FOLKER – Rezensionen

Rezensionen Europa


BIBI TANGA & THE SELENITES
Dunya

(National Geographic Music NGM004ADV/ADA Germany/Warner Music Group, go! www.warnermusic.de )
Promo-CD, 12 Tracks, 53:00

Abwechslungsreicher geht es nicht. Bibi Tanga ist nicht die kleine Schwester von Tati Bikini, sondern ein Franzose mit zentralafrikanischen Wurzeln, der auf Dunya souverän mit einer erstaunlichen Menge unterschiedlicher Grooves herumspielt. Mal rappt er dazu wie Gil-Scott Heron, dann fällt er überzeugend ins Curtis-Mayfield-Falsett, um gleich im Anschluss in westafrikanischen Harmoniegesang einzustimmen. Zusammen mit Produzent Le Professeur Inlassable hat er sich bei den unterschiedlichsten Stilen aus aller Welt bedient: Mal rumpeln Polyrhytmen wie von Tony Allen, mal wird’s jazzig, es werden klassische Funkriffs angeschlagen, dann wieder ist die Begleitung auf akustische Gitarre und ein paar wabernde Loops reduziert. Die stampfenden Housebeats bei „It’s The Earth That Moves“ können den ob dieses Eklektizismus fassungslosen Rezensenten dann auch nicht mehr überraschen. Seltsamerweise vermittelt Dunya trotzdem einen kohärenten Gesamteindruck, als Mörtel dient wohl das grenzenlose Selbstbewusstsein der Macher, immer sind sie trotz aller deutlichen Bezüge weit von bloßer Nachahmung entfernt. Man gewinnt den Eindruck, die hätten auch Material für fünf Alben gehabt. Ganz erstaunlich.

Gunnar Geller

 

BIBI TANGA & THE SELENITES – Dunya


BLACK BAUDELAIRE
Rumbo

(Kasba Music KM000309/Galileo MC, go! www.galileo-mc.de )
15 Tracks, 44:24, mit engl., franz., span. und Wolof-Texten und Infos

Einflüsse von französischem Raggamuffin, senegalesischem Hip-Hop, Jungle, Flamenco, afrikanischer Musik und spanischen Gitarren verschmelzen auf Black Baudelaires zweitem Album – eingespielt unter anderem in Dakar – zu einem urbanen Mestizo-Bastard mit starken afrikanischem Einschlag. Das Rhythmusfundament des Quintetts aus Barcelona ist Hip-Hop mit einem Schuss Breakbeats, dazu kommen kühle Synthie- und wärmere handgespielte Bässe und Gitarren. Verschnaufpausen mit dem jazzig angehauchtem „Djigen“ oder der Soundcollage „El Silenci“ aus Kinderunterhaltungen, Regen und Hahnenschreien sind nur von kurzer Dauer – bevor Stücke wie „Geestu“ schnell zurück in die Realität führen, die Rapper Babakar „Baba“ Gaye in Englisch, Französisch, Spanisch und Wolof klar auf den Punkt bringt. Sein Heimatkontinent liegt dem Straßenpoet senegalesischer Herkunft besonders am Herzen, unnachgiebig legt er den Finger in die Wunden von Rassismus, Sexismus und der Benachteiligung von Kindern. Black Baudelaire sind neben „Baba“ vor allem der französische Produzent Stéphane „Farmo“ Laidet und Paul Buitron Cisneros, alias DJ Wesh. Und immer wieder begeisternde Chöre, die halb Barcelona vor dem Mikro vereinen!

