backDas Folker!-Gespräch

Perspektiven für das Jahr 2000:

Die Weltmusikszene muß sich entscheiden!

WOMEX in Berlin oder Strictly Mundial in Zaragoza?

Borkowsky AkbarBernhard HannekenVom 28. bis zum 31. Oktober findet in diesem Jahr die internationale Weltmusikmesse WOMEX in Berlin statt. Im Jahr 2000 stellt sich dann für die meisten Künstler, Agenturen, Plattenfirmen, Festivals und viele andere am Weltmusikmarkt Beteiligte die Frage: Berlin oder Zaragoza? Denn, was sich noch auf der WOMEX in Stockholm als eine, wenn auch von den Teilnehmern teilweise nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommene theoretische Entwicklung ankündigte, ist jetzt Wirklichkeit geworden (-->»1998 in Stockholm – Bauklötze staunen«, in Folker!1/99). Die Hauptbeteiligten an der bisherigen WOMEX-Geschichte gehen zukünftig getrennte Wege. Borkowsky Akbar und Piranha Kultur führen auch im Jahr 2000 die »WOMEX« in Berlin durch. Das European Forum of World Wide Music Festivals, der Interessenverband europäischer Festivals, lädt vier Wochen später, Mitte November, zur Strictly Mundial nach Spanien ein. Michael Kleff fuhr nach Berlin, um dort mit Borkowsky Akbar von Piranha Kultur und Bernhard Hanneken vom Festivalforum für das Folker!-Gespräch zu erfahren, nach welchen Kriterien die Weltmusikszene sich denn in der Zukunft orientieren kann.

Borkowsky Akbar: Wer zur WOMEX will, der sollte nach Berlin kommen. Wir arbeiten ja schon seit 1991 an der Entwicklung dieses Konzepts. Die ersten drei Jahre als World Wide Music Days im Rahmen der Berlin Independance Days und dann unabhängig von der untergegangenen BID als World Wide Music Expo. Diese Veranstaltung hat eine Geschichte und ein klares Profil. Was bei der WOMEX 2000 zu erwarten ist, steht in dieser Tradition. Und wir versuchen, jedes Jahr ein bißchen besser zu werden.

Folker!: Wenn dem so ist, stellt sich in der Tat die Frage, warum sollte ich dann Zaragoza als Alternative überhaupt in Erwägung ziehen?

Bernhard Hanneken: Weil mit Sicherheit das Wetter dort besser ist (lacht). Vielleicht auch das gastronomische Angebot. Aber Spaß beiseite. Um das ganze noch einmal historisch zu beleuchten, muß man daran erinnern, daß nach der Entscheidung, die WOMEX aus der BID herauszuentwickeln, nie eine richtige Strategiediskussionen stattgefunden hat. Man hat ein Konzept verfolgt, das nie hinterfragt worden ist. Innerhalb großer Teile des Forums herrscht schon seit einiger Zeit die Ansicht vor, daß bei der WOMEX die merkantilen Gesichtspunkte, d.h. die Interessen beispielsweise der Plattenfirmen, zu sehr im Mittelpunkt stehen und sie sich immer mehr zu einer Art Weltmusik-MIDEM entwickelt. Der Treffpunkt-Charakter, die Möglichkeit des Austauschs sind immer mehr in den Hintergrund gerückt. Das hat sich auch in Stockholm gezeigt. Als sich die Trennung im Frühjahr abzeichnete, herrschte bei vielen Forumsmitgliedern durchaus Trauer über diese Entwicklung. Bei vielen anderen war aber auch Erleichterung zu verspüren, weil man jetzt vielleicht noch einmal beim Nullpunkt anfangen kann. Wir müssen nicht mehr an Symptomen eines aus unserer Sicht leicht kränkelnden Patienten herumdoktern. Stattdessen kann man überlegen, was wir wirklich mit einer solchen Veranstaltung wollen. Diese Frage wird bei einem Treffen des Festivalforums in Ljubljana im September eine wichtige Rolle spielen. Dabei gibt es durchaus unterschiedliche Meinungen. Einige Leute im Forum wollen eine klare Trennung zwischen Plattenfirmen und Medien auf der einen Seite und Veranstaltern, wie Clubs und Festivals auf der anderen Seite. Sie sagen, das sind zwei Welten die nicht zusammenpassen.

