FOLKER – Halbmast

HALBMAST

TABU LEY ROCHEREAU

TABU LEY ROCHEREAU * FOTO: FRANS SCHELLEKENS

13.11.1937 oder 1940, Bagata, Bandundu, Kongo
30.11.2013 Brüssel, Belgien

Der Meister des Soukous, der kongolesischen Rumba, starb im vergangenen November in einem Krankenhaus in Brüssel an den Spätfolgen eines Schlaganfalls. Der Sänger mit dem hohen Tenor, der über zweitausend Lieder schrieb, startete seine Karriere Ende der Fünfzigerjahre in der damals im Kongo angesagten Gruppe African Jazz unter Joseph Kabasele (Le Grand Kallé), für die er viele Hits schrieb. Mit seinen eigenen Bandgründungen African Fiesta und Orchestre Afrisa International schrieb Tabu Ley Rochereau nationale und internationale Musikgeschichte, bekannte und einflussreiche Kollegen wie Dr. Nico, Papa Wemba oder Sam Mangwana traten an seiner Seite auf, die Sängerin Mbilia Bel wurde durch die Zusammenarbeit mit ihm berühmt. Er war immer auf der Suche nach neuen, passenden Einflüssen und ergänzte als erster Soukousmusiker seine Band um ein Schlagzeug. Rochereau, der diesen Spitznamen angeblich von seinen Klassenkameraden erhielt, weil er sich im Geschichtsunterricht beim Abgefragtwerden als Einziger an den Namen des napoleonischen Offiziers Denfert-Rochereau erinnern konnte, verließ 1988 aus politischen Gründen sein Heimatland unter Diktator Mobutu und ging ins europäische und amerikanische Exil. Erst nach Mobutus Entmachtung 1997 kehrte er zurück, ging in die Politik und bekleidete dort verschiedene Ämter. 2008 erlitt er einen Schlaganfall, von dem er sich nie wieder ganz erholte. Fünf seiner wohl über sechzig Kinder sind Musiker geworden, unter ihnen der Rapper Youssoupha Mabiki.

Sabine Froese

PETE SEEGER

  PETE SEEGER * FOTO: BIBIANA MATHEIS

3.5.1919, Patterson, USA
27.1.2014, New York, USA

Pete Seeger wusste, wie machtvoll Musik sein kann. Er glaubte daran, die Welt damit verändern zu können. Und er hat es getan. Ohne Pete Seeger und die Folkmusik hätte die Bürgerrechtsbewegung anders ausgesehen. „We Shall Overcome“ wurde ihre Hymne.

Geboren wurde der Musiker und Aktivist am 3. Mai 1919 in Patterson im Staat New York. Sein Vater war Dirigent und Musikethnologe, seine Mutter Geigenlehrerin. Ein Soziologiestudium in Harvard gab der junge Seeger schnell auf: Er interessierte sich nur noch für Musik – sowie für die Arbeiterbewegung und den Sozialismus. Er traf Woody Guthrie, mit dem er in den frühen Vierzigerjahren gemeinsam durchs Land zog und dabei bittere Armut, politischen Widerstand, Verzweiflung und auch Hoffnung kennenlernte. Er wurde Mitglied der Kommunistischen Partei. Zwar nur für einige Jahre, was an seiner politischen Grundhaltung jedoch nichts änderte. Bis an sein Lebensende betrachtete er sich als Kommunist: „Die Welt wird nicht überleben, solange das Privateigentum der Gott aller Götter ist. Nur der Geist der Zusammenarbeit wird die menschliche Rasse vielleicht retten.“ Mit den Almanac Singers, denen unter anderem Woody Guthrie angehörte, trat Pete Seeger für Gewerkschaften und Landarbeiter auf. Nach dem Krieg gründete er mit Lee Hays, Ronnie Gilbert und Fred Hellerman die Weavers. Mit Titeln wie Lead Bellys „Goodnight Irene“ sangen sie sich in die Herzen von Millionen von Amerikanern. Trotz ihres Erfolgs wurden jedoch auch die Weavers Opfer der antikommunistischen Hetzjagd der McCarthy-Ära. Pete Seeger wurde Jahre von den US-Bildschirmen verbannt. Seinen Lebensunterhalt verdiente er mit Konzerten in Schulen, für Kirchengemeinden und kleine politische Gruppierungen. Für ihn stand es nie zur Debatte aufzugeben.

