FOLKER – Editorial

EDITORIAL

Liebe Musikfreundinnen und -freunde,

nach Frankreich, Irland, Schottland und Skandinavien legen wir mit dieser Ausgabe erneut den Schwerpunkt auf das musikalische Geschehen in einer Region bzw. einem Land. Unter der Überschrift „Polski Folk – Tradition, Revival und kulturelle Identität“ geht es um Folk und Weltmusik aus Polen. War polnische Musik hierzulande bis vor kurzem noch eine Tabula rasa, hat sich in den letzten zehn Jahren viel getan. Eine lebendige, sehr junge Folkszene besinnt sich auf die Traditionen der Vergangenheit: Tanzworkshops, Festivals, jede Menge interessanter Bands, die alte polnische Musik mit neuen Elementen aus Pop, Rock oder Jazz verbinden. Maria Baliszewska, die langjährige Leiterin der Volksmusikabteilung von Polskie Radio, skizziert in ihrem Beitrag die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre und wagt einen Ausblick in die Zukunft. Wojciech Ossowski, als Journalist eine der prägenden Figuren der polnischen Folk- und Weltmusikszene, gibt einen Überblick über das reichhaltige Festivalangebot des Landes. Der Musiker und Rundfunkjournalist Tom Daun schildert seine Eindrücke vom diesjährigen Festival Wszystkie Mazurki Swiata. Die junge polnische Kulturmanagerin Barbara Stasiak schildert in ihrem Erfahrungsbericht die Schwierigkeiten, polnische Musik in Deutschland zu „vermarkten“ – und wirft einen kritischen Blick auf die Folk- und Weltmusikszene ihrer Heimat. Schließlich porträtiert unser Österreich-Korrespondent Harald Justin mit Krzysztof Dobrek Polens bekanntesten Musiker in Wien.

Radioretter hin oder her, das „Sterben“ anspruchsvoller Musiksendungen geht weiter. Berlin, die Metropole, die sich gern Kulturhauptstadt Europas nennt, reduziert ein weiteres Mal ihr kulturelles Radioprogramm. Nach dem Ende von Radio Multikulti sowie für die Countrymusiksendung von Larry Schuba kam nun auch für die wöchentliche Sendung Folkzeit von und mit Arno Clauss auf 88,8 nach vielen Jahren im September das Aus. Wie meist, hielt es auch in diesem Fall der Sender, Rundfunk Berlin Brandenburg, nicht für nötig, sein Publikum über die Programmänderung zu informieren. Ganz nach dem Motto: Wenn man die Hörerschaft vor vollendete Tatsachen stellt, wird sich schon niemand wehren. Zu diesem Thema passt das Gastspiel von Rainer Prüß, der ganz nüchtern feststellt: „Kein Geld für Kultur. Es heißt, es wäre keins da. Wer in wirtschaftliche Belange Einsicht hat, weiß, das ist gelogen. Wenn für eine Sache kein Geld zur Verfügung steht, heißt das, sie ist in der Rangfolge ganz hinten.“ Vielleicht sollten sich auch die Freunde von Folk, Lied und Weltmusik den Appell des 95-jährigen Résistancekämpfers Stéphane Hessel zu Herzen nehmen: „Empört euch!“

Seit nunmehr fast zehn Jahren präsentiert der Folker das Liederfest der Liederbestenliste. Nicht nur die Redaktion, sondern vor allem die Jury dieser außergewöhnlichen Hitparade des deutschsprachigen Lieds, freut sich daher darüber, dass die jährliche Veranstaltung ein neues vorläufiges Zuhause gefunden hat. Nachdem man mit dem Liederfest zuletzt jedes Jahr wie ein Wanderzirkus von Ort zu Ort gezogen war, soll nun erst einmal das Mainzer Unterhaus regelmäßiger Gastgeber sein. Dort – siehe auch die entsprechende Meldung in der Szene – ging Ende September unter dem Jubel des Auditoriums das Liederfest 2012 mit dem Liederpreisträger Konstantin Wecker und dem Förderpreisträger Caro.Kiste.Kontrabass über die Bühne. In diesem Heft finden Sie ein Porträt unseres Schweiz-Korrespondenten Martin Steiner über dodo hug & Efisio Contini, die als Gäste in Mainz auftraten. Und mit Christof Stählin würdigen wir einen weiteren großen deutschsprachigen Liedpoeten anlässlich seines siebzigsten Geburtstags.