Matthias Lewy

 

BLACK BAUDELAIRE – Rumbo


DIVERSE
Arctic Paradise – Contemporary Folk Music from Finland – 2010

(Arctic ARCTICCD 2010, go! www.fimic.fi )
15 Tracks, 64:27, CD mit finn. und engl. Infos

Einen Querschnitt durch die derzeitige finnische Folkszene will dieses Album liefern. Wir bekommen eine Menge unterschiedlicher Musik geboten, von Joik mit ungewöhnlich melodischem Klang von Ulla Pirttijärvi bis jazzinspiriertem skandinavischem Einheitsbrei mit Klarinette. Die meisten Stücke sind instrumental, beim Gesang dominieren die Frauen, der erste singende Mann begegnet uns bei Stück 13 in Gestalt des Duos Paratiisin Pojat, zwei Herren, die Akkordeon und Pete-Seeger-Banjo spielen. Da nur so spärlich gesungen wird, fällt kaum auf, dass die Musik der schwedischsprachigen Minorität Finnlands nicht so recht zum Zuge kommt. Aber Arctic Paradise ist wirklich eine Fundgrube, viele verschiedene Stile, teilweise virtuose Beherrschung der Instrumente, wunderschöner Gesang, und ein dickes kleines Infobuch, in dem auch die Webadressen der Künstler und Künstlerinnen angegeben sind. Und die brauchen wir auch – das Infobuch verrät zum Beispiel nicht, wer von unserem Männerduo der Sänger ist. Dazu ist es überaus chaotisch angeordnet und dauernd werden Leute gepriesen, die überhaupt nicht vertreten sind – wir nehmen’s als Zusatzinfo über dieses Füllhorn hinaus. Und freuen uns sowieso über die schöne Musik!

Gabriele Haefs

 

DIVERSE – Arctic Paradise – Contemporary Folk Music from Finland – 2010


ERIK SUMO BAND
The Trouble Soup

(Le Pop Musik LPM26/Groove Attack, go! www.grooveattack.com )
Promo-CD, 13 Tracks, 44:54;

Erik Sumo ist eines der spannendsten Musikprojekte der letzten Jahre. Hinter ihm steht der ungarische Produzent, Sänger und Komponist Ambrus Tövisházi, der in verschiedenen Bands wie der schrägen Budapester Elektropop-Combo Amorf Ördögök spielt, als Radio-DJ sowie Filmkomponist arbeitet. Bereits mit seinem Debüt vor vier Jahren, machte er international auf sich aufmerksam. Einprägsame Popelemente, Rockabilly, Jazz, ungarische Folkelemente und eine Portion Schräglage zieren nun auch das zweite Erik-Sumo-Album. Mal kommt The Trouble Soup als verspielter Retropop mit Anleihen bei Klängen ostdeutscher Zeichentrick- und Filmkultur der Achtziger daher, mal als treibender Synthiepop mit Anleihen bei Afropop oder Folk. So schräg sich diese Mischung anhört – der „surreale Pop“, wie Tövisházi seinen stimmigen Mix verschiedener Epochen und Stile einmal selbst bezeichnet hat, funktioniert. Die Grundlagen des Albums wurden analog aufgenommen, in einem original Siebzigerjahrestudio. Gesungen wird auf Englisch und in einer Fantasiesprache, die Erzsi Kiss, eine der beiden Sängerinnen der Erik Sumo Band, erfunden hat.

Claudia Frenzel

 

ERIK SUMO BAND – The Trouble Soup


GUIDEWIRES
Live

(Guidewires Music GWMCD001, go! www.guidewiresmusic.com )
12 Tracks, 59:50, mit engl. Infos

Eine illustre Schar irischer Musiker der Oberliga haben sich unter dem seltsamen Namen Guidewires zusammengefunden und warten hinter einem grafisch unspektakulären Cover mit einem absolut umwerfenden Instrumentalalbum auf! Man kennt sie – Tola Custy (Fiddle), Padraig Rynne (Konzertina), Sylvain Barou (Flute), Paul McSherry (Gitarre) – aus vielerlei anderen irisch-keltischen Produktionen, unter anderem von Calico, Cian und Comas. Das sensible Bouzoukispiel von Karol Lynch ist für die Ohren des Rezensenten hingegen neu. Live im renommierten Glor in der irischen Provinzhauptstadt Ennis eingespielt, klingt das Album fantastisch. Eine wunderbare Auswahl an Stücken aller Tempi und Stimmungen, zum Teil neue Eigenkompositionen mit sehr speziellen musikalischen Wendungen, aber auch durchweg höchst attraktive Fremdkompositionen aus dem Dunstkreis des irisch-traditionellen Genres sorgen durchweg für Staunen, Mitwippen und Schauer über den Rücken! Produktionstechnisch sei lobend erwähnt, dass im Gegensatz zu den hippen Lúnasa-Produktionen hier mit dem fürs Emotionale so geeigneten Quentchen Hall nicht gespart wurde. Wer irisch mag, braucht die Guidewires im Schrank!