Borkowsky Akbar: In der Weltmusikszene eine Trennung zu machen zwischen den Festivals als den guten Idealisten und den Plattenfirmen als den bösen Kapitalisten, ist eine lächerliche Provokation. Wer über die Weltmusikindustrie informiert ist, der weiß, mit welchen Schwierigkeiten die Plattenlabels zu kämpfen haben. Weltweite Erfolge wie »Buena Vista Social Club« sind die Ausnahme von der Regel und keinesfalls typisch. Entscheidend für die WOMEX ist, daß alle möglichen Spieler auf dem Weltmusikfeld integriert werden. Daran arbeiten wir seit 1991. Die Idee von einem Marktplatz ist ja nun nicht neu. Wichtig ist dabei jedoch seit jeher, daß bestimmte Marktplatzgesetze eingehalten werden, und daß alle Beteiligten gleichberechtigt behandelt und nicht irgendwelche Leute privilegiert werden. Einer der wesentlichen Konfliktpunkte, die zu der Trennung von WOMEX und seinem bisherigen Hauptpartner European Forum geführt haben, ist eben die privilegierte Stellung der Festivals bei dieser Messe gewesen, die auf die Dauer so nicht aufrechtzuerhalten war. Wir erwarten daher mit Freude und Spannung, wie sich der neue Festival-Marktplatz in Zaragoza entwickelt und vor allem, wie es mit ihm nach dem Jahr 2000 weitergeht.

Folker!: Woher nehmt Ihr beide eigentlich die Sicherheit, daß Ihr die »Kundschaft« auf Eurer Seite habt. Die Diskussion in Stockholm hat doch allenthalben Fassungslosigkeit über die Trennungsdebatte offenbart. Die meisten Teilnehmer konnten weder mit der historischen Debatte etwas anfangen, noch mit den jeweiligen Begründungen. Was heißt hier Kommerzialisierung, wurde gefragt. Man sei doch u.a. deswegen da, um beispielsweise einen Vertrag abzuschließen. Das waren alles Leute, die weder etwas mit Piranha noch mit dem Festival-Forum etwas zu tun haben. Wie soll man denen erklären, daß es nicht möglich ist, beide Interessen unter einen Hut zu bekommen?

Borkowsky Akbar: Das ist relativ einfach. Da gibt es eben den Hegemonieanspruch des Forums und im Gegensatz dazu unseren Versuch, mit der WOMEX den unterschiedlichsten Interessengruppen gerecht zu werden. Das ist der eine Konfliktpunkt. Der andere liegt in der Struktur des European Forum selber begründet. Der Konflikt ist meiner Ansicht nach vorprogrammiert, wenn ein Netzwerk versucht, das zu tun, wofür es die einzelnen Mitglieder in einer Interessengemeinschaft vernetzt.

Bernhard Hanneken: Ich sage da nichts zu.

Folker!: Worüber reden wir hier eigentlich? Es ist ja nicht so, daß in Berlin Autos und in Zaragoza Flugzeuge verkauft werden. Es geht um einen Musikmarkt. Aber offensichtlich um eine unterschiedliche Auffassung, wie dieser zu behandeln ist. Wäre es da nicht vielleicht sinnvoll gewesen, im Interesse der Nutzer die »Nummer« einfach aufzuteilen? Alle zwei Jahre legt man den Schwerpunkt auf Messe und auf Geschäftskontakte und alle zwei Jahre auf den Erfahrungsaustausch und das Kennenlernen von Musikwelten in den unterschiedlichen europäischen Regionen. Ist das eine so abwegige Überlegung?

Bernhard Hanneken: Die stand einfach nicht mehr zur Debatte. Es gab vor zwei Jahren von Seiten Piranha heftige Debatten um den Standort der WOMEX. Ein Streit übrigens, den es von Anfang an gab, ob man sich nun als »Touring-Event« versteht, oder ob man sich an einem Ort niederläßt. Wie auch immer .... Als wir Anfang dieses Jahres zusammengesessen haben, erklärte Borkowsky, er habe sich die Rechte für den Namen WOMEX auf europäischer Ebene gesichert und damit sei das Thema beendet. Er würde jetzt die WOMEX machen und vorschlagen, die beiden Veranstaltungen so zu vernetzen, daß sie komplementär zueinander sind. Das ist eine Diskussion, die im Rahmen des Festivalforums noch zu führen ist. Wir suchen bei unseren Entscheidungen ja immer, und das ist nicht immer einfach, die ganz starke Anbindung an die Mitglieder. Ich sehe keineswegs die Hegemonie der Festivals über alle anderen Bereiche der Weltmusikszene, von der Borkwosky gerade gesprochen hat ...

