FOLKER – Rezensionen

Rezensionen Europa


JOAN ARMATRADING
This Charming Life

(Hypertension Music HYP 10272/Soulfood Music, go! www.soulfood-music.de )
11 Tracks, 45:11, mit engl. Texten

Kaum zu glauben, aber Joan Armatrading feiert Ende dieses Jahres einen sehr runden Geburtstag und hat auch nach 17 Studioalben in vier Karrierejahrzehnten immer noch mehr Power im kleinen Finger als alle Jungspunde aus Deutschlands Castingshows zusammengenommen. Alles selbst geschrieben und mit Ausnahme des Schlagzeugs selbst eingespielt, steht auf This Charming Life das Rock- und Popelement im Vordergrund, obwohl Blues, Reggae oder Folk bei ihr nie völlig außen vor bleiben. Armatrading präsentiert elf starke Songs, wobei das Titelstück sowie „Best Dress On“ oder „Two Tears“ durchaus das Zeug haben, sich in die lange Reihe ihrer Hits einzureihen. Alles Lieder, die ihren unverwechselbaren Stempel tragen. Respekt und Bewunderung wären zwei verständliche Reaktionen, wenn das nicht zu sehr nach Vorruhestand klingen würde. Davon ist Joan Aramtrading mit diesem Album jedoch meilenweit entfernt. Gott sei Dank!

Mike Kamp

 

JOAN ARMATRADING – This Charming Life


BREABACH
The Desperate Battle Of The Birds

(Breabach Records BRE001CD, go! www.breabach.com )
11 Tracks, 52:07, mit wenigen engl. Infos

Den „Eisernen Eversteiner“ im Malzhaus zu Plauen haben die vier Schotten dann leider doch nicht gewonnen. Dafür hatten sie aber ausreichend Zeit, Ende Januar in Glasgow ihr neues Album gebührend vorzustellen. Der Vergleich zum Debüt fällt einfach aus: mehr davon, nur besser. Es bleibt die Kraft der beiden Highland Bagpipes bei den druckvollen Instrumentals. Was neben der positiven Entwicklung des Gesamtsounds besonders auffällt ist Ewan Robertsons Gesang. Jung ist er noch, der Gitarrist, aber seine Stimme zeigt mehr und mehr Emotion, Charakter und Reife. Nicht zu vergessen Patsy Reid, die sich bei Songs von Dougie MacLean, Ewan MacColl oder Allan Taylor den Gesang mit ihm teilt. Auch sie weiß zu überzeugen. Vier Songs und sieben Instrumentals beweisen: Schottlands folkloristische Zukunft liegt in guten Händen. Von den Lungen ganz zu schweigen.

Mike Kamp

 

BREABACH – The Desperate Battle Of The Birds


KARAN CASEY/JOHN DOYLE
Exiles Return

(Compass Records COM 4529/Sunny Moon, go! www.sunny-moon.de )
12 Tracks, 52:10

Das ist wieder die „richtige“ Karan Casey – nachdem ihr letztes Abum irgendwie deutlich zu ruhig geraten war, wird die vorliegende Produktion der irischen Sängerin wieder von der Schwerelosigkeit geprägt, die man von ihr aus alten Solas-Tagen kennt. Dies liegt neben der Songauswahl allerdings auch an der Gitarrenbegleitung durch keinen anderen als John Doyle, früher ebenfalls prägendes Mitglied der genannten Band. Verspielt und groovend erweist sich Doyle als kongenialer Duopartner und wartet neben ebenso rhythmisch-akzentuierten Gitarreneinsätzen auch mit Mandola auf. Ob als Backingpartner von Liz Carroll oder auch hier: Er spielt immer des Richtige, das, was der Song oder das Arrangement gerade besonders braucht. Außerdem verfügt er ja selbst über eine wohlklingend unprätentiöse Gesangsstimme und lässt bei einigen Songs entsprechend schöne Backing Vocals hören. Weitere Gäste sind Flötist Michael McGoldrick und Dirk Powell (Bass, Banjo). Ob die Bearbeitung der Child-Ballade „Young Hunting“, das traumhafte „Exiles Return“, das schmissige „Sailing Off To The Yankee Land“ – Karan Caseys unverwechselbares, leicht nasales Timbre geht total unter die Haut. Dringende Empfehlung!