Auf das Engagement in der Arbeiter- und in der Gewerkschaftsbewegung folgte für Seeger Ende der Fünfziger-, Anfang der Sechzigerjahre die Bürgerrechtsbewegung. Was Rassismus bedeutete, wusste er von seinen schwarzen Freunden, wie dem 1949 verstorbenen Lead Belly. Wie Guthrie war auch Seeger davon überzeugt, dass der Kampf gegen den Faschismus nicht nur in Übersee, sondern auch im eigenen Land geführt werden musste. Für beide war Rassismus eine Form von Faschismus. Immer wieder erzählte Seeger von einem Auftritt Woody Guthries, Brownie McGhees und Sonny Terrys bei einer Veranstaltung, bei der für Kriegsanleihen geworben wurde. Nach ihrem gefeierten Auftritt sei der Veranstalter gekommen und habe gesagt: „Herr Guthrie, wir haben hier einen Platz am Tisch für Sie. Ihre Freunde können in der Küche sitzen.“ Woody Guthries Reaktion: „Was soll das? Sie haben uns zusammen singen gehört. Können wir nicht zusammen essen?“ Aber der Mann habe entgegnet: „Herr Guthrie, wir sind in Baltimore. Vergessen Sie das nicht.“ Guthrie habe daraufhin nur gemeint: „Der Kampf gegen den Faschismus muss genau hier beginnen.“ „Dann hob er den Tisch an“, erinnerte sich Seeger, „und die Gläser und das Geschirr krachten auf den Boden. Da packten sie ihn an beiden Armen und drängten ihn hinaus. Sonny rief nur: ‚Woody, du bringst uns in Schwierigkeiten. Ich kann nicht richtig gehen und Brownie ist blind.‘ Aber Woody rief weiter: ‚Der Kampf gegen den Faschismus muss hier und jetzt beginnen.‘“

Nach seinem lebenslangen Engagement – für Gerechtigkeit, gegen den Vietnamkrieg, gegen die Zerstörung der Natur, gegen den Kapitalismus – muss es für Pete Seeger ein bewegender Moment gewesen sein, zwei Tage vor Barack Obamas Amtsantritt als neuer US-Präsident gemeinsam mit Bruce Springsteen und seinem Enkel Tao Rodríguez-Seeger vor einer halben Million Menschen vor dem Lincoln Memorial in Washington Guthries „This Land Is Your Land“ anzustimmen.

Pete Seeger hat im Laufe seines Lebens viele Ehrungen erfahren und Preise bekommen – unter anderem Grammys für seine Musik (zuletzt 2009 für das Album Pete At 89), die Aufnahme in die Songwriters Hall of Fame und die National Medal of Arts, die bedeutendste Auszeichnung, die durch den Kongress der Vereinigten Staaten an Künstler und Förderer der Künste verliehen wird; und im März 2009 nahm sein Enkel in Stockholm stellvertretend den Freemuse Award entgegen. Die in Kopenhagen ansässige Organisation, die sich gegen die Zensur von Musik engagiert, ehrte Seeger für seinen lebenslangen Einsatz für die künstlerische Freiheit. Pete Seeger selbst waren andere Dinge viel wichtiger als alle Ehrungen. Nicht zuletzt Beacon, der Ort an dem er seit 1949 mit seiner im vergangenen Jahr verstorbenen Frau Toshi lebte. Mit Blick auf den geliebten Hudson, für dessen ökologische Rettung er sich seit den Siebzigerjahren einsetzte.

Noch im vergangenen November stand Seeger zusammen mit Woody Guthries Sohn Arlo bei ihrem traditionellen Thanksgiving-Konzert in der New Yorker Carnegie Hall auf der Bühne. Die beiden Musiker verband eine jahrzehntelange Freundschaft und musikalische Partnerschaft. „Pete hat das System besiegt, das ihn umbringen wollte“, meint Arlo Guthrie. „Du spürst die Kraft dieses Mannes. Er war schon immer sehr klug, doch nicht in einem akademischen Sinn. Ganz bewusst wollte er das nicht. Er wollte jemand sein, der so wie Woody Guthrie daran glaubte, dass jeder Mensch Würde besitzt. Dass jeder Mensch einzigartig und wunderbar ist. Das hat er immer wieder gesagt und die Menschen daran erinnert, wie wichtig sie und ihre Arbeit sind. Und wie wundervoll die Welt wäre, wenn alle zusammenarbeiten würden. Pete hat daran geglaubt.“

Wer Pete Seeger einmal erlebt hat, wie er aufrecht stehend ins Tal über den Hudson blickte, nahm ihm ab, dass er trotz vieler negativer Erfahrungen in seinem langen Leben immer voller Zuversicht war. „Ich kann mir keinen glücklicheren Menschen vorstellen“, sagte er. „Ich habe von meiner Musik gelebt. Meine Kinder hatten nie Hunger und immer etwas zum Anziehen. Ich bin für die Menschen aufgetreten, die mit mir singen wollten. Es hat zum Leben gereicht. Was mehr kann man sich wünschen? Heute bin ich glücklich, so lange gelebt zu haben, um noch zu sehen, wie junge Menschen diese Arbeit fortsetzen.“