Johannes Schiefner

 

GUIDEWIRES – Live


DAVY KNOWLES & BACK DOOR SLAM
Coming Up For Air

(Blix Street Records G2-10193/Rough Trade Distribution, go! www.roughtrade.de )
11 Tracks, 48:55, mit engl. Infos und Texten

In seiner neuen Wahlheimat, den USA, wird der junge Waliser Davy Knowles mit Erscheinen seines zweiten Albums als der neue Eric Clapton gefeiert – unter Marketingaspekten vielleicht nachvollziehbar, im Sinne des Musikers ist das jedoch sicher nicht. Für einen solchen nämlich zählt letztlich das Eigenständige, und darauf abzuheben wäre die weit treffendere Werbung. Davy Knowles hat die drei Talente, die jeden großen Sänger und Gitarristen im Blues auszeichnen: Er spielt mit Können und Hingabe Gitarre, sagt als Texter und Songschreiber viel Treffendes mit wenigen Worten, und seine Stimme ist trotz seiner erst 22 Jahre sehr ausdrucksstark und hat einen hohen Wiedererkennungswert. Musikalisch hält Coming Up For Air eine gute Balance, die rockige Seite des Blues wird engagiert und energisch vorgetragen, die Midtempostücke leben von schönen, einfachen Gitarrenlinien. Und greift Davy Knowles einmal zur akustischen Gitarre riecht und klingt es nach Süden, Veranda und Schaukelstuhl. Einen Kritikpunkt gibt es dann aber doch, und der ist das allzu dick aufgetragene „Hear Me Lord“ – was aber wohl auch der amerikanischen Produktion geschuldet ist.

Achim Hennes

 

DAVY KNOWLES & BACK DOOR SLAM – Coming Up For Air


LAY LOW
Farewell Good Night’s Sleep

(LOO EHF LOO 003/Cargo Records, go! www.cargo-records.de )
11 Tracks, 37:49

Zarter Country aus Island. Farewell Good Night’s Sleep ist das zweite Album der 1982 in London geborenen Lovísa Elísabet Sigrúnardóttir, die sich Lay Low nennt. Sie eröffnet mit „I Forgot It’s There“, einem getragenen Bluesstück. Die Musikerin mit isländischen und indischen Wurzeln hat keine Angst vor Kitsch. Das Banjo und ihre sanfte Stimme, die zwischen den Tönen gleitet, erzeugen einen schaukelnden Klangteppich, der beim Hörer Bilder von Hawaii entstehen lässt. Für „Little By Little“ reizt Lay Low dieses Klischee weiter aus, um im darauf folgenden Stück ganz andere Töne anzuschlagen. „My Second Hand Heart“ ist poppiger und dunkler, das Schlagzeug nimmt eine wichtige Rolle ein, kurz sind Jazzelemente erkennbar. Dem Indiepop zuneigend singt sie mit mädchenhaft süßem Klang „By and by you realize how I done you wrong“. Immer dabei: die Pedal-Steel-Gitarre und die etwas verschlafene Stimme von Sigrúnardóttir. Texte und Musik schreibt sie selbst. Mit dem ersten Album Please Don’t Hate Me gewann Lay Low 2006 zwei isländische Musikpreise, für „Bestes Album“ und „Beste Sängerin“. Anfang März sind Konzerte in Hamburg, Berlin und Köln geplant.