Johannes Schiefner

 

KARAN CASEY/JOHN DOYLE – Exiles Return


CHUMBAWAMBA
ABCDEFG

(Westpark Music WP87186/Indigo, go! www.indigo.de )
17 Tracks, 44:34, mit ausführlichen engl. Infos und Texten

Wenn am Ende mit „Dance, Idiot, Dance“ die britische Rechte für Folkmissbrauch gewatscht wird (siehe auch Beitrag „Musik gegen Faschismus“ in diesem Heft, S. 28), ist längst klar: Die besseren Songs hat eh die beinharte Linke! Schon wegen der Meister-Agitpopper aus Leeds, die mit ABCDEFG ihr 17. Album vorlegen. Quasi selbst als „The Song Collector“, so ein Track, marschieren sie mit Siebenmeilenstiefeln in die Popmusik – ohne das geringste bisschen Haltung zu verlieren. Die Musik an sich ist diesmal ihr Thema, was sie dem Menschen sein soll, wie sie gemacht wird, ihre Helden. Dabei geht es wie immer in die Vollen, was die Gassenhauer-Melodieseligkeit betrifft, aber auch, was bereits vor zwei Jahren The Boy Bands Have Won deutlich zeigte, bezüglich der Finesse der Produktion. Die gelegentliche A-capella-Nummer kommt nackt und intim wie Chumbawamba sie schuf – aber zur Magie des Radios in früheren Zeiten wird amateurgefunkt dass es zischt; zu Ehren der Oper schleicht sich Maria Tobyns „Madame Butterfly“ von historischen Aufnahmen ein; soll Melancholie sich breit machen, schwellen die Streicher an; geht’s um den Jazz, wird cool geswingt und so weiter. Und ein Song nach dem anderen lädt zum sofortigen Mitgröhlen ein – Folk! Sinnfälliger geht nicht.

Christian Beck

 

CHUMBAWAMBA – ABCDEFG


DA BLECHHAUF’N
BH

(TomTone Productions TTP 300.909/Rebeat Music, go! www.rebeat.com )
16 Track, 45.47

Blasmusik kann hübsch abscheulich sein. Dem Korrespondenten eines britischen Weltmusikmagazins mögen, wie jüngst passiert, mitteleuropäische Trachtenkapellen Glücksschauer über den Rücken jagen, in Deutschland haben in der Dorfmusik verankerte Blaskapellen hingegen eher den Geschmack biederer Antimoderne. Und in Österreich? Dort bilden diese Kapellen oftmals die erste Lehranstalt für Karrieren, die weit weg führen: International renommierte Jazzmusiker wie Wolfgang Puschnig, Thomas Gansch oder Lorenz Raab begannen oder spielen immer noch in zünftigen Blaskapellen, vermischen Einflüsse aus Jazz und Klassik mit Ländlern und Polkas. Die sieben Burgenländer Da Blechhauf’n können das auch, tun noch eine Prise Weltmusik, Balkan Brass und Spike Jones hinzu, und fertig sind 16 Titel, auf denen mit Wienerliedschmankerln wie „Ana hat immer das Bummerl“ und TV-Serien-Erkennungsmelodien („Shosholoza“) in auskalkulierten Arrangements gepunktet wird. Wer weiß, wie diese Truppe mit anarchischem Spielwitz Kirchweihfeste in Unordnung bläst, wird bei dieser Studioaufnahme die Spontaneität vermissen, den Ernst zum geordneten Arrangement mit Bedauern hören. Blasmusik kann auch schön schwierig sein.

