LABELPORTRÄT 43
Arhoolie Records
Amerikas klingende Vielfalt
TEXT: CHRISTOPH WAGNER
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Manchmal ist die Wirklichkeit sonderbarer als die Fiktion: Ein sechzehnjähriger
Deutscher kommt nach dem Zweiten Weltkrieg als Emigrant nach Amerika, wo er ein
Schallplattenlabel gründet, das zu einem bedeutenden Klangarchiv der
amerikanischen Regionalstile wird. Das klingt wie ein Märchen, ist aber wahr.
Der Einwanderer heißt Chris Strachwitz, sein Label Arhoolie Records. 1960
gegründet, hat sich die Firma in den fünfzig Jahren ihres Bestehens zu einem der
einflussreichsten Roots-music-Anbieter der USA entwickelt.
„Ich fing an,
Detektiv zu
spielen, um
Bluessänger
ausfindig zu
machen.“
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Was für ein Schock muss es gewesen sein, aber auch was für eine Befreiung, als
der Teenager 1947 in Amerika an Land ging, geflohen aus Schlesien mit Mutter und
Geschwistern vor den russischen Soldaten. Glücklicherweise hatte die Familie
eine Großmutter in den USA, die nur zu gerne half. Sie wurde zur ersten
Anlaufstelle. Bald fanden sie bei einer der Tanten in Nevada Unterkunft.
„Kann ein kleines
Label wie wir in
einer Zeit überleben,
die durch eine totale
Überflutung mit Musik
aus der ganzen Welt
gekennzeichnet ist?“
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In den Vereinigten Staaten war alles anders. Verwirrend und überwältigend
empfand Christian „Chris“ Strachwitz die neue Umgebung. Neue Eindrücke strömten
von überall auf ihn ein. Wenn man das Radio einschaltete, ertönte eine Musik,
wie sie der Teenager noch nie gehört hatte, Klänge, die ihm seltsam fremd
vorkamen und so unübersichtlich in ihrer Vielfalt. Trotzdem besaßen sie eine
ungeheure Faszination.
Rasch lernte Strachwitz zu unterscheiden: Blues, Hillbilly, Gospel, mexikanische
Musik. „Ich habe Hillbilly-Platten gekauft, auch Boogie Woogie und Rhythm and
Blues“, erinnert er sich. „Die ‚Schellacks‘ waren richtig teuer, und ich habe
mein ganzes bisschen Taschengeld dafür ausgegeben.“ Im Kino hörte er zum ersten
Mal Jazz und war wie benommen.
Nach Schule, College und Wehrdienst trat Strachwitz eine Lehrerstelle in
Kalifornien an. In der Freizeit klapperte er Flohmärkte ab auf der Suche nach
Schellackplatten. Sie wurden Ende der Fünfzigerjahre billig verramscht, als
Läden und kleine Schallplattenfirmen für die neuen Vinylsingles ihre Lager
räumten. Manchmal standen ganze Lastwagenladungen zum Verkauf. Strachwitz nutzte
die Gelegenheit. Seine Sammlung wuchs rapide. Viel verkaufte er an Sammler nach
Europa. „Auf diese Weise habe ich im Plattengeschäft angefangen. Ich erstand
alles, wo ‚Bluessänger mit Gitarre‘ draufstand“, erzählt er.
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