Sarah Habegger

 

LAY LOW – Farewell Good Night’s Sleep


UNNI LØVLID
Seven Winds

(Heilo HCD7247/Galileo MC, go! www.galileo-mc.de )
13 Tracks, 49:04, mit Texten in vielen Sprachen

Zusammen mit Becaye Aw (g, voc) und Rolf-Erik Nystrøm (sax, voc) hat die norwegische Sängerin Gedichte ihres Landsmanns Olav H. Hauge vertont. Im Beiheft sind Hauges Texte abgedruckt, angefangen mit „Sju vindar“, die „sieben Winde“ des Titels, zu jedem Text gibt es alle Übersetzungen, die gerade zu finden waren, deutsch, färöisch, samisch, sogar tibetisch. Infos über Hauge, wer er war, gar ein Bildnis des Dichters suchen wir vergebens – dafür sehen wir die drei in Unterwäsche in einem See herumplanschen. Olav H. Hauge, (1908-1994) gilt als bedeutendster norwegischer Lyriker der vergangenen Jahrzehnte, von seiner Kunst konnte er aber nicht leben und verdiente sich sein Brot als Obstbauer im westnorwegischen Hardanger. Die Musik basiert auf traditionellem norwegischem Bestand, hier und da mit Joik-Einflüssen, ab und zu mit solchen aus Mauretanien und dem Senegal, die vermutlich Becaye Aw zu verdanken sind. Bei allem Frust über die eigenartig gesetzten Infoakzente: Frau Løvlid ist ein absolutes Stimmwunder, und das Album ist garantiert auch ein Genuss für die, die keine der Sprachen verstehen, in die die Texte hier übersetzt sind.

Gabriele Haefs

 

UNNI LØVLID – Seven Winds


CARLOS MOSCARDINI
Horizonte Infinito

(Music Edition Winter & Winter 910157-2/Edel AG, go! www.edel.com )
20 Tracks, 62:26, mit engl. Infos

Eine CD aus der Music Edition Winter & Winter in die Hand zu nehmen, ist immer schon eine kleine sinnliche Sensation. Aber fein editiert wird wie immer auch feine Musik, in diesem Fall Musik Argentiniens. Denkbar einfach das Aufnahmeverfahren: zwei Mikrofone, eine Gitarre – das war’s. Herausgekommen ist ein bezauberndes Album mit von ihm höchstpersönlich eingespielten Eigenkompositionen des international renommierten Gitarristen Carlos Moscardini. Ländliche und urbane Melodien und Tänze entführen uns in eine Landschaft der Gegensätze. Die Weite der Pampa, die luftige Höhe der Anden, die Flusslandschaft des Río de la Plata – all das fasst Moscardini in feinst ziselierte Miniaturen, eine klassisch anmutende Folklore. Das hohe technische Niveau des gefragten Gitarristen und Lehrers macht die Einspielung zu einem besonderen ästhetischen Erlebnis. Aber nicht nur Gitarre, auch Lieder sind zu hören. Luciana Jury veredelt mit ihrem expressiven Gesang ein Album, das weit mehr ist als eine gelungene Sammlung von Musik aus dem Herzen Argentiniens. Intim, sensibel, kraftvoll, tänzerisch und lebensfroh präsentiert sich eine wichtige Stimme der Musik dieser Welt.

Rolf Beydemüller

 

CARLOS MOSCARDINI – Horizonte Infinito


OVER SUNDET
Over Sundet

(GO’ Danish Folk Music GO0509, go! www.gofolk.dk )
10 Tracks, 42:32, mit dän./engl. Infos

