Rezensionen Europa
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BJØRN BERGE
Fretwork
(Grappa Records GRCD4321/Galileo MC, www.galileo-mc.de
)
12 Tracks, 49:04, mit engl. Infos
Wer sich einem Blindtest unterzieht und das Album ohne zusätzliche Informationen
lediglich hört, dürfte ob der Herkunft des Künstlers ziemlich in die Irre
laufen: Fretwork
ist Blues vom Feinsten; das Gehör umschmeichelnde Balladen ebenso wie deftige,
in den Bluesrock reichende Songs. Das ist vor allem die Ein-Mann-Show eines
Musikers, der alles perfekt beherrscht, was man Gitarre nennen kann, der aber
auch über eine tiefe, groovende Stimme verfügt. Und um den Leser nicht weiter
auf die Folter zu spannen: Bjørn Berge ist Norweger, stammt also ganz und gar
nicht aus Mississippi oder einer anderen für Blueser typischen Gegend. Auf
Fretwork hat sich ihm Øvind Staveland an Viola und Violine für einige Lieder beigesellt,
was eine Extranote bedeutet. Erstaunlich, wie das ganze Album insgesamt
rüberkommt: nahezu melancholisch-zart einerseits – und das nicht nur auf
typisch nordische Weise, es könnte durchaus auch südstaatenbluesig verstanden
werden -, andererseits kernig-frisch. Vor allem fällt auf, dass hier einer
etwas kann und dies auch zeigen mag. Ein Highlight des Jahres 2009!
Carina Prange
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ANTONIO EL TITI
Disfruto Flamenco
(CM Records CM 1008/Galileo MC, www.galileo-mc.de
)
12 Tracks, 48:22
Ja, ja, irgendwie kommt einem diese Melodie doch sehr bekannt vor. Aber
Flamencogitarre und Bulería-Rhythmus verhindern die unmittelbare Erkenntnis:
„From The Bottom Of My Heart“, ein Stevie-Wonder-Klassiker, im Iberogewand.
Antonio El Titi: ein neuer Name in der immer länger werdenden Reihe von
Innovatoren der Flamencogitarre. Innovativ in der Wahl des Repertoires, in der
Instrumentierung, der Erweiterung des Vokabulars. Noch über die Einflüsse des
Jazz, der Popmusik, ja selbst des Rock – man denke an Sabicas –
hinaus, die ja längst keine Neuheit mehr sind im Flamenco. Harmonisch sind diese
Bulerías, Alegrias und Fandangos nicht mehr mit der klassischen Auffassung eines
Pedro Soler zu vergleichen. Und es gibt natürlich eine zeitgenössische Sprache
neben Paco de Lucia. So ist es immer wieder faszinierend, den neuesten Versuchen
der Grenzerweiterung zu lauschen, die den Boden der Flamencotradition nie ganz
verlassen. El Titi ist nicht nur an der klassischen sechssaitigen Nylongitarre
zu hören. Auf Bass, E-Gitarre und Cajón versteht er sich ebenso virtuos. Ein
gelungenes Debüt.
Rolf Beydemüller
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MASSIMO FERRANTE
Jamu
(Felmay fy8158, www.felmay.it
)
12 Tracks, 46:43, mit kalabr. und okzit. Texten und ital. Übersetzungen
„Man kann ein Volk in Ketten legen, ihm das Essen verweigern, es ist immer noch
ein reiches Volk. Nur ein Volk ohne Sprache ist ein armes Volk“, singt der
Kalabrier Massimo Ferrante. Der Text stammt von Ignazio Buttiata. Vom gleichen
Autor stammt auch das 1955 geschriebene „Lamentu Pi La Morti Di Turiddu
Carnivali“. Es beschreibt eindringlich, wie Carnivali, Gewerkschafter und
Kämpfer gegen die Latifundisten, von der sizilianischen Mafia umgebracht wurde.
