EDITORIAL
Liebe Musikfreundinnen und -freunde,
die Lobeshymnen und -stimmen aus der Nummer Hundert sind verklungen. Sie haben gutgetan, sehr gut sogar, darüber sind sich wohl alle am Projekt Folker Beteiligten einig. Wir wissen nur zu gut: Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, der muss damit rechnen, dass ihm die eigenen Äußerungen zum Bumerang geraten können. Umso schöner ist es, wenn wir uns anlässlich dieser schönen runden Zahl auch mal guten Gewissens buchstäblich im Lob der Leserinnen und Leser suhlen konnten. Die ganze Sache hat nur einen klitzekleinen Haken: Das Lob galt den ersten neunundneunzig Heften und seitdem sind wir wieder nur so gut wie die jeweils aktuelle Ausgabe.
Die Verantwortung für die Qualität dieser Zeitschrift tragen Herausgeber und Chefredakteur. Vielleicht haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt: Was unterscheidet diese beiden Menschen eigentlich voneinander? (Außer natürlich dem Geschlecht, denn bekanntlich hat der Folker ab 2015 eine Chefredakteurin.) Es geht, grob gesagt, um Inhalte und die generelle Ausrichtung des Folker. Die Unterschiede bei einem kleinen Projekt wie dem unsrigen sind so riesig nicht, jede in Verantwortung stehende Person macht sich Gedanken um das große Ganze ebenso wie für das nächste Heft. Aber natürlich ist es so, dass Sabine Froese sich in erster Linie um Artikel und Beiträge kümmert und auf diese Weise die inhaltliche Richtung bestimmt. Ein Herausgeber hat beim Folker in der Regel den Ausputzer zu spielen, also dort auszuhelfen, wo Not am Mann oder auch an der Frau herrscht. Außerdem verfasst er, wie alle Beteiligten, Artikel und Rezensionen. Darüber hinaus jedoch trägt ein Herausgeber die schlussendliche Verantwortung für das gesamte Projekt und macht sich daher Gedanken über die Philosophie der Zeitschrift, mit anderen Worten: die generelle Ausrichtung, das Selbstverständnis. Bei der intensiven Beschäftigung mit Berthold Seligers Buch Das Geschäft mit der Musik (Seite 56) war es natürlich unvermeidlich, sich Sinnfragen zu stellen wie: Wer sind wir eigentlich? Was wollen wir wie? Was sollen wir? Und ganz besonders: Was können wir leisten? Fragen, die nicht immer unbedingt klare Antworten zeitigen und die ganz gewiss in künftigen Editorials wieder auftauchen werden.
Nicht nur Seliger regt an. Daniel Gerhardt schrieb kürzlich in der Juli/August-usgabe von Spex eine ergreifende Klageschrift zum Thema Musikjournalismus. Er vergleicht die Hochphase, als Plattenfirmen die Schreiber endlos hofierten, mit der heutigen, eher trostlosen Behäbigkeit und bierseligen Kumpanei der Akteure. Das war in der Folk-, Lied- und Weltmusikszene nie so extrem, aber es ist trotz allem bedenkenswert, wenn Gerhardt schreibt: Musikjournalismus muss sich, vor allem, wenn er periodisch erscheint, vermehrt vom Tagesgeschäft lösen. Er sollte nicht ausschließlich abbilden, was veröffentlicht wird und passiert ist, sondern den Istzustand und seine gesellschaftliche Bedeutung über die Musikwelt hinaus analysieren und davon handeln, was in Zukunft passieren könnte. [
] Eine Stärke des Musikjournalismus, die ihn noch immer vom gelegentlich aufflammenden Interesse des Popfeuilletons unterscheidet, ist sein Nerdwissen. Dieses sollte er nicht eitel zur Schau, sondern in den Dienst von Newcomern und der Leserschaft stellen. Ich denke, das umschreibt die Intentionen des Folker in der Vergangenheit sehr gut, und die Komponente sich vom Tagesgeschäft lösen wollen wir in Zukunft etwas stärker betonen. Wir sind uns bewusst, dass der Grat ein sehr schmaler ist zwischen dem notwendigen Abbilden der Szeneaktivitäten und dem Verhindern, dass der Folker ein unreflektiertes Sprachrohr der Szene und ihrer Akteure ist. Wo liegt der Unterschied zwischen Zusammenarbeit, Kumpanei oder gar Abhängigkeit? Der Folker hat zum Beispiel in Sachen Anzeigen schon immer eine klare Linie gefahren. Im Unterschied zum größten Teil der Musikpresse lässt sich bei uns Berichterstattung nicht gegen Anzeigen kaufen. Wir entscheiden, worüber wir schreiben, und fragen dann nach, ob Interesse an Anzeigen besteht, ein ganz grundsätzlicher Unterschied, der weitestgehende journalistische Unabhängigkeit schafft auf Kosten der Kasse des Verlegers, das sollten wir, aber auch die Leser nie vergessen. Unabhängigkeit gibt es nicht umsonst.
Ähnliches werden sich auch die Schotten gedacht haben zumindest circa 55 Prozent von ihnen. Die finanziellen Unsicherheiten einer Abspaltung schienen einer Mehrheit zu groß. Die Kulturschaffenden des Landes hatten andere Prioritäten. Ihnen ging es um das Prinzip: Sind wir nun eigenständig oder nicht, und die Antwort lautete zu 99 Prozent eher Yes. Ob diesem Stolz auf die kulturelle Einzigartigkeit mutet es seltsam an, dass sich die Autoritäten in Edinburgh vor Jahren von ihrer legendären School of Scottish Studies als eigenständigem Institut verabschiedeten. Wir müssten mal recherchieren, wie da der aktuelle Stand der Dinge ist. Das ist hierzulande nicht nötig, die Ignoranz im Umgang mit dem Deutschen Volksliedarchiv ist offensichtlich und himmelschreiend. Wir hoffen, dass wir mit Tom Dauns Artikel ab Seite 28 eine Diskussion anstoßen können, die den leise weinenden Abschied von dieser Institution verhindert. Schlimm genug, dass der deutschen Politik unsere volksmusikalischen Wurzeln am Allerwertesten vorbeigehen. Dass Teile der Wissenschaft den Wert des DVA nicht erkennen können oder wollen, ist ein Skandal.
Mit dieser Ausgabe sagen wir zu Michael Kleff: Tschüss, du Chefredakteur für einhundertzwei Folker-Ausgaben! (Obwohl er anfangs
aber das wäre jetzt Haarspalterei
) Er will es etwas ruhiger angehen lassen, aber glücklicherweise liegt die Betonung hier auf etwas. Von daher hält sich redaktionsintern die Trauer auch in Grenzen, denn der langjährige Lotse überlässt zwar ab der kommenden Ausgabe Sabine Froese den Chefsessel komplett, bleibt jedoch der Redaktion erhalten. So heißt es dann in der kommenden Ausgabe bereits wieder: Herzlich willkommen, Michael Kleff, du Kolumnist! Das könnte für den Blutdruck einiger Zeitgenossen womöglich zweimonatlich treibend sein, ich allerdings meine, es ist mit ein Grund, sich auf Heft 1/2015 zu freuen.
In diesem Sinne wünsche ich erst einmal eine anregende Lektüre der vorliegenden Ausgabe 6/2014
Ihr
Mike Kamp, Herausgeber
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FOLKER auf Papier
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