FOLKER – Rezensionen

Besondere CDs


DIE BESONDERE – DEUTSCHLAND

G. RAG Y LOS HERMANOS PATCHEKOS
Hold Fast

(Gutfeeling Records GF019/Broken Silence, go! www.brokensilence.de )
Promo-CD, 13 Tracks, 48:40

G. RAG Y LOS HERMANOS PATCHEKOS

Seit zehn Jahren sind G. Rag Andi Staebler und seine Patcheko-Brüder in München nun dabei, die populären Stile des US-amerikanischen Südens wieder mit der bayerischen Folklore rückzukreuzen, aus der sie sich fern der Heimat überm großen See unter anderem einst entwickelten. Weitgehend amerikanisch bleibt dabei der angloamerikanische Blues/Rock-Grundcharakter der Songs – nicht zuletzt, weil neben jüngeren Semestern wie Black Flag („Nervous Breakdown“) und No Means No („Rags ’n’ Bones“) auch alte und neue Klassiker wie Jimmie Rodgers („Gambling Bar Room Blues“), Hank Williams („Cold Cold Heart“) und Tom Waits („Jockey Full Of Bourbon“) gecovert werden. Ganz deutlich bayerisch wird’s vor allem immer wieder im Klang, nicht nur aufgrund der vier Bläser – eine davon, Nicoletta S. an Klarinette und Saxofon, auch die Quotenfrau des behäbigen Elftetts -, die fast ausnahmslos nur ihre Mundstücke ansetzen müssen und schon wird’s müd’, dösig, bräsig, selig, womöglich durchaus wie in „Suff“, um die Hitze erträglich zu machen, die Langeweile, das Leben. Wenn das kalte, kalte Herz dazu auch noch im Dreivierteltakt schunkelt, wird sowieso in Nullkommanix ein Bierzeltwalzer draus, dem die Countrykollegen aus Texas völlig zutreffend ein großes „Oom-pah“ auf die Stirn pappen würden. Der Blasmusik Beine macht ein gelegentlicher Schuss Cajun und Zydeco, in Ansätzen gar Bluegrass, und die Kirchweih der Kulturen komplett machen schließlich eine große Gruppe Kariben: mal mit einem munteren Zug nach vorn wie im Opener „Traversia Caliente“, dann wieder eher schwermütig wie in „Mi Tierra“. Eine Sache, die komischerweise weiterhin rätselhaft bleibt: Ist die insgesamt zäh-stumpfe Schluffig- und Schläfrigkeit in Temperament wie schrägem, mitunter wie verstimmt klingendem Sound ein Manko, das die Kapelle nicht zu überwinden schafft? Oder soll es genau so sein? Vermutlich wohl eher Letzteres – der ungemein charmante und verführerische Gesamteindruck jedenfalls könnte sympathischer kaum sein.

Christian Beck

 

G. RAG Y LOS HERMANOS PATCHEKOS – Hold Fast


DIE BESONDERE – EUROPA

GRÉGORY JOLIVET
Alt’o Solo

(AEPEM 08-01, go! www.avocetmusic.com/... )
15 Tracks, 57:54

Musique trad und Neofolk auf gehobenem Niveau bietet das erste Soloalbum eines jungen Wilden an der Drehleier, der seit einigen Jahren mit seinem explosiven Spiel Aufsehen erregt. Innerhalb kurzer Zeit etablierte er sich bei Gruppen wie La Machine, Naragonia, Rue Pascale oder Glitch als der Leier-Shootingstar überhaupt und
GRÉGORY JOLIVET
wurde sogar – als Franzose! – von der englischen Gruppe Blowzabella eingeladen, dort den Platz Nigel Eatons einzunehmen. Jolivet stammt aus einer der Zentralregionen der Drehleier, dem Berry, und studierte sein Instrument an der École Nationale de Musique et de Danse in Bourges bei Laurent Bitaud. Die Klänge, die er mit seinem expressiv-virtuosen, ungemein kraftvollen Stil aus seiner Mousnier-Leier herauszuholen vermag, ob unverfremdet durch schiere Virtuosität oder mittels Effektgeräten wie Loops oder einem Verzerrer, sind einfach atemberaubend. Beeindruckend ist die unglaublich schnelle, präzise und dennoch gefühlvolle Fingerfertigkeit seiner linken Hand, die sich mit einem groovenden Schnarrsaitenspiel der Rechten paart. Bewundernswert, wie sauber er Rhythmus und Melodie zu trennen vermag, oft gar unabhängig voneinander gegenläufig und doch exakt zu spielen weiß – und welch betörend schöne Melodien ihm dabei gelingen. Jolivet präsentiert uns auf diesem wunderbaren Album keine Tempobolzerei, sondern eine kreative Meisterleistung. Seine Eigenkompositionen fußen in der traditionellen französischen Tanzmusik. Viele starten langsam, meditativ, und münden dann in atemberaubend flinke Melodielinien. Klanglich holt Jolivet aus seinem Instrument das Maximum heraus. Man muss die von ihm entwickelte Tapping-Technik nicht nur gehört, sondern auch gesehen haben, bei der er die Töne auf einer ausgehängten, mit einem elektronischen Effekt versehenen Saite durch beidhändiges Anschlagen der Tasten erzeugt. Alt’o Solo, auf zwei Tracks von David Lecrots am diatonischen Akkordeon begleitet, ist nicht nur für Drehleierfans eine Entdeckung wert. Absolut berauschend!