Harald Justin

 

DA BLECHHAUF’N – BH


JACKIE DALY
Music From Sliabh Luachra

(Topic Records 12TSCD358, go! www.topicrecords.co.uk )
15 Tracks, 42:49, mit engl. Infos

THE MCPEAKE FAMILY
Wild Mountain Thyme

(Topic Records 12TSCD583, go! www.topicrecords.co.uk )
18 Tracks, 50:21

Auch die Wiederveröffentlichung ausgesuchter Klassiker ist Teil der 70-Jahrfeier von Topic (siehe Folker 2/2010, S. 71). In Sachen Irland war Topic zwar nie federführend – doch war jede Produktion ein Hammer wie das Solodebüt des Akkordeonmeisters Jackie Daly 1977. Seitdem hat er Gruppen wie De Danann oder Patrick Street bereichert und sein Stamminstrument und die Konzertina erneut auf Irlands musikalische Landkarte gesetzt. Selten jedoch klang er so frisch und selbstverständlich wie auf diesem Album mit Instrumentalmusik aus der Berggegend zwischen Cork und Kerry.

Wie die McPeake Family, deren Wild Mountain Thyme den fast fünfzig Jahren seit Entstehung des Albums musikalisch ebenfalls keinerlei Patina angesetzt hat. Drei Generationen umfassten die Belfaster, die zur Entstehung der vorliegenden Aufnahmen 1962/63 zu den Vorreitern des dortigen Revivals zählten und die nordirischen Farben sogar bis nach Moskau hin vertraten. Songs voll roher Energie und Harmonie sowie Tunes, bei denen Harfe und Uilleann Pipes die Hauptrolle spielen – diese Mischung ist unterdessen lediglich klangtechnisch ein wenig gealtert. Von wie vielen Produktionen kann man das sagen?

Mike Kamp

 

JACKIE DALY – Music From Sliabh Luachra

THE MCPEAKE FAMILY – Wild Mountain Thyme


DOWNTOWN RAMBLERS
Downtown Ramblers

(Eigenverlag, go! www.downtownramblers.com )
11 Tracks, 36:28

Ziemlich unbekannt ist, dass es in Schweden auch eine große Bluegrassszene gibt mit vielen Festivals und Gruppen. Eine der besten sind die Downtown Ramblers, eine junge Band aus Göteborg. Wegen der Einflüsse von schwedischer Folkmusik, Pop und Jazz nennen sie ihre Musik „Nordisch-Städtischen Bluegrass“. Wer Crooked Still und Alison Krauss kennt und mag, wird auch diese Gruppe mögen. In der Besetzung Martin Blomberg (5-String-Banjo), Pär Öjerot (Gitarre), Oskar Reuter (Mandoline), Kalle Annerhult (Bass) und Emelie Junsten (Gesang) spielten sie ab 2005 zunächst Coverversionen, entwickelten sich aber schnell weiter in Richtung eigener Stücke. Schon nach zwei Jahren gewannen sie die Swedish Bluegrass Championships in Sälen und wurden so plötzlich ein wichtiger Teil der schwedischen Bluegrassszene. Nach einer Konzerttournee im Sommer 2008 veröffentlichten sie im Dezember desselben Jahres ihr erstes Album mit ausschließlich eigenen Kompositionen. 2009 wurden sie beim European World of Bluegrass Festival in Voorthuizen zur besten europäischen Bluegrass-Band gewählt. Damit ist ihre Teilnahme am International Bluegrass Festival 2010 in Nashville gesichert.

