hammond, Oh Susanne mit Van Dyke Parks, oder Bruce Cockburn, dessen „Honey Babe Let The Deal Go Down“ von einem Singalong-Chor geradezu überirdischer Einfachheit und Schönheit trandzendiert wird. Diese Songs werden noch viele Nachgeborenen wärmen.

Christian Beck

 

DIVERSE – Things About Comin’ My Way


JACK ELLIOTT
At Lansdown Studios, London

(Bear Family BCD 16630 AH, go! www.bear-family.de )
33 Tracks, 88:40

Dass Skifflekönig Lonnie Donnegan 1957 Woody Guthries „Grand Coulee Dam“ spielte, war kein Zufall. Es war Jack Elliott, der Guthries Musik und die US-Folktradition bei seinem ersten Englandbesuch im Gepäck hatte und dann in London aufnahm. Die hier zusammengestellten Titel entstanden zwischen 1958 und 1960 für die Alben Ramblin’ Jack Elliott In London, Rambling Jack Elliott Sings Songs By Woody Guthrie And Jimmie Rodgers, Kid’s Stuff – Ramblin’ Jack Elliott Sings Children’s Songs By Woody Guthrie. Hinzu kommen sechs bislang unveröffentlichte Titel, darunter vier Stücke mit „Banjoman“ und Sänger Derroll Adams, der in Elliotts Englandjahren gemeinsam mit ihm auftrat. Ein unerwarteter Mitspieler ist Alexis Korner, der bei einem Dutzend Songs an der Mandoline zu hören ist. Der für sein aktuelles Album A Stranger Here gerade mit einem Grammy ausgezeichnete Jack Elliott zeigt hier, warum Bob Dylan auf seinen ersten Alben manchmal wie Woody Guthrie klang. Er hatte es von Elliott gelernt, der in den Fünfzigerjahren viel Zeit mit Guthrie verbracht hatte. Ein wichtiges Tondokument, wie immer bei Bear Family klanglich bestens produziert und von einem informativen Booklet begleitet.

Michael Kleff

 

JACK ELLIOTT – At Lansdown Studios, London


HAYSEED DIXIE
Killer Grass

(Cooking Vinyl COOKCD515/Indigo, go! www.indigo.de )
12 Tracks, 46:55, plus Bonus-DVD

Sie geben uns weiter diese Sorte Typen, die niemals eine Klobürste in die Hand nehmen würden – jedenfalls nicht, um damit die Keramik zu putzen! Sie bleiben die Hohepriester der niederen Instinkte, in deren Messen vor allem Lieder über Saufen, Pupsen und Sex gesungen werden. Ihren Ruhm gründen John Wheeler, Frontmann und Songschreiber der Band (g, voc), und seine Jungs aber besonders auf kongeniale Bluegrassversionen sämtlicher Rockklassiker von AC/DC bis Kiss. Auch auf ihrem achten Album legen Hayseed Dixie mit traditionellem Instrumentarium wieder einige Rockgrassnummern nach, etwa Queens „Bohemian Rhapsody“, die sie in 3:40 schaffen, Black Sabbaths „Sabbath Bloody Sabbath“ und „Omen“ von The Prodigy. Außerdem wird Mozarts „Kleine Nachtmusik“ bei ihnen zur fiddleseligen „Eine kleine Trinkemusik“. Unter den Eigenkompositionen ragt „In The Backyard“ heraus, ein düsterer Mitsinger, in dem eine Frau ihren verhassten Alten umlegt. Stark abgedreht auch der Inhalt der Bonus-DVD – außer ein paar albernen Videos enthält sie sämtliche Audiospuren aller Songs im WAV-Format. So kann sich jeder per Computer seinen eigenen Mix basteln. Dixies, der Phil-Spector-Ehrenpreis ist euch sicher!

Volker Dick

 

DANIEL MARTIN MOORE & BEN SOLLEE
Dear Companion

(Sub Pop SPCD 855/Cargo Records, go! www.cargo-records.de )
11 Tracks, 36:42, mit engl. Texten und Infos