Jamu fasziniert durch seine starken Kontraste. Süditalienische Melodien treffen auf
das okzitanische „La Piov E La Fai Soulelh“, eines der Stücke, denen Lutte Berg
seinen Stempel aufdrückt. Zusammen mit dem Schlagzeuger Enrico Del Gaudio und
dem Bassisten Lello Petrarca verwandelt er das Volkslied mit Saz und
elektrischer Gitarre in satten Folkrock. Mal sägt Berg wie weiland Jimmy
Hendrix zwischen die Zeilen des klassenkämpferischen „Tu Compagno“, dem Massimo
Ferrante ein zartsüßes Schlaflied anfügt, dann glänzt der
kalabresisch-schwedische Gitarrist mit flüssig jazzigen Läufen. Diese
Vielschichtigkeit, laute und leise Töne miteinander, die textliche und
musikalische Hingabe machen Jamu zum Erlebnis.
Martin Steiner
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FRAUENKOMPOTT
Ausgekocht
(Volkskultur HeiVo CD-84, www.volkskulturnoe.at
)
20 Tracks, 54:58, mit niederösterr. Texten und Infos
Drei Deutsche gründen, so heißt es, einen Verein. Sechs Frauen, die sich im
Volksschulalter im niederösterreichischen Weinviertel kennengelernt, ihre
Probleme noch nicht ausgewachsen haben, zusammen knapp 240 Jahre alt sind, haben
keinen Verein gegründet. Sondern ein singendes Sextett, mitsamt Gitarre,
Akkordeon und Flöte. Derlei Gruppierungen mag es viele geben, was diese
einzigartig macht, ist ihr Umgang mit Satire, Tradition und Moderne. Ihre
Herkunft aus dem Weinviertel verpflichtet sie auf den dortigen Dialekt und auf
die Tradition. Die ist allerdings nicht mehr ungebrochen, die dörfliche
Gemeinschaft hat Anschluss an den Lebensstil moderner Urbanität gefunden. Bestes
Beispiel die sich ironisch als „Selbsthilfegruppe aus Poysbrunn und Falkenstein“
bezeichnende Musikantinnengruppe selbst: Sie trägt nicht nur Volksliedgut,
sondern nimmt sich auch einen Blues vor, dichtet Schlager wie Gittes „Ich will
’nen Cowboy als Mann“ zu „Flicken, putzen, nageln“ um. Allemal liegen die Themen
für die selbstbewusste Frau auf Herz und Zunge: vom One-Night-Stand zu
Orangenhaut und Totaloperation beim Mann – die Moderne hat Einzug gehalten
im Dorf, und es muss gelacht werden!
Harald Justin
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GRANNAR
Sofiagatan
(Evolving Traditions EVCD 08/CDA Compact Distribution AB, www.cda.se)
15 Tracks, 50:15, mit engl. Infos
Die ehemaligen Nachbarn aus der Sofiagatan in Malmö spielen traditionelle Stücke
aus Südschweden wie das dreistimmig gesungene alte Lied „Zum Hundertsten“ („Om
Etthundrade År“) aus Skåne, und stilgerechte eigene Kompositionen wie den sehr
berührenden „Brautwalzer für Pär und Annika“ („Brudvals Till Pär Och Annika“)
von Jon Sirén. Der etwas andere Sound ist dem gezupften oder gestrichenen
Kontrabass Martin Erikssons vom Malmöer Opernorchester zu verdanken. Dazu
– nicht weniger gestandene Musiker – der Geiger Jon Sirén, der 2005
zum Riksspelman ernannt wurde, und der Sopransaxofonist Pär Moberg, Leiter der
Abteilung Folkmusik der Musikakademie in Malmö. Fast immer spielen alle drei
Instrumente gleichberechtigte Stimmen. Der melodiöse Bass brilliert besonders in
„Leuchtturm und Anhänger“ („Fyrtornet Och Släpvagnen“). Alternativ werden Viola,
Melodika, Akkordeon, Drehleier und Gesang eingesetzt, was zu anderen Klängen
führt, wobei es jedoch bei der transparenten Spielweise bleibt. Mit wenigen
Ausnahmen eine Zusammenstellung meist ruhiger Melodien zum Träumen. Einige
glaubt man zu kennen, wohl weil sie typisch schwedisch sind oder auch von
anderen Interpreten gespielt werden.