Bernd Künzer

 

DOWNTOWN RAMBLERS – Downtown Ramblers


SOPHIE HUNGER
1983

(Two Gentle Men Records TWOGTL009/Indigo, go! www.indigo.de )
14 Tracks, 42:32

Die Schweizerin, Jahrgang 1983, legt schon ein Jahr nach Monday’s Ghost dessen Nachfolger vor. Wieder vor allem in englischer Sprache, mit einem französischen, einem hochdeutschen und einem schweizerdeutschen Stück. Der Shooting Star der vergangenen Saison chargiert zwischen zartem Chanson und punkähnlichen Jazzeinlagen. Hunger hat Energie. Man spürt einen Druck, sie hat etwas Getriebenes an sich, etwas Suchendes. „Bitte sing mir ein Volkslied, auch wenn es das nicht mehr gibt“ bettelt sie. Wenn man das nicht im Sinne des Genres sieht, also als vom Volksmund übertragene Weise, sondern als Wunsch, etwas auszusagen, das nah an den Menschen dran ist, dann ist man vielleicht auf der Spur von Sophie Hunger. Auf 1983 traut sie sich auch an einfache Melodien und hat eine Schippe Pop zugelegt. Sie bleibt insgesamt aber komplexeren Kompositionen treu. Mitsingen ist also nicht so einfach, zuhören dafür umso leichter. Ihren Musikern ist sie treu geblieben. Michael Flury, Christian Prader und Julian Sartorius haben sie bereits sowohl auf dem letzen Album als auch auf der letzten Tour begleitet.

Sarah Habegger

 

SOPHIE HUNGER – 1983


THE IMAGINED VILLAGE
Empire & Love

(ECC Records ecc 002/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
11 Tracks, 63:55

Ich gebe es ungern zu, aber es ist so: Ich komme mit dem Zweitling des englischen Folk/Weltmusik-Superprojekts nicht klar! Das Album klingt, als hätte sich da jemand sehr, sehr viel Gedanken gemacht, so viele Gedanken, dass beim „Lark In The Morning“ tatsächlich Vögel zwitschern. Das Debüt (siehe Folker 1/2008) war eine Attacke auf die akustischen Sinne, eine wunderbar wilde, unausgewogene Mischung aus englischen Folksongs mit meist asiatischen Zutaten. Bauchmusik par exzellence. Empire & Love, mit fast identischem Personal eingespielt, ist durchdacht und durcharrangiert, intellektuell und kühl kalkuliert – mit einem anderen Wort: Kopfmusik. Das Paradebeispiel ist, wenn Martin Carthy den alten Slade-Gassenhauer „Cum On Feel The Noize“ völlig ummodelt, von einer Mitgrölhymne zu einem depressiv-melancholischen Zweiflersong morpht. Das schreit förmlich nach Augenbrauen hoch und unterkühlt: „Oh dear, very interesting!“. Jawohl, interessant; aber nichts, was mitreißt. Ähnlich klingen Carthys Neueinspielung seines Klassiker „Byker Hill“ oder Chris Woods Version von „Scarborough Fair“. Manchmal kann man sich selbst Musik, die nicht schlecht ist, nicht wirklich schön hören.

Mike Kamp

 

THE IMAGINED VILLAGE – Empire & Love


JIENAT
Mira

(Eigenverlag JNCD 002, go! www.jienat.com )
SACD + Blu-ray-Audio-DVD, 11 Tracks, 47:34, mit engl. Infos

Jienat ist ein faszinierendes Projekt des norwegischen Bassisten, Perkussionisten und Sängers Andreas Fliflet, das ihm erlaubt, Elemente sehr unterschiedlicher traditioneller Klangkulturen zu einer neuen Musik zusammenzufügen. Als Ausgangsbasis dafür dient ihm der samische Joik, also die Rezitationen, Gesänge und Trommelrhythmen der nordskandinavischen Hirtenvölker – hierzulande vor allem durch Mari Boine bekannt gemacht. Diese archaische Musikkultur – auf dem Titelstück hören wir sogar das „Bjeffjoik“ genannte, täuschend ähnliche Imitieren von Hundegebell – gibt Fliflet die rhythmische Basis, von der aus er durch die Welt streifen kann. Und so gibt dann plötzlich eine brasilianische Trommelgruppe, die witzigerweise das gleiche Stück trommelt, das Paul Simon für „The Obvious Child“ benutzte, den Takt vor, und statt Simons Lyrik erklingt samisches Liedgut. Ein anderes Stück beginnt als Joik und endet als Straßenszene in einer argentinischen Kleinstadt – inklusive Hufgeklapper und Marktgeschrei per Megafon. Und weil geniale Kunst auch einen exklusiven Rahmen braucht, gibt es diese phänomenale Musik zusätzlich mehrkanalig als seltene Blu-ray-Audio-DVD!

