FOLKER – Editorial

EDITORIAL

Liebe Musikfreundinnen und -freunde,

ich möchte mich Ihnen kurz vorstellen. Ausschlaggebend für meinen beruflichen Werdegang waren mehrjährige Aufenthalte in Afrika, bei denen ich bereits mit Anfang zwanzig – also lange bevor es das Internet gab – in Zaire und knapp drei Jahre später in Guinea auf einen neuen musikalischen Kosmos stieß, der mich so sehr faszinierte, dass ich diese Entdeckung unbedingt mit Menschen in meiner Heimat und darüber hinaus teilen wollte. Diese Begeisterung mündete dann in die Kooperation mit einem Frankfurter Musikverlag und führte später zur Zusammenarbeit mit anderen Weltmusiklabels, mit Institutionen und Festivals, und ich begann außerdem als Musikjournalistin zu arbeiten. Dabei ist mein Enthusiasmus, wenn ich heute neue Künstlerinnen und Künstler entdecke, die Innovatives und Mitreißendes auf die Bühne bringen, immer noch genauso ungebrochen wie damals in Afrika. Seit 2008 betreue ich die Rubrik „Heimspiel“ beim Folker und freue mich sehr, ab 2015 von Michael Kleff, der dieses Magazin sechzehn Jahre lang mit scharfem Blick für die Verbindung von Folk, Lied, Weltmusik und Politik nachhaltig geprägt hat, die Redaktionsleitung zu übernehmen. Dieses Heft und das nächste haben wir gemeinsam konzipiert, sie sind also eine Kleff-Froese-Koproduktion.

Neben dem fließenden Übergang in der Chefredaktion haben wir weitere Veränderungen beim Folker geplant: Herausgeber Mike Kamp und ich wechseln uns ab sofort mit dem Editorial ab, um Ihnen regelmäßig zwei unterschiedliche Stimmen aus unserem Team zu Gehör zu bringen. Mit der ersten Ausgabe 2015 fällt zudem der Startschuss für eine neue Kolumne Michael Kleffs. Darüber hinaus wird die Website überarbeitet, und die „Blauen Seiten“, die eine bedienerfreundlichere Eingabemaske erhalten sollen, werden ausschließlich online erscheinen. Wann genau diese beiden Vorhaben in die Tat umgesetzt sein werden, können wir im Moment noch nicht absehen, aber die Vorarbeiten haben bereits begonnen. Fest steht hingegen, dass es ab Heft 1/2015 die Verlagsseiten in ihrer jetzigen Form nicht mehr geben wird. An ihrer Stelle sind von der Redaktion, der Anzeigenabteilung und dem Verlag initiierte Kooperationen vorgesehen, die sich gestalterisch deutlich vom redaktionellen Teil unterscheiden werden. Hinweisen möchte ich auch darauf, dass der Folker wieder an ausgewählten Bahnhofskiosken erhältlich ist. Und damit interessierte Leserinnen und Leser, die das Magazin noch nicht näher kennen, gleich auf den ersten Blick sehen können, über welche Musikfarben wir berichten, wird ab dem nächsten Jahr wieder die Unterzeile „Magazin für Folk, Lied und Weltmusik“ als Erkennungszeichen auf der Titelseite stehen.

