FOLKER – Halbmast

HALBMAST

RICHIE HAVENS

RICHIE HAVENS * FOTO: INGO NORDHOFEN

21.1.1941 in Brooklyn, New York
bis 22.4.2013 in Jersey City, New Jersey

Berühmt machte ihn das Woodstock Festival, bei dem er am 15. August 1969 als erster Sänger auf der Bühne stand und fast drei Stunden lang das Publikum begeisterte. Zum Abschluss seines Auftritts vor 400 000 Menschen sang Richie (Richard P.) Havens den Gospel „Motherless Child“ und fügte aus dem Stegreif eigene kämpferische Verse über „Freedom“ (Freiheit) hinzu. Damit gab er der Hippie-Bewegung eine Hymne. Er singe nur Lieder, die ihm wirklich etwas bedeuten und ihn bewegen, erklärte der im Januar 1941 in New York geborene schwarze Folksänger und Gitarrist in einem Interview. Nicht als Mann des Showbusiness verstand er sich, sondern als Aktivist im Kommunikationsgeschäft. Er sang zunächst in Gospel-Chören und schlug sich dann in Greenwich Village als Beatnik-Poet und als Porträtmaler durch. Noch vor Woodstock erschienen seine ersten Schallplatten, die dank seiner rauen, schorfigen Soulstimme und des brutalen Stakkatos seiner Gitarre Aufsehen erregten. Zwar komponierte und textete Havens zahlreiche eigene Lieder, doch seine größten Erfolge feierte er mit Cover-Versionen. Voller Leidenschaft, Intensität und Dramatik interpretierte er Songs wie „Eleanor Rigby“ von den Beatles oder Bob Dylans „I pity the poor Immigrant“. So festigte er seinen Ruf, der Sänger der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung zu sein. 1972 wirkte er bei der Uraufführung der Rockoper „Tommy“ mit, zwei Jahre später spielte er den Othello in dem Film „Catch My Soul“. Sein letztes Album kam 2008 unter dem Titel „Nobody left to crown“ auf den Markt. In diesem Jahr war der Havens-Song „Freedom“ noch einmal in Quentin Tarantinos Film „Django Unchained“ zu hören. Am 22. April ist der Musiker im Alter von 72 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben.

Annie Sziegoleit

BOB BROZMAN

BOB BROZMAN

8.3.1954, New York City, USA
bis 23.4.2013, Ben Lomond, Kalifornien, USA

Bob Brozman im Konzert erleben zu dürfen, kam einem Erweckungserlebnis gleich. Selbst seine DVDs oder Youtube-Videos ließen vielen Zuschauern und sogar gestandenen Gitarristen die Münder vor Staunen offenstehen. Wie er, ohne den Fluss der Musik zu unterbrechen, seine National Steel Guitar mit flinken Fingern bespielte, sie durch die Luft wirbelte und nebenbei noch sang und gegenläufige Rhythmen auf dem Cajon mit den Füßen trommelte, das war ganz im Sinn der alten Bluesmänner wie Charley Patton. Den Blues und Jazz der Zwanzigerjahre verehrte er ebenso wie die Calypsos und Musik aus Hawaii, die wiederum auf den Jazz und Blues dieser Jahre großen Einfluss hatte. Auf seinen Reisen durch die Welt sammelte er nicht nur seltene, aus dem Kanon der Musikgeschichte gestrichene Saiteninstrumente, sondern suchte auch den lebendigen Austausch mit jenen Saitenvirtuosen, die ihrerseits, wie er, für eine etwas andere Volksmusik plädierten. Auf Okinawa griff er mit Takashi Hirayasu zur Gitarre, in Indien spielte er mit Debashish Bhattacharya, auf Réunion ließ er sich von René Lacaille am Akkordeon begleiten, in Afrika war es Djeli Moussa Diawara, der neben ihm zur Kora griff, auf Hawaii traf er unter anderem Led Kaapana. Manchmal machte er sich dank Overdubverfahren gar selbst zum Orchester.
Dabei setzte der studierte Ethnomusikologe beim Spiel auf seinen Resonatorgitarren ganz bewusst pädagogische Akzente. „In allen Volkskulturen wird mit offenen Gitarrenstimmungen gespielt. Da kann jedes Kind sofort mitspielen. Nur die Hochkultur hat uns diese sogenannte klassische Stimmung der Gitarre aufgezwungen, die jahrelanges Üben voraussetzt, um Stücke mitspielen zu können“, erzählte er mir in einen von mehreren Interviews. Und: „Musikmachen, das gleichzeitige Beherrschen von Rhythmus und Melodie, ist das beste Gehirnjogging, das du dir vorstellen kannst!“ Ganz in diesem Sinne lehrte er in seinen 1999 mit dem Gitarristen Woody Mann ins Leben gerufenen International Guitar Seminars nicht nur das Spielen des Instruments, sondern bestückte ganze Dörfer in aller Welt mit Gitarren. „Bob Brozman ist mehr als eine Ein-Mann-Band. Er ist das lebende Archiv der Weltmusik!“, sagte Thomas Ruf, auf dessen Label 2012 mit Fire In The Mind eines seiner schönsten Alben erschien. Nun ist das Archiv geschlossen: Der kleine Mann mit Bart, der neben seinem Gitarrenspiel mit seinen sarkastischen und humorvollen Texten gegen die Reichen der Welt und deren Unkultur Partei ergriff, wurde am 23. April tot in seinem Haus in Ben Lomond, Santa Cruz, aufgefunden.

Harald Justin

Update vom
09.02.2023
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