EDITORIALLiebe Musikfreundinnen und -freunde, in einem Kommentar sprach die Frankfurter Rundschau Anfang Juni mit Blick auf die Spardebatte und die desolate Situation der Bundesregierung vom politischen Offenbarungseid der Bundeskanzlerin. Angela Merkel sei die Hauptexponentin einer kleinbürgerlichen Mitte, die sich als das erweisen würde, was sie immer gewesen sei: „als Leerstelle.“ Weiter heißt es: „Merkel hat uns die ganze Zeit etwas verkauft, das es gar nicht gibt. Zu diesem Leerverkauf passt immerhin die letzte Personalie der Kanzlerin: Niemand dürfte die normativ entkernte Mitte so gut verkörpern wie der Kandidat Christian Wulff. Er wäre ein guter, weil in seiner Farblosigkeit alternativloser Bundespräsident.“ Jetzt will ich aber doch einmal eine Lanze für den Niedersachsen brechen. Wenn es um „Kultur“ geht, scheut sich Wulff keineswegs, Farbe zu bekennen. Nach dem Eurovisionserfolg von Lena empfing der zu dem Zeitpunkt Noch-Ministerpräsident die Siegerin mit Blumen am Flughafen. Den Siegertitel „Satellite“ hat er als Klingelton auf dem Handy. Als erste Amtshandlung als Bundespräsident könnte Wulff dann Lena Meyer-Landrut das Bundesverdienstkreuz verleihen. Damit käme er der Forderung einiger Politiker nach, die wie der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, oder der CDU-Medienexperte Marco Wanderwitz, meinen, Stefan Raab und Lena hätten zusammen den Eurovision Song Context gerettet und „Deutschland einzigartig präsentiert“. FDP-Medienexperte Burkhardt Müller-Sönksen bekräftigte: „Lena hat mit ihrem Song in wenigen Minuten alle fasziniert. Sie hat es absolut verdient, das Bundesverdienstkreuz zu erhalten.“ Der Verdienstorden der Bundesrepublik wird übrigens für besondere Leistungen in den Feldern Politik, Wirtschaft, Kultur und im ehrenamtlichen Bereich verliehen. Lenas Reaktion auf den Vorschlag: „Kann man machen. Sieht bestimmt gut aus.“ Da schließt sich der Kreis. „Leerstellen“ nicht nur in der Politik, sondern auch in der Kultur. Und wie sieht es in dieser Hinsicht mit den Medien aus? Endredakteur Stefan Backes entdeckte auf der Webseite von T-Online in einem Beitrag über das WM-Eröffnungskonzert am 9. Juni diese Meldung: „Mit dabei sind hochkarätige Stars wie die Black Eyed Peas, Shakira und Alicia Keys, aber auch südafrikanische Pop- und Rockstars wie John Legend, Tinariwen und Vusi Mahlasela.“ Anzumerken wäre, dass John Legend US-Amerikaner ist und Tinariwen ..., nun ja. Kommentar von Folker-Herausgeber Mike Kamp: „Hätte die Pressestelle der T-Online ein Folker-Abo, wäre das nicht passiert ...“ Vielleicht sollte der Verleger der Telekom eins spendieren. Doch kommen wir zur vorliegenden neuen Ausgabe unseres Magazins, die in weiten Teilen im Zeichen der zwanzigsten Auflage des TFF in Rudolstadt steht. Die Veranstalter standen vor der schwierigen Frage, wie man ein solches Jubiläum gestaltet. Eine Selbstbespiegelung im Sinne eines „Best of“ sollte es nicht sein. Stattdessen entschied man sich, das zu tun, was den internationalen Ruf des Festivals ausmacht: Jahr für Jahr vor allem die aktuellen Entwicklungen im Bereich von Folk und Weltmusik auf die Bühne zu bringen. Im Folker blicken wir zurück auf die Anfänge des Festivals im Gespräch mit dem langjährigen Bürgermeister Rudolstadts, Hartmut Franz. Exklusiv auf www.folker.de dokumentieren wir den Abdruck eines im Frühjahr 1991 im Folk-Michel, einem der beiden Folker-Vorgänger, abgedruckten Gesprächs, das unter dem Motto „Die deutsch-deutsche Folkszene“ nach der Vereinigung im November des Vorjahres in Bad Hersfeld stattfand und bei dem der Grundstein für das Tanz- und Folkfest mit gelegt wurde. Unter der Überschrift „TFF91 