Bernd Künzer
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BOO HEWERDINE
God Bless The Pretty Things
(Navigator Records NAVIGATOR 11/Rough Trade, www.roughtrade.de
)
11 Tracks, 39:29
Kein Wunder, dass Künstlerkollegen vom Engländer Hewerdine schwärmen. Er ist mit
dem seltenen Talent gesegnet, Songs zu schreiben, die die richtige Akkordfolge
und die richtigen Texte aufweisen und sich ausnahmslos in den Gehörgängen
festbeißen. Hunderte von Songs zwischen Folk, Pop und Swing. Songs, die trotzdem
Raum zur Interpretation lassen und daher von den Kollegen geliebt werden. Unter
den dankbaren Künstlern sind Namen wie Eddi Reader, zu der er ein besonders
Verhältnis zu haben scheint, aber auch Popstars wie Natalie Imbruglia, Melanie C
oder Alex Parks. Ein riesiger Fan ist auch Nick Hornby – aber der singt
nicht, der schreibt Bestseller, gerade auch über Musik. Hewerdine ist nicht
gerade ein Newcomer, sondern ein reifer, erfahrener, mit allen Wassern
gewaschener Profi, der seit den Achtzigern aktiv ist. Sagt jemandem die Band The
Bible noch was? Damit wäre er fast berühmt geworden. Der Mann legt keinen
übergroßen Wert mehr auf das Scheinwerferlicht. Er schreibt für sich, für die
Kollegen und für die durchaus vorhanden Fans. Ein solcher werden ist jetzt ganz
besonders leicht: Einfach dieses wunderschöne neue Album kaufen, genießen
– und dann ist es wahrscheinlich auch schon passiert.
Mike Kamp
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MAHALA RAÏ BANDA
Ghetto Blasters
(Asphalt Tango Records CD-ADR 2509/Indigo, www.indigo.de
)
13 Tracks, 45:32, mit engl. Infos
So weit wie das Hochenergie-Blechgebläse aus Rumänien, das sich einst um
Mitglieder einer Armeeblaskapelle gruppierte, hat sich wohl noch kein
vergleichbares Ensembles auf Rock-’n’-Roll-Terrain gewagt. Auch auf ihrem
zweiten Album rockt noch immer kräftig nach vorn, was die Virtuosen aus den
beiden Blaskapellennestern Clejani und Zece Prajini auch spielen und singen. Und
der Druck der Rockbatterie ist nur die Zwischenstation auf dem Weg zum
eigentlichen Bestimmungsort – der Disko: Ein Gutteil von Ghetto Blasters
ist mit seinen mal dezent, mal offensiv eingewirkten Tanzbodenwumms reinste
Partymusik! Feurig, fetzig. Aufpeitschend, anmachend. Und höchst ansteckend
– auch wenn Asphalt-Tango-Labelchef Henry Ernst und Marc Elsner, mit dem
zusammen er das Album produzierte sicher nicht Shantel sind, der beim Debüt die
Hände mit im Spiel hatte. Auch ohne den Großmeister der Balkanorgie haben die
beiden aber ein erstaunlich jung klingendes Paket überwiegend
aufgedreht-euphorisierender Popkracher hinbekommen, abwechslungsreich und
weltoffen arrangiert, und entsprechend kurzweilig und unterhaltsam. Sollte
einen echt wundern, wenn davon nicht manches Standard bei den DJs des Metiers
werden würde.
Christian Beck
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IAN MELROSE
Around The Corner In 80 Minutes (... More Or Less)
(Acoustic Music Records 319.1421.2/Rough Trade, www.roughtrade.de
)
16 Tracks, 66:29, mit dt. und engl. Infos
Multikulti ist schon auf dem Cover unübersehbares Thema, und auch der Titel
spielt natürlich auf Jules Vernes klassische Weltumrundung in achtzig Tagen an.
Was der Wahlberliner Gitarrist Ian Melrose um die Ecke findet, ist eine echte
akustische Weltreise. Die reicht vom Ausgangspunkt Berlin („Berliner Jungens,
die sind richtig“) übers schottische Hochland, Irland, Norwegen, Ungarn,
Bulgarien, die Türkei, Italien und Afrika bis ins ferne Indien. Musikalische
Gäste sind neben Manfred Leuchter am Akkordeon, mit dem Melrose das wunderbare
Duoalbum Vís-à-vis
(2009) aufgenommen hat, Lebensgefährtin Kerstin Blodig (voc), Martin Röttger
und Vladiswar Nadishana (perc), um nur einige zu nennen. Dass Melrose seine
Reels und Jigs beherrscht, wissen wir, aber wie fein und differenziert er
bulgarischen und ungarischen Tanzweisen Leben einhaucht, ist dann doch
erstaunlich. Der ebenfalls in Berlin beheimatete türkische Komponist, Sänger
und Baglamaspieler Taner Akyol steuert dem Album eines der schönsten Stücke
bei. Auch vom Zupfgeigenhansl
hat sich Melrose mit „Der grimmige Tod“ und „Gut Gesell’, du musst wandern“ für
akustische Gitarre solo inspirieren lassen. Und Saties Chill-out-Klassiker
„Gymnopedie No. 3“ hat noch nie so folkig geklungen wie in der
Melrose-Low-Whistle-Fassung.
Rolf Beydemüller
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ORION
Strawberry Town
(Keltia Musique RSCD 295, www.keltiamusique.com
)
12 Tracks, 48:28, mit Infos
Knopfakkordeonvirtuosin Raquel Gigot und Rudy Velghe (Fiddle, Nyckelharpa) sind
die Masterminds der belgischen Ausnahmeformation Orion, die sich mit modernen,
zeitlosen Arrangements von Musik aus dem irisch-bretonischen Kulturkreis seit
Jahren vor allem in Frankreich und den Beneluxländern einen Namen gemacht hat.
Von jeher besteht ein Großteil ihres Repertoires aus intelligenten,
ungewöhnlichen Eigenkompositionen, die als roten Faden einen deutlich „gallisch“
geprägten Einschlag haben. Das aktuelle Album ist gewiss kein Easy Listening
– viel zu überlegt und komplex sind die hier vertretenen Stücke, in denen
häufig mit verschachtelt angeordneten Themen und Tonartübergängen gearbeitet
wird, teilweise fast barocke Strukturen, die das zuhörende Ohr ganz fordern.
Illustre Mitmusiker und Gäste veredeln die neue Produktion: John Faulkner singt
mit charismatischem Timbre, Jazzgitarrist Philip Catherine steuert einige
stimmige Soli bei; Erwan Beringuer und Gwenael Micault sorgen für ein solides
Backing und ein druckvolles bottom end
bei einem vielleicht etwas überproportionierten Raumhall. Favoriten: „Four
Teeth Hornpipe“, „The Harper’s Heir“. Unbedingt anhören!
Johannes Schiefner
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THE POOZIES
Yellow Like Sunshine
(Greentrax Recordings CDTRAX 342, www.greentrax.com
)
9 Tracks, 43:40
Oh Gott, haben die Damen jetzt den Blues? Könnte man nach den ersten zwanzig
Sekunden doch glatt vermuten, bevor sich das Ganze, wenn nicht in Wohlgefallen,
so doch in das gälische „Ho Mhòrag“ auflöst. Geschlagene sechs Jahre haben die
schottischen Harfendamen Patsy Seddon und Mary Macmaster und die englische
Singer/Songwriterin Sally Barker auf ein neues Lebenszeichen warten lassen. Es
hat sich gelohnt! Das Gründungstrio von 1990 hat sich verstärkt: Eilidh Shaw (v)
und Mairearad Green (acc) sind ebenso ein Gewinn wie die Tatsache, dass wir es
hier mit fünf guten Stimmen zu tun haben, siehe auch das A-capella-Stück „Black
Eyed Susan“. Sechs Gesangs- und drei Instrumentaltracks vom Feinsten; selten
tatsächlich traditional, doch diesen Stil haben die Damen so verinnerlicht, dass
man schon aufs Cover schauen muss, um die Komponisten zu identifizieren. Wie so
häufig in letzter Zeit auch hier die einzige Kritik: keine Infos, Texte, nicht
mal auf der Homepage. Die Musik jedoch ist allererste Sahne. Absoluter Favorit:
Sally Barkers Auswandererlied „Canada“ mit dem eingebauten „Oh Mo Dhùthaich/Oh
My Country“ – in Text gegossenes Heimweh, einigen vielleicht noch von
Capercaillie bekannt. Grandios!