Das dänische Quartett fährt mit einem kleinen Boot über den Sund von Dänemark nach Schweden. Dies ist ein Bild für die Inspiration, die die Gruppe vom wehmütigen und poetischen Folkklang aus Schweden erhält. Sie fahren aber auch vom Folk- zum Jazzufer. In ihrer Musik, die sie Nordic Roots nennen, verweben sie Elemente von Folk, Klassik und Jazz, woraus sich ein folkig-fortgeschrittener Sound ergibt – manchmal etwas an die dänische Gruppe Phønix erinnernd, die ja ebenfalls ohne die üblichen Geigen spielt. Auch durch den Verzicht auf einen Rhythmusbass ergibt sich ein kammermusikalischer Klang. Cecilie Strange (Saxofon), Siri Iversen, (Klarinette/Bassklarinette) und Lea Havelund (Cello) werden von dem Perkussionisten Simon Busk zurückhaltend unterstützt. Alle Stücke sind selbstkomponierte Instrumentals, die von den Musikerinnen im Booklet kurz textlich beschrieben werden. Ein gelungenes Debütalbum, in einem Atemzug zu nennen mit den in den letzten beiden Jahren vom dänischen Label GO’ veröffentlichten Alben von Hal & Nikolaj, Trio THG, Basco, also der jüngeren Generation dänischer Folkmusiker.

Bernd Künzer

 

OVER SUNDET – Over Sundet


NORBERT PIGNOL
Fictions

(Marque MTD 836/L’Autre Distribution, go! diato.org/autredis.htm )
44:24, 15 Tracks, mit ausführlichen Infos

Das Album beginnt vielversprechend. Eine Tür wird aufgeschlossen, ein Mann tritt ins Leben hinaus, aus den Geräuschen der Umgebung entwickelt sich eine originelle Perkussion, die einen sehr schönen Fünf-Takt-Walzer begleitet. So zeigt der französische Akkordeonist Norbert Pignol, einst Gründungsmitglied der Gruppen Dédale und Obsession, wie sich Bal-Folk-Musik in ein experimentelles Albumkonzept umsetzen lässt. Leider bleibt dies der Höhepunkt des Albums. Im weiteren Verlauf gibt es eher dubiose Geräusche als schöne Melodien zu hören. Zwar ist das Ganze – Pignol spricht von „musikalischem Kino“ – einigermaßen dezent, oft auch rhythmisch interessant, unter dem Strich wirken Pignols Fictions aber eher wie die originelle Umsetzung musikalischer Einfallslosigkeit. Einziger Lichtblick in der zweiten Hälfte: eine Hard-Folk-Passage, bei der das Akkordeon Pignols wie eine E-Gitarre klingt.

Christian Rath

 

NORBERT PIGNOL – Fictions


GERRY RAFFERTY
Life Goes On

(Hypertension HYP 9270/Soulfood Music Distribution, go! www.soulfood-music.de )
18 Tracks, 77:16, mit engl. Texten

Die Plattenfirma nennt es „Deluxe-Folkpop“ und liegt damit ziemlich richtig. Man könnte das Album des in Dorset lebenden, akzentfrei singenden Schotten unter dieser Überschrift genießen – wären da nicht der Anfang und das Ende. Da intoniert der Komponist und Interpret des Megahits „Baker Street“ Kirchlich-Lateinisches plus den Weihnachtsschmalz „Silent Night“. Warum nur? Glaubensgründe? Der große Rest des üppigen Albums ist für Freunde der bereits genannten Deluxe-Folkpop-Schublade ein positives Erlebnis. Viele neu bearbeitete Stücke aus der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts; unveröffentlichte alte, aber neu eingespielte Songs; und die ersten sechs komplett neuen Kompositionen seit neun Jahren. Wer die unverwechselbare Stimme von „Baker Street“ mag, der wird auch Life Goes On lieben. Schade nur, das jede Platte einen Anfang und ein Ende hat.

Mike Kamp

 

GERRY RAFFERTY – Life Goes On


MÁRTA SEBESTYÉN
I Can See The Gates Of Heaven ...

(World Village 450009/Harmonia Mundi, go! www.harmoniamundi.com )
8 Tracks, 55:14, mit engl. und franz. Übersetzungen der Texte und Infos

Als ab den späten Siebzigern des vorigen Jahrhunderts die zweite Welle modernisierter traditioneller Musik rollte, gehörte die Ungarin Márta Sebestyén mit ihrer Band Muszikás neben etwa Máire Ní Bhraonáin (= Moya Brennan, Clannad/IRL), Carin Kjellman (Folk och Rackare/S) oder Fietje Baten (Get Paraat/NL) zu den jungen Sängerinnen, die sich einer imaginär-authentischen Spielform zuwandten. Bevorzugten ihre Vorgängerinnen des Troubadours reine Lehre – Gesang und Begleitinstrument, zumeist Gitarre – oder die elektrifiziert-rockige Variante à la Fairport Convention, Steeleye Span oder Pentangle, so forschten die jungen Musiker und Musikerinnen verstärkt nach den möglichst originalgetreuen Klängen des jeweiligen Einzelfalls. Auf dieser Suche befindet sich die inzwischen 52-Jährige zwar nicht mehr, aber ihre Liebe zum Archaisch-Authentischen hat sie nicht verloren. So lässt sie die acht Liedcollagen ihres aktuellen Albums von Dudelsäcken, Hirten- und Obertonflöten, Obertongesang und dem „ungarischen Nationalinstrument“, der Holzklarinette Tárogató (Balázs Szokolay Dongó), sowie diversen orientalischen Lauten und Zithern (Mátyás Bolya) begleiten und verleiht so den religiösen und weltlichen Liedern Ernst und Größe.

Walter Bast

 

MÁRTA SEBESTYÉN – I Can See The Gates Of Heaven ...


SOLEDAD
In Concert

(Enja/ENJ-9544 2/Edel AG, go! www.edel.de )
13 Tracks, 62:42, mit engl., franz. und dt. Infos

Jede europäische Metropole hat hervorragende, mit viel Virtuosität und Herzblut agierende Tangoensembles. Wie alle, die gerade dem modernen Tango zugetan sind, kommt auch dieses Brüsseler Quintett natürlich nicht an Piazzolla vorbei. Die gemeinsame Leidenschaft für seine Musik war 1995 der Impuls, dass sich die damaligen Musikstudenten zusammentaten und sich sogar nach einem seiner Meisterwerke benannten. Auf allen fünf, inklusive diesem ersten live entstandenen Album ist der Übervater des Nuevo Tango eindeutiger Leuchtstern. Doch anders als etliche heutige Tangueros vermögen die Belgier selbst den ohrwurmigsten Klassikern noch etwas Eigenes abzugewinnen oder hinzuzufügen. So beginnt etwa Piazzollas bekanntes „Escualo“ ganz zwanglos mit einer funky Gitarre, um sich dann gekonnt in vertraute Bahnen zu begeben. Mit traumwandlerischer Leichtigkeit gestalten die begabten Instrumentalisten an Akkordeon, Geige, Piano, Gitarren, Kontrabass aber auch eigene wie Fremdkompositionen anderer Zeitgenossen, knüpfen ebenso alte wie neue Tangobande zu Gismonti oder Strawinski. Bisweilen erinnert nur der Zwischenapplaus daran, dass man hier keine im Studio ausgefeilte Arbeit zu hören bekommt.

Katrin Wilke

 

SOLEDAD – In Concert


THE UNTHANKS
Here’s The Tender Coming

(RabbleRouser Music/Rough Trade RTRADCD548/Beggars Group/Indigo, go! www.indigo.de )
13 Tracks, 54:18

The Winterset ist Geschichte – geblieben sind die Schwestern Rachel und Becky Unthank, geblieben ist auch die Violinistin Niopha Keegan, hinzu kamen erstmals Herren: Chris Price (Gitarre, Bass) und Adrian McNally (Piano und vieles andere), der aber schon vorher als Manager, Produzent und Rachels Ehemann mit im Boot war. Geblieben sind auch die oft ernsten, düsteren Themen und ihre entsprechend dramatische musikalische Umsetzung. Diese ist jedoch nun um einiges komplexer. Da wird mit abstrakten Klängen experimentiert, es werden neben viel Tradition auch Popsounds verarbeitet, und wenn bei den vielen Gastmusikern – 15! – die Bläser einsetzen, dann wird’s auch schon mal leicht jazzig. Zumindest Rachel Unthank hat das Gefühl, das neue Album sei ein wenig ruhiger und wärmer als der bewusst ziemlich freudlos und rau gehaltene Vorgänger. Geblieben sind aber vor allem auch der prägnante Gesang der Unthanks, die typischen schwesterlichen Harmonien, die manchmal schon fast tastende Vortragsweise. Immer noch keine leichte Kost, aber das muss Qualität auch nicht sein.

