FOLKER – Rezensionen

Rezensionen NORDAMERIKA/ KANADA


KYLE CAREY
Monongah

(Eigenverlag, go! www.kyleannecarey.com )
11 Tracks, 45:02, mit engl. u. gäl. Infos u. Texten

Zuerst nimmt einen die bezaubernd zarte Stimme gefangen, dann sind es die feinen, fröhlichen Melodien und die dezente, doch groovende Rhythmik der Begleitinstrumente. Es klingt amerikanisch, dann wieder keltisch – Country, Bluegrass, American und Irish Folk, engstens ineinander verwoben, da passt kein Blatt dazwischen. Hörend fließt man mit der Musik dahin. Monongah dagegen ist der Titel des Albums, des ersten Liedes, eines Gedichtes der Appalachen-Dichterin Louise McNeill und einer Mine in West Virginia, in der bei einer Explosion 362 Arbeiter starben und mit ihnen die Träume ihrer gerade eingewanderten Familien. Solch ernste Texte werden in besagter entspannter Musik transportiert, die so zum Ausdruck einer ganz zärtlichen Liebe zum Leben wird, gerade auch in den schwersten Stunden. Kyle Careys Debütalbum wurde von Donogh Hennessy (Lúnasa) produziert, für den exzellenten Bandklang sorgen außer ihm (g) Tom Canning (perc), Aoife Clancy (harm voc), Neil Fitzgibbon (g, v, harm voc), Trevor Hutchinson (b), John Kirk (bj, mand), Rosie MacKenzie (fid), Brendon O’Sullivan (v, viola), Pauline Scanlon (harm voc), Cleck Schrey (v) und die Sängerin selbst (g), die übrigens aus Alaska stammt.

Michael A. Schmiedel

 

KYLE CAREY – Monongah


SHELBY LYNNE
Live

(Everso Records Ever700/Rough Trade, go! www.shelbylynne.com )
18 Tracks, 67:27, plus DVD: 23 Tracks, 93:04, mit engl. Infos

Ihrer Einleitung zur DVD-Version von „Leaving“ zufolge ist sie jünger als das Internet behauptet, war also auch noch jünger, als ihr Vater ihre Mutter und sich selbst erschoss. Shelby Lynne und ihre Schwester Alison Moorer tragen eine grausame Geschichte mit sich herum, die man – dies das schräge Hauptplus der DVD gegenüber ihren Audioalben – Lynne ansehen kann. Nicht dass sie ungesund aussähe, angegriffen, womöglich zerstört. Aber die Sonnenseite des Lebens zeigt sich wohl anders in einem Gesicht – wenn auch schwerlich attraktiver: Shelby Lynnes Bühnenpräsenz und -ausstrahlung, wie sie beim Mitschnitt aus der Union Chapel in London festgehalten wurden, sind geradezu gigantisch! Und ihre Songs – bis auf einen Titel ihr ganzes letztes Album Revelation Road plus ein repräsentativer Querschnitt durch ihr älteres Schaffen – in den heruntergekochten Arrangements zur bloßen Begleitung ihrer eigenen Akustischen stehen dem nicht nach. Singer/Songwriter-Americana vom nachdenklichen Ende der Veranstaltung, scheinbar unspektakulär, aber ungemein packend. Und das – sehr löblich – von zwei verschieden Shows: Audio aus Santa Monica, das auch klanglich unbearbeitete Video mit mehr Stücken aus London.

Christian Beck

 

SHELBY LYNNE – Live


J SHOGREN + SHANGHAI’D
God Bless These Crooked Little Sounds

(Jaha! Records JAHA004, go! www.jshogren.com )
12 Tracks, 49:55, mit engl. Infos

Wenn hier nicht ein wildgewordener PR-Agent bei der Mythen- und Legendenbildung um seine Kundschaft ein paar Jahrhunderttreffer gelandet hat, ist J Shogren ein wandelndes Plädoyer für den Blick über den Tellerrand: Professor für Natural Ressource Conservation and Management in Wyoming, Mitglied der Schwedischen Akademie der Wissenschaften, Autor des Weltklimarates, der 2007 mit Al Gore den Friedensnobelpreis erhielt. Und wenn das Tagwerk getan ist, macht der Professor Musik wie sein hier vorliegendes viertes Album – eine hochkompetente, etwas spröde, in allen möglichen Farben schillernde Americana, die sich zu richtig guter Laune nicht recht entschließen kann, deswegen aber auch nicht gleich in Trübsinn verfällt. Die gelassene, handgeschrammelte Pflege amerikanischer Musik. Mit Ausnahme der „Creepolka“, deren Vorlage natürlich von Radiohead stammt, selbst geschrieben. Dargeboten mit zwei Handvoll Gleichgesinnten an allen Arten von überwiegend akustischem Folkinstrumentarium. Und gesungen gemeinsam mit gleich mehreren Damen, was der Zugänglichkeit des Materials sehr gut bekommt und einige Wärme erzeugt – auf mehreren Beinen steht sich’s sicher nicht weniger stabil als auf einem.

Christian Beck

 

J SHOGREN + SHANGHAI’D – God Bless These Crooked Little Sounds


VISHTÈN
Live

(Sandbar Music VISH 03 08, go! www.vishten.net )
13 Tracks, 71:58

Mosaïk

(Eigenverlag PTVish 04, go! www.vishten.net )
12 Tracks, 46:02, mit franz./engl. Infos u. franz. Texten

Wenn man über die kleinste kanadische Provinz Prince Edward Island fliegt, denkt man unweigerlich: So ein plattes Land, höchster Berg die Hälfte vom Drachenfels, richtig tote Hose. Weit gefehlt! Zumindest das Trio Vishtèn kommt von dort und repräsentiert die Kultur der Provinz mit beeindruckendem Schwung. Vishtèns Musik ist eine Mischung aus irisch-schottischen Cajunrhythmen und starken Einflüssen aus Quebec. Die Zwillingsschwestern Pastelle (Akkordeon, Piano) und Emmanuelle LeBlanc (Whistle, Piano, Bodhán, Maustrommel) plus Pascal Miousse (Fiddle, Mandoline, Gitarren) beweisen schon seit über einem Jahrzehnt, dass sich die Musik von Prince Edward Island nicht verstecken muss, zumal die drei auch wunderbare Stimmen haben und ihre Fußpercussion nicht etwa im Sitzen, sondern per Stepptanz erfolgt. Auf dem letzten Studioalbum Mosaïk sind die Melodien und Lieder geschmackvoll, intelligent und teils ungewöhnlich arrangiert – das bedeutet einen Genuss von Anfang bis Ende. Wer sich aber einen Eindruck von der ungeheuren Kraft der Musik Vishtèns verschaffen möchte, der sollte zum Livealbum von 2008 greifen: Eine wilde, ausgelassene Nacht in der Inselhauptstadt Charlottetown mit etlichen Musikerkollegen. Vishtén muss man auf der Bühne erlebt haben!

Mike Kamp

 

VISHTÈN – Live


STEPHEN WADE
Banjo Diary – Lessons From Tradition

(Smithsonian Folkways SFW CD 40208/Galileo MC, go! www.folkways.si.edu )
18 Tracks, 57:18, mit 40-seitigem engl. Booklet

Zunächst einmal verbindet man Chicago nicht mit Old-Time Music. Blues und Polka ja, aber die traditionellen Klänge der Hillbillys? Und doch sind etliche Musiker des Genres vor Jahrzehnten aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Mississippidelta und den südlichen Appalachen nach Norden gezogen. Dort hat Stephen Wade sie in den Siebzigern getroffen, fing Feuer für diese akustische Musik und verliebte sich vor allem ins Banjo. Besonders die Banjospieler Doc Hopkins und Fleming Brown beeinflussten seine Wahrnehmung dieser Musik und sein eigenes Banjospiel. Hier gibt Wade weiter, was er von den betagten Meistern gelernt hat – begleitet von einer hoch kompetenten Band, die in aller Bescheidenheit und doch virtuos agiert. Ungewöhnlich, dass auch Piano sowie Harmonium zum Line-up zählen. Das Repertoire reicht von einer angenehm zurückhaltenden Version von „Cotton Eyed Joe“ über flotte Instrumentals wie den „Temperance Reel“ bis zur Ballade „Rocky Hill“. Wade hat die Alten zu Lebzeiten besucht, die Songs unmittelbar aufgesaugt und offenbar verinnerlicht. Seine weiche Gesangsstimme gibt den Interpretationen zusätzlichen Charme. Nicht innovativ, aber nachlauschenswert.

Volker Dick

 

STEPHEN WADE – Banjo Diary – Lessons From Tradition


JOHN WHEELER
Un-American Gothic

(Cooking Vinyl COOKCD572/Indigo, go! www.johnwheelermusic.com )
12 Tracks, 42:48

Auch in harten Kerlen stecken weiche Kerne. Erst recht, wenn es sich um Musiker handelt. Diese Weisheit bestätigt auch John Wheeler. Als Barley Scotch mimt er bei der Rock-Grass-Truppe Hayseed Dixie den saufenden Draufgänger im Blaumann, der offenbar nur Weiber, Bier und Motorräder im Hirn hat. Auf seinem ersten Soloalbum zeigt er andere Seiten, thematisiert Fragen des Lebens – wie das Vergehen der Zeit, Verantwortung übernehmen und Sesshaftwerden, Entscheidungen zwischen Freiheit oder Enge treffen. John Wheeler geht in die Tiefe und präsentiert sich als Songschreiber mit vielfältigen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten. Mal klingt es nach lockerer Südstaatenmucke, mal nach düsterer Versenkung. Das bei Hayseed Dixie praktizierte Neuinterpretieren bekannter Songs gelingt ihm, wenn „Eton Rifles“ von The Jam zu einer Pianoballade mutiert, die eher an „I Don’t Like Mondays“ erinnert, auch hier. Dass er ein energievoller Sänger ist, beweist er mit dem Bob-Dylan-Cover „Masters Of War“. Und ansonsten tönen ergänzend zur traditionellen Bandbesetzung akustische Gitarren und Fiddles, die vielen Stücken den Rootstouch verleihen. Wheeler reift, offenbar.

Volker Dick

 

JOHN WHEELER – Un-American Gothic

Update vom
09.02.2023
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