Mit diesem Heft geht – zumindest online – eine Ära zu Ende. Der Folker-Webmaster Reinhold M. Haas, tritt zurück. Herausgeber Mike Kamp dankt dem Mitarbeiter der ersten Stunde im Namen der ganzen Redaktion unter der Überschrift „Der gewebteste aller Master“. Damit entlasse ich Sie wieder einmal in die Lektüre einer neuen Ausgabe des Folker, der letzten in diesem Jahr.

Ihr Folker-Chefredakteur Michael Kleff

PS: Wenige Tage nach dem Erscheinen dieses Heftes wählen die Menschen in den Vereinigten Staaten einen neuen Präsidenten. Vor einigen Wochen hat sich auch der alte zynische Satiriker Randy Newman in den US-Wahlkampf eingemischt. In „I’m Dreaming Of A White President“ singt er in Anspielung auf den Klassiker „White Christmas“ aus der Perspektive eines Wählers, der allein nach Hautfarbe entscheidet, wer der Präsident der USA sein soll. Viele Diskussionen um politische Entscheidungen Obamas waren nach Newmans Auffassung allein aufgrund seiner Hautfarbe viel umstrittener, als sie es bei einem weißen Präsidenten gewesen wären. Newman kritisiert in seinem Lied, dass vor Obama alle bisherigen US-Präsidenten weiß waren. Und es, wenn es nach den Republikanern ginge, in Zukunft auch wieder so sein soll. Auch andere Musiker haben sich vor der Präsidentschaftswahl zu Wort gemeldet. Wobei die Liste der Obama-Unterstützer rund zehnmal mehr Künstler enthält als die seines Herausforderers Mitt Romney. Für ihn treten der Waffenfanatiker Ted Nugent und der Sohn der Songwriterlegende Hank Williams ein. Williams machte mit der Äußerung Schlagzeilen, es sei wie eine Partie zwischen Hitler und Netanjahu, wenn Obama mit dem Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus, John Boehner, Golf spiele. Zu den prominenten Obama-Unterstützern gehören unter anderem Madonna und Barbra Streisand. Der mehrfache Grammy-Gewinner Ry Cooder veröffentlichte im August gleich ein ganzes Album zur anstehenden Wahl. Auf Election Special geht Cooder hart mit der etablierten Politik in den USA ins Gericht. Im Folker-Gespräch macht der Sänger und Gitarrist in dieser Ausgabe deutlich, dass die Wahl von Mitt Romney eine Katastrophe für sein Land bedeuten würde. Angesichts einer, auch von den ideologisierten Medien betriebenen, Radikalisierung der politischen Landschaft, blickt der Journalist und Pulitzerpreisträger Chris Hedges noch pessimistischer in die Zukunft. Er warnt vor einem Abgleiten der USA in einen von Konzernen beherrschten Überwachungsstaat, unabhängig davon, wer am 6. November gewählt wird: „Bei uns hat ein Staatsstreich in Zeitlupe stattgefunden, ein Staatsstreich der Konzerne. Wer auch immer Präsident ist, dient deren Macht. Ob unter Bush oder unter Obama. Da hat sich nichts verändert. Die Rhetorik von Demokraten und Republikanern unterscheidet sich. Ihr Regierungshandeln ist jedoch – von einigen sozialen Fragen wie Abtreibung oder Homoehe abgesehen – dieselbe. Vor diesem Hintergrund haben Wahlen ihre Bedeutung verloren.“

Update vom
09.02.2023
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