Eindrücke von Nele Münchmeyer
Januar 1999: In einer Klausurtagung der Redaktion Musik wird über die Sendereihe »Musik und Landschaft« des kommenden Jahres diskutiert. Wie im Jahr davor plant das ZDF sechs Dokumentationen über verschiedene Musikfestivals in Deutschland, je 30 Minuten am späten Sonntag Abend. Als Mitglied der Gruppe hoffe ich, meinen Vorschlag Rudolstadt plazieren zu können, entgegen der bisherigen Gewohnheit, sich auf Klassik-Festivals zu beschranken. Zu meiner großen Überraschung kann ich die Idee in der Runde durchsetzen und gehe an die Vorbereitungen.
Rudolstadt im Spät-Winter, ein Erlebnis der besonderen Art: Regen, feuchte Kälte, die einem in alle Glieder zieht und die leergefegte Innenstadt einer -für mich- typisch ostdeutschen Kleinstadt. Es beschleicht mich eine leichte Beklemmung während ich auf einen Produktions- und Aufnahmeleiter aus München warte. Durch deren Anwesenheit dann wieder etwas gefestigt ersteigen wir gemeinsam die Treppen zum Festivalbüro. Das Team tagt gerade und als wir den Raum betreten stören wir einen erfreulich lockeren Haufen. Nicht die gebügelten Hemden mit Krawatte, die ich von den Klassik-Leuten kenne, keilt postmodernes Büro, sondern ein runder und eckiger Tisch aneinander gestellt, mit mehreren Pott Kaffee und Aschenbechern zwischen den ausgebreiteten Papieren verteilt. Wir schildern kurz unser Vorhaben und verabreden uns mit Andreas Woiff, der uns alle Spielorte und Bühnenplätze zeigen soll.
Am nächsten Morgen verlassen mich die Kollegen und ich gehe mit Peter Uhlmann in medias res des Programms, soweit das zu diesem Zeitpunkt möglich ist. Mit einem Riesen-Paket an Informationen und Namen fahre ich wieder zuruck nach Wiesbaden. Ein gewisses Unbehagen macht sich auf der Fahrt breit, von all den Künstler-Namen sagt mir nur Baaba Maal etwas, die Drehorte sind ohne Bühnen so gut wie gar nicht zu beurteilen und auch im Festivalteam sind noch so viele Dinge unklar. Es hilft nichts, ich versuche von möglichst vielen Gruppen Tonträger zu organisiseren, eine Arbeit, die mich wochenlang in Atem hält. Ab und zu erkläre ich mich selber für verruckt. Warum hast Du nicht ein kleines, feines Kammermusikfestival gemacht? Bei Beethoven-Klaviersonaten oder Schubert-Streichquartetten kennst Du sowohl die Musik als auch die Besetzungen und die Spielregeln der Macher. Kannst dich anhand der Partituren vernünftig vorbereiten, deine Bilder planen und sogar schon festlegen, welche Musik in welcher Reihenfolge in die Sendung kommen soll. Stattdessen lasse ich mich auf ein völlig unbekanntes Abenteuer ein, nur weil ich seit einiger Zeit privat gerne Weltmusik höre... Als die Tonträger nach und nach eintrudeln packt es mich, so viel gute und interessante Musik... Sehr bald wird mir mein größtes Problem bewußt: wie kann ich einen repräsentativen Querschnitt aus 100 Ensembles aus 42 Ländern mit etwa 240 Konzerten in drei Tagen drehen? Ein minutiöser Zeitplan entsteht unter Berücksichtigung wie lang wir von Bühne zu Bühne inklusive Auf- und Abbau brauchen. 28 Konzerte stehen schließlich auf dem Plan und glücklicherweise läßt der Etat eine dritte Kamera zu, die sich an den drei Festivaltagen »nur« um die Atmosphäre kümmert.
Am 30. Juni ist es soweit, gemeinsamer Start in Mainz mit einem ausgesprochen netten und motivierten Team. Rudolstadt empfängt uns mit verhangenem Himmel und zu unserer großen Verblüffung in fast derselben Verschlafenheit wie Mitte März. Erster Besuch im Festivalbüro, auch da herrscht eine für mich beunruhigende Gelassenheit. Sind wir richtig? Geht hier wirklich in 30 Stunden ein Festival los, mit wie ich später erfahre 700 qm Bühnenfläche, 400 Scheinwerfern, 400 kW Tonleistung und 20 km verlegten Kabeln, ganz zu schweigen von den 4,5 km Bauzaun und 40 aufgestellten Containern? Zumindest an den großen Bühnen wird schon gearbeitet und beim ersten Dreh überrascht uns auch der erste Schauer... man hat uns vor dem Festivalwetter gewarnt. Abends das erste Interview mit Bernhard Hanneken, brilliante Formulierungen und wieder wird mir bewußt, daß hier andere Gesetze herrschen. Schubladen werden vermieden, die Grenzen immer wieder neu definiert und überhaupt gibt es hier keinen didaktischen Kopf, sondern »Vorstellungen werden genannt aufgrund eigener Erfahrungen (..), zusammengetragen und dann gibt es heftige Diskussionen«. Beliebigkeit als Prinzip, oder einfach nur ein kunterbuntes Konglomerat?
Donnerstag Abend die erste Musik und die erste Improvisation: beide avisierten Gruppen können aus triftigen Gründen nicht spielen. Das geht ja gut los, denke ich so bei mir, bleibt aber ein Einzelfall in all den kommenden Tagen. Das Instrumenten-Projekt dieses Jahres springt ein: die Mundharmonika und artverwandte Instrumente mit Künstlern aus verschiedenen Teilen der Welt. Zum ersten Mal wird die Internationalität greifbar, musikalisch wie an den Menschen, die im Handwerkerhof zur internen Eröffnung da sind.
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