FOLKER – Editorial

EDITORIAL

Liebe Musikfreundinnen und -freunde,

„Folker als seltenes Beispiel einer Publikation mit intelligentem Inhalt und Rückgrat verdient Unterstützung in diesen schweren Zeiten.“ Diese Begründung war Ende des Jahres einer Abobestellung zum „politischen“ Preis beigelegt. Ermutigt von solchen Bekundungen legt die Redaktion Ihnen das erste Heft eines neuen Folker-Jahrgangs vor. Auch 2011 wollen wir Sie mit unseren Artikeln und Berichten aus der Folk-, Lied- und Weltmusikszene unterhalten und informieren.

Informationen über unser Land zu verbreiten, dieser Aufgabe widmet sich die in Zusammenarbeit mit dem Außenministerium in Berlin herausgegebene Zeitschrift .de – Magazin Deutschland . Sie erscheint in elf Sprachen in einhundertachtzig Ländern. Die jüngste Ausgabe steht unter der Überschrift „The Sound of Germany“ und stellt Deutschland als „Land der Musik“ vor. Klar, Beethoven, Bach, Händel, Mozart … Da fehlt keiner der großen Namen deutscher Komponisten. Auch die Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin wird angesichts ihres sechzigjährigen Bestehens gewürdigt. Und was erfährt die Leserschaft in aller Welt unter dem Stichwort „populäre Musik“? Man könnte meinen, außer den Toten Hosen – dem jüngsten „Exportartikel“ des Goethe-Instituts -, Bushido, Peter Fox, Tokio Hotel, Seeed und natürlich Lena gibt es in Deutschland keine Szene. Liedermacher wie Konstantin Wecker oder Reinhard Mey sind offensichtlich ebenso wenig der Erwähnung wert wie die lebendige Folkszene in unserem Land oder mit dem TFF Rudolstadt eines der größten Weltmusikfestivals in Europa. Was vermeintlich nicht „hip“, angesagt und kommerziell erfolgreich ist, findet offensichtlich für die von Steuergeldern finanzierte Redaktion von .de – Magazin Deutschland nicht statt.

Da passt die Meldung, dass der Düsseldorfer Oberbürgermeister Dirk Elbers (CDU) dem NDR ohne demokratische Legitimation mehr als neun Millionen Euro für die Durchführung des Eurovision Song Contests zugesagt und erst einen Monat später den Stadtrat darüber informiert haben soll. Die Fraktion Die Linke hat deswegen bei der Düsseldorfer Regierungspräsidentin ein Disziplinarverfahren gegen den OB beantragt. Gleichzeitig sieht sich der SWR nicht in der Lage, eine Ausstellung über die Geschichte der von seinem Vorgänger SWF ins Leben gerufenen Liederbestenliste beim diesjährigen Festival Musik und Politik finanziell zu unterstützen. Zur Nutzung von historischen Aufnahmen wird auf die SWR Media Services GmbH verwiesen, die „gegen Rechnung die Digitalisierung und die Rechteabklärung für eine öffentliche Aufführung von Sendungsmitschnitten“ übernehme. Zur Klarstellung: Bei diesen „Sendungsmitschnitten“ handelt es sich um auf Kosten der Gebührenzahler erfolgte Leistungen des SWF beziehungsweise SWR. Die Vermarktung wurde – wie bei den meisten anderen ARD-Anstalten auch – in den letzten Jahren durch die Gründung entsprechender Gesellschaften privatisiert. Nur zur Erinnerung – da politische Grundsatzdiskussionen ja nicht nur in unserem Land kaum noch geführt werden: Das ist Kapitalismus in Reinkultur. Während die öffentliche Hand Kosten und Risiko trägt, besteht die Rolle des privaten Sektors darin, Profit zu machen und die Gesellschaft zur Kasse zu bitte, wenn es Probleme gibt.

Probleme gab es auch schon eine ganze Weile bei Pläne. Der eine oder die andere unter Ihnen wird sich vielleicht schon gewundert haben, warum es in jüngster Zeit praktisch keine Neuvorstellungen des Labels mehr im Folker gab. Wie „gut informierte Kreise“ berichten, steht der traditionsreiche Verlag vor dem Aus. Das Büro ist leer, Miete und die Gehälter der letzten beiden Angestellten sind seit Monaten nicht bezahlt, Bestellungen werden nicht abgewickelt und Künstler erhalten keine Abrechnungen. Wie es heißt, sei eine Zwangsinsolvenz nur noch eine Frage von Wochen. Als Labelmitbegründer ordnet Dieter Süverkrüp sozusagen als Nachruf die Geschichte von Pläne in seinem Gastspiel in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang ein.

Die Titelgeschichte dieses Heftes mag manche in der Leserschaft ebenso verwundern wie das Porträt von Peter Maffay vor einigen Jahren. Doch ich bin überzeugt, dass auch Sie nach dem Lesen des Beitrags von Gunnar Geller sagen werden: Wenn nicht der Folker, wer sonst sollte ein solches Thema anpacken.

Und damit entlasse ich Sie in die Lektüre der ersten Ausgabe des Folker im neuen Jahr.

Ihr Folker-Chefredakteur
Michael Kleff

PS: Und was ist neu im Land der Freien und Mutigen? In einem Kommentar der bestimmt nicht linksradikalen Denkens verdächtigen Financial Times Deutschland hieß es nach der Veröffentlichung der „Diplomaten-Depeschen“ durch Wikileaks Ende des Jahres: „Dass Wikileaks zusammen mit mehreren großen Zeitungen und Zeitschriften das Material veröffentlicht, mag zwar am Vertrauen der Verbündeten in die US-Diplomatie kratzen. Doch es ist im Sinne der Aufklärung einer breiten Öffentlichkeit über das, was die demokratisch gewählte Regierung der USA in der Außenpolitik so treibt. [...] … die Fülle des Materials gibt einen tiefen Einblick in die Funktionsweise des diplomatischen Diensts der USA und in seine Methoden. Wikileaks ist in dieser Konstellation weder Heilsbringer noch Bösewicht.“ Das sieht man in den USA natürlich anders. Der Bezahldienst Paypal setzte Wikileaks vor die Tür und sperrte das Konto, über das bisher viele Spenden flossen. Der US-Online-Händler Amazon verbannte die Internetplattform von seinen Servern, nachdem US-Senator Joe Lieberman zuvor Amazon mit Boykott gedroht hatte. Tom Flanagan, ein früherer Berater des kanadischen Premierministers meinte, Wikileaks-Chef Julian Assange sollte ermordet werden. Da setzte die republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin von 2008, Sarah Palin, noch einen drauf, indem sie forderte, man sollte Wikileaks als terroristische Organisation behandeln und Assange „jagen wie einen Taliban“. Der frühere Kandidat der Republikaner während der Nominierung zur Präsidentschaftswahl, Mike Huckabee, sagte, die Verantwortlichen in der US-Administration für das Datenleck müssten hingerichtet werden. Was ich an dieser Stelle in Heft 5/2010 schrieb, hat unverändert Gültigkeit: „Ein Liedtitel von Wenzel bringt es auf den Punkt: ‚Zeit der Irren und Idioten‘ …“

Update vom
09.02.2023
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