Walter Bast

 

JIENAT – Mira


KADRIL
Mariage

(Wild Boar Music WBM 21082, go! www.kadril.be )
14 Tracks, 56:38, Digipak mit Texten

Nein, bei Mariage geht es nicht um eine Hochzeit. Das neue Album der flämischen Folkrockband Kadril ist vielmehr der eigenen Sängerin Mariken Boussemaere gewidmet. Mari-Age, das ist das Zeitalter von Mariken. Doch anders als bei Eva 1999 wird die neue Sängerin damit nicht nur vorgestellt, sondern auch gleich wieder verabschiedet. Mariken Boussemaere, die mit ihrer warmen und leicht dunklen Stimme Mariage sehr angenehm prägt, verlässt die Band nach einigen Jahren schon wieder. Doch wenn man Mariage hört, muss man sich um Kadril keine Sorgen machen. Es bleiben die acht Stammitglieder um die Brüder Erwin, Peter und Harlind Libbrecht, die 1976 gegründete Band verwaltet nicht ihre Geschichte, sondern ist voll auf der Höhe der Zeit. Fielen die letzten Kadril-Alben etwas zu soft aus, so enthält Mariage ebenso griffigen wie pfiffigen Folkrock. Nicht zuletzt die instrumentalen Zwischenparts überzeugen mit vielen Klangüberraschungen, etwa dem Zusammenspiel von Drehleier und Bläser-Combo auf „Venus“. Das Zeitalter von Mariken ist vorbei, die nächste Sängerin kann kommen.

Christian Rath

 

KADRIL – Mariage


NUALA KENNEDY
Tune In

(Compass Records COM 4534/Sunny Moon, go! www.sunny-moon.de )
10 Tracks, 48:52, mit engl. Infos und engl. und gäl. Texten, letztere mit engl. Übers.

Die in Schottland lebende Irin hat eine so süße Stimme – vergleichbar mit Cara Dillon oder Emily Smith -, nicht nur hoch und glockenklar, sondern auch noch mit einem spannenden Jazztimbre, dass der Rezensent nur so dahinschmilzt. Zudem spielt sie erstklassig Flute und Whistles und hat sich sage und schreibe 19 Mitmusiker und -musikerinnen zusammengetrommelt, um Tune In aufzunehmen. Diese singen oder spielen Fiddles, Kontrabass, diatonisches Akkordeon, Perkussion, Gitarren, Mandoline, Flügelhorn, Trompete, Piano, Drehleier, Cellos, Violine und Viola, und das alles ergreifend und mitreißend! Aber nur drei Stücke sind reine Instrumentals, ansonsten regiert neben der Musik die Poesie der Texte. Die meisten Lieder sind eher ruhig, nachdenklich, bisweilen melancholisch oder gar todtraurig wie „The Waves Of The Silvery Tide“, ein romantisches traditionelles Lied über den Mord an einer jungen Frau, die lieber in den Tod geht, als ihrem Verlobten untreu zu werden. Mitsänger Bonnie Prince Billy hat zwar eine furchtbare Stimme, aber er singt ja auch den Part des Mörders, sodass es passt. Und zur Abwechslung gibt es herzerfrischend Fröhliches wie „All Of These Days“ über einen Sommertag am Strand.

