FOLKER – Halbmast

ALI AKBAR KHAN

14.4.1922, Shivpur, Ostbengal, Indien (heute Bangladesh), bis 18.4.2009, San Anselmo, Kalifornien

Während seiner Laufbahn war Ali Akbar Khan, einer der größten Sarodvirtuosen der Welt, in der nordindischen Kunst- beziehungsweise klassischen Musik mit Auszeichnungen konfettiähnlich überschüttet worden – unter anderem mit dem Padma Vibhushan, dem zweihöchsten indischen Zivilorden, einem MacArthur-Stipendium (auch „Genius Award“ genannt) sowie einem National Heritage Fellowship der nationalen US-amerikanischen Stiftung für die Künste. In einem Interview mit dem niederländischen Autor Huib Schippers erklärte Khan einmal, was für ihn die wichtigste Auszeichnung war. „Einmal bin ich nach Maihar [im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh; Anm. d. Verf.] gereist, um meinen Vater zu besuchen. Er rief mich zu seinem Sofa mitten im Hof und meinte: ‚Du hast so viele Ehrungen und Auszeichnungen bekommen. Als dein Vater und Guru gebe jetzt ich dir eine Ehrung.‘ Ich wurde nervös. Ich dachte, wahrscheinlich bezeichnet er mich als Esel oder so was.‘ Aber dann verlieh er mir den Titel ‚Swara Samrat‘, ‚Kaiser der Melodie‘. Das ist die einzige Auszeichnung auf die ich wirklich stolz bin.“

Der Sarod ist eine bundfreie Kurzhalslaute mit einem oben stahlbekleideten Hals sowie acht Melodie- und mehreren Bordunsaiten. In Khans Fall waren es 17 Bordunsaiten, die mit einem aus Kokosnussschalen gemachtem Plektron gezupft werden. Sein Guruvater war Allauddin Khan, einer der größten Musikmeister der Ära, der aber beim Unterrichten seiner Zöglinge auch zum Tyrannen werden konnte. Bereits im Alter von drei Jahren fing Khan mit dem ersten Musikunterricht – dem Singen – an. Schon als Kind bekam er seine ersten, etwa vierzig Zentimeter große Sarod.

Yehudi Menuhin, der Khan und seinen Schwager Ravi Shankar Jahrgang 1952 in Delhi getroffen hatte, lud ihn 1955 nach New York ein. Dort wurde er der erste indische Hauptsolist, der eine bedeutende Aufführung gab (im Museum of Modern Art), im Fernsehen erschien und eine Mikrorillenlangspielplatte aufnahm. Elf Jahre später kündigte Menuhin Ali Akbar Khan auf einer englischen Bühne als den „vielleicht bedeutendsten Musiker der Welt“ an. Als Solist, bei Duetten mit seinem weiteren Schwager, Sitarspieler Nikhil Banerjee, oder dem südindischen Geiger L. Subramaniam konnte er die Berechtigung von Menuhins Aussage immer wieder unter Beweis stellen. Beim Zuhören verlor man jeden Zeitbegriff. Man wurde einfach transportiert. Ali Akbar Khan war in der Tat der „Swara Samrat“.

Ken Hunt

BERND NITZSCHE

Bernd Nitzsche

23.1.1952, Leipzig, DDR, bis 8.6.2009, Hoyerswerda, BRD

Elf Jahre nach dem viel zu frühen Tod von Gerhard Gundermann traf es nun auch einen der wichtigsten Wegbegleiter des Liedrockpoeten aus der Lausitz. Bernd Nitzsche war nicht nur 1978 Mitbegründer des legendären Liedtheaters Brigade Feuerstein, sondern damals auch Stadtrat für Kultur, vergleichbar mit den städtischen Kulturamtsleitern heute. In dieser Zeit erwarb er sich große Verdienste, sodass Hoyerswerda zu einer Hochburg des politischen Liedes in der DDR wurde. Davon zehrt die Szene der Stadt noch heute. Nach der Wende trat Nitzsche als freiberuflicher Kulturveranstalter und Mitbegründer des Vereins Kulturfabrik e. V. in Erscheinung. Nach Gundermanns Tod gehörte er zu den ersten und neben der Randgruppencombo und Christian Haase wichtigsten Musikern, die dessen Erbe auf der Bühne fortsetzten. Er trat solo oder mit Freunden auf, darunter Johan Meijer aus Holland und die Rockband PlatVorm. Bernd Nitzsche starb im Juni nach schwerer Krebserkrankung und wurde unmittelbar neben seinem Weggefährten „Gundi“ beerdigt.

