FOLKER – Editorial

EDITORIAL

Liebe Musikfreundinnen und -freunde,

und wieder ist ein Jahr wie im Flug vergangen. Vor Ihnen liegt die letzte Ausgabe 2009 des Folker. Wie sieht die Bilanz aus? Angesichts des allgemeinen (Fach-)Zeitschriftensterbens – ich habe in meinen letzten Editorials einige Beispiele gegeben und das Interview mit dem Herausgeber der Bluegrass Bühne, Eberhard Finke, in diesem Heft lässt das möglicherweise baldige Ende eines weiteren Musikmagazins erahnen – können wir durchaus zufrieden sein. Allein die Tatsache, dass es uns noch gibt, ist Anlass zur Freude. Doch es gibt keinen Grund, sich entspannt zurückzulehnen. Die Redaktion wird sich mit Blick auf das Jahr 2010 einige Fragen stellen müssen. Darunter auch die nach der eigenen Rolle unter anderem angesichts der „Konkurrenz“ im Internet. Unter der Überschrift „In der Zeitgeistschleife“ beschäftigte sich Christina Hoffmann vor Kurzem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit der Lage der Popmusikzeitschriften – von Spex über Rolling Stone bis zu Musikexpress. Natürlich hat sie sich nicht in die Niederungen unserer Genres begeben. Doch einige von der Autorin aufgeworfene Überlegungen sollten auch uns zu denken geben. Sie schreibt: „Gegen den Informationsvorsprung des Internets und die damit einhergehende Unübersichtlichkeit zu punkten, indem man auf eine Kernkompetenz wie Urteilskraft setzt, scheint den Magazinen nicht in den Sinn zu kommen.“ Stattdessen setze man, und Christina Hoffmann liefert beeindruckende Beispiele, auf Kooperationen und Zusatzgeschäfte jeglicher Art. Im Gegenzug würden die entsprechenden „Produkte“ in der Berichterstattung abgefeiert: „Die sind alle klasse!“ Was heißt das für eine Zeitschrift wie den Folker? Wir müssen uns auf unsere Kompetenz konzentrieren. Das heißt statt gefälliger Berichterstattung müssen wir auf gut recherchierte Berichte und begründete Urteile setzen. Und die müssen auch kritisch ausfallen, wenn es denn der Kritik bedarf. Ich glaube, dass wir da auf dem richtigen Weg sind. Als Beispiele möchte ich das Gastspiel nennen, das sich in dieser Ausgabe mit einigen wichtigen Aspekten des Musikgeschäfts beschäftigt. Oder auch den Schwerpunkt GEMA.

Stichwort Kooperation. Welche Blüten solche Projekte schlagen, zeigt das Beispiel des Schwesternduos Sternblut. In einer Pressemitteilung der Agentur Neuland Concerts wird die neue Sternblut-Single „Komm, wir malen uns das Leben“ damit angepriesen, dass die Deutsche Telekom ihre Produkte bundesweit mit der Musik der beiden Schwestern Debo und Mona bewirbt. „... der passende Song zur Kampagne, ... ein wunderbarer Song, der davon erzählt, wie man mit genug Phantasie und einer Vision wahrlich Grenzen überschreiten kann.“ Das haben sich die Telekom-Oberen wahrscheinlich auch gedacht, als sie ihre Mitarbeiter bespitzeln ließen. „Man kann sich das Leben bunt anmalen. Es kommt immer darauf an, wie man es betrachtet“, werden Sternblut zitiert. So viel Naivität lässt sich auch kaum durch das Alter von Debo (15) und Mona (16) entschuldigen.

Eine Unbekannte in der Planung für die Zukunft ist auch die Entwicklung im Bereich der CD-Besprechungen. Immer mehr Labels stellen ihre Bemusterung auf Downloads im Internet um. Die Haltung der Folker-Redaktion ist unverändert, dass wir nur ein sogenanntes „finished product“ besprechen. Wir setzen auf das Konzept vom Gesamtkunstwerk – ganz im Sinne der oben angestellten Überlegungen in Sachen Tiefgang und Kompetenz. Wobei an dieser Stelle auch das gerne vorgebrachte (Totschlag-)Argument in Frage gestellt werden soll, wonach die Umstellung auf den digitalen Versand der Umwelt diene. Bei Greenpeace und vergleichbaren Organisationen lassen sich dazu interessante Informationen finden. Das Ausmaß der Verschmutzung durch Kraftwerke, die laufen müssen, damit wir uns zum Beispiel diese Sachen runterladen können, ist beeindruckend.