Michael A. Schmiedel

 

NUALA KENNEDY – Tune In


JEREMY KITTEL
Chasing Sparks

(Fiddlestick Music/Compass Records COM 4531/Sunny Moon, go! www.sunny-moon.de )
11 Tracks, 65:21, mit wenigen engl. Infos

Wenn ein Master der Jazzvioline, der zugleich US National Scottish Fiddle Champion ist, sein Instrument ergreift, dann kann man was erleben! Jeremy Kittel geht zusammen mit 13 Mitmusikerinnen und -musikern mit Bass, Mandolinen, Gitarre, Trommeln, Perkussion, Cellos, Bodhrán, Piano, noch einer Fiddle und Fußperkussion in die Vollen. 10 der 18 Instrumentals in 11 Tracks hat er selbst geschrieben, die anderen sind irische und schottische Traditionals oder von Kollegen wie Tóla Custy. Mit den Vorlagen geht Kittel um wie ein Jazzer mit Jazzstandards – er variiert, improvisiert, spielt mal treibend, mal zerhackt, mal rasend schnell, mal sehr langsam und immer so, dass „filigran“ zu wenig aussagt, „ziseliert“ eher das richtige Wort ist, und nicht selten vielleicht „psychedelisch“. Fast unentwegt wissen die Ohren nicht, wo sie hinhören sollen. Die Mitmusiker begleiten nicht weniger jazz-folkig – ein Cello legt zum Beispiel einmal einen Bordunhintergrund, um dann in die Fiddlemelodie miteinzustimmen, Perkussion und Gitarren spielen Einzeltöne, Akkorde, Melodien – was gefragt ist. Wer sich bei Flook eine Fiddle wünscht, der ist mit Kittel gut beraten. Nur dass es bei ihm keine Flöten gibt.

Michael A. Schmiedel

 

JEREMY KITTEL – Chasing Sparks


DAVID LINDORFER
Between Places

(Acoustic Music Records 319.1411.2/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
14 Tracks, 43:48

Das ist mal etwas ganz Besonderes. Sechs Nylonsaiten und eine Musik, die gar nicht so leicht zu beschreiben, geschweige denn einzuordnen ist. Ja, da gibt es einen Ragtime, aber was für einen! Gespickt mit allerlei delikaten Dissonanzen und doch gnadenlos treibendem Groove. „60 Seconds“ tänzelt ungeheuer locker daher, eine Popnummer, könnte man meinen, wären nicht auch hier wieder die harmonischen doppelten und dreifachen Böden. Nichts ist wie es beim ersten Hören scheint. Mit feinem ästhetischem Empfinden und größter Raffinesse geht hier ein junger Gitarrist zu Werke, den man sicherlich als solitäre Erscheinung in einer Gitarristenwelt betrachten muss und darf, die dem vordergründig Schnellen und Schönen viel zu schnell erliegt. Hier scheint eine Schönheit auf, an der unser Ohr nicht so rasch ermüdet. Lindorfer weiß um Tiefe und macht sie hörbar. Und so gilt auch die einzige musikalische Hommage des gebürtigen Österreichers einer jener Ausnahmegestalten der Szene wie ihm selbst – Ralph Towner. Einen glasklaren Ton hat David Lindorfer, eine hervorragende Technik, ausgefeilte Arrangements bietet er und einen himmelweiten musikalischen Horizont. Eine echte Perle. Weitersagen!

Rolf Beydemüller

 