Reinhard „Pfeffi“ Ständer

MARTIN PETER SMITS

Martin Peter Smits

10.2.1948, Heerlen, Niederlande, bis 7.7.2009, Niederlande

„Es ist bizarr“, schreiben die Organisatoren des Triskell-Festivals in Merkelbeek auf ihrer Website, „feststellen zu müssen, dass genau die Menschen mit einem extra großen Herzen am frühsten sterben!“ Die Folkmusikszene trauert um den Sänger und Gitarristen Peter Smits, der im Juli 2009 mit nur 61 Jahren starb. Smits war in seiner Heimatstadt Heerlen in der niederländisch-deutschen Grenzregion Limburg eine bekannte Figur des kulturellen Lebens, von Musikern, Literaturfreunden und seinem Publikum gleichermaßen als Künstler, aber auch als Mensch geschätzt. Schon in jungen Jahren war Smits musikalisch aktiv. Und erfolgreich: Mit seiner Band Renaissance Fair spielte er auf dem ersten der berühmten Pink-Pop-Festivals. Vor allem in den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren wurde er als Sänger und Gitarrist der limburgischen Folkgruppe Get Paraat überregional bekannt. Mit seiner Bühnenausstrahlung und der rauen, aber charismatischen Stimme war er wunderbarer Kontrast und Ergänzung zur glockenklaren Stimme der Sängerin Fietje Baten-Kleinjans. Beide bildeten das Rückgrat und die Basis der unverkennbaren Gesangssätze der Gruppe. Get Paraat spielte drei LPs und eine CD mit Weihnachtsliedern ein, gehörte zu den einflussreichsten Folkbands der Niederlande und war auch in Deutschland äußerst erfolgreich (unter anderem WDR Folkfestival im Juli 1979 vor zwanzigtausend Zuschauern). In Jahren ihres Bestehens war Smits mit der Band ständig auf Tour, in den Niederlanden, Deutschland, Belgien und Frankreich.

Nach der Trennung 1982 brachte Peter Smits sein Talent in zahlreiche – teils obskure – Musikformationen ein, in Gruppen mit Namen wie Pie Smizzz & The Spleetridders und Sjieke Willy (Rockbands). Er spielte eine Solo-CD (Puur) ein und war Ende der Neunziger zusammen mit Ex-Get-Paraat-Gitarrist Camille Schyns sowie den Musikern Karl Hansson (Querflöte, Blockflöte, Saxofon) und Adriaan van Sandwijk (ein in Schweden zum „Speleman“ ausgebildeter Geiger) in der Gruppe T Gouwe Reur mit flämischen und niederländischen Liedern sowie skandinavischen Tänzen aktiv. Die Gruppe war in Limburg und Brabant sehr erfolgreich und bestand bis 2001. Erst jüngst traf sich die Band wieder regelmäßig und arbeitete an einem CD-Projekt mit Stücken aus einer wiederentdeckten, einhundertfünfzig Jahre alten Notenhandschrift.

Peter Smits war ein sehr positiver, vielleicht zu positiver Mensch, der schnell zu begeistern war, und seinen Enthusiasmus unwiderstehlich auf andere zu übertragen wusste. Er war leicht zufriedenzustellen, ein genügsamer Mensch. In der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 2009 erlitt Peter Smits, der ein gesundes Leben führte, Nichtraucher war, mäßiger Trinker und Esser und Fahrradfahrer, einen schweren Herzinfarkt, von dem er sich trotz zweier Operationen nicht mehr erholen konnte.

