Text: Grit Friedrich
Sarajevo 2009, die Ruinen sind verschwunden, aber auf dem Pflaster in den Straßen oder neben der Markthalle sieht man rot markierte Einschusslöcher überall dort, wo Menschen gestorben sind. Die Sängerin Amira Medunjanin hat die Belagerung ihrer Heimatstadt in den Neunzigerjahren mit Hilfe der alten Sevdahplatten ihrer Eltern überstanden. Sevdalinke sind in der Zeit der osmanischen Besetzung von Bosnien wurzelnde Lieder, die von Liebe oder ungestilltem Verlangen erzählen. Ursprünglich dominierte die Langhalslaute Saz den Sevdahklang, doch mit dem Schritt aus den Häusern reicher muslimischer Familien kamen Geige, Gitarre und Akkordeon hinzu. Und als die Mostar Sevdah Reunion Ende der Neunzigerjahre damit begann, orientalisch geprägte Liebeslieder aus Bosnien neu aufzunehmen, träumte Amira Medunjanin noch von einer Zusammenarbeit. Auf der CD A Secret Gate absolvierte sie dann einen Gastauftritt. Auf Medunjanins Debüt-CD Rosa aus dem Jahr 2005 erklingen dann neben Sevdalinke und Melodien aus der serbischen Region Vranje auch traditionelle Lieder aus Mazedonien. „Ich bin verrückt nach ihnen, obwohl ich kein einziges Wort Mazedonisch spreche. Aber die Sensibilität des mazedonischen Liedes ist sehr nah an der Feinfühligkeit der bosnischen Sevdahmusik, und damit bin ich ja quasi aufgewachsen.“
Das Wort sevdah kommt aus dem Arabischen und bedeutet „Liebe, Verlangen, Ekstase“, und genau diese Gemütslage zwischen Hoffen und Enttäuschung beschreiben die Sevdahlieder. Über Jahrhunderte war das Publikum dieses Genres auf wohlhabende muslimische Familien begrenzt, im zwanzigsten Jahrhundert entwickelte sich dann in bosnischen Städten die Sevdahmusik fast zum Massenphänomen. Die Mostar Sevdah Reunion war lange die einzige Band, die diesen Balkanblues auch außerhalb ihres Heimatlandes auf die Bühne brachte. Ihre aktuelle CD Café Sevdah klingt auch wegen des Gruppengesangs der beteiligten Musiker weitaus extrovertierter als alle Alben vorher und betont eher die gesellige Seite der Kafanamusik.
Mittlerweile ist in Sarajevo eine neue Generation von Sevdahmusikern herangewachsen. Die einen imitieren die großen Vorbilder, die anderen, wie Amira Medunjanin oder Damir Imamovic suchen nach neuen künstlerischen Wegen. In diesem Jahr konnte Medunjanin gleich zwei Alben veröffentlichen. Eine Live-CD mit dem Titel Amira, aufgenommen mit ihrer neuen Band beim 12. Internationalen Jazz Fest Sarajevo und ein spektakuläres Duoprojekt namens Zumra, dass die Sängerin mit der klassisch ausgebildeten Akkordeonistin Merima Kljuco zusammengebracht hat. Zumra ist ein alter Frauenname in Bosnien, aber das Wort bedeutet im Türkischen auch: „Was für eine Art Mensch bist du?“ „ Jeden Song haben wir gemeinsam durchgesprochen und Merima Kljuco hat ihre verrückten zeitgenössischen Arrangements ausprobiert. Ich war sehr neugierig, wie die Leute darauf reagieren würden. Merimas Akkordeon klingt wie zehn Instrumente, wie ein ganzes Orchester. Ich bin fasziniert, wie sie dieses riesige, sechzehn Kilo schwere Instrument beherrscht, sogar damit auf der Bühne herumspringt.“ ... mehr im Heft |
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