DAVID LINDORFER – Between Places


LONELY DRIFTER KAREN
Fall Of Spring

(Crammed Discs cram 156-P/Indigo, go! www.indigo.de )
Promo-CD, 12 Tracks, 43:40

Die Österreicherin Tania Frinta singt mit verträumter Kleinmädchenstimme schräge kleine Lieder auf Englisch, ein Italiener trommelt und der Spanier Marc Melia Sobrevias spielt Klavier, komponiert mit und besorgt für die ausgefeilten Arrangements. Und so wenig dies zweite Album der Band regional einzuordnen ist, so wenig ist es das auch musikalisch. Durchweg akustisch instrumentiert, ist es für Folk zu elegant – und zu gemischt sind dafür auch die stimmig zusammenfließenden musikalischen Einflüsse: Caféhausmusik der Zwanziger, The Mamas & the Papas, Billie Holiday. Keine doofen Zirkus- und Gauklerassoziationen mehr, Gerumpel wie von Tom Waits nur noch in der Begleitung eines einzigen Songs. Für Abwechslung sorgen zurückhaltend eingesetzte Überraschungen: ein Banjo, ein paar Bläser, eine Pedal Steel. Geradezu Popappeal haben „Ready To Fall“ oder auch „Eventually“, während die Mehrzahl der Songs sich eher langsam und leise, einmal gar im geruhsamen Dreivierteltakt ins Ohr schmeicheln. Alles wird dominiert durch den Gesang der Dreißigjährigen, deren ausgestellte Naivität man freilich mögen muss. Hoffentlich fällt das Ausnahmealbum nicht mangels passender Schublade unter den Tisch.

Gunnar Geller

 

LONELY DRIFTER KAREN – Fall Of Spring


NAYEKHOVICHI
Klezmer Is Dead

(Laika 3510261.2/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
8 Tracks, 38:09, mit jidd., russ. und engl.Texten

Wenn das 2004 in Moskau gegründete Folkquartett die Losung ausgibt, Klezmer sei tot – dann kann es das nicht wirklich ernst gemeint haben. Steht doch die Musik als Beweis dafür, wie vielseitig und lebendig Klezmer nach wie vor ist – sieht man von einer kleinen Flaute von rund vierzig Jahren ab dem Jahre 1935 ab. Sind Jazzimprovisationen im allgemeinen Klezmerrepertoire vor allem dem Amerikanischen entnommen, werden neuerdings von nordischen Gruppen, etwa Tummel aus Schweden, klare Rockelemente in den Klezmer eingebaut – was dem Ganzen etwas Neues, Originelles, Energiegeladenes und Mitreißendes gibt. Nicht umsonst sprechen deshalb Vanya Zhuk (g, voc), Max Karpycheff (cl), Mitya „Pyatak“ Khramtsoff (b, v) und Fedor Mashendzhinov (dr) von ihrer Musik als „Psychedelischem Rock-’n’-Roll-Klezmer“. Schon das Eröffnungsstück „New Russian Sher“ geht in diese Richtung, verblüffend werden fast klassische Klezmermelodien oder jiddische Volksweisen wie in „Rumenye“ in zeitgenössische Rockmusik eingebunden, Gastmusiker wie der Wahlberliner Edelpunk Daniel Kahn tragen ihr Scherflein bei. Wer nichts gegen eine gewisse Härte in der Weltmusik einzuwenden hat, greift hier sicher nicht daneben.

Matti Goldschmidt

 

NAYEKHOVICHI – Klezmer Is Dead


JACKIE OATES
Hyberboreans

(Unearthed/One Little Indian TPLP1034CD/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
11 Tracks, 43:49, mit wenigen engl. Infos

Es ist seit etlichen Jahren Usus in Großbritannien: Junge Leute machen eine Art von Folkmusik, die nur sehr wenig mit dem Revivalfolk oder dem Folkrock der Siebziger und Achtziger zu tun hat. Sie nehmen traditionelle und eigene Lieder, packen sie mit größter Selbstverständlichkeit in eine Art akustisches Indie-Pop/Folk-Gewand, machen daraus ihr Ding. Die Unthanks tun es, Mawkin:Causley, Jim Moray ist schon lange so einer und auch Jackie Oates, die früher mal beim Winterset gefiddelt hat. Nur scheinbar ist es eine überschaubare Szene: Moray und Oates sind Geschwister und so hat der Bruder das neue Album der Schwester nicht nur produziert, sondern auch zahlreiche Saiteninstrumente beigesteuert. Zehn weitere Gastmusiker sorgen für zusätzliche instrumentelle Abwechslung. Da passt dann ein Traditional wie „Young Leonard“ bestens zu einer Streichquartettversion des Sugarcubes-Songs „Birthday“. Es kommt halt immer auf die Attitüde an, mit der man an sein Material herangeht; die von Jackie Oates ist nach ihrem letztjährigen Doppelgewinn bei den BBC Folk Awards hörbar noch selbstbewusster als zuvor geworden. Besonders ihr Gesang profitiert davon. Ein erfreuliches Album.