Dear Companion ist ein Protestsongalbum, das dennoch ungemein sensible und besinnliche Musik liefert. Der dezente Sänger und vorzügliche Gitarrist Daniel Martin Moore fand im klassischen Cellisten Ben Sollee, der bislang in Folk- und Bluegrassprojekten mitwirkte, den kongenialen Partner. Moore, Sollee und ihr Produzent Yim Yames engagieren sich in ihren Songs gegen den Übertagebergbau in den amerikanischen Appalachen, der zur großflächigen Landschaftszerstörung, dem Wegsprengen von Bergspitzen und der Verseuchung von Luft und Wasser führt. Beiden gelingt es, die Musik der Appalachen auf feinsinnige Weise einfließen zu lassen. Der Harmoniegesang der beiden ist makellos und die Lieder geraten durch die ruhige Tonart und das langsam gestrichene Cello sehr sphärisch. Manchmal wird das Cello aber auch zum Taktgeber und entlehnt Rhythmen aus der Oldtime Music oder dem Bluegrass. Etliche Lieder werden von Banjo, E-Gitarre, Bass und Schlagzeug unterstützt, was ihnen dann eine rockige Atmosphäre gibt. Höhepunkt ist „Try“, das anfangs an ein Kinderlied erinnert und schließlich durch einen stampfenden Schlagzeugrhythmus immer bedrohlicher wird.

Hans-Jürgen Lenhart

 

DANIEL MARTIN MOORE & BEN SOLLEE – Dear Companion


LEE HARVEY OSMOND
A Quiet Evil

(Latent LATEXCD24/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
10 Tracks, 43:14

Es gibt genug Musikliebhaber, die auf der Suche nach einem Geheimtipp sind. Und Leute, die Velvet Underground für die einzig legitime Folkband des Planeten halten, gibt es ebenfalls genug. Beide Lager könnten hier schon aufhören zu lesen und sofort A Quiet Evil kaufen. Vorsichtigere lassen sich vielleicht von dem Hinweis überzeugen, dass das kanadische Projekt Lee Harvey Osmond aus Leuten der Cowboy Junkies, der Skydiggers und Tom Wilson von Blackie and the Rodeo Kings besteht. Das Ganze läuft unter dem Etikett „Acid Folk“, das ist vielleicht am ehesten mit einer abgedreht rockigen Variante von Americana zu beschreiben – so abgedreht wie die Kombination aus Lee Harvey Oswald und den Osmonds im Namen der Band. Tom Wilson gibt den Songs als treibender Kopf des Projektes ihre subtilen Qualitäten. Unheimlich und doch sanft, ein Thriller, der unter die Haut geht, ohne Blut zu vergießen, so könnte A Quiet Evil angekündigt werden, wenn es ein Film wäre. Dass der Film, den Lee Harvey Osmond tatsächlich erzeugen, in unserem eigenen Kopf entsteht, macht dieses Album so bemerkenswert. So gesehen ist es wahrscheinlich sogar auch gerade gut, dass die Texte abgedruckt wurden.

Chris Elstrodt

 

LEE HARVEY OSMOND – A Quiet Evil


ELLIS PAUL
The Day After Everything Changed

(Black Wolf Records BW0010, go! www.ellispaul.com )
15 Tracks, 61:52

Klug, mitfühlend, brillant und bissig – so beschreibt Nora Guthrie den Singer/Songwriter Ellis Paul, seit vielen Jahren eine feste Größe innerhalb der berühmten Bostoner Folkszene. Nachdem er schnell begriffen hatte, dass mit seiner Musik mit einem Majorlabel nicht ins Geschäft zu kommen ist, beschritt er konsequent und fleißig – The Day After ... ist bereits sein 15. Album – seinen eigenen, ganz individuellen Weg, auf dem ihm Musikpreise geradezu zuflogen wie eine mittlerweile riesige Fangemeinde. Nur mit dieser im Rücken war die spezifische Produktion des Albums möglich – The Day After Everything Changed wurde mit den Spenden begeisterter Ellis-Anhänger verwirklicht. Und Ellis Paul hat ihren finanziellen Einsatz mit seiner Musik mit klugen, intensiven Texten in poppigem Rahmen – zwei Aspekte, die sich hier bestens ergänzen – in bewährter Weise wieder wettgemacht. Wirklich bemerkenswert vor allem der Titelsong des Albums: Mit nur zwei Strophen gelingt es Paul, Beginn und Ende einer Beziehung in Worte zu fassen – was dazwischen passiert ist, bringt er auf poetische Weise im Refrain zum Ausdruck. Brillant.

