FOLKER – Rezensionen

Rezensionen Europa


ACOUSTICURE
Bluegrass Van

(Gryllus GCD 073, www.acousticure.hu)
14 Tracks, 42:22, mit engl. Texten sowie engl. und ungar. Infos

„In den USA fragt niemand nach Bluegrass, weil jeder Bescheid weiß. In Ungarn fragt niemand nach Bluegrass, weil keiner weiß, dass es so etwas gibt.“ Was Acousticure im Beiheft formulieren, muss so nicht bleiben. Sie tun mit ihrem Album einiges dazu, es zu ändern. Denn das Quartett bestehend aus András Tóth, Géza Kremnitzky, Péter Gyergyádesz und Zsolt Pintér spielt Bluegrass auf hohem Niveau und gibt sich auch gesanglich kaum Blößen – das klingt mit der angenehmen Stimme Zsolt Pintérs im Vordergrund insgesamt ziemlich authentisch. Bei etwa der Hälfte der Songs handelt es sich um Eigenkompositionen, die nicht unter den Standard der Coverversionen von Stücken bekannter Größen wie Vince Gill, der Carter Family oder Larry Cordle rutschen. Im Gegenteil: Ohrschmeichler der Marke „Until She Knows“ besitzen genügend Qualität, um sich auch in US-Gehörgängen festzusetzen. Dass sie virtuos mit ihren Instrumenten umgehen kann, zeigt die Band über die gesamte Albumlänge in verschiedener Ausprägung – ob in Highspeed-Bluegrass, in Balladen oder jazzigen Einschüben. Und mit dem Volkslied „Kiskece Lányom“, traumhaft gesungen von Anett Mudris, erweisen die Ungarn auch ihrer eigenen Tradition Reverenz.

Volker Dick

 

ACOUSTICURE – Bluegrass Van


ENZO AVITABILE
Napoletana

(FolkClub Ethnosuoni ES5378, go! www.folkclubethnosuoni.com )
12 Tracks, 39:34, mit Texten und Infos

Gewisse Alben faszinieren vom ersten bis zum letzten Ton. Napoletana ist eines dieser Werke. Einst begleitete Enzo Avitabile die Grössen der Funkjazzszene. Seither ist er einen langen Weg gegangen. Waren auf Sacro Sud, dem letzten Album, noch dreizehn Musiker mit von der Partie, ist er auf Napoletana manchmal alleine, meist mit zwei, höchstens drei Begleitern zu hören. Nur noch ganz selten greift er zum Saxofon, es dominiert seine eindringliche Stimme. Ab und an spielt er verschiedene Flöten und die Arpina, eine kleine, sechssaitige Mandoline. Der Gitarrist Umberto Leonardo steuert magische Gitarrenschlaufen mit barocken Einsprengseln bei. Vervollständigt wird das Quartett durch den Cellisten Marco Pescosolido und Carlo Avitabile, die für erdige Basslinien und sparsame Perkussionseinsätze sorgen. Enzo Avitabile schafft so neue neapolitanische Lieder weit weg von Tarantellawirbeln. Seine Welt ist das Neapel, in dem Levantiner und Spanier ihre Spuren hinterlassen haben, ein Neapel der Bettler, Liebenden und Heiligen. Enzo Avitabile schöpft aus der Tradition und tönt trotzdem aktuell – nicht zuletzt dank der hervorragenden Aufnahmequalität. Ein akustisches Meisterwerk.

Martin Steiner

 

ENZO AVITABILE – Napoletana


ARIK UND TIMNA BRAUER
Poesie mit Krallen

(Sireena Records 2048/Broken Silence, go! www.brokensilence.de )
13 Tracks, 37:15, mit Texten

