EDITORIAL
Liebe Musikfreundinnen und -freunde,
ich hoffe, Sie sind gut im neuen Jahr angekommen, das uns sicherlich wieder einiges an Optimismus abverlangen wird, wenn wir mit Blick auf die Bühne der nationalen und internationalen Politik nicht verzweifeln wollen.
Aber auch nicht alle Ideen, Hilfe und Unterstützung zu organisieren, sind glaubwürdig und kommen gut an. So hat Bob Geldof, um dringend benötigte Gelder für die Eindämmung von Ebola zu generieren, im vergangenen November mit großen Namen wie Sinéad OConnor, Robert Plant oder Bono eine Neuauflage des vor dreißig Jahren von ihm und Midge Ure von Ultravox geschriebenen Songs Do They Know Its Christmas? aufgenommen. Seinerzeit ebenfalls mit Prominenten wie David Bowie, Phil Collins, Sting oder Paul McCartney eingespielt, landete das Stück in vielen Ländern schnell ganz oben in den Charts. 1984 war das Ziel, die Hungersnot in Äthiopien mit den Tantiemen aus diesem Song zu bekämpfen, und es kamen mehrere Millionen Pfund zusammen. 1989 wurde der Titel ein weiteres Mal aufgenommen, wieder, um Äthiopien zu helfen, und eine dritte Auflage 2004 kam den Hungernden in Darfur zugute. Bei der nun vierten Runde, kommerziell wieder erfolgreich, gab es auch eine deutsche Version, für die sich der Sänger der Toten Hosen, Campino, vor den Karren spannen ließ und kurzerhand rund dreißig Kolleginnen und Kollegen wie Wolfgang Niedecken, Joy Denalane, Ina Müller, Cro, Udo Lindenberg oder Gentleman zusammentrommelte. Und du fliegst nur 6 Stunden weiter / Ärzte, Schmerzen ohne Grenzen / Kleine Jungs in Barcelona-Shirts malen ihre Träume an die Wände / Es gibt so viel Zukunft, so viel Vielfalt / In all den 54 Ländern / Doch immer nur dieselben Bilder / Gelbe Schutzanzüge auf all den Sendern, heißt es etwa in dem von Campino, Marteria, Thees Uhlmann und Sebastian Wehlings geschriebenen Text. Das mag man wohlwollend noch als kritischen Hinweis darauf interpretieren, dass nur 6 der 54 afrikanischen Länder von Ebola betroffen sind, während die Fernsehsender anlässlich der Seuche die schlechte alte Tradition weiterführen, mit dem undifferenzierten Bild eines hoffnungslosen Afrika eine gehörige Portion an Lustgrusel hervorzurufen. Doch auch das offizielle Video zum gut gemeinten Song begann, um zum Spenden zu animieren, effektvoll-brutal mit Schreckensbildern: Untermalt vom Geräusch der Atemschutzgeräte war zu sehen, wie eine wenig bekleidete, offenbar halb tote Frau von Menschen in Schutzanzügen abtransportiert wird. Ich möchte nicht, dass jemand zur Erzielung eines Schockeffekts auf derart entwürdigende Weise instrumentalisiert wird. Auch nicht für einen guten Zweck, distanzierte sich Reggaesänger Patrice, der seine Mitwirkung an der deutschen Version inzwischen bedauert. Selbst, nachdem dieser Einstieg aus dem Video entfernt wurde, bleibt Kritik am Text, auch der englischen Originalversion. Er trägt ebenso dazu bei, Afrika einseitig als Kontinent der Katastrophen, Hilfsbedürftigkeit und Unselbstständigkeit darzustellen, der auf Zuwendungen von außen angewiesen ist eine Perspektive kultureller Überlegenheit. Rapper Fuse ODG sagte daher schon im Vorfeld seine Teilnahme am Projekt ab, und die mitwirkende britische Sängerin Emeli Sandé, die sambische Wurzeln hat, entschuldigte sich im Nachhinein für den Text. Aller Kritik zum Trotz erreichte die vierte Auflage von Do They Know Its Christmas? binnen Kürzestem Platz eins der Singlecharts. So bleibt jetzt nur zu hoffen, dass sie Anlass gibt, Hilfsaktionen in Zukunft mit mehr Sensibilität und Respekt für die Spendenempfänger und am besten unter deren Einbeziehung zu organisieren.
Sehr viele Gedanken über seine Texte macht sich hingegen Parvaz Homay. Er gilt als Erneuerer der traditionellen persischen Liedlyrik, weil er anders als in der klassischen iranischen Kunstmusik üblich keine Texte bekannter Dichter singt, sondern seine eigenen. Da befürchtet wird, dass sie für zu viel Unruhe sorgen, haben sie ihm mit zunehmender Bekanntheit zu Hause ein Auftrittsverbot eingebracht. Das Porträt unseres Autors Bernd G. Schmitz über diesen außergewöhnlichen Künstler finden Sie auf den Seiten 28-29. Welche Rolle gemeinsames Singen, Musizieren, Tanzen und Kinderliedkonzerte für die Entwicklung unseres Nachwuchses spielen, warum Kinder heute kaum noch singen, was es mit digitaler Demenz auf sich hat und welche Ansätze es gibt gegenzusteuern, erzählt Cathrin Alisch in ihrem Bericht über den vierten Kinderliedkongress in Hamburg. Im Gespräch mit der schottischen Sängerin Eddi Reader erfuhr Stefan Franzen überraschende Details aus ihrer Biografie, die Sie in unserer Titelgeschichte nachlesen können. Und das Labelporträt von Michael Freerix beweist mal wieder, wie die Begeisterung für Musik aus Laien erfolgreiche Unternehmer macht.
Meine Ankündigung im Editorial von Heft 5/2014, die Blauen Seiten in diesem Jahr auf ein ausschließliches Onlineangebot umzustellen, hat uns mehr Einwände eingebracht als erwartet. Uns ist bewusst, dass diese Entscheidung für manche eine Umgewöhnung ihrer Lesegewohnheiten bedeutet. Doch wir möchten die Zeit und das Geld, die uns die gedruckten Blauen Seiten kosten, lieber in die inhaltliche Weiterentwicklung des Heftes stecken. Dabei planen wir, wenn wir eine technische Lösung für eine nutzerfreundliche Eingabemöglichkeit gefunden haben, ein Dokument im PDF-Format, das so aufgebaut sein soll wie die bisherige Printversion der Blauen Seiten und sich online oder offline am Computer lesen, herunterladen und ausdrucken lässt. Wer also Wert auf eine Papiervariante legt, kann sie sich jederzeit komplett oder in dem gewünschten Ausschnitt ausdrucken und so nach wie vor an einem Ort der Wahl darin stöbern.
Ich möchte Sie nicht in die Lektüre des entlassen, ohne Sie auf die neue Kolumne von Michael Kleff hinzuweisen: Ab dieser Ausgabe ist das Gastspiel an Michael Sez gekoppelt, beide zusammen bilden den Resonanzboden.
Viel Freude beim Lesen und die besten Wünsche für 2015,
Ihre -Chefredakteurin
Sabine Froese
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FOLKER auf Papier
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