Besondere CDs
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DIE BESONDERE – DEUTSCHLAND
EWO²
... in dieser Zeit – Avantipopolo 2
(Jump Up 19/Plattenbau, www.plattenbau-records.de
)
13 Tracks, 50:00, mit Infos
Wenn sich früher die DKP-Genossen ans Absingen ihrer Hymnen machten, war meist
Gruseln angesagt – angesichts der Vortragsweise und Doppelmoral der
Vortragenden, nicht wegen der Lieder. Ob das italienische Partisanenlied „Bella
Ciao“, das „Solidaritätslied“ von Brecht und Eisler oder das „Heckerlied“ der
Badischen Revolution von 1848/49 – sie alle haben an Aktualität ebenso
erschreckend gewonnen wie Michel Fugains „Chiffon Rouge“ über die
Auseinandersetzungen um die Stahlreviere in Lothringen oder „Oh Fallada, da du
hangest“, eine Vision von drohendem Faschismus und der Verrohung der Menschen in
der ökonomischen Krise vom Team Brecht/Eisler. Das kleine elektronische
Weltorchester – Ewo² – um Bernd Köhler holt diese Lieder aus dem
Mief der Mitsingveranstaltungen heraus und zwingt uns mit interessanten
zeitgemäßen Arrangements zum Zuhören. Neben den linken „Klassikern“ finden sich
auf dem Album auch drei ältere Lieder von Köhler – der für eine Demo in
Bonn 1983 geschriebene „Stahlwerkersong“, dann passend zu den Atomplänen der
neuen Bundesregierung „Seltsam Traum“, eine Aktualisierung seines
„Brokdorfliedes“ von 1986, und der auch in der Liederbestenliste vertretene
Titelsong, der sich auf das auf Köhlers erster LP 1972 veröffentlichte Stück
„Lied zu singen in der Zeit des Spätkapitalismus“ bezieht. Bernd Köhler –
auch bekannt unter dem Namen „Schlauch“ – steht seit vierzig Jahren in der
Tradition der Künstler, die konsequent eine Verbindung von Politik und Musik
verfolgen. Das kleine elektronische Weltorchester mit Christiane Schmied, Hans
Reffert (Guru Guru), Laurent Leroi und Adax Dörsam – gegründet vor fast
zehn Jahren für eine Multimedia-Inszenierung zum siebzigsten Todestag des
russischen Revolutionspoeten Wladimir Majakowski – ist die Fortsetzung
dieses Ansatzes mit neuen musikalischen Mitteln. Konstantin Wecker forderte im
Folker angesichts der Verhältnisse vor einiger Zeit „utopische Tendenzkunst“. Wie die
aussehen kann, zeigen Bernd Köhler und Ewo².
Michael Kleff
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DIE BESONDERE – DEUTSCHLAND
ELEMENT OF CRIME
Immer da wo du bist bin ich nie
(Vertigo Berlin 14513/Universal, www.universal.de
)
11 Tracks, 43:49
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Eigentlich ist da doch gar nichts dran, ist der erste Gedanke, langweilig. Das
rumpelt alles so vor sich hin, dieser anspruchslose Folkpop, die Melodien sind
so reduziert wie die Arrangements, und Sven Regener nölt sich auf bewährte Weise
durch die Songs. Ein richtig öde runtergeschrubbter Rocksong ist dazwischen,
ausgerechnet das Titelstück, ansonsten ein Fluss eher gleichförmig wirkender
Lieder, ob im Dreiviertel- oder im Viervierteltakt, ob hier die Trompete oder da
eine Ukulele erklingt. Kein Knaller vom Kaliber „Delmenhorst“ darunter, dem
überall, nur nicht in Delmenhorst, heißgeliebten Song vom Vorgängeralbum
Mittelpunkt der Welt. Und selbst das Cover sieht vergleichsweise mau aus,
vier alte Männer im Blitzlicht auf einem Sofa, davor viel Teppich, dahinter viel
Fenster. Aber beim zweiten Durchlauf wirkt der Zauber wieder, da zündet der
trockene Wortwitz, und die unnachahmliche Verbindung von Komik und Melancholie
zwingt zum wieder und wieder Hören. Erstaunlicherweise wirken die Zeilen
offenbar auch auf Hörer, die den Sinn nur rudimentär oder gar nicht erfassen:
Mein siebenjähriger Sohn singt schon nach dem zweiten Mal beim fröhlichsten Lied
des Albums begeistert mit: „Freu dich nicht zu früh auf den Sommer / Weihnachten
ist grade erst vorbei / im Treppenhaus riecht es noch nach Glühwein und im
Fernsehen läuft Der weiße Hai!“. Aber auch Zeilen wie „Große Gedanken /
kleines Gehirn / Einer kommt weiter / und der hat dich gern“ bleiben beim
kleinen wie beim großen Konsumenten schnellhängen. Sven Regeners Texte sind
gleichzeitig sehr clever, sehr einfach und sehr verspielt. Zusammen ergibt das
die schönsten Liebeslieder, die in deutscher Sprache zurzeit irgendjemand
zustande bringt. Und musikalisch muss wahrscheinlich alles genau so spröde und
simpel sein, um diesen ganz speziellen Reiz zu entfalten. Was für ein Glück,
dass Element of Crime nicht mehr wollen: mehr musikalische Raffinesse,
beeindruckenderen Sound, mehr Abwechslung. Wäre in ihrem Fall bestimmt weniger.