Achtzig Jahre alt wurde das österreichische Multitalent Arik Brauer im Jänner. Poesie mit Krallen nahm der mehrfach ausgezeichnete Maler, Bühnenbildner, Schriftsteller und Musiker gemeinsam mit seiner Tochter Timna 1984 auf. Seinerzeit lediglich als Privatpressung erhältlich, wurde das Album nun erstmals offiziell veröffentlicht. Brauer schrieb die enthaltenen Lieder zu einer Zeit, als auch in Österreich Anti-AKW-Proteste und die Friedensbewegung die politische Landschaft erschütterten. Von einem achtköpfigen Jazzensemble begleitet, präsentieren Vater und Tochter einen hintersinnigen und zugleich bissigen Wiener Songreigen zu den Themen der Zeit mit Zeilen wie „Das ist die reinste Harmonie / einen Atomsprengkopf für mich / einen Atomsprengkopf für Dich“ („Die reinste Harmonie“) oder „die Spitze hält Amerika / und das kostet ziemlich viel / die Russen verzichten auf so mancherlei / für den zweiten Platz in diesem Spiel“. Leider ist bei der Gestaltung des Booklets die Reihenfolge der Texte durcheinandergeraten. Sie entspricht nicht der Trackabfolge des Albums. Aber das schadet dem musikalischen und intellektuellen Genuss beim Hören von Brauers Poesie mit Krallen in keiner Weise.

Michael Kleff

 

ARIK UND TIMNA BRAUER – Poesie mit Krallen


DUNKELBUNT
Raindrops And Elephants

(Piranha CD PIR2335/Indigo, go! www.indigo.de )
Promo-CD, 12 Tracks

Wenn es um die Vermischung von Balkanmusik, Dub und Elektro ging, war Dunkelbunt bislang die Referenzklasse. Der Wiener, der eigentlich aus Hamburg stammt, wird nicht zu Unrecht als Kruder & Dorfmeister der Balkanszene bezeichnet. Um diesen Anspruch zu unterstreichen, legt er nun ein Remixalbum vor, das Synonym für „Greatest Hits“ in der Elektroszene. Balkanklänge gibt es also reichlich auf Raindrops And Elephants, so zum Beispiel ein Wiederhören mit dem Boban i Marko Markovic Orkestar. Aber Dunkelbunt geht dabei einen Schritt weiter und adaptiert in der Weltmusikschublade, was immer seinem Sound zuträglich ist. Ob er Watcha Clan oder Kap Verdens Simentera durch den Balkanrhythmus aufhübscht – Dunkelbunt reist durch die Welt ohne seinen ureigenen Sound zu verlieren. „Cinnamon Girl“ und „The Chocolate Butterfly“ finden sich gleich in mehreren Versionen, die sich zu entdecken lohnen. Ärgerlich ist das Formatchaos: CD, Vinyl und Digital Download haben jeweils unterschiedliche Titel. Per Download gibt es einiges exklusiv, dafür gibt es auf der CD ein Video und bei der LP wohl immerhin die beste Klangqualität.

Chris Elstrodt

 

DUNKELBUNT – Raindrops And Elephants


GIVEWAY
Lost In This Song

(Greentrax Recordings CDTRAX332/Fenn Music Service, go! www.fenn-music.de )
10 Tracks, 43:03

Gute Güte, schaut euch das Cover an! Aus den vier süßen Johnson-Schwesterchen sind junge Damen geworden und allesamt – darf man das im Folker eigentlich schreiben? – ziemlich sexy. Und wie sieht’s mit der Musik aus auf ihrem dritten Album? Auch die hat sich entwickelt. Wenig Trad, überwiegend eigene Tunes sowie Songs von Zeitgenossen. Zu den schwesterlichen Instrumenten (Fiddle, Gitarre, Akkordeon, Keyboards, Drums) kommen als erwähnenswerter Zusatz eigentlich nur der Bass und die E-Gitarre von Ross Hamilton. Produziert wurde die Scheibe wie gehabt von Phil Cunningham. Der trug dem Erwachsenwerden seiner Eleven Rechnung und führte Giveway behutsam, dezent und folkpoporientiert in Richtung einer Art schottischer Ausgabe der Corrs. Müssen ja nicht alle mögen, aber gönnen würde man es den Mädels schon, wenn sich der Erfolg auch jenseits der Folkszene einstellen würde.