SABINE FROESE * FOTO: INGO NORDHOFEN
Eine immer wieder kontrovers diskutierte Frage ist, von welchen Unternehmen Organisatoren von Kulturprojekten Geld zur finanziellen Unterstützung akzeptieren – wo liegen die ethischen Grenzen? Ist Coca-Cola vertretbar, denen zum Beispiel immer wieder Repressionen gegen Gewerkschafter oder Verstöße gegen den Umweltschutz vorgeworfen werden? Wie steht es mit den großen Energieversorgungsunternehmen wie Vattenfall oder Eon? Mit großem Befremden entnahm ich dem Newsletter der südafrikanischen Botschaft in Deutschland, dass unter anderem Thyssen Krupp und Rheinmetall, der Wirtschaftsminister Gabriel Anfang August wegen der Ukraine-Krise die Übergabe eines Gefechtsübungszentrums an Russland untersagte, die viertägige Veranstaltungsreihe „20 Jahre Demokratie in Südafrika“ mitgefördert haben, die das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Zusammenarbeit mit der Botschaft Ende August organisierte. Meine erste Anfrage an das HKW dazu mit privater E-Mail blieb unbeantwortet, die zweite gut zwei Wochen später mit Folker-Signatur führte erst auf telefonisches Nachhaken zu zögerlicher Auskunftsbereitschaft: Mein Anliegen werde mit der Programmleiterin besprochen. Die Stellungnahme, die dann kam, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: „Als wir das Festival ‚20 Jahre Demokratie in Südafrika‘ planten, wurde deutlich, dass unser Kooperationsvorhaben mit der Botschaft Südafrikas unterfinanziert war. Eine Reihe von privatwirtschaftlichen Akteuren, darunter die von Ihnen genannten Firmen, haben sich bereit erklärt, Spenden zu tätigen. Dazu kamen weitere Sponsoren und Unterstützer, die einen erheblich höheren finanziellen Beitrag leisten. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass jedwede Unterstützung eines Vorhabens durch Firmen, deren Portfolio eine Rüstungssparte umfasst, ein Wandern auf schmalen Grat bedeutet. Im Unterschied zum Sponsoring, bei dem der Veranstalter werbewirksame Gegenleistungen zu erbringen hat, erwirken Spenden keine Gegenleistung. Das HKW ist der kritischen Auseinandersetzung verpflichtet, und da machen die äußerst kritischen Positionen, die im Symposium und Filmprogramm zu Wort kommen, deutlich, mit welcher kuratorischen Freiheit wir dieses Projekt vorangetrieben haben.“ Das HKW, ein Ort des Kulturaustausches und wunderbarer Konzerte, akzeptiert also, dass unter anderem mit Rüstungsgütern verdientes Geld zur Realisierung seines Programms eingesetzt wird – das ist inakzeptabel und unerträglich. Offensichtlich haben sich auch die Taz und Funkhaus Europa, die die Veranstaltung mitpräsentierten, daran nicht gestoßen.

Positiv aufgefallen ist mir dagegen, dass der Berliner Friedrichstadt-Palast, eines der führenden Revuetheater Europas und zu hundert Prozent im Besitz der Stadt Berlin, Ende Juli verkündet hat, zukünftig keine Botschafter mehr aus Staaten einzuladen, in denen Homosexuelle verfolgt werden. Dies betrifft Diplomaten aus 82 Nationen auf einer „pinken Liste“, die der Friedrichstadt-Palast auf Basis eines Verzeichnisses der International Lesbian and Gay Association (ILGA) erstellt hat. Auf ihr stehen Länder wie Russland, Indien, Ägypten oder Tunesien. „Wir feiern unsere Premieren nicht mit Vertretern, die Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung unterdrücken, drangsalieren oder kriminalisieren“, so Intendant Bernd Schmitz. „Wir sind tolerant. Nur gegenüber Intoleranz sind wir intolerant.“ Gut so und ein Vorbild an Zivilcourage. Wünschenswert wäre, dass gleichzeitig ein Dialogfenster zu den Ausgeladenen offenbleibt.

Engagiert in Sachen Menschlichkeit sind auch Heinz Ratz und seine Band Strom & Wasser, die Musiker aus deutschen Flüchtlingslagern holten, mit ihnen, den „Refugees“, tourten, drei Alben einspielten und für ihren gemeinsamen Song „Herr Minister“ nun den diesjährigen Liederpreis der Liederbestenliste erhalten – Anlass für uns, noch einmal ausführlich über den „Anarcho-Humanisten“ und seine aktuellen Aktionen zu berichten. Außerdem haben wir gleich vier Jubiläen im Heft: Das Label Nonesuch feiert fünfzigsten Geburtstag, Schmelztiegel, die älteste Folkband Schleswig-Holsteins, wird vierzig, der Verband für Folk, Lied und Weltmusik Profolk dreißig und die Weltmusikmesse WOMEX zwanzig Jahre – das sind außergewöhnliche Erfolge im harten Musikgeschäft. Und schon lange wollten wir Ihnen David Bromberg, der zahlreiche Tonträger veröffentlichte und auf Hunderten von Platten prominenter Großverdiener wie Bob Dylan, Jerry García oder George Harrison mitspielte, näher vorstellen. Jetzt traf Folker-Kollege Ulrich Joosten das musikalische Multitalent zum Gespräch in Rudolstadt und porträtiert ihn in seiner Titelgeschichte.

Wenn Sie Kommentare oder Anregungen zu unseren Heftinhalten haben, freue ich mich über Ihre Zuschrift an sabine.froese (@) folker.de oder info (@) folker.de.

Eine anregende Lektüre der aktuellen Ausgabe wünscht Ihnen Ihre Folker-Chefredakteurin in spe

Sabine Froese

Update vom
09.02.2023
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