Michael Kleff

SEÁN POTTS

SEÁN POTTS

1930, Dublin, Irland
11.2.2014, Dublin, Irland

Im Alter von 83 Jahren starb am 11. Februar der 1930 in Drimnagh, Dublin, geborene Seán Potts, ein Meister an der Tin Whistle, der zusammen mit seinem Freund und Piper Paddy Moloney 1962 zu den Gründungsmitgliedern der Chieftains zählte. Potts, der auch an Bodhrán und Bones glänzte, verließ die Gruppe 1968, um für Gael Linn Records eine vertragliche Pflicht zu erfüllen, kehrte aber kurz danach zur Band zurück und blieb bis 1979, als ihm der Druck der Livekonzerte und der immer weiter greifenden Tourneen zu viel wurde. Vor den Chieftains war Sean Potts ein Originalmitglied von Seán Ó Riadas Gruppe Ceoltoirí Chualann. Nach den Chieftains war er vor allem für RTÉ aktiv. Zudem wurde er Vorsitzender und später Ehrenpräsident von Na Píobairí Uilleann, der Gesellschaft zur Förderung der Wahrnehmung, des Spiels und des Baus des irischen Dudelsacks in Dublin. Sein Sohn, Seán Óg Potts, der mit ihm zusammen bei Bakerswell und in der Donal Lunny Band spielte, ist ebenfalls ein hervorragender Piper, der bereits ein Uilleann-Pipes-Soloalbum veröffentlicht hat.

Eberhard „Paddy“ Bort

DUFFY POWER

DUFFY POWER * FOTO: ROLAND SCHMITT

9.9.1941, Fulham, West London
19.2.2014, London

Als ich ihn 1994 das erste Mal in London traf, sagte mir der Name Duffy Power, ehrlich gesagt, nichts. In einem East-End-Club hatte Soulsänger Luddy Samms den scheuen Gast für einige Zugaben auf die Bühne geholt. Wow, was für eine Stimme! Welche Ausstrahlung, welche Präsenz! Eine auch kommerziell akzeptabel zu nennende Karriere blieb ihm verwehrt. Sein Leben war geprägt von Pleiten, Pech und Pannen. Dabei fing es für Ray Howard, so sein bürgerlicher Name, recht verheißungsvoll an. Von Skiffle und Rock ’n’ Roll geprägt mutierte Duffy zu einem Elvis-Epigonen. Unzählige Singles brachten aber nicht den erwarteten Erfolg. Seine Liebe gehörte ohnehin dem Blues, und ab Mitte der Sechzigerjahre jammte Duffy Power mit Gott und der Welt: Georgie Fame, Alexis Korner, John McLaughlin, Graham Bond, Danny Thompson. Soloalben blieben rar, immer wieder gab es Ärger mit Labels und Agenturen. Verbittert zog sich Power zurück, arbeitete auf einem Sozialamt, wurde psychisch krank. Dass er ein Bluesharpvirtuose war, nutzte Ian Matthews, sein Songwriting Bert Jansch. Anfang der Neunziger wurde Duffy Power wiederentdeckt, seither mit Kompilationen gewürdigt. 2012 überraschte er – als brillanter Gitarrist – mit dem Album Tigers. Sein krankes Herz schlägt nicht mehr. R. I. P.

Roland Schmitt

PACO DE LUCÍA

PACO DE LUCÍA * FOTO: CORNEL PUTAN, WIKIPEDIA

21.12.1947, Algeciras, Spanien
bis 26.2.2014, Cancún, Mexiko

„Mein Name ist Francisco Sánchez Gómez alias Paco de Lucía, und ich bin Gitarrist.“ Diesen schlichten Satz findet man unter dem Button „Paco“ auf der persönlichen Website der Flamencolegende (www.pacodelucia.org). Mehr als bezeichnend für einen Gitarristen, der von allen, die ihn persönlich kannten, als zurückhaltend und bescheiden charakterisiert wird. Der 1947 im andalusischen Algeciras, Provinz Cádiz, geborene Künstler hat gitarristische Weltgeschichte geschrieben. Kaum ein Musiker auf dem Globus wird in einem solchen Maß als Personifizierung der Kultur eines ganzen Landes betrachtet und verehrt. Er war gleichzeitig Bewahrer der jahrhundertealten Tradition des Flamenco wie auch Neuerer, der sich Zeit seines Lebens in musikalische Kontexte begab, die den modernen Flamenco zu dem machten, was er heute ist: weltaufgeschlossen, bereichert um Elemente des Jazz, des Rock und sogar der Popmusik. Legendär ist seine Zusammenarbeit mit dem Sänger Camarón de la Isla Anfang der Siebzigerjahre. Das Album Friday Night In San Francisco von 1981 mit den Jazzgitarristen John McLaughlin und Al Di Meola wurde ein Millionenseller. Die Gitarre habe ihm viel Leid zugefügt, sagte einer, dem Scharen von Flamencogitarristen in aller Welt nacheifern. Wer die Tiefe und Leidenschaft seines Vortrags einmal live erlebt hat, wird vielleicht ahnen, was er meinte. In seinem Refugium auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán verstarb Paco de Lucía gerade einmal 66-jährig an einem Herzinfarkt.

Rolf Beydemüller

Update vom
09.02.2023
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