Mike Kamp

 

THE UNTHANKS – Here’s The Tender Coming


VEZIANA
Alba, Auba, Aurora, Aurore

(FolkClub Ethnosuoni ES5381, go! www.folkclubethnosuoni.com )
12 Tracks, 59:49, mit Texten und Infos

Mehrsprachig erscheint das Wort „Alba“, Morgendämmerung, auf dem Digipak der französisch-katalanischen Gruppe Veziana. Ob in altem Katalanisch, Okzitanisch, Sephardisch oder Galicisch-Portugiesisch, das acht- bis elfköpfige Ensemble beweist sprachlich und musikalisch, wie nahe sich die Kulturen des Mittelmeerraums im Mittelalter und der Renaissance waren. Sephardische und araboandalusische Stücke, Hirtenklänge aus der Extremadura, Weisen aus dem Baskenland und ein Weihnachtslied aus Okzitanien tönen, als hätten die katholischen Könige den islamisch geprägten Süden der spanischen Halbinsel nie zurückerobert. Westliche alte Instrumente wie Harfe, Drehleier, Gamben, Dudelsäcke oder Leier ergänzen sich mit Oud, Kanun (orientalische Zither) und verschiedenen Perkussionsinstrumenten aus dem arabischen Raum. Die Gruppe, die etwa zur Hälfte aus Musikern dieses arabischen Raums besteht, beweist mit der Auswahl der Stücke, dass sich unterschiedliche Kulturen nicht ausschließen müssen. Veziana heißt im mittelalterlichen Okzitanisch „mit Freude“. Nicht nur Freunde alter Musik werden beim Hören dieses Albums ihre helle Freude haben.

Martin Steiner

 

VEZIANA – Alba, Auba, Aurora, Aurore


ZUGLUFT
Collagen für U

(Narrenschiff Nar2009053, go! www.narrenschiff-label.ch )
13 Tracks, 60:29

Solch kreative neue Musik zu beschreiben, ist nicht einfach. Ist es Jazz, Minimal Music, Neue Musik, Volksmusik – oder alles zusammen? Und woher stammen die Volksmusikeinflüsse? „Chanson D’Enfer“, mit der tollen Stimme von Ines Florin, tönt nach Frankreich. „An der Adria“ stellt eine Verbindung zu Italien und dem Balkan her. „Krawall im Vrenelisgärtli“ erinnert daran, dass Zugluft aus der Schweiz kommen und im Land der Banken selbst die Berge fast ins Wanken geraten. Vergleich gefällig? Die dreizehn Klangcollagen erinnern etwas an das Schaffen des französischen Klarinettisten Louis Sclavis. Die Klarinette und die herrlich pumpende Bassklarinette von Bruno Strüby nehmen denn auch bei Zugluft einen wichtigen Platz ein. Strüby und der Akkordeonist Jonas Guggenheim ergänzen sich hervorragend. Letzterer glänzt abwechselnd mit einlullenden, dann mit schrägen, oft repetitiven Akkordfolgen. Ergänzt wird das Trio vom Schlagzeuger Philip Lenzlinger, der die richtigen Akzente setzt. Ein Album fernab jeglicher Kategorien. Es gewinnt mit jedem Zuhören.

Martin Steiner

 

ZUGLUFT – Collagen für U

Update vom
09.02.2023
Links
go! Home
go! Vorige Rezis
go! Nächste Rezis
FOLKER auf Papier
Dieser Artikel ist ein Beispiel aus der Print-Ausgabe!
Bestelle sie Dir! Einfach das
go! Schnupper-Abo! bestellen und drei Ausgaben preiswert testen. Ohne weitere Verpflichtung!
Oder gleich das
go! Abo ?