EDITORIALLiebe Musikfreundinnen und -freunde, Sie haben die zweite Ausgabe des Folker ohne Ausrufezeichen in der Hand. Und wie finden Sie unsere kleine optische Runderneuerung? Wir in der Redaktion – das muss man ja auch einmal sagen dürfen – sind auf jeden Fall ganz zufrieden mit dem neuen Gesicht unserer Zeitschrift. Auch das ermutigt uns, erwartungsvoll in die Zukunft zu blicken. Zumal das Zeitungssterben auch in unserem Bereich ein neues Opfer gefunden hat. Nach No Depression und Rhythm hat in den USA mit Performing Songwriter eine weitere Musikzeitschrift ihr Erscheinen eingestellt. Sechzehn Jahre lang berichtete das Blatt vornehmlich über die Kunst des Songschreibens in allen Bereichen der populären Musik. Damit ist es jetzt vorbei. Chefredakteurin Lydia Hutchinson teilte ihren Abonnenten in einem Brief unter Verweis auf die unsichere wirtschaftliche Lage mit, dass die Juniausgabe von Performing Songwriter die letzte sei. Auf meine Nachfrage ließ sie mich wissen, dass sie Ihre Zeitschrift zu einem Zeitpunkt einstellen wollte, wo man noch alle Rechnung bezahlen konnte, ohne vor einem Berg Schulden zu stehen. Man hätte sich auch nicht von Investoren „aufkaufen“ lassen wollen, weil das die redaktionelle Unabhängigkeit in Frage gestellt hätte. Somit Verbleiben auf dem US-Markt in dem Bereich, in dem sich auch der Folker betätigt, noch zwei Zeitschriften: Dirty Linen und Sing Out!. Die Herausgeber der ersteren riefen im jüngsten Editorial zwar nicht zu Spenden auf, aber – ein Zeichen für eine sich auch dort zuspitzende Krise? – es wurde auf die Notwendigkeit einer drastischen Erhöhung der Abonnentenzahlen verwiesen. Sing Out! steuert anscheinend einen sicheren Kurs in unruhigen Gewässern. Was daran liegen mag, dass man sich dort nicht nur als reine Fachzeitschrift versteht, sondern auch als Stimme der Szene, das heißt von Musikern – Amateuren wie Profis, Festivals, Labels, Veranstaltern usw. Diese Einschätzung dürfte auch auf den Folker zutreffen. In Rubriken wie „Ortstermin“, „Heimspiel“ und den „Blauen Seiten“ stellt sich die lebendige Folk-, Lied- und Weltmusikszene in Deutschland dar. Ein Thema, dass dieses Mal fehlt, ist die aktuelle Auseinandersetzung um den „Club der unbeliebten Urheber“ (Folker-Autor Christian Rath in der Taz), die GEMA. Es ist viel gesagt und geschrieben worden in den letzten Wochen im Zusammenhang mit der Online-Petition Monika Bestles, mit der die Leiterin einer Kleinkunstbühne in Sonthofen, die große Musikverwertungsgesellschaft herausgefordert hat. Wir sammeln derzeit Fakten und Meinungen, die wir für das nächste Heft aufbereiten wollen, um – hoffentlich – eine Antwort auf die Frage geben zu können, ob die GEMA sich vom „Kultur-Schützer zum Kultur-Vernichter“ entwickelt, wie es in Bestles Petition heißt. Während sich das TFF Rudolstadt auf das zwanzigjährige Festivaljubiläum vorbereitet – mit „Europa“ als Länderschwerpunkt in Zusammenarbeit mit der European Broadcasting Union (EBU), dem Zusammenschluss der europäischen Rundfunkanstalten, und der Trompete als Instrument des Jahres -, feierte „Newport“ Anfang August seinen fünfzigsten Geburtstag. Das Festival, das auch für die Waldeck Vorbild war, fand im Juli 1959 zum ersten Mal statt, organisiert von George Wein. Die rund neuntausend Besucher feierten beim Jubiläum den Jazzmusiker und Konzertveranstalter, der im Oktober 85 wird, ebenso begeistert wie Pete Seeger und Joan Baez, die beide schon 1959 aufgetreten waren. Zu den weiteren Gästen gehörten mit Judy Collins, Arlo Guthrie, Mavis Staples und