backWomex 1998 in Stockholm

Bauklötze Staunen

Die Womex, die Worldwide Music Exposition, fand 1998 In StockhoIm statt. Wie schon zuvor in Berlin, Brüssel und Marseille wird auf dieser Messe der kleine Grenzverkehr der Weltmusik gepflegt: eine Kontaktbörse für Künstler, Agenturen, Plattenfirmen, Festivals und viele andere Beteiligte. Damit ist die Womex das real existierende Internet der Branche und hätte schon dafür einen Preis verdient. Doch Lorbeeren verteilen stand diesmal im Hintergrund – statt dessen gab es einen handfesten Eklat.

Ein Kommentar von Luigi Lauer

Der Raum 361 im schönen Conference Centre in Stockholm platzt aus allen Nähten. Innerhalb einer Stunde finden hier zwei Veranstaltungen statt. Doch anders als sonst leert sich der Raum nicht zwischen den Darbietungen, alle bleiben, es wird noch voller. Der Grund: Es wird bekanntgegeben, wie es um die Zukunft der Womex bestellt ist – und das gleich zweimal. Die beiden Parteien, die hier gegeneinander antreten, sind aber nur zur Urteilsverkündung erschienen. Der Prozeß ist längst gelaufen. Im Namen der Weltmusik wurde eine Entscheidung bekanntgegeben, die schlimmstenfalls das Ende einer hervorragenden Idee bedeuten könnte.

Die Idee hört auf den Namen Womex und ist ein Markt der Möglichkeiten. Der Vertreter einer norwegischen PIattenfirma trifft einen japanischen Vertriebspartner, eine Band aus Mali kann Auftritte in Kanada klarmachen. Das große Geld der großen Plattenfirmen hat hier niemand, weshalb man lieber mit- aIs gegeneinander antritt. Auch das Konzept stimmt. Es gibt ganz normale Messestände, es gibt Diskussionen und Vorträge, und es gibt die Showcases, bei denen bekannte und weniger bekannte Bands auftreten. Das Ganze ist also eine gute Sache. Grundsätzliche Kritik gibt es deswegen nur im Nomadentum der Messe: heute Berlin, morgen Brüssel, dann wieder Marseille oder Stockholm. Organisatorisch ist das sicher ein großer Nachteil, es braucht dazu wesentlich mehr Zeit und Geld, macht die Vorbereitungen hektisch, Fehler schleichen sich ein. Musikalisch aber – und überhaupt kulturell – hat die Reiseversion gewichtige Argumente aufzuzählen, denn die Kultur des Gastlandes lernt man sonst nie so intensiv kennen.

Es gab auch Musik .....

Neben einer miserablen Organisation, schlecht vorbereiteten Panels und dem Streit über die Zukunft der Womex bot die Stockholmer Konferenz jedoch noch etwas anderes: Musik. Vor allem die nordischen Länder nutzten die Gunst der Stunde, sich fast rund um die Uhr zu präsentieren. Von Donnerstag bis Samstag standen jeden Nachmittag gleich mehrere Gruppen aus Dänemark, Finnland, Norwegen und Gastgeber Schweden auf der Bühne. Was im kühlen Auditorium des Stockholm City Conference Centre tagsüber noch nicht völlig mitreißen konnte, überzeugte den letzten Besucher jedoch in den unabhängig von der Womex angesetzten Abendkonzerten im Westmanska Palatset. Da wurde gerockt mit Hoven Droven, gegeigt mit JPP und experimentiert mit Bazar Blå. Und es wurde vor allem getanzt, zu den Rhythmen dieser Gruppen ebenso wie zur Musik von Groupa oder Väsen. Es war faszinierend mitanzusehen, wie locker und souverän zugleich die jungen nordeuropäischen Musiker und Musikerinnen mit ihrer Tradition umzugehen wissen. Im Minutentakt wechselte im Westmanska Palatset die Stimmung. Fühlte man sich eben noch zum traditionellen Rundtanz gebeten, verwandelte sich die Tanzfläche auf einmal in eine Folkdisco. Geschäftiger ging es einige Kilometer entfernt in den zu einem Veranstaltungszentrum umgebauten Hallen einer ehemaligen Brauerei zu. In der »Münchenbryggeriet« traten die Bands an, die um die Gunst der Festivals- -und Konzertveranstalter spielten. Zu den »Publikumslieblingen« gehörten hier La Bottine Souriante aus Kanada, das russische Ensemble Farlanders mit der Sängerin Inna Zhelannya und dem Komponisten und Klarinettisten Sergey Starostin, sowie Sorten Muld aus Dänemark und das polnische Klezmertrio Kroke. Beeindruckende Konzerte boten auch die Akkordeonvirtuosen Kepa Junkera (Spanien) – leider ohne die vielen Gäste, die auf seiner aktuellen Doppel-CD »Bilbao 00:00 hrs." mit von der Partie sind – und die Finnin Maria Kalaniemi. Ein weiterer Höhepunkt war ohne Zweifel auch der Auftritt von Leyoad, einem zum Volk der Sahrauis gehörenden Ensemble aus der West-Sahara.