Borkowsky Akbar: ... Aber das hast Du doch gerade formuliert als Unterschied zur WOMEX, wie wir sie weiterentwickeln wollen, und der neuen Veranstaltung, wie Du es in Eurer letzten Presseerklärung formuliert hast, was Ihr jetzt in Zaragoza plant. Du willst etwas, was für die Festivalveranstalter und ihre direkten Gegenüber, Agenten und Gruppen, zur Verfügung steht in Abgrenzung zu den »kommerziellen« Schallplattenfirmen und ihrem Umfeld.

GruppeBernhard Hanneken: So habe ich das nicht formuliert. Ich habe gesagt, daß es im Rahmen des Festivalforums die Befürchtung gibt, die WOMEX würde sich immer mehr zu einer Weltmusik-MIDEM entwickeln, und daß das nicht das Interesse des Forums ist. Ob das wirklich so ist, habe ich für mich erst einmal völlig offen gelasssen ...

Borkowsky Akbar: ... Bernhard Hanneken, was ist denn Deine Meinung? Du ziehst Dich immer auf eine allgemeine Mehrheitsmeinung zurück. Das ist das Problem, daß Du nie eine eigene Meinung hast.

Bernhard Hanneken: Borkowsky, das ist doch genau die Sache. Du hast Deine Meinung gegenüber dem Forum geäußert. Dann war Dir das Forum Sch...egal und Du hast Dich gewundert, daß das Forum daraufhin mit Dir nichts mehr zu tun haben wollte. Ich bin nur der Vertreter eines Netzwerkes. In dieser Funktion muß ich meine eigene Meinung zurücknehmen, weil ich nur repräsentiere, was die Mehrheit des Forums will. Wenn ich sagen würde, das ist meine Meinung, und ihr habt mir gefälligst zu folgen, wäre ich in dieser Position völlig fehl am Platze. Wenn Du mich als Einzelperson, als Journalist oder als künstlerischer Leiter von Rudolstadt fragst, könnte ich möglicherweise eine ganz andere Meinung vertreten. Ich bin jedoch hier nur der Sprecher.

Folker!: Was heißt denn das nun konkret? Welche Rolle spielen in Zukunft die Festivals bei der WOMEX und welche Rolle kommt beispielsweise Plattenfirmen oder Booking Agents als Vertreter der kommerziellen Interessen bei Strictly Mundial zu?

Borkowsky Akbar: Erst einmal möchte ich doch nachdrücklich zurückweisen, daß die einen auf der kommerziellen und die anderen auf einer nicht-kommerziellen Drehscheibe sitzen. Alle Beteiligten haben eine ökonomische Basis, ob sie nun selbständig, scheinselbständig oder in Strukturen arbeiten, und das betrifft genauso öffentlich-rechtliche wie teilöffentlich-rechtliche wie privatwirtschaftliche Unternehmen. Und in diesem Rahmen muß WOMEX neutral gegenüber allen Spielern auf dem Feld sein. Es muß für alle möglich sein, sich zu einer gegebenen Zeit an einem gegebenen Ort unter gleichberechtigten Bedingungen zu treffen. Das ist das Grundprinzip jedes Marktplatzes und daher auch der Grundsatz der WOMEX.

Bernhard Hanneken: Weil Borkowsky ja den Begriff gerade verwendet hat, wir werden mit Sicherheit den reinen Begriff des Marktplatzes in den Hintergrund drängen. Was uns gestört hat, auch in Stockholm, damit nicht irgendwelche Mißverständnisse aufkommen, war, daß Dinge, die uns eigentlich wichtig sind, nicht stattgefunden haben. Beispielsweise einen größeren Wert auf die Musik der Region zu legen, wo man sich gerade befindet, oder die Panels zu reorganisieren, um wirklich intensiv über ein Thema zu arbeiten, statt ein Sammelsurium von Themen anzubieten, die relativ zusammenhanglos nebeneinander stehen. Das wollen wir ändern. Ansonsten ist Strictly Mundial ein Angebot an die gesamte Szene, wie auch die WOMEX.


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