Mike Kamp

 

GIVEWAY – Lost In This Song


ULRIKA GUNNARSSON
Trall

(GIGA Folkmusik GCD-80, go! www.giga.w.se )
23 Tracks, 67:06, mit schwed. und engl. Infos

Die Idee, das Trällern zu intensivieren, hatte die Geigerin Ulrika Gunnarsson als sie wegen eines Schlüsselbeinbruchs eine Weile nicht Geige spielen kontte. Da sie einen Lehrgang für Geiger abzuhalten hatte, musste sie alle Melodien, die sie sonst mit der Geige spielte, mit ihrer Stimme nachsingen. Wegen des größeren Oktavumfangs der Geige, anderer Tonlagen, der Verwendung von Doppelgriffen und der höheren Geschwindigkeit waren natürlich Anpassungen nötig, aber im Laufe der Zeit entdeckte sie immer mehr Möglichkeiten, die ihre Stimme bot. Sieben Jahre hat sie sich neben ihrem Geigenspiel mit dem Trällern befasst und sich mit Musikern wie Susanne Rosenberg und Mats Edén über das Thema ausgetauscht. Dabei ist etwas sehr Hörenswertes herausgekommen – festgehalten auf diesem Album –, was weit über das in der schwedischen Folkmusik sonst eingesetzte Trällern hinausgeht. Bei mehr als der Hälfte der Stücke wird sie mit Geige, Zither, Cello oder Bass von Esbjörn Hazelius und Anders Löfberg begleitet, die auch das Arrangement besorgten. Alle Melodien stammen aus Ulrika Gunnarssons Heimat, der südschwedischen Provinz Småland, sechs eigene Kompositionen inklusive.

Bernd Künzer

 

ULRIKA GUNNARSSON – Trall


KIERAN HALPIN
The Deal We Made With God

(SOS Records SOS019, www.sosrecords.co.uk)
10 Tracks, 51:02, mit Songtexten

Auch auf seinem 19. Album besticht Kieran Halpin, in Schottland lebender Ire, der hierzulande bereits auf eine feste Anhängerschaft blicken kann, mit seinem charakteristischen, sich zwischen Zerbrechlichkeit und Zorn bewegenden stimmlichen Charisma – sicherlich genau der Grund, warum ihn seine Fans so mögen. Aus der Sicht eines Hörers, der mehr auf die Musik als auf die Texte achtet, ist auch interessant, dass die Lyrics auf The Deal We Made With God, die in typisch irischer Rhetorik Midlife- und Beziehungsfragen streifen, sehr zu mir gesprochen haben. Obwohl manches pathetische Klischee herhalten musste. Musikalisch wünschte ich mir mehr Variationsbreite und Einfallsreichtum, doch höre ich die einfach strukturierten Songs, die von Kontrabass, Drums und Wurlitzer-Piano sehr gut und klangvoll unterstützt werden, gerne.

Johannes Schiefner

 

KIERAN HALPIN – The Deal We Made With God


THE MARTIN HARLEY BAND
Grow Your Own

(Acoustic Music Records 319.1410.2/Rough Trade, go! www.roughtrade.de )
11 Tracks, 41:56, mit engl. Texten und Infos

Sensibel und sehr intensiv präsentiert sich der Singer/Songwriter aus Großbritannien. Martin Harleys Texte sind voller Sehnsucht, Poesie und Leidenschaft. Unter dem eher abschreckend wirkenden Cover verbirgt sich ein Juwel. Folk- und Blueselemente gehen in diesem Album fließend ineinander über. Bereits beim ersten Song „One For The Road“ beginnt der Zauber, und schon mit dem zweiten Titel „When I Go“ ist klar, dass hier wirkliche Könner am Werk sind. Begleitet wird der Sänger und Gitarrist Harley von Pete Swatton, Schlagzeug, und Graeme Ross, Bass. Das Trio besticht durch ruhiges und harmonisches Spiel, ohne je in die Schnulze abzugleiten. Absolut hörenswert ist der letzte Song „End Of The World“. Harleys ursprünglicher Sound der Old-Time Music wird geprägt durch Slidegitarre und Fingerpicking. Insgesamt gelang hier eine Produktion mit viel Herz und Verstand, wohltuend ruhig und in sich stimmig. Nur auf die gelegentlichen Streich- und Blasensembles hätte man ruhigen Gewissens verzichten können. Für mich gehört Grow Your Own zum Besten des Jahres.

Annie Sziegoleit

 

THE MARTIN HARLEY BAND – Grow Your Own


ILONA KORHONEN ENSEMBLE
Tarkka Pää, Tania Mieli

(Kanteleen Ääniä AANIA-9, go! www.aania.fi )
8 Tracks, 51:55, mit finn. Texten und engl. Textproben

Dem Ilona Korhonen Ensemble gehören 17 Finninnen an, sie singen polyphonisch auf Finnisch. Das Album ist der Erinnerung an Larin Paraske (1833-1904) gewidmet. Sie gilt als bedeutendste finnische Runensängerin überhaupt. Belegt ist, dass die Analphabetin mehrere Tausend auf dem finnischen Epos Kalevala fußende Lieder und Gedichte im Repertoire hatte, dazu Sprichwörter und Rätsel. Forscher und Komponisten wie Jean Sibelius gaben sich bei ihr die Klinke in die Hand, das verhalf ihr zu bleibendem Ruhm – und sonst nichts. Ilona Korhonen hat neue Musik zu einigen von Paraske überlieferten Texten geschaffen, Themen sind die Geburt der Kantele, das harte Los der Landarbeiterinnen, das Elend des Alters, treulose Liebhaber und die Erkenntnis, dass Schönheit im Leben durchaus weiterhelfen kann. Die Ensembledamen singen in mannigfacher Weise, mal säuseln sie, mal schreien, jauchzen, johlen, klagen sie, einige Melodien sind getragen, langsam, schwermütig, dann wiederum folgen Lieder von fast schunkelhaftem Rhythmus, und einzig, dass im Beiheft kein Foto der verehrten Larin Paraske zu sehen ist, hält die Rezensentin von ungestümen Begeisterungsausbrüchen ab.

Gabriele Haefs

 

ILONA KORHONEN ENSEMBLE – Tarkka Pää, Tania Mieli


LA MINOR
Oboroty

(Eastblok Music EBM014/Indigo, go! www.indigo.de )
Promo-CD, 12 Tracks, mit Bonusvideo

Einige Touren hat die im Jahr 2000 gegründet Band aus dem russischen St. Petersburg auch hierzulande bereits absolviert. Erst jetzt jedoch legt sie ihr erstes Album in Deutschland auf den Plattenteller. Ihr Sound aus leicht rotzigem russischem Folk, leichtfüßigen Chansons, etwas Straßenmusik, einer Prise Swing, Polka, Tango und mitunter jazzig anmutenden Klängen, der für die kleine Bar wie die Festivalbühne gleichermaßen geeignet scheint, geht vor allem in die Beine. Sänger Slawa Schalygin liefert die dazugehörige Portion russischer Schwermut und Rauheit. Durchklingend dabei immer wieder das Bajan. Fast scheint es, als wollen uns die sechs Herren in alte Zeiten zurück entführen – in die Kasinos der Zwanzigerjahre. Ihre Musik ist ausschließlich handgemacht und klingt ein bisschen, als sei sie dazu gemacht, ein russisches Moulin Rouge zu beschallen. Kein Wunder, dass der Albumname durchaus auch mit den Umdrehungen von alkoholischen Getränken übersetzt werden kann und die Songs von Mädchen und Ganoven handeln, ohne dass sich die Band dabei selbst zu ernst nimmt, wie man auch im Video zu „The Girl In The Cotton Dress“ sehen kann, das sich als Bonus auf dem Album befindet.

Claudia Frenzel

 

LA MINOR – Oboroty


A. P. MEISTER
Mindflower, Thorn

(One Lost Soul OLS001, go! www.apmeister.com )
12 Tracks 62:22, mit Texten

Ein Singer/Songwriter-Album in bester Tradition: Alle Stücke sind selbstkomponiert, gespielt auf akustischer Gitarre, mal gepickt, mal mit Slide. Der schwedische Gitarrist und Sänger Andreas P. Meister war in den Neunzigerjahren mit der Roots/Blues-Band Fat City Blues unentwegt auf Tour, und in jedem gespielten Ton auf Mindflower, Thorn klingt die Phrasierung des solchermaßen erfahrenen Bluesgitarristen nach, während seine Stimme von den Begleitumständen ungezählter Konzertnächte angeraut ist. Musikalisch zeigt sich A. P. Meister mit „Beggars And Kings“ oder „Sycamore Street“ als Folkmusiker, bringt mit „The Company Of Snakes“ akustischen Blues und zaubert in Stücken wie „Nightsong“ oder „Wonderland“ mal eine verlorene, mal eine morbid-verträumte Atmosphäre. Grandios, einfach und ausdrucksstark zugleich ist „Slow Burn“ mit angezerrter elektrischer und akustischer Slidegitarre oder auch das melancholische „Lost At Sea“. Den Texten merkt man dabei Meisters Interesse für die Literatur von Franz Kafka und Jack Kerouac an. Die richtige Musik für nächtliche Autofahrten durch Regen und Nebel, „vertane“ Sonntagnachmittage oder durchzechte Nächte auf der Veranda.