Es gibt ein Jubiläum zu feiern: 25 Jahre Liederpreis. 1984 wurde die vom damaligen Südwestfunk ins Leben gerufene Auszeichnung zum ersten Mal vergeben. Seit 2003, seitdem die Liederbestenliste von ihrer Jury getragen wird, unterstützt der Folker deren Arbeit. In dieser Ausgabe gleich mit mehreren Artikeln. Da sind der Liederpreisträger Danny Dziuk und die Förderpreisträgerin Johanna Zeul, denen wir an dieser Stelle herzlich gratulieren, sowie das Gespräch mit dem Gründer der Liederbestenliste, Thomas Vogel. Er weist in seinen Ausführungen auf einige inhaltliche Aspekte hin, mit denen sich die Jury der Liederbestenliste auseinandersetzen muss, will sie der deutschsprachigen Szene auch weiterhin ein anerkanntes Forum bieten. Es gibt aber auch handfeste organisatorische, das heißt finanzielle Probleme, die eine Zukunft der Liederbestenliste gefährden. Zwar werden im Deutschen Bundestag immer wieder gerne Sonntagsreden über die Bedeutung der deutschen Sprache gehalten. Doch bis heute erhält der Verein deutschsprachige Musik keinen Cent zur Unterstützung seiner Arbeit. In einer Diskussion zum Thema sagte der damalige Bundestags- und heutige Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse kurz nach der Gründung des Vereins zur Bedeutung der Liederbestenliste, deren Existenz ohne den Verein gefährdet war: „Die kulturelle Infrastruktur unseres Landes ist hochgradig gefährdet. [...] Es gibt heutzutage keine Chance für so etwas wie das politische Lied, das literarische Chanson etc., wenn es nicht auch die Inszenierungen gibt und die Organisation dessen. Deswegen finde ich das schon alarmierend mit der Bestenliste. Ich finde, man müsste sehen, wie man das fortsetzt.“ Ohne entsprechende finanzielle Mittel zur Erfüllung des Vereinszwecks – Förderung der deutschen Sprache in den Medien und von Künstlern, die in diesem Bereich tätig sind – könnte das diesjährige Jubiläumsliederfest auch das letzte sein.

Bevor ich Sie nun in die Lektüre der neuen Folker-Ausgabe entlasse, möchte ich Sie noch auf den Bundeswettbewerb Creole hinweisen. Das Folker-Team freut sich, bei der zweiten Ausgabe dieser Veranstaltung mit der Diskussion über den Sinn und Unsinn von Weltmusikpreisen als Partner dabeigewesen zu sein. Neben den Berichten über das Folker-Gespräch und die Wettbewerbskonzerte im Heft finden sie exklusiv auf unserer Website eine Dokumentation der von Folker-Autor Christian Rath moderierten Veranstaltung in Berlin.

Und damit will ich es mit einleitenden Worten bewenden lassen und wünsche Ihnen an dieser Stelle schon einmal einen angenehmen Jahreswechsel sowie ein gutes Jahr 2010.

Ihr Folker-Chefredakteur
Michael Kleff

PS: Bei den aktuellen Nachrichten aus dem Land der Freien und Mutigen muss ich an die Zeiten der guten alten DDR denken. Erinnern Sie sich noch an den „Zwangsumtausch“ beim Besuch des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden? Präsident Obama muss sich in diesem Zusammenhang gedacht haben, „von der DDR lernen, heißt siegen lernen“ ist ein gutes Motto, um die maroden Staatsfinanzen zu sanieren. Ausländische Besucher der USA sollen demnächst eine Einreisegebühr von zehn Dollar bezahlen. Zur Begründung der im Senat mit überwältigender Mehrheit beschlossenen Vorlage heißt es, mit den Einnahmen solle der Tourismus gefördert werden. Will heißen, wir bezahlen die Kosten für die Fingerabdrücke und Fotos bei der Einreise selber. Damit bleibt dem Heimatschutzministerium mehr Geld, die Bürger im eigenen Land zu überwachen.

Update vom
09.02.2023
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