Rezensionen Deutschland
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RAINALD GREBE
Das Hongkongkonzert
(Versöhnungsrecords/Broken Silence CD 3969, www.brokensilence.de
)
23 Tracks, 77:25
Meine Fresse - was für ein Spieler! Und das nicht nur auf dem Klavier und mit
Worten, nein auch mit dem Publikum und dessen Erwartungen, mit Klischees, mit
der Musik und vor allem mit Assoziationen. Worum geht es? Tja, wenn man das am
Ende so genau sagen könnte, auf jeden Fall hat man sich ebenso köstlich wie
niveauvoll amüsiert. Rainald Grebe sitzt - live - am Klavier und mimt einen
gestressten, überall und weltweit eingesetzten Klavierunterhalter, der von der
Insolvenzeröffnung bis Hongkong sein Publikum gnadenlos beschallen muss. Da
sitzt er nun und quasselt mit Tempo und unglaublichen Gedankensprüngen, immer
wieder von eigenen Liedern und Hits unterbrochen, über seine Auftritte, die
Finanzkrise, irgendwelche Kleinstädte, Hongkong, Karoshi, Fußgängerzonen,
Sachsen nach der Erderwärmung oder die Gemüsekiste, also alles wirklich
bedeutende Themen. Leichtsinnig, hintersinnig und unsinnig redet und spielt er
dahin. Ein mit Leichtigkeit und auch derber Eleganz gespielter Parcours, voller
Wendungen und Überraschungen - auf diesen Mann am Klavier trinkt man gerne ein
Bier, oder bitte sehr, auch eins mehr.
Rainer Katlewski
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ROLAND HEINRICH
Lichterloh
(AgrarBerlin ABCD 01/New Music Distribution, www.new-music-distribution.de
)
12 Tracks, 40, mit dt. Texten und Infos
Der zweite Schritt scheint auch beim Hillbillydarsteller aus Mühlheim an der
Ruhr der schwerere zu sein - die Transformation der alten Westernswing- und
Country-Standards in eine authentisch deutsche Americana-Ausgabe ist so einfach
nicht. Schon, weil Singen und Spielen noch lange nicht Schreiben sind. Wenn
Roland Heinrich und Begleiter bei den Originalidiomen ihrer Vorbilder bleiben,
gibt es kaum etwas zu meckern: hoch versiert die Saiteninstrumente und
Harmonikas, echt verblüffend, wie genau Heinrich als Sänger den latent immer
leicht ironischen, theatralischen Ton der Yodels und Jammereien vergangener
Zeiten trifft. Wenn dagegen der Pott und die Stahlkrise der Siebziger- und
Achtzigerjahre zur Kulisse für eine zeitgenössische Kopie der alten Cowboys
hochgeschrieben werden sollen - na ja. Die Songs zünden natürlich nicht wie die
Vorbilder, die Texte ächzen mitunter beträchtlich, einzig die Angleichung des
Sounds an die heutigen Rockhörgewohnheiten tut der Sache rundum gut. Womit
deutlich gesagt sei, dass der Versuch natürlich richtig und gut ist! Wo genau
Heinrichs spezifische Nische am Ende liegen wird, muss sich zeigen. Bisher hält
er sich bei der Suche danach bravourös.
Christian Beck
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PETER KERLIN WITH JENS KOMMNICK
Finding Ways
(S.T.I.R. Music, www.peterkerlin.de
)
12 Tracks, 54:24, mit engl. Texten und engl. und dt. Infos
Peter Kerlin aus Goslar hat derzeit eine sehr kreative Phase - dies ist schon
sein zweites Album in diesem Jahr, wieder in Kooperation mit Jens Kommnick
(Iontach). Kerlin blickt erneut zurück auf sein Leben, erzählt, was er alles
gesehen und erlebt hat, immer auf der Suche nach der blauen Blume
beziehungsweise nach „the place where music lives“, den er dann sogar fand.
