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„Leuchtende Blume“
als Notruf

ETTA SCOLLO

Von der Schönheit arabisch-
sizilianischer Poesie

   









Etta Scollo stellt mit ihrem neuesten Album Il Fiore Splendente die Schönheit der arabisch-sizilianischen Poesie des Mittelalters der Kurzlebigkeit der heutigen Zeit gegenüber. Das aufwendig produzierte Werk ist für die Komponistin und Sängerin eine Art Notruf. Sie verbindet das Projekt mit der Hoffnung, dass die CD die Menschen ein klein wenig mehr zueinander führt, dass sie sich den Anderen und Andersdenkenden gegenüber nicht immer verschließen. Welcher Titel wäre da passender als „Die leuchtende Blume“, wie das Album auf Deutsch übersetzt heißt.

Von Martin Steiner

„Mein Sizilien“ (Ibn Hamdis)

Mein Sizilien. Der hoffnungslose Schmerz
Wiederholt sich für dich in der Erinnerung
Jugend. Ich sehe die verlorenen glücklichen Verrücktheiten
Und die wundervollen Freunde wieder.
Oh Paradies, aus dem ich vertrieben wurde!
Was nützt es, sich an deinen Glanz zu erinnern?

Sizilien – Ort der Faszination und Fantasie. Als Goethe einst mit dem Schiff in Palermo einfuhr, fand er in seinem Wohlgefallen auf einmal kaum die richtigen Worte. „Wie sie [die Insel] uns empfangen hat, habe ich keine Worte auszudrücken: mit frisch grünenden Maulbeerbäumen, immergrünendem Oleander, Zitronenhecken.“ Zwei Jahrhunderte später spricht Etta Scollo eine andere Sprache. „Wer in Palermo landet, sieht nur Beton. Palermo ist fast wie ein Kriegsgebiet. Die jetzige Stadtregierung [der Forza Italia; Anm. d. Autors ] hat Palermo in den finanziellen Ruin getrieben. Die Menschen kämpfen Tag für Tag ums Überleben. Heute arbeite ich im Callcenter, morgen als Putzfrau. Die Kommunikation findet über das Internet statt. Alles muss schnell gehen. Die Schönheit der Sprache und die poetische Ausstrahlung Siziliens sind längst verlorengegangen.“

Auswahldiskografie:
Blu (Rough Trade, 1999)
In Concerto (Sony, 2002)
Canta Ro’ (Premium Records/Soulfood, 2005)
Les Siciliens (Premium Records/Soulfood, 2007)
Il Fiore Splendente (Edel Classics, 2008)

Etta Scollo unterwegs:
01.11.08: Mühlheim/Ruhr, Ringlokschuppen
26.11.08: Philipsburg, Leos Bühne
  in der Jugendstilfesthalle
27.11.08: Bochum, Bahnhof Langendreer
28.11.08: Neuss, Rheinisches Landestheater
30.11.08: Landau/Pfalz, Kulturverein Altstadt

go! www.ettascollo.de
Etta Scollo

Sizilien ist seit jeher ein Einwanderungsland, eine Brücke zu Europa. Täglich versuchen Menschen aus Nordafrika, China oder Indien auf der Insel Fuß zu fassen. Noch heute zeugen Tempelanlagen und andere Bauten von längst vergangenen Blütezeiten, als die Griechen und später die Römer auf Sizilien regierten. Eine weitere Hochzeit leitete in einer Sommernacht des Jahres 827 eine Flotte bestehend aus Arabern, Berbern, Spaniern, Persern, Maghrebinern und Ägyptern ein. Sie standen für ein Zeitalter der Toleranz zwischen den verschiedenen Religionen, Kulturen, Völkern und Sprachen, das mehr als zwei Jahrhunderte währen sollte. Palermo wurde „die erste große kosmopolitische Stadt des Hochmittelalters“. Etta Scollo schildert die Stadt in ihrer ausführlichen Beschreibung im Booklet zu Il Fiore Splendente als „pulsierendes Herz eines multiethnischen und multikulturellen Universums, von dem noch heute die prachtvolle Capella Palatina zeugt“. Doch im heutigen Sizilien findet sich kaum mehr etwas von der damaligen Hochkultur. Etta Scollo zitiert dabei den Schriftsteller Leonardo Sciascia: „Die Bewohner der Insel Sizilien haben nach der arabischen Eroberung angefangen, sich wie Sizilianer zu benehmen.“ Das Palermo Al-Idrisis, des ersten Geografen der Welt, oder das Syrakus Ibn Hamdis’, des berühmten sizilianisch-arabischen Dichters aus dem elften/zwölften Jahrhundert, fand die Musikerin kaum mehr.

Palermo ist fast wie ein Kriegsgebiet.
Die Menschen arbeiten Tag für Tag
ums Überleben.

Etta Scollo, Sizilianerin und Wahlberlinerin, möchte nun, nach einem Werk über die sizilianische Volkssängerin Rosa Balistreri (siehe auch go! Folker! 3/2005) und dem Album Les Siciliens , wo sie Lieder über die Legenden ihrer Insel vertonte, die Perlen der arabisch-sizilianischen Poesie wachrufen. Wie kam es dazu? „Vor nicht allzu langer Zeit vertiefte ich mich in Bologna in der Bibliothek des ‚Archiginnasio‘ während einer Durchsicht literarischer Dokumente in das Buch Antologia dei poeti arabi di Sicilia (‚Anthologie arabischer Dichter Siziliens‘, herausgegeben von Francesca M. Corrao, Mesogea by GEM srl., 2002).


ETTA SCOLLO
Il Fiore Splendente

(Berlin Classics 0016362BC, www.edel.com)
13 Tracks, 50:59, mit ital., arab. und dt. Texten und Infos

Beim Komponieren von Il Fiore Splendente stellte sich Etta Scollo eine schwierige Aufgabe. Sie wollte die fast verschollene, tausendjährige sizilianisch-arabische Poesie vor dem Vergessen retten. Dazu schrieb sie Partituren für ein ganzes Orchester, dachte in großen Spannungsbögen. Ein Kunstwerk sollte es werden. Solche Projekte laufen öfter schief – hier zum Glück nicht. Etta Scollo verfällt keinen Moment dem Größenwahn. Die Orchesterbegleitung ist gezielt und wohldosiert eingesetzt. Passend zu den zeitlos schönen Gedichten dominiert die kammermusikalische Ebene. