Rezensionen NORDAMERIKA
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BLAME SALLY
Speeding Ticket And A Valentine
(Ninth Street Opus NSO17/Broken Silence, www.blamesally.com
)
10 Tracks, 40:09
Das Alter scheint eine wichtige Rolle zu spielen, so oft wie Blame Sally selbst
darauf verweisen. Also ja, diese vier Frauen sind über vierzig und haben so
ihren Niedlichkeitsbonus selbstredend verspielt – eine All Female Band,
keine Girl Group, wie extra vermerkt wird. Alle vier hatten schon minder
erfolgreiche Karrieren hinter sich, bevor sie sich im Jahre 2000 zu Blame Sally
zusammenfanden, und sind auch jetzt noch solo unterwegs. Die Stücke auf ihrem
vierten Studioalbum bewegen sich zwischen Americana, Country und Rock, immer auf
Tuchfühlung mit Lucinda Williams, Melissa Etheridge, den Bangles und den Dixie
Chicks. Der mehrstimmige Gesang ist exzellent, alle vier sind versierte
Multiinstrumentalistinnen, die Produktion hat ordentlich Druck – nur die
Stücke bleiben schließlich hinter den Erwartungen zurück. Zu vorhersehbar sind
die Wendungen, zu prägnant die Vorbilder; nach diesen Rezepten wurde schon oft
geköchelt. Und auch den Texten fehlen die tieferen Einsichten, die man sich
wünscht, wenn die Schönheit der Reife schon so explizit thematisiert wird. Mit
dreißig ist man über den Berg, sagen Blame Sally – ob man allein deshalb
auch schon bessere Alben macht, sei dahingestellt.
Dirk Trageser
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ANNA COOGAN
The Wasted Ocean
(Yeah like Yeah Records CP2012, www.annacoogan.com
)
Promo-CD, 10 Tracks, 38:19
Von einer, die mit 19 Jahren ihre Heimat Neuengland verlässt, nach Salzburg
zieht, um am Mozarteum Opernsängerin zu werden, nach Nordamerika zurückgeht,
diesmal aber an die Westküste, um in Seattle Biologie zu studieren und
anschließend den nördlichen Pazifik als Limnologin zu erkunden – von einer
solchen Frau muss man wohl auch erwarten, dass sie irgendwann anfängt, Songs zu
schreiben und Gitarre zu spielen. Die Musik von Alison Krauss lenkte Anna Coogan
auf diesen Weg, was im Opener ihres zweiten Albums auch durchscheint: The Sons
Will Join Their Fathers klingt in seiner Ruhe und mit den eingeflochtenen
Dobrolinien ähnlich. Allerdings wirkt die Stimme Coogans weniger ätherisch als
die ihres Vorbilds, erinnert eher an die Schwestern McGarrigle, und von
Bluegrass ist auch kaum etwas zu finden. Lediglich das Instrumentarium könnte
auch zu einer Band aus Nashville passen – musikalisch wirkt die Music City
jedoch weit entfernt. An der rauen Küste gehen die Uhren anders, Anna Coogan
erzählt, wie. Immer wieder taucht der Wasted Ocean als Thema in den Songs
auf, dazu die Weite, die Einsamkeit und Verlorenheit, etwa im Fiddle-Lament
Come The Wind, Come The Rain. Traurig, schön.
Volker Dick
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JOE HENRY
Reverie
(Anti- Records 7159-2A/Epitaph/Indigo, www.joehenrylovesyoumadly.com
)
Promo-CD, 14 Tracks, 61:48
Joe Henry hat sich in seinen Keller zurück gezogen, um neue Songs einzuspielen.
Album Nummer zwöf ist ein sehr intimes, weltabgewandtes Album geworden, auf dem
man manchmal, ganz im Hintergrund, einen Hund bellen hört. Es scheint beinahe,
als würde Henry durch dieses Field-Recording seinen bluesgetränkten Liedern eine
historische Authentizität verleihen zu wollen. Nach 25 Jahren in der
Musikindustrie und zwölf veröffentlichten Alben hätte er das nicht nötig. In
ihrer eigenartigen Mischung aus Betrunkenheit und Zweiflertum ist jeder Song
Henrys ein zeitloses Unikat. Immerhin führte seine Ehe mit der Schwester
Madonnas dazu, dass einer seiner Songs von dem Megastar aufgenommen wurde und
weltweit in den Hitparaden landete. Reverie hingegen zielt in seiner
Beschränkung der Mittel, in der die Songs ganz für sich stehen, sicher nicht
vordergründig auf Erfolg. Trotz dieser Kargheit verzichtet Henry nicht auf
Schlagzeug und Bass – und die Unterstützung namhafter Musiker wie Marc
Ribot, Jean McClain oder Lisa Hannigan. Doch gerade deren sparsame Beiträge
unterstreichen die Intimität dieses rein akustischen Albums. Herbstmusik, mit
Blick auf einen schönen Winter.
Michael Freerix
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CHRIS HILLMAN, HERB PEDERSEN
At Edwards Barn
(Rounder Records 11661-0652-2/In-akustik, www.chrishillman.com
, www.herbpedersen.com
)
15 Tracks, 54:46, mit engl. Infos
Wenn ältere Herren Mitte sechzig zum Tanztee bitten, dann wirds gemütlich. Und
wenn das Ganze dann noch im kalifornischen Nipomo stattfindet, laut Eigenwerbung
der Ort mit dem angenehmsten Klima der USA, können nur Gelassenheit und
Seelenruhe strömen. Genau diesen Eindruck vermitteln Chris Hillman und Herb
Pedersen bei dem hier vorliegenden, in einer alten Scheune mitgeschnittenen
Konzert vom November 2009. Unterstützt von David Mansfield an der Fiddle, Larry
Park an der Gitarre und Bill Bryson am Bass laden die beiden zu einer
beschaulich-schönen Rückschau auf gut vierzig Jahre ihres Musikschaffens. Chris
Hillman von den Byrds, den Flying Burrito Brothers und der Desert Rose Band,
Herb Pedersen, musikalischer Partner von Größen wie Emmylou Harris, Jackson
Browne und Stephen Stills, spielen mit Bluegrassinstrumentarium selbst
Byrds-Klassiker, als könnten sie nie anders geklungen haben – inklusive
Eight Miles High. Die Ikonen des Countryrock haben repräsentativ ausgewählt,
was in ihrer Karriere wichtig war und einige Fremdkompositionen eingestreut,
etwa Buck Owens Together Again. Dazu spielt Hillman eine feine Mandoline.
Kein Zweifel: Hier liegt wohl ein Fall von Totalentspannung vor.
Volker Dick
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INDIGO GIRLS
Beauty Queen Sister
(IG Recordings/Vanguard Records 78190-2/Century Media Records/EMI Music, www.indigogirls.com
)
Promo-CD, 13 Tracks, 50:08
26 Jahre sind Amy Ray und Emily Saliers aus Georgia nun bereits als
Singer/Songwriter-Duo aktiv – höchste Zeit, dass auch der
Folker sie einmal wahrnimmt. Beauty Queen Sister, ihr
14. Studioalbum, ist ein bestens geeigneter Anlass, zeigt es die
bekennenden Lesben, die nie ein Paar waren, doch auf der Höhe ihrer Fähigkeiten:
meisterhaftes Songwriting, inspirierte Darbietung, perfekte Produktion. Die
Themen reichen vom freundlichen Nachbarn auf dem Land bis zur Revolution in
Ägypten, von den Eigenheiten der Musikindustrie zum rätselhaften
Rotschulterschärling-Massensterben in Arkansas, vom Verschwinden alter
Gewohnheiten und Erinnerungen wie dem Tränken der Pferde oder dem Geruch der
Tinte auf dem Papier zu den unvermeidlichen Anflügen romantischer Gefühle
gegenüber anderen. Dargeboten in kraftvollem, melodisch reichem Harmoniegesang
– eine Stimme führt, die andere begleitet – sind den Songs allesamt
elegante Melodien, klassische Strukturen, ein amtlicher Sound eigen. Und
zahlreiche Momente, in denen das souveräne Gesamtbild noch von überraschenden
Wendungen, Schlenkern, Aufmerksamkeiten und Arrangements zusätzlich verfeinert
wird. Das darf durchaus noch ein Weilchen so weitergehen.