Ulrich Joosten

 

GRÉGORY JOLIVET – Alt’o Solo


DIE BESONDERE – NORDAMERIKA

DIVERSE
Message Soul – Politics & Soul In Black America 1998-2008

(Trikont US-0397/Indigo, go! www.indigo.de )
15 Tracks, 67:45, mit ausführlichen dt. und engl. Infos

Titel und Covergestaltung betonen deutlich den historischen Bezugspunkt – doch was der große Kompilator Jonathan Fischer aus München diesmal zusammengefügt hat, ist deutlich origineller als die übliche Würdigung der vergangenen Ära der Curtis Mayfield, Marvin Gaye und Gil Scott-Heron. Es geht um politische schwarze Musik der vergangenen zehn Jahre anhand beispielhafter Songs von R&B-Diven wie Jill Scott, India Arie und Erykah Badu, relativ unbekannten Neo-Soul-Sängern wie Bilal und Kyle Jason, der schneidigen Funktante Me’Shell Ndegeocello oder des Parliament-Recken Amp Fiddler. Unter all den glatten Mainstream-Seidenbettwäschegrooves, die den aktuellen R&B leider deutlich dominieren, finden sich doch überraschend viele Lieder mit politischem Anliegen. Es lassen sich Entdeckungen machen, wie Anthony Hamilton, der mit „Krooked Kop“, einem vorwiegend akustisch instrumentierten Song über Polizei und Rassismus, vertreten ist – endlich mal ein Sänger, der offenbar von Bill Withers beinflusst wurde. Oder „Sista“ ein betörendes, jazzlastiges Stück von Rachelle Ferrell, in dem sie die „Power Of Feminity“ besingt. Donnie, vermutlich der einzige hier vertretene Musiker, auf dessen gesammelte Aufnahmen das Politlabel passen würde, singt in „Our New National Anthem“: „Your race, my race / Come together and have a taste / Of the new day for the remix / Eventually the race dilemma we’ll fix ...“ Und Theodis Ealey knüpft mit einer gelungenen Coverversion von Curtis Mayfields „Hard Times“ sogar direkt an die große Tradition an. Das Booklet ist wie stets bei Trikont randvoll mit unverzichtbaren Informationen für den, dessen Interesse frisch geweckt wurde. „Message Soul“ – eigentlich ist das mehr eine Forderung. Die Musikrichtung gibt es gar nicht, nur die Ansätze dazu werden hier vorgestellt. Aber die klingen so überzeugend, als stammten sie aus einem Riesenfundus wie dem der Siebziger. Erstaunlich, dass eine Kompilation so etwas leisten kann. Möge ihr Einfluss immens sein!

Gunnar Geller

 

DIVERSE – Message Soul


DIE BESONDERE – ASIEN

PANIC ENSEMBLE
Panic Ensemble

(Earsay ES146/Magda/Galileo MC, go! www.galileo-mc.de )
12 Tracks, 39:42 mit engl. Texten

PANIC ENSEMBLE

Da glaubt man, das gerade wegen seiner Breite doch relative umfangreiche Spektrum der Weltmusikszene Israels im Griff zu haben, da erreicht die Redaktion ein Album eines gewissen Panic Ensemble, von dem der Rezensent bis dato noch nichts gehört hatte. „Alternativ, elektronisch, experimentell“ – so wird das Album in einem PR-Beiblatt gepriesen. Und in der Tat, diesen Attributen kann sich der hoffentlich objektive Hörer hier nurmehr anschließen. Neben der verklärten Stimme von Yael Kraus finden Roy Yarkoni (Kl), Galia Hai (Viol), Noa Golandsky (Schlz), Omer Hershman (Git), Dirk Kunesh (Tp), Boris Martzinoivsky (Akkordeon) sowie Yehu Yaron (Bass) jedenfalls Anleihen, die zum einen teilweise an Revolver der Beatles erinnern mögen, so etwa in „Fear“, andererseits ganz klar in den folkloristischen Bereich hinüberragen, wie beispielsweise in „Spring In Your Heart“. Die Grafiken des Beiblattes erinnern an spätere Alben der Gruppe Yes, während der Titel „Underground“ mit seinen psychedelischen Elementen unter Schlagworten wie „Woodstock“ durchaus bei den Hippies der Generation zu verorten wären. Die von Karen Alkalay-Gut verfassten, mit einer Ausnahme durchweg englischen Liedtexte mögen nicht immer gleich greifbar, das heißt sinngemäß verständlich sein, aber auch hier scheint ein Schuss Mystik in konsequenter Parallele zur Musik durchaus beabsichtigt. Wenngleich das Oktett aus Israel stammt, ist weder in den Liedern, noch auf den Albumumschlag ein einziges hebräisches Wort zu finden. Lediglich in „Jewish Woman“ könnte der auf Jiddisch gesungene Text, der bedauerlicherweise nicht schriftlich mitgeliefert ist, auf etwas Jüdisches hinweisen. Ob hier etwas versteckt werden soll? Ist doch gerade auch dieses Album ein Hinweis, dass selbst ein relativ kleines Land wie Israel ein überraschend hohes Niveau an musikalisch Innovativem hervorbringen kann. Alles in allem ein herausragendes Album, welches zum wiederholten Anhören anregt.

Matti Goldschmidt

 

PANIC ENSEMBLE – Panic Ensemble

Update vom
09.02.2023
Links
go! Home
go! Vorige Rezis
go! Nächste Rezis
FOLKER auf Papier
Dieser Artikel ist ein Beispiel aus der Print-Ausgabe!
Bestelle sie Dir! Einfach das
go! Schnupper-Abo! bestellen und drei Ausgaben preiswert testen. Ohne weitere Verpflichtung!
Oder gleich das
go! Abo ?