Markus Dehm

 

ELLIS PAUL – The Day After Everything Changed


OLA PODRIDA
Belly Of The Lion

(Western Vinyl WEST 067/Cargo Records, go! www.cargo-records.de )
9 Tracks, 36:15, mit engl. Texten

Irgendwie merkt man, dass Multiinstrumentalist und Sänger David Wingo alias Ola Podrida hauptsächlich Filmmusik macht, sich hier aber mal an Songs versucht. Meist schichtet er Gitarrenklänge im Multitrackverfahren und erzeugt damit Stücke, die immer dichter werden, wie ein startendes Flugzeug in Hallräume ungeahnter Dimension aufsteigen und einen Schwebezustand erreichen, wenngleich klanglich nicht immer die Romantiker bedient werden. Dadurch entsteigt der meist melancholischen Grundstimmung, die auf die etwas brüchige und introvertierte Stimme des Sängers zurückzuführen ist, eine ungeahnte Kraft. Die in der Regel vom Banjo gesteuerten rhythmischen Stücke muten dagegen eher minimalistisch an. Es gibt Momente, die an die elegische Atmosphäre von David Gilmours Balladen erinnern, jedoch durchdringt am Ende meist ein anschwellender „Wall of Sound“ die Stücke. Wingos folkige Kompositionen geraten so zu Klanglandschaften, die plötzlich sogar in Stoner-Rock-Kaskaden umschlagen können. Sein Konzept geht am ehesten in „Sink Or Swim“ auf, in dem er akustische, Lapsteel-, Fuzz- und Tremolo-Gitarren verwebt. Wenn es so etwas wie Dream Folk gibt, dann klingt er so.

Hans-Jürgen Lenhart

 

OLA PODRIDA – Belly Of The Lion


JOSH ROUSE
El Turista

(Bedroom Classics/Rykodisc/ADA Global, go! www.ada-global.com )
10 Tracks, 36:26, mit engl. und span. Texten

Ein wunderschön entspanntes achtes Album hat der Mann aus Nebraska zusammen mit seinem langjährigen Produzenten Brad Jones aufgenommen. Er kappt seine Alt.Country-Wurzeln, da sie nun mal nicht nach Valencia passen. Dort wohnt er seit fünf Jahren mit Frau Paz Suay, mit der er das von Latinrhythmen getragenen „Las Voces“ schrieb, und dem gemeinsaen Kind. Die Partnerin war es auch, die ihn ganz allmählich in die Geheimnisse der iberoamerikanischen Klänge einführte. Man nehme das an Stan Getz/Astrud Gilberto erinnnernde „Lemon Tree“, was Paul Simon mit Sicherheit nicht besser hinbekommen hätte. Das verträumte „Duerme“ zeigt Einflüsse des kubanischen Komponisten Bola de Nieve, dem er auch „Mesie Julian“ widmete, einen Song, in dem er auch mit Selbstironie nicht spart. Wie man Tunes wie „Cotton Eye Joe“ im Stile eines Terry Callier in dieses von hübsch arrangierten Streicherklängen getragene Album einbettet, ist eine Herausforderung, die Josh Rouse dank intensivem Vince-Guaraldi-Studium zu meistern versteht. El Turista ist auf Rouses Label Bedroom Classics erschienen, das den Urlaub mitsamt Sonne und Meer ins Schlafzimmer bringt – wo es sich einfach am besten anhört.

Matthias Lewy

 

JOSH ROUSE – El Turista


BROOKS WILLIAMS
Baby O!

(Red Guitar Blue Music RGBM-1001, www.brookswilliams.com)
12 Tracks, 43:49, mit engl. Infos

Die 17. Platte des Sängers und Gitarristen aus Georgia, der im deutschsprachigen Raum noch relativ unbekannt ist, gehört zu den Highlights im Akustik-Blues-Sektor. Hier stimmt einfach alles: tolle Stimme, klasse Fingertechnik an den Saiten verschiedener Gitarren und ein abwechslungsreiches Repertoire. Seit mehr als 23 Jahren widmet sich Brooks Williams der Musik, und dass er ein Könner ist, hört man bei jedem Ton. Aufgenommen wurde die außergewöhnliche Scheibe im englischen Bristol mit den Gastmusikern Keith Warmington an der Mundharmonika, David Goodier am Bass, PJ Wright an der zweiten Gitarre (Dobro, Slide und Pedal Steel) und der Sängerin Helen Watson. Die wirklich harmonische Produktion umfasst Folkblues, Traditionals, Singer/Songwriting und Cover von Mississippi John Hurt, Son House und Duke Ellington. Titel wie „Sugar Sweet“ und „Moon On Down” haben die Kraft zu Ohrwürmern. Ab April ist Williams live in England unterwegs, und sicher wird er auch in Deutschland bald die Bluesbühnen erobern. Ein Musiker seines Formats ist selbst eine sehr weite Anreise wert.

Annie Sziegoleit

 

BROOKS WILLIAMS – Baby O!

Update vom
09.02.2023
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