Mike Kamp

 

JACKIE OATES – Hyberboreans


AMPARO SANCHEZ
Tucson-Habana

(Wrasse Records WRASS257/Harmonia Mundi, go! www.harmoniamundi.com )
14 Tracks, 56:48, mit span. und engl. Texten

Das erste Solowerk der Frontfrau von Mestizolegende Amparanoia. Wer aber eine heiße Latin-Party erwartet hat, wird von Tucson-Habana überrascht sein. Das Tanzbein wird nicht geschwungen, stattdessen schwebt der Geist von Calexico über den Songs. Das ist in diesem Fall kein Wunder, denn Joey Burns und John Convertino haben maßgeblich am Album mitgewirkt. Für Calexico-Fans ist Tucson-Habana also schon einmal Pflichtkauf. Sollte man eine Art Calexico mit weiblichem Gesang erwarten, täte man Amparo Sanchez aber Unrecht. Sie hat ihre eigene Art, zu berühren, mitzureißen – sei es durch ihre ausdrucksstarken Texte, dankenswerterweise in englischer Übersetzung im Booklet abgedruckt, sei es durch Melodien, die, kraftvoll und doch filigran, schmerzhaft in das Herz des Hörers eindringen. Tucson-Habana ist Powerpop zwischen kubanischen Wurzeln und Americana. Es ist ein Album, das für viele etwas hat, tatsächlich gar den Mainstream erreichen könnte, wie es mit einer vergleichbaren Mischung vielleicht gerade mal Ry Cooder schaffte. Und trotz oder gerade wegen der guten Hörbarkeit ist das von Solodebüt von Amparo Sanchez ein einziges tief bewegendes Kunstwerk.

Chris Elstrodt

 

AMPARO SANCHEZ – Tucson-Habana


WIMME
Mun

(Westpark Music 87185/Indigo, go! www.indigo.de )
11 Tracks, 49:17

Mag es die Plattenfirma auch nicht glauben – dass Joik kein grammatikalisches Geschlecht zuzuordnen ist, hat der samische Joiker Nils-Aslak Valkeapää, ohne den der derzeitige Joikboom undenkbar wäre, einst sehr klar und überzeugend erklärt. Aber hören wir die Musik – und ist es vermessen, dabei das große Vorbild Valkeapää irgendwo im Hintergrund zu hören? Was ein hohes Lob sein, und nicht etwa heißen soll, Wimme ginge keine eigenen Wege. Wie Valkeapää brilliert auch er zusätzlich als Maler, das Cover ziert ein Selbstporträt, auf dem er aussieht wie eine boshafte Muminfigur aus den Werken seiner Landsfrau Tove Jansson. Die Musik beginnt langsam und getragen, wird zwischendurch gewaltig temperamentvoll, alle Stücke auf Mun sind selbstgeschrieben, manche unter Mitwirkung der Beteiligten. Wimme spricht alles klar und deutlich aus, wir hören, wie wohlklingend das Samische ist – und dass er in „Paris“ in feinstem Französisch „Oh, Paris!“ sagt. Ansonsten gibt es Brecht-Weill-Anklänge („Ruovdi“), und wo die Finnen an sich als Meister des Tango gelten, beweist Wimme hier einmal mehr, dass die Sami die absoluten Walzerkönige des Nordens sind. Vom ersten bis zum letzten Ton der pure Genuss!

Gabriele Haefs

 

WIMME – Mun

Update vom
09.02.2023
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