Gunnar Geller
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DIE BESONDERE – DEUTSCHLAND
JOHANNES KIRCHBERG
Über die Verhältnisse
(Acoustic Music Records 319.1420.2/Rough Trade, www.roughtrade.de
)
14 Tracks, 51:58, mit wenigen Infos
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Der Chansonnier und Schauspieler Johannes Kirchberg aus Leipzig ist ein wirklich
talentierter Geschichtenerzähler und Komponist. Allein Stimme und Flügel genügen
ihm, um pointiert, satirisch und überaus unterhaltsam Über die Verhältnisse,
wie er – beziehungsweise sein bewährter Texter Tom Reichel – sie
sieht, zu berichten und zu singen. Mal belustigt, mal bissig und mit böser
Ironie, auch melancholisch oder gar anklagend, immer aber augenzwinkernd und
letztlich freundlich. Reichel schrieb unter anderem schon für die renommierte
Leipziger Pfeffermühle oder für das Kabarett Academixer. Das Spektrum der
gewählten Inhalte ist breit angelegt: Da geht es um Generationenkonflikte
(„Früher nicht“), um das Überwachen, Ausspähen und Spionieren als
Freizeitbeschäftigung („Neues Hobby“), um die saubere Beziehung zu einer
Putzfrau („Gabi Schulze“), um die Tücken und Freuden der körperlichen Liebe
(„Wir machen ein Kind“), um das Schicksal kleiner Angestellter („Ballade von der
traurigen Fachverkäuferin“) oder um die erbärmliche Jämmerlichkeit eines
greisen, ehemaligen SS-Mannes („Heim ins Heim“). Betrachtet man dieses Lied vor
dem Hintergrund des aktuellen Demjanjuk-Prozesses, der zurzeit in München
stattfindet, so zeigt sich eine nahezu gespenstische Aktualität. Johannes
Kirchbergs akribisch beobachtete Alltags-, Gebrauchs- und Theaterlieder fangen
nicht selten harmlos an, nehmen dann aber oft überraschende Wendungen mit manch
böser Pointe. Das vermeintlich Freundliche kehrt sich um ins Bissige. So soll es
sein bei Liedern dieser Art! Der schauspielernde Sänger, der mittlerweile in
Hamburg lebt, bewegt sich mit klarem Ausdruck und akzentuiertem Spiel
locker-leicht zwischen Kabarett und Chanson, agiert aufs Angenehmste in der
Tradition von Meister Georg Kreisler. Dass er erst kürzlich den Stuttgarter
Chansonpreis verliehen bekam, erscheint folgerichtig und angemessen.