Nein, es ist nicht Rudolstadt, sondern V... - na, neugierig? Zwischen den
großenteils ernsten, teils melancholischen und doch irgendwie auch fröhlichen
und auf jeden Fall schönen Liedern lockern immer wieder Instrumentals die
Stimmung auf, in denen auch Multiinstrumentalvirtuose Kommnick voll auf seine
Kosten kommt. Die Wurzeln der Musik, obgleich bis auf ein Lied alle von Kerlin
selbst geschrieben, liegen in der britischen-irischen Tradition, aber hier und
da gibt es einen Schuss Balkan oder auch andere Einflüsse. Das Lieblingslied des
Rezensenten auf diesem Album ist „Believe“, in dem Kerlin den Höher mit einer
fröhlich galoppierenden Melodie dazu auffordert, an seinen eigenen Weg zu
glauben und sich selber treu zu bleiben. Kerlin geht mit seiner Musik als gutes
Beispiel voran. Da lebt die Musik!
Michael A. Schmiedel
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ANDREA PANCUR
Federmentsch – Lider fun Yidishland
(Globalistas, www.andrea-pancur.de
)
Promo-CD, 13 Tracks, 57:15
Erst zum Konzert am 24. November im Rahmen der 23. Jüdischen Kulturtage im
Münchener Völkerkundemuseum soll Federmentsch
erscheinen. Aufgenommen wurde das Album von Juli 2008 bis Mai 2009 unter
Mitwirkung eines Großteils der Crème de la Crème der deutschen Klezmerszene.
Andrea Pancur (Ges), die 1994 die Gruppe Massel-Tov mitgründete, diese aber
2008 verließ und seit einigen Jahren unter anderem mit dem Kölner Trio A Tickle
In The Heart zusammenarbeitet, gelang es, für ihr erstes Soloalbum Namen wie
Alan Bern (Kl), Georg Brinkmann (Klar) oder auch Franka Lampe (Akk) zu
begeistern. Ihre „Lieder aus dem Jiddischland“ stammen aus dem musikalischen
Repertoire von Komponisten wie Beyle Schaechter-Gottesmann (* 1920) oder Leibu
Levin (1914-1983), die Texte etwa vom „Prinzen der jiddischen Ballade“ (Suhrkamp)
Itzik Manger (1901-1969). Über die Jahre hat Pancurs Stimme nicht nur an
Festigkeit gewonnen, man kann aus ihr auch eine deutlich höhere
Überzeugungskraft erkennen, wie bereits das Federmentsch-Einstiegslied,
„Di Mashke“, erkennen lässt. Spätestens mit diesem Album kann man
Pancur in die Führungsriege jiddischer Musik in Deutschland miteinrechnen.
Matti Goldschmidt
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POETA MAGICA
Edda Vol. 1
(Verlag der Spielleute CD 0602/Soulfood Music, www.soulfood-music.de
)
13 Tracks, 69:02, mit dt. und engl. Texten und Infos
1992 gründeten die Multiinstrumentalisten Holger E. Funke und Friederike Funke
die Gruppe Poeta Magica, welche neben viel internationalem Renommee auch auf
neun Alben verweisen kann. Bekannt ist die Gruppe für die Vielzahl an
Instrumenten und exzellente Gastmusiker, diesmal - „Music inspired by the Edda“
präzisiert die Coverrückseite die Rolle der berühmten Text- und Liedsammlung
altnordischer Mythologie - zumeist aus Norwegen und Schweden. Zu hören ist ein
kompakter, dynamischer Sound mit verschiedensten Nyckelharpas, Perkssion, Harfe
und Dudelsäcken. Die Arrangements sind vielschichtig, mal druckvoll, mal
sphärisch, angenehm bei einem Stück auch Schlagzeug und E-Gitarre. Sympathisch
immer wieder der schwebende Klang der Schlüsselfiedeln, akustisch irgendwo
zwischen Drehleier und Geige. Es kommen neben einem ganzen Orchester eine
Großbass-Nyckelharpa und ein Instrument in Vierteltonreihe zum Einsatz. Neben
zwei Polskas finden sich meist Eigenkompositionen von Holger E. Funke. Die Texte
sind aus Finnland, Schweden, Norwegen, eine Rezitation ist in Altisländisch. Ein
rundum lobenswertes Album, ein großer Lichtblick im überquellenden Mittelalter-
und Alte-usik-Markt.