Christian Beck
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CATHERINE MACLELLAN
Silhouette
(True North Records TND544/Al!ve, www.catherinemaclellan.com
)
14 Tracks, 57:39, mit Texten
Catherine MacLellans viertes Album belegt mit einer exquisiten Mischung aus
Folk-, Rock- und Countryelementen plus einer Prise Jazz, warum die
Liedermacherin als große kanadische Singer/Songwriter-Hoffnung gehandelt wird.
Neben einer anbetungswürdigen Stimme verfügt sie über ein sicheres Gespür dafür,
was Qualitätssongs ausmacht. Die Melodien decken von fröhlich bis
nachdenklich-melancholisch ein breites emotionales Spektrum ab und unterlegen
perfekt MacLellans tiefsinnige und poetische Lyrik über die Liebe und das Leben.
Ob Folkballade zu sparsamer Akustikgitarre, ob Rocksong mit Orgel, grummelndem
Bass und effizient zurückhaltenden Drums, ob Swingjazz – alles hat
ausnahmslos Klasse, ist songdienlich arrangiert und von MacLellan und
Tontechniker David Baxter hervorragend produziert. Sie spielt Piano und
Gitarren, unterstützt wird sie von ausgefuchsten Studiomusikern wie Jason
Sniderman (p, org), Burke Carroll (Pedal-Steel-Gitarre), Chris Gauthier (g) und
Remi Arsenault (b) und Reg Ballagh (dr, perc). Countrysängerin Jadea Kelly und
Jim Cuddy von der Countryrockband Blue Rodeos singen dezente Harmonien. Ein
nuancenreiches, vielschichtiges Meisterwerk, ein echtes Hörerlebnis.
Ulrich Joosten
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LUKE TEMPLE
Dont Act Like You Dont Care
(Western Vinyl WEST060/Secretly Canadian/Cargo Records, www.westernvinyl.com
)
9 Tracks, 38:48, mit fast keinen engl. Infos
Mit seiner Band Here we go Magic arbeitet der New Yorker vor allem von der
Grooveseite her an seinem Hybrid aus herkömmlichem Pop und moderner, urbaner
Indietrance. Solo bleibt er überwiegend nah an den Geschichten und Strukturen
des klassischen Songs; wenn auch deutlich im Stile – und gern wispernden
Ton – des verhuschten Nerds. Dont Act Like You Dont Care,
das dritte Soloalbum des ehemaligen Stuckateurs und Wandmalers schlägt aus dem
Widerspruch zwischen bodenständigem Handwerker und verblasenem Spinner gleich
mehrfach Funken, kann in seinen wenigen Stücken und seiner relativ kurzen
Laufzeit mit engelsgleichen Popmelodien, -harmonien und -gesängen in höchsten
ätherischen Tönen ebenso protzen wie mit ansteckendem Singalong-Schrammelfolk
und besinnlich-introspektiven Singer/Songwriter-Meditationen. Und quer durch
alle Schattierungen zieht sich gleichermaßen das spezifisch Zerbrechliche, das
den Großteil allen Neofolks ausmacht, der eher von der Indieseite her kommt und
die traditionellen Folkelemente erst über eine gewisse Rückbesinnung auf die
Wurzeln früherer Generationen wieder erlernt. Eine ausgesprochen fruchtbare und
faszinierende Kombination, in sämtliche Richtungen.
Christian Beck
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FOLKER auf Papier
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