MiK

Daß es abseits davon in Stockholm auch Detailkritik gab, ist normal; die gibt es immer. Daran etwa, daß die Musik eher eine Folkmesse repräsentierte als eine Weltmusikmesse. Daran, daß gerade die nordischen Musikgruppen zur »Hauptgeschäftszeit« auftraten, als andere Sachen zur Erledigung anstanden. Oder daran, daß die »Panels« genannten Vorträge und Meetings von Seiten der »Panelists« miserabel vorbereitet und thematisch wenig interessant waren. Das gab es schon besser.

Stockholm steht aber nicht nur für mehr oder weniger berechtigte Kritik, sondern auch dafür, daß der Konflikt um die Frage eskaliert ist, ob die Womex eine Wanderversion oder eine Standstreifenausgabe sein soll. Für letzteres plädiert Christoph Borkowsky Akbar, Chef des Weltmusiklabels Piranha, der – außer in Stockholm – mit der Durchführung der Womex beauftragt war und die Messe gerne für jeweils vier Jahre in derselben Stadt beließe. Ehemaliger Auftraggeber und damit die andere Partei ist das European Forum of World Music Festivals, sozusagen der Interessenverband der Weltmusikfestivals, den wir hier kurz Forum nennen werden. Das Forum hält an der bisher praktizierten Form fest, jedes Jahr eine andere europäische Stadt aufzusuchen. Interessenten gebe es genug sagt Bernhard Hanneken, Mitglied im Forum für das Festival Rudolstadt.

Zwei Parteien, zwei Fronten – soweit haben die Dinge eine erfrischend durchschaubare Dualität. Die Geschichte hat aber auch etwas für Freunde von Schachtelsätzen oder von Filmen mit Nebenhandlungen. Denn Piranha-Borkowsky war nicht nur mit der Ausführung der Messe beauftragt, sondern als künstlerischer Leiter des Heimatklänge-Festivals zu Berlin auch selbst im Vorstand des Forums. Diese elegante Verschmelzung von Legislative und Exekutive wurde lange moniert, aber immerhin war Borkowsky auch Gründungsmitglied des Forums. Erst seit Februar 1996 gehört er diesem Gremium nicht mehr an – so die Forumvariante; er selbst datiert seinen Ausstieg auf 1997, als Reaktion auf die Womex in Marseille.

Unnötig zu erwähnen, daß auch andere Punkte unterschiedlich interpretiert werden. So dürfte schon die Formulierung »Forum beauftragt Piranha« auf Widerstand stoßen. »Piranha beauftragt Forum« würde indes dieselbe Ablehnung hervorrufen, nur eben im anderen Lager. Je nach zu schützendem Interesse werden die Fakten mal mit Friedkofskerze, mal mit Stadionflutlicht beleuchtet. War die Womex eine Forum-Idee, zu deren Durchführung Piranha verpflichtet wurde? Die Vertragshoheit seitens des Forums deutet darauf hin. Oder ist die Womex die Fortsetzung der Idee Borkowskys, die Weltmusik aus den Berlin Independent Days, der BID, auszukoppeln, und zur Verstärkung das Forum einzubinden? Dafür spricht die historische Auslegung. Denn die Worldwide Music Days, ein Produkt aus dem Hause Borkowsky/Theurer (heute Musikchef von Radio MultiKulti), gab es von 1991 bis 1994 als Seitenarm der 1988 entstandenen BID. Das Ende der Worldwide Music Days (und gleichzeitig der BID) 1994 markierte auch gleichzeitig den Anfang der Womex. Aber, um die Schachtelkonstruktion ohne Schachtelsätze über die Bühne zu bringen: Das Forum konstituierte sich ebenfalls 1991 – auf der BID.


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