Piet Pollack
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ZUPFGEIGENHANSEL/ERICH SCHMECKENBECHER
Aquarium
(Polk Musik 003-18515/Pool Music & Media, www.pool-musik.com
; www.polkart.de
)
16 Tracks, 59:20
Eine Art Soundtrack zur 35-jährigen Karriere eines einflussreichen Folks-,
Polks- und Volksmusikers. Zur Hälfte besteht Aquarium aus bereits
früher erschienenen, klanglich aufpolierten Liedern, hinzugekommen
sind neuere bis flammneue Songs. Erich Schmeckenbecher versteht es schon seit
Zupfgeigenhansel-Zeiten meisterhaft, Tradition und Moderne zu verbinden. Dieser
Anspruch ist der rote Faden durch seine Karriere wie dieses Album, das
dokumentiert, dass E-Gitarre und Volkslied gut zusammengehen, wie bereits die
Zupfis in den frühen Achtzigern bewiesen. Folk und Popmusikelemente
verschmolzen in der Folge mit Erich und das Polk und solo mehr und mehr. Und
Schmeckenbecher war nie jemand, der sich in Schubladen sortieren und erst recht
nicht von Folkfundamentalisten vereinnahmen ließ. Wenn es dem Text dient und
dem Arrangement, dann her mit der Stromklampfe und Keyboards und Schlagzeug
dazu. Es zeigt sich auch, dass Schmeckenbecher schon immer ein Händchen für
kongeniale Vertonungen hatte, aber auch einen exzellenten Geschmack bei der
Auswahl der verwendeten Texte, von Hans-Eckardt Wenzel über Stefan Mensching
bis zu Theodor Kramer - von romantisch bis hochpolitisch. Ein großes Album!
Ulrich Joosten
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WENZEL
Masken – Wenzel singt Christoph Hein
(Matrosenblau WE 32/Indigo, www.indigo.de
)
14 Tracks, 51:30, mit Texten
Nach Theodor Kramer, Woody Guthrie und Henriette Haill nimmt sich Wenzel den
Liedtexten von Christoph Hein an. „Mit dem Hintersinn, dass sich die Worte durch
Musik und Gesang anders beleben lassen könnten als die stillen Bücher“
überreichte sie der Schriftsteller und Essayist dem Liedermacher. Wenn Wenzel
Texte vertont, tönen sie immer nach Wenzel. Wie kaum ein anderer deutscher
Liedermacher schält er dabei aber die Essenz der Texte heraus, umspielt sie mit
Melodien, die ihre Aussagen in neues Licht setzen. Das „Lied von der Haltbarkeit
des Geldes“ kleidet er in ein barockes Gewand und kontrastiert so mit Wohlklang
die bittere Ironie. Ein anderer als Wenzel hätte wohl auch die Freude über die
Geburt des Kindes nicht mit den rumpelnden Beats, synthetischen Flöten und
Farfisa-Orgeln von „Der kleine Prinz“ umrahmt. Wie schon bei der Vertonung der
Gedichte von Henriette Haill hat Wenzel alle Instrumente selbst eingespielt.
Meist setzt er die Begleitung eher zurückhaltend ein und verleiht so den Worten
mehr Gewicht. Manche Lieder sind voller Melancholie, andere eher philosophisch,
mit ungewöhnlichem Bildern und Ironie. Christoph Heins vertonte Poesie ist
zweifellos eine Entdeckung wert.
Martin Steiner
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FOLKER auf Papier
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