Mike Kamp
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SHOW OF HANDS
Arrogance, Ignorance And Greed
(Hands on Music HMCD 29, www.showofhands.co.uk
)
12 Tracks, 48:37, mit engl. Texten und Infos
Ungewöhnliche Idee, die CD a capella mit dem traditionellen „Lowlands“ zu
beginnen. Aber dann geht es weiter, wie man es von Steve Knightley, Phil Beer
und Miranda Sykes gewohnt ist: Knightley-Songs – plus ein Traditional
sowie je einmal Bob Dylan und Peter Gabriel – zwischen persönlichen und
politischen Aussagen, mal wie gleich für die Bühne akustisch im Trio arrangiert,
dann auch mal im chartstauglichen Sound. Ein Wechsel, den Produzent Stu Hanna
beherrscht und der Show of Hands liegt. Wie bei dem Duo mit Dame ebenfalls
üblich, sind auf dem Album wieder einige Tracks, welche die Fans in Zukunft auf
den Konzerten energisch fordern werden: „The Napoli“ ist so ein Song, ein
sympathisierender Blick auf die große Zahl von Plünderern, die sich vor ein paar
Jahren der Ladung eines vor der Küste Devons gestrandeten Frachters annahmen.
Oder der Titelsong, der angesichts der sogenannten Bankenkrise, die ja
eigentlich eine Systemkrise ist, keiner Erläuterung mehr bedarf. Vielleicht auch
noch das Traditional „Keys Of Canterbury“, sehr clever und eingängig arrangiert.
Und was die Fans gerne hören werden: Es gibt kein richtig schwaches Stück
– Show of Hands haben mal wieder ein tolles Album abgeliefert.
Mike Kamp
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STILLER HAS
So verdorbe
(Sound Service 231009-2, www.soundservice.ch
)
10 Tracks, 43:50, mit schweizerdt. und dt. Texten
Stiller Has, Deutscher Liederpreisträger 2007, werden mit jedem neuen Album mit
Kritikerlob überhäuft – etwas macht den Sänger Endo Anaconda und seine
Band einmalig. „König“, das gesellschaftskritische Eröffnungsstück, glänzt vor
allem musikalisch mit schleppendem, ruhigem Bluesrock. Danach folgt „So
verdorbe“, das kräftig rockende Titelstück. Aberwitzig, tieftraurig,
kraftstrotzend, zweifelnd und voll kruder Ideen kommt es daher und zeigt den
Sänger in Hochform. Der Mann ist absolut authentisch, er lässt einen am
Scheitern und Gelingen teilhaben. So verdorbe
ist, wie kaum zuvor bei Stiller Has, ein Album mit Liebesliedern geworden. Da
ist „Venedig“, ein tieftrauriger Song über das Entlieben in eben dieser Stadt,
umrahmt von „In Cerca Di Te“ und „Guarda Che Luna“, zwei italienischen Schlagern
im kratzigen Nostalgiegewand. Da ist das Lied für „Justine“. Die lässt sich auf
die Liebe nur ein, wenn Endo Anaconda den Blues singt. „Merci“ heißt zum Schluss
die sarkastische Abrechnung mit der Schweizer Gesellschaft. Merci, Endo
Anaconda, für dieses Album, Merci auch an René „Schifer“ Schafer und die Band
für gefühlvoll und rau gespielte Songs von seltener Qualität.
Martin Steiner
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TUMMEL
Payback Time
(TUMCD 004, www.tummel.nu
)
13 Tracks, 49:00, mit Texten
Bereits zwölf Jahre gibt es die dänisch-schwedische Formation Tummel –
trotzdem hat man von dem Septett selbst unter Klezmerspezialisten bislang noch
nichts gehört. Das mag insofern nicht überraschen, da man Tummel auch ohne
weiteres ins Genre Rock einordnen könnte. Also Klezmerrock? Kein Zweifel! Schon
mit dem Titelstück rockt es los, da bleibt kein Fuß am Boden haften – und
tatsächlich kommt auch der Klezmer nicht zu kurz, wie in „This Ship Is Sinking“
deutlich wird. Nicht nur Tobias Allvin (g) widmet sich als Mitglied von Klezmer
Zahav parallel „reinerem“ Klezmer, auch Jonatha Aisen (dr) ist als Mitglied von
Klezmofobia entsprechend vorbelastet. Jonatan Ahlbom (Helikon), Edin
Bahtijaragic (acc), Pär Moberg (sax) und Andreas Rudenå (v) sind die restlichen
Musiker, die auf diesem nun bereits vierten Album mitwirken, wobei das dritte
mit dem Titel Push
noch gar nicht veröffentlicht wurde. Das mag daran liegen, dass unterdessen
Jens Friis-Hansen (voc) zu Tummel stieß und mit ihm das vorliegende erste
vokalisierte Tummel-Album entstand, neben durchgehend englischen Texten der
Beitrag „Weiß Trash“ in deutscher Sprache. Wer „harte“ Weltmusik mag, greift
hier sicher nicht daneben.