Achim Hennes

 

A. P. MEISTER – Mindflower, Thorn


ERIC MONTBEL/BRUNO LETRON
Vertigo

(Al Sur ASCD 017, go! www.alsur.fr )
11 Tracks, 61:18

Dass Franzosen erstklassige Filme drehen, ist bekannt. Dass sie sich auch ausgezeichnet auf Filmmusik verstehen, weiß man spätestens seit Yann Tiersen. In diese Richtung deutet auch Vertigo – zu übersetzen hier etwa mit „energetischer Taumel“, gleichzeitig eine Anspielung auf einen großen Kinoklassiker und damit auf Filmmusik allgemein. Mit dem Akkordeonisten Bruno LeTron (Le Grand Festin) machte sich Eric Montbel (Le Grand Rouge/Lo Jai), einer der ganz großen Virtuosen des französischen Dudelsacks, an sein Vorhaben, Musik zu schreiben, die kinematografische Bilder im Kopf des Hörers entstehen lässt, am besten in Breitwand und Technicolor. Dies gelingt durch die Verschmelzung der erstaunlich vielfältigen Klangfarben der verschiedenen Dudelsäcke mit dem restlichen Instrumentarium des Projekts ganz vortrefflich – kompetente Mitmusiker fanden sich mit Laurent Cabane, der sonst mit seinem Kontrabass freien experimentellen Jazz in der Gruppe Yades Quartett spielt, dem klassisch gebildeten Schlagzeuger und Vibrafonisten Michel Rey sowie dem Jazzklarinettisten und -saxofonisten Frank Fagon (Lulu Jazz Band). Fünf eigene Handschriften, eine Verbindung: traumhaft schöne Musik für die Traumfabrik.

Ulrich Joosten

 

ERIC MONTBEL/BRUNO LETRON – Vertigo


OLD JERUSALEM
Two Birds Blessing

(Rastilho Records Rastilho039/Cargo Records, go! www.cargo-records.de )
Promo-CD, 11 Tracks, 55:10, mit Texten

Wer in Old Jerusalem eine Band aus Israel vermutet, liegt falsch. Ebenso falsch liegt, wer nach dem Hören der ersten Tracks von Two Birds Blessing auf amerikanische Herkunft schließt. Zwar spielt Old Jerusalem blütenreinen amerikanischen Neofolk, er selbst stammt aber aus Portugal und hört dort eigentlich auf den Namen Francisco Silva. Der Musik tut das keinen Abbruch. Mit seinem mittlerweile vierten Album präsentiert Silva seine Werke erstmals auf einem größeren Label. Auf den Stil hatte der Labelwechsel zum Glück keine Auswirkung. Wer verträumte Texte in verspielten Melodien mag, die für jedes Beisammensein am Lagerfeuer eine Bereicherung darstellen, liegt bei Two Birds Blessing genau richtig. Mit Gitarre und Synthesizer steht Silva einem großen Aufgebot an Gastmusikern gegenüber, die angenehm im Hintergrund bleiben und damit genau die richtigen Beiträge zu richtigen kleinen Folkkunstwerken liefern. Dass Musiker dieser Gattung sich selbst oft ernster nehmen als die Hörer, liegt in der Natur der Sache. Wenn man etwas vom Gewicht, das Old Jerusalem sich selbst zumisst, aus den Texten herausnimmt, bleibt luftiger Gitarrenfolk mit Songs über die Liebe und das Leben.