Kai Engelke
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DIE BESONDERE – SÜDAMERIKA
CÉU
Vagarosa
(Six Degrees 657036 1160-2/Exil Musik/Indigo, www.indigo.de
)
13 Tracks, 42:16, mit engl. Infos
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Hier hat man es mit dem eher seltenen Fall zu tun, dass die berühmt-berüchtigte
zweite Platte, die so manchem erfolgsbewussten Musiker den Schlaf raubt, den
schwer gefeierten Vorgänger – aus Sicht der Kritikerin – locker
überholt. Die 29-jährige Sängerin aus São Paulo mit dem buchstäblich himmlischen
Namen kredenzt eine Folge von überraschungsreichen, verspielten Minifilmen fürs
Ohr. Gemäß CD-Titel – langsam, gemächlich – haben die von Céu allein
oder im Verbund komponierten Lieder so gar keine Eile. Sie schweben auf Rock-,
Blues- oder Reggaerhythmen federleicht dahin und haben dabei doch Tiefgang und
nicht viel vom typischen Frohsinn brasilianischer Popmusik. Sehr raffiniert und
subtil werden die Songpoesien von feinen kleinen elektronischen Effekten und
Ideen umgarnt. Dafür sorgt der ausgezeichnete Elektrotüftler, Musiker und
Produzent Beto Villares, der auch schon der gute Geist hinter Céus Debütalbum
von 2006 war. Er feilte wie ein Schmuckmacher mit allerkleinstem Gerät an
feinnervigen klanglichen Überraschungsmomenten. Ohne irgendetwas zu forcieren,
öffnen sich plötzlich Türchen zu anderen Atmosphären und Stimmungen. Mit jedem
Song will man mehr solch unverhoffter Wendungen, all diese kleinen, spleenigen
Sounds, Kratzer und anderen musikalischen Einfälle, durch die Céus betörender
Elfengesang die lebensphilosophischen, durchweg nächtlich anmutenden Gedanken
gelassen lotst wie ein Schiff durchs unberechenbare Meer. Faszinierend auch
– obwohl die Brasilianer darin längst Meister sind – wie elegant
scheinbar unvereinbare Klangwelten, Instrumente und Genres zusammenfinden. Sich
Scratches, Surfgitarren, Rockschlagzeug oder Mellotron so prächtig verstehen wie
nie zuvor. Retrocharme birgt da auch Futuristisches, Wohlklang und Sinnlichkeit
auch Disharmonie und Kauzigkeit. Für das Erschaffen solch schwereloser
Komplexität konnte die gut in der Szene integrierte Paulista auf viele gute
Musikerfreunde und Gäste zählen.
Katrin Wilke
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DIE BESONDERE – INTERNATIONAL
MAHSA VAHDAT & MIGHTY SAM MCCLAIN
Scent Of Reunion – Love Duets Across Civilizations
(Kirkelig Kulturverksted, www.kkv.no
)
10 Tracks, 55:17 mit engl. und pers. Texten, engl. Infos
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„Der Duft der Wiedervereinigung – Liebesduette über Zivilisationen hinweg“
ist ein programmatischer Titel. Die Kirchliche Kulturwerkstatt in Oslo hat sich
im Grunde genau das zum Programm gemacht: Brücken zu bauen über die Grenzen von
Zivilisationen, Kulturen und vor allem verfeindeten politischen Systemen hinweg,
damit zusammenkommt, was zusammengehört – freie Menschen, in freiem
Austausch der Schätze ihrer Kulturen. Die iranische Sängerin Mahsa Vadat, die im
Juli zusammen mit ihrer Schwester Marjan in Rudolstadt aufgetreten ist, hat seit
dem TFF nun schon ihr zweites Album in Oslo veröffentlicht, diesmal nicht mit
Marjan, sondern mit dem US-amerikanischen Sänger Mighty Sam McClain. Jeder der
beiden singt seinen eigenen Stil: Vahdat auf traditionelle iranische Weise
großenteils eigene Vertonungen von Texten des iranischen Dichters Mohammad
Ebrahim Jafari; McClain – trotz des Namens kein Kelto-, sondern
Afroamerikaner – vor allem Vertonungen des Norwegers Knut Reiersrud von
Texten seines Landsmanns Erik Hillestad, und zwar in einem Stil zwischen Blues,
Spiritual und Soul. Beide Gesangstile sowie persische und englische Sprache
kreieren zusammen mit Gitarren, Piano, Bass, Trompete, Trommeln und der von
Pasha Hanjani besonders durchdringend gespielten Ney einen die Seele des
aufgeschlossenen Hörers tief bewegenden amerikanisch-iranischen Klangkosmos. Es
geht um die Liebe zwischen Mann und Frau, darüber hinaus aber um die Liebe zum
Leben selbst, Transzendenz nicht ausgeschlossen. Jedenfalls die politischen wie
religiösen Differenzen zwischen USA und Iran zugleich sprengend und
transzendierend. Duette gibt es in der amerikanisch dominierten Popmusik viele,
aber diese heben sich deutlich von ihnen ab und zeigen, wie ähnlich sich trotz
der Unterschiede der Musikstile Sehnsucht anfühlen kann. Die Texte sind alle im
Booklet abgedruckt, die persischen auch in englischer Übersetzung, umgekehrt
leider nicht. Ein Lied ist den im Iran hingerichteten Demonstranten gewidmet.
Michael A. Schmiedel
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FOLKER auf Papier
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