Ramblin’ Jack Elliott zahlreiche „Newport-Veteranen“. Mit Gillian Welch, The Decemberists, Neko Case und den Fleet Foxes gab es aber auch zahlreiche Angebote für das jüngere Publikum. Politisch wurde es nur mit Billy Bragg und Tom Morello. Was schade war, da sich Newport einst die politische Veränderung der amerikanischen Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben hatte. Neben Seeger machten vor allem Phil Ochs und Tom Paxton sowie natür lich auch Bob Dylan und Joan Baez das Festival zur Bühne im Kampf für die Bürgerrechte sowie gegen den Vietnamkrieg und gegen die Rassentrennung. Noch nicht einmal ein Programmheft mit einer Würdigung der Festivalgeschichte brachten die Veranstalter zustande. Ziemlich peinlich, wie hier mit einem wichtigen Teil der Musikgeschichte der USA umgegangen wurde. Wie angekündigt, beschäftigen wir uns mit Blick auf die Bundestagswahl Anfang Dezember gleich in drei Beiträgen mit dem Thema „Musik und Politik“. Im Interview mit Hannes Wader ziehen wir eine Verbindungslinie zu 1969. Damals erschien Waders erste Langspielplatte und die Große Koalition war an der Macht – wie heute. Folker-Beiratsmitglied Konstantin Wecker meint mit Blick auf die politische Lage und das Schweigen der Künstlerszene: „Es geht ums Tun!“. Und exklusiv auf unserer Website dokumentieren wir das Folker-Gespräch, das Billy Bragg und Hans-Eckardt Wenzel im Februar beim diesjährigen Festival Musik und Politik unter der Überschrift „‚Love & Justice‘ – ‚Glaubt nie, was ich singe‘“ über Künstleridentität in politisch bewegten Zeiten führten. Damit will ich es mit einleitenden Worten aber auch schon bewenden lassen und wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre dieser neuen Folker-Ausgabe. Ihr Folker-Chefredakteur PS: Angesichts des Niveaus der aktuellen Debatte um die Reform des Gesundheitswesens in den USA fasst man sich ungläubig an den Kopf. Pharmaindustrie, Krankenversicherungen und Ärzteverbände laufen mit konservativen Politikern – Demokraten wie Republikanern – Sturm gegen Obamas wahrlich nicht revolutionär zu nennende Pläne. Allein im zweiten Quartal 2009 gaben Lobbyisten 133 Millionen Dollar aus, um – das wirkt in den USA immer – den Bürgern Angst zu machen. Uncle Sam könnte dein neuer Arzt sein in einem verstaatlichten Gesundheitssystem, wird in ganzseitigen Zeitungsanzeigen gewarnt. Die „Freiheit der Wahl“ stehe auf dem Spiel. Dass eine solch billige Kampagne Wirkung zeigt, hat zwei Gründe: Das Bildungsniveau im Land – davon können auch Nobelpreise für Eliteprofessoren nicht ablenken – und der allgemeine Informationsstand der Bürger sind katastrophal. Warum die Millionen Nicht- und Unterversicherten keinen Marsch auf Washington unternehmen? Ich weiß es nicht. Vielleicht liegt es daran, dass in den USA Werte wie Gleichheit und Solidarität keinen Stellenwert haben, im alltäglichen Sprachgebrauch geradezu unbekannt sind. Solange dies der Fall ist, wird sich nichts ändern. Vielleicht fragen Sie nun, was das mit dem Thema Musik zu tun hat? Eine Menge! Denn gerade Künstler gehören zu der Bevölkerungsgruppe, die gar nicht oder unterversichert sind. Umso verwunderlicher ist es, wie wenig sich gerade die Musikszene derzeit in diese Diskussion einschaltet. Allen deutschen Gesundheitspolitikern und Interessenvertretern, die bei ihren Reformplänen mit einem Auge nach den USA schielen, kann ich übrigens nur wünschen, einmal in den USA krank zu sein. Dann sollten sie von derartigen Überlegungen schnell geheilt sein. |
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