Ulrich Joosten

CHARLIE MARIANO

Charlie Mariano

12. November 1923, Boston, USA, bis 16. Juni 2009, Köln, BRD

Im Juni erlag der US-amerikanische Jazzsaxofonist und -flötist Charlie Mariano in seiner Wahlheimat Köln einem Krebsleiden. Charles Mingus bezeichnete Marianos lyrischen Ton auf dem Altsaxofon als „Tears of Sound“. Im Alter von 17 Jahren hatte der als Carmine Ugo Mariano geborene Musiker vom Klavier auf Saxofon umgeschwenkt. Bereits 1942 begann er, in professionellen Showbands aufzutreten, eher er im nächsten Jahr zur US-Armee eingezogen wurde. Allerdings musste der Musiker statt an die Front lediglich in der Militärband dienen. Nach dem Krieg studierte er Musik am Berklee College of Music in Boston, wo er Ende der Fünfzigerjahre auch unterrichtete. In seiner langen Karriere spielte er mit Größen der Jazzszene, wie Stan Kenton, Charlie Parker, Dizzy Gillespie und McCoy Tyner. In den Siebzigerjhren war er vor allem in Europa unterwegs. Bereits 1952 nannte ihn ein Jazzjournalist den „größten Musiker Bostons“. Mariano war einer der ersten Jazzmusiker, die mit ihrer Musik auch Anschluss an die Weltmusikszene fanden. Die geschah vor allem ab den Siebzigerjahren, als er überwiegend in Europa lebte. Er war an so erfolgreichen Bands wie Embryo und dem United Jazz and Rock Ensemble beteiligt, wirkte auf insgesamt weit mehr als dreihundert Alben mit – mit seiner Vielfältigkeit, die nicht nur Jazz beinhaltete. Er arbeitete nach seiner Niederlassung in Deutschland unter anderem auch mit Herbert Grönemeyer, Konstantin Wecker, Rabih Abou-Khalil, Dino Saluzzi oder den Dissidenten zusammen. Bis zuletzt trat der 85-Jährige im Trio mit Ali Haurand und Daniel Humair auf, da ihm auch die Nachwuchsförderung stets wichtig war.

Claudia Frenzel

RITA KEANE

Rita Keane

31.12.1923, Caherlistrane, Irland, bis 28.6.2009, Caherlistrane, Irland

Irlands Musikwelt trauert um Rita Keane, die über fünf Jahrzehnte die traditionelle Szene bereicherte. Rita Keane, die aus einer überaus musikalischen Familie kam, stammte aus Caherlistrane im County Galway. Ihre Mutter May hatte sich einen Namen als Liedersammlerin gemacht, ihren Liederschatz reichte sie an ihre Töchter Rita und Sarah weiter. Rita lernte Akkordeon, Sarah Geige, und mit anderen aus der musikalischen Verwandtschaft gründete sich in den Dreißigerjahren die Keane Céilidh Band, die noch in den Achtzigern auftrat. Die Schwestern traten außerdem als Duo auf, und das in aller Welt und noch mit über achtzig. In ihrer langen ruhmreichen Karriere veröffentlichten sie indes nur zwei Alben mit Liedern in irischer und englischer Sprache: Once I Loved (1968) und At The Setting Of The Sun (1985) – beide gelten als Meilensteine in der Geschichte der irischen traditionellen Musik. Zu hören sind sie außerdem auf der mit weiteren Familienmitgliedern eingespielten LP Muintír Catháin. Das Haus der Schwestern Keane schließlich war seit Jahrzehnten ein Treffpunkt für Liedsammler und -sammlerinnen sowie junge musikalische Talente. In den Nachrufen wurde immer wieder betont, wie sehr die beiden sich um das Überleben der irischen traditionellen Musik verdient gemacht haben, gerade zu Zeiten, in denen das Interesse daran so gut wie nicht mehr vorhanden war. Kein geringerer als Paddy Moloney von den Chieftains fand in ihrem Gesang eine „unvergleichliche und unvergessliche Schönheit“. Zu Rita Keanes trauernden Hinterbliebenen gehören ihre Schwester Sarah, ihre Nichte Dolores und ihre Neffen Seán und Matt (was zeigt, dass das musikalische Genie der Keane-Familie auch in der nächsten Generation noch vorhanden ist.)

Gabriele Haefs

Update vom
09.02.2023
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