Matti Goldschmidt
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NANCY VIEIRA
Lus
(World Village WV 498033/Harmonia Mundi, www.harmoniamundi.com
)
12 Tracks, 43:17, mit kreolischen Texten und port./engl./frz. Übersetzungen
Weshalb hört sich die Musik der Kapverden wie ein warmer Sommerregen an, wenn
dort doch kaum Niederschläge fallen? Nancy Vieira gibt uns darauf keine Antwort,
wenn sie mit warmer Stimme über das karge Lebens des Archipels singt. „Wir
müssen etwas tun. Hier gibt es nichts mehr zum Leben, die Männer ziehen ins
Ausland, die Frauen in die Stadt, wo sie darauf warten, dass etwas passiert. Das
sind die modernen Zeiten.“ Nancy Vieira federt die Schwermut der Texte und der
kapverdischen Mornas mit lebhaften Coladeras, westafrikanischen, brasilianischen
und kubanischen Rhythmen ab.
Lus zeichnet sich durch eine wohltuende Zurückhaltung aus. Im Vordergrund stehen
Saiteninstrumente – sechs- und zwölfsaitige Gitarren, Cavaquinho. Hin und
wieder dürfen wir auch tanzen. Höhepunkte des Albums sind das lebhafte,
westafrikanische „Mundo Rabés“ (port. „Harte Welt“), „Pensamiento“, ein
kubanischer Bolero mit Tres-Begleitung, und das mit herrlichen
Akkordeoneinlagen auf dem Kontrapunkt glänzende „Tchoro Cantando“ (kreol.
„Klagelied“). „Ich kehre zurück in mein Land. Ich gehe auf die Kapverden, um
die Sonne zu spüren.“ Leid und Liebe, das Leben, liegen etwas näher zusammen
auf diesen Inseln.
Martin Steiner
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ZENGÖ
Pördület – Spinning
(BBTC Records D02, www.zengomusic.hu
)
10 Tracks, 49:39, mit ungar. Texten
In den Siebziger- und Achtzigerjahren gehörten sie zu den Stammgästen
westeuropäischer Folk- und Weltmusikfestivals: ungarische Tanzensembles in ihren
farbenprächtigen Kostümen, als Botschafter einer – meist
staatsfinanzierten – Volkstradition. Oder aber Folkbands wie Muszikas mit
ihrer großartigen Sängerin Martá Sebestyén als Repräsentanten einer jungen,
modernen, folkigen Musiktradition. In den letzten zwanzig Jahren fokussierte
sich das Interesse von Medien und Veranstaltern dann auf andere
Weltmusikbereiche und es wurde hierzulande recht still um die Virtuosen an Geige
und Hackbrett. Sehr zu Unrecht, denn die ungarische Folkszene ist noch immer
springlebendig, wie wir an der aktuellen Produktion des Ensembles Zengö hören
können. Das Sextett besteht aus den drei Bergics-Brüdern András, Balázs und
Lajos, dem Sänger und Tänzer Márton Tóth und den Saitenzauberinnen Réka Kurucz
und Alíz Bogárdi. Gast Rüdiger Oppermann wirft ein paar keltische Harfentöne ins
ungarisch-traditionelle Geschehen aus Geigen, Bratschen, Zithern, Dudelsäcken,
Flöten und Stimmbändern und sorgt so für ein kleines Stück mehr Aufmerksamkeit
auf eine wundervolle Musiktradition.
Walter Bast
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FOLKER auf Papier
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