Revisited“ wirft auch das TFF in einer Art Minispecial einen Blick zurück mit drei der aufsehenerregendsten Programmpunkte des ersten Tanz- und Folkfests von 1991. Mit dabei Jablkon aus der Tschechischen Republik mit ihren experimentellen Klängen, Elena Ledda mit sardischen Gesängen und die Wellküren, die wie ihre Brüder, die Biermösl Blosn, in der traditionellen bayerischen Volksmusik wildern. Was sich für diese Künstler in den vergangenen zwanzig Jahren verändert hat, werden wir im Folker im Rahmen unserer Festivalnachbetrachtungen in Heft 5/2010 berichten. Eine weitere Besonderheit der diesjährigen Jubiläumsveranstaltung ist, dass die Europäischen Rundfunkunion, die EBU, mit ihrem jährlichen Folkfestival zum zweiten Mal nach 1994 in Rudolstadt zu Gast ist. Hanni Bode spricht in diesem Heft über die Arbeitsweise der EBU und jüngste Veränderungen in ihren Mitgliedsländern. Ansonsten ist business as usual in Rudolstadt angesagt, was in Bezug auf das Festival bedeutet, dass das Publikum ein hochkarätiges Programm erwarten darf und wie immer die Qual der Wahl angesichts der Fülle der Konzerte haben wird. Da sind, um nur einige Beispiele zu nennen, der Länderschwerpunkt Äthiopien, unter anderem mit Mahmoud Ahmed, der als die Seele der modernen Musik des Landes gilt, und das diesjährige Instrumentenspezial „Magic Trumpet“, unter anderem mit Trompetenvirtuosen aus dem Iran, Moldawien, der Schweiz und den USA. Natürlich wird auch wieder getanzt in Rudolstadt. Angesagt ist dieses Mal der Stepptanz. Wie immer werden die Ruth-Weltmusikpreise vergeben. Christian Rath stellt die derzeitige Jury und das Auswahlverfahren vor. Ingo Nordhofen sprach mit Ulf Geer, dem Mann hinter der handgeschnitzten Preisskulptur. Im sogenannten Rahmenprogramm reicht die Liste der Interpreten von Céu, die das Cover dieser Folker-Ausgabe ziert, über Lau, die wir in der Reihe „5 Minuten mit ...“ vorstellen, das Afro Celt Sound System, Arlo Guthrie und Sophie Hunger bis zum auf traditionellen Solopfaden wandelnden Oysterband-Sänger John Jones, die Hannes Löschel Stadtkapelle, Daniel Melingo und zu einem der drei Creole-Preisträger 2009 The Shin. Über viele dieser Künstler haben wir in jüngster Zeit in unserer Zeitschrift berichtet. Wer schon am Vorabend des 20. TFF in Rudolstadt sein kann, darf sich auf das Sonderkonzert mit Ojos de Brujo aus Spanien freuen. Zum Schluss noch eine Anmerkung in eigener Sache: Immer wieder erreichen uns Mails und Briefe junger Künstler und neuer Bands, die darum bitten, doch einmal etwas über sie im Folker zu schreiben. Angesichts ihrer Anzahl könnten wir ein ganzes Heft damit füllen. Wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir Nachwuchsbands eine Plattform bieten können. Unser Angebot: Unter der Überschrift „Neu auf deutschen Bühnen“ gibt es ab Heft 5/2010 die Möglichkeit, sich mit einem ausgefüllten Fragebogen unseren Leserinnen und Lesern vorzustellen. Die Redaktion wählt aus den eingegangenen Zuschriften unter Berücksichtigung unter anderem von Stilen und Regionen einige aus, die in lockerer Folge in der Rubrik Heimspiel abgedruckt werden. Mehr zum Verfahren in der Szene dieser Ausgabe sowie auf der Website. Und damit wünsche ich Ihnen wieder einmal eine interessante und unterhaltsame Lektüre, Ihr Folker-Chefredakteur PS: Die Rubrik „Neues aus dem Land der Mutigen und Freien“ schenke ich mir dieses Mal. Angesichts der Absurditäten, die es in der US-Gesellschaft täglich zu erleben gibt, fällt die Auswahl schwer. Wer an Nachrichten unter dem Motto „Only in America ...“ interessiert ist, dem sei die Website www.truth-out.org empfohlen. |
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