Chris Elstrodt

 

OLD JERUSALEM – Two Birds Blessing


ORCHESTRA DI PORTA PALAZZO
Orchestra Di Porta Palazzo

(FolkClubEthnosuoni ES 5377, go! www.folkclubethnosuoni.com )
11 Tracks, 59:28, mit Texten und Infos

Vierzehn Musikerinnen und Musiker aus Algerien, China, Italien, Kuba, Mauritius, Nigeria, Senegal, Tunesien und den USA finden im Turiner Migrantenviertel um den Markt der Porta Palazzo zusammen und gründen ein Orchester. Schon das Eröffnungsstück des vorliegenden Debüts macht klar, was da Sache ist: Süd und Nord, Ost und West gehören auf die Tanzfläche. Gesungen wird in nigerianischem Edo und Pidgin-Englisch, Arabisch und dem senegalesischen Wolof. Später darf es auch mal das Kreolisch der Insel Mauritius, Spanisch, und – in der großartigen Fassung von Charles Aznavours „Porta Pila“ – Piemontesisch sein. Auch musikalisch ist Vielfalt angesagt: Georges Moustakis „Étranger“, der Ausländer, trifft auf eine Tangoeigenkomposition mit arabischem Finale. Maurice El Médioni hätte seine Freude daran. Wie die 17 Hippies Ost und West vereinen, fügt das Orchestra di Porta Palazzo das Mittelmeer, Afrika, Lateinamerika und die arabische Welt stimmig zusammen, gewürzt mit einem Schuss China von der zweisaitigen, bundlosen Geige Erhu. Alles glänzt durch ausgefeilte, witzige, leicht jazzige Arrangements. Ein wunderbarer Beweis, dass die Musik Menschen verschiedenster Herkunft verbindet.

Martin Steiner

 

ORCHESTRA DI PORTA PALAZZO – Orchestra Di Porta Palazzo


SONIA SAHLSTRÖM & HÅKAN LARSSON
Glädjen

(GIGA Folkmusik HB GCD-79, go! www.giga.w.se )
30 Tracks, 64:17, mit schwed. und engl. Infos

Sonia Sahlström mit ihrer Geige, dazu Nyckelharpa, ist spelman in der vierten Generation. Am bekanntesten ist wohl ihr Vater Eric, der bis zu seinem Tode 1986 genial zur Wiederbelebung und Weiterentwicklung der Nyckelharpa beigetragen hat. Ihre beiden Kinder spielen ebenfalls Nyckelharpa und Geige beziehungsweise elektrischen Bass. Glädjen hat Sahlström mit ihrem Mann Håkan Larsson – an Mundharmonika und anderen Instrumenten – aufgenommen. Neben den solo auf der Nyckelharpa oder Geige gespielten Stücken wird die Geigenstimme einfach, aber sehr rhythmisch von der Mundharmonika unterstützt, was den besonderen Charme dieses Albums ausmacht. Die Mundharmonika ist in der von den Geigen bestimmten schwedischen traditionellen Folkmusik sehr ungewöhnlich. Für das tanzende Publikum war sie früher schlicht zu leise, erst mit moderner Verstärkung kann sich das Instrument im Zusammenspiel einen Platz erobern. Vielleicht ist das der Start für eine neue Verbreitung dieses preiswerten und leicht zu transportierenden Instruments. Das letzte Stück, ein Walzer, wird von Sohn Olle mit dem Melodiebass begleitet, womit wohl auch die Fortführung der musikalischen Traditionen dokumentiert werden soll.

Bernd Künzer

 

SONIA SAHLSTRÖM & HÅKAN LARSSON – Glädjen


RAINER SEIFERTH & 8HZ
Guadiela

(Saltamundi Music SAMU 010/Galileo MC, go! www.galileo-mc.de )
10 Tracks, 49:07, mit dt. und span. Infos

Auch wenn alles auf eine Flamencoproduktion schließen lässt, geht der Wahlspanier und Gitarrist Rainer Seiferth einen ausgeprägten eigenen musikalischen Weg, der sich nur hier und da eindeutig seinem Entstehungsort zuordnen lässt. Das Tal des Guadiela, eines kleinen Flüsschens, das sich östlich von Madrid durch die Landschaft von La Alcarria schlängelt, war eine Zeitlang Heimat des Nylonstringgitarristen, der im Vorwort so unterschiedliche Künstler wie Ralph Towner, Mark Rothko oder Andy Goldsworthy als Inspirationsquellen benennt. Seine Mitmusiker rekrutierte Seiferth in der Madrider Szene: Bassist Marco Herreras, Geiger Diego Galaz, den Bandoneonspieler Daniele di Bonaventura oder den in Madrid lebenden amerikanischen Trompeter Chris Kase. Seiferth ist kein Saitenvirtuose, der durch Technik und Rasanz auf sich aufmerksam macht. Bei aller fröhlichen Lebendigkeit haftet dem Album ein durchgängig intimer Ton an, der das Ohr des Hörers schnell mit dem Wesen einer Musik anfreundet, die sich den üblichen Kategorisierungen charmant verschließt. Verspielt, tänzerisch, lyrisch und voller feiner Zwischentöne. Auf an die Ufer des Guadiela.

Rolf Beydemüller

 

RAINER SEIFERTH & 8HZ – Guadiela


STEELEYE SPAN
Live At A Distance

(Park Records PRKCD104/Broken Silence, go! www.brokensilence.de )
Do-CD, 20 Tracks, 106:01; DVD, 14 Tracks plus Extras, ca. 85:00

Unglaubliche vierzig Jahre sind die englischen Folkrocker nun schon in Studios und vor allem in Konzertsälen aktiv. Vier dieser Ereignisse der letzten sieben Jahre wurden mitgeschnitten und zu einem Doppelalbum verarbeitet, das Konzert in Hove von 2006 gar zu einer gut gefilmten DVD. Aus dem in den Jahrzehnten angesammelten Repertoire wurden 20 Stücke ausgesucht – nur in Teilen identisch mit der DVD – und neu arrangiert. Nichts klingt alt und angestaubt, Maddy Priors Stimme ist sowieso zeitlos schön. Das zentrale Stück „Ned Ludd“ dauert mehr als eine Viertelstunde und ist in seiner historisch-politischen Art nicht nur typisch englisch, sondern auch typisch für das Selbstverständnis von Steeleye Span. Sie als Dinosaurier abzutun wäre ein Frevel. In dieser Band mit dem nun seit vielen Jahren stabilen Personal – Prior, Rick Kemp und Peter Knight sind sogar seit Jahrzehnten dabei – steckt noch jede Menge Leben. Diese drei Silberlinge sind der Beweis.

Mike Kamp

 

STEELEYE SPAN – Live At A Distance


SARA TAVARES
Xinti

(World Connection WC43082/Edel, go! www.edel.de )
Promo-CD, 14 Tracks plus Hidden Track, 61:08

Die Rückseite der Promo-CD zeigt Sara Tavares frei schwebend in der Luft, unter ihr Sand. Als möchte sie sagen, wie leicht das Leben ist. Das portugiesisch-kreolische Xinti bedeutet so viel wie „fühl es“. Und tatsächlich: Es braucht nur ein paar Takte, um diese Leichtigkeit zu spüren. Die Gitarren pluckern sanft wiegend, wie sie das nur in Westafrika tun, Tavares hohe Stimme fliegt über allem, der Chorgesang setzt federleichte Akzente, und die Perkussionisten wissen, dass man schwerelose Musik nur sanft erden darf. In „Voz Di Vento“ („Stimme des Windes“), singt sie davon, wie sie dem Rauschen des Windes lauscht. Xinti fühlt sich tatsächlich an wie eine warme Brise an einem Sandstrand der Kapverden. Als junge, in Portugal aufgewachsene Musikerin mit kapverdischen Wurzeln verschließt sich Sara Tavares auch den Rhythmen Angolas und Brasiliens nicht. Ein Album wie ein Sommerregen nach einer langen Trockenzeit, ein Album aber auch, das zeigt, dass Leichtigkeit nicht gleichbedeutend mit Oberflächlichkeit ist. Dazu ist die Musik von Sara Tavares viel zu beschwingt. Und die Texte zeugen von einer intensiven Suche nach dem richtigen Rhythmus des Lebens.

Martin Steiner

 

SARA TAVARES – Xinti


HUBERT VON GOISERN
Haut und Haar – Live

(Lawine/Blanko Musik/Sony Music 88697 52419 2, go! www.sonymusic.de )
Do-CD, 17 Tracks, 116:48, mit Infos

Dieses Doppelalbum dokumentiert ein musikalisches Großprojekt, das sich auf prominente Vorläufer wie Bob Dylans legendäre „Rolling Thunder Revue“ oder auch den deutsch-polnischen Poetendampfer bezieht. Es erfordert schon eine Menge Mut und Kraft, über einen längeren Zeitraum mit einem Schiffsverband quer durch Europa zu reisen, um mit Musikern unterschiedlichster Herkunft an den Anlegestellen für das örtliche Publikum zu musizieren. Stellenweise vermittelt sich beim Anhören tatsächlich die Art von Magie, wie sie nur bei Liveauftritten entstehen kann, wenn im Zusammenspiel mit dem Publikum ein weiteres Element zur Musik hinzukommt, nämlich „das gemeinsame Vibrieren in Leidenschaft und Empathie“, wie Hubert von Goisern es ausdrückt. Die hervorragende Aufnahmequalität verstärkt diesen Eindruck ganz wesentlich. Manche Stücke haben eine Länge von bis zu zwölf Minuten, was der Dramaturgie der Songs durch zusätzliche Interpretationsmöglichkeiten sehr zugute kommt. Bemerkenswert ist auch eine originelle Version von „Mercedes Benz“, jenem Song, den wir vor allem von Janis Joplin oder auch von Klaus Lage kennen. Haut und Haar ist in jeder Hinsicht ein Album von ganz besonderer Qualität.

Kai Engelke

 

HUBERT VON GOISERN – Haut und Haar – Live


WHAPWEASEL
Colour

(WW0007, go! www.whapweasel.com )
11 Tracks, 54:19

Man kann die Jungs und Mädels der Programmkommission in Rudolstadt durchaus kritisieren – insbesondere, was die britischen Inseln betrifft -, aber sie schaffen es immer wieder, die interessantesten Tanzbands aus England zu verpflichten. Whapweasel war in diesem Jahr wieder einmal ein solcher Fall. Dass sie jedwede Masse zu jedweder Tages- und Nachtzeit zum vorschriftsmäßigen Tanzen bringen können, das haben sie an drei Rudolstadt-Tagen eindrucksvoll bewiesen. Doch noch längst nicht jede Tanzband ist auch hörenswert. Whapweasel sind nicht nur das, sie sind darüber hinaus auch noch anschauenswert, denn der Enthusiasmus der Gruppe ist deutlich sichtbar. Klangmäßig lebt die Band zum einen von den beiden Melodeonspielern, zum anderen von der dreiköpfigen Blechsektion, die eine unglaubliche Energie verbreiten. Soulfolk sozusagen, oder Skafolk. Die ausschließlich selbstverfassten Melodien auf Colour reißen nicht nur Tänzer mit. Zumindest dieser Nichttänzer kann seine Füße auch nicht stillhalten.

Mike Kamp

 

WHAPWEASEL – Colour


THE WISHING TREE
Ostara

(Ear Music 0198062EREP/Edel, go! www.edel.de )
Promo-CD, 8 Tracks, 43:13

Zwölf Jahre nach Carnival Of Souls legt Gitarrist Steve Rothery mit seinem Nebenprojekt mit Sängerin Hannah Stobart ein zweites Album vor. Keine Angst! Sein Hauptprojekt Marillion mit diesem unverbesserlichen Progrock – lustige Genrebezeichnung: heute genau das Gegenteil davon, was es früher mal war – sind eine ganz andere Geschichte als die vorliegende überschaubare Zahl seelenruhig voranschreitender Songs. Obwohl eigentlich nichts an ihrer ebenso sagenhaft gleichförmigen wie unspektakulären Mainstreaminstrumentierung darauf hinweist, wurzeln sie ganz offensichtlich ganz enorm tief im englischen Folk. Komplette Jahrhunderte, um nicht zu sagen Jahrtausende traditioneller Volksmusik von der Insel und drumrum klingen in fast jedem Ton, jeder Melodie, jeder Harmonie an. Und sammeln sich in Hannah Stobarts Stimme und Gesang – einem klaren, stabilen und eindringlichen Modell von Sangeskunst ohne jeden billigen Jahrmarktseffekt, bei dem man sich fragt, wie es so unbeschadet überleben konnte? Vor allem, wo die Dame auch noch in Kalifornien lebt. Eine äußerst stimmungsvolle, unaufdringliche Sammlung sehnsuchtsvoll-sentimentaler Songs – regelrecht erbaulich, wie das früher wohl hieß.

Christian Beck

 

THE WISHING TREE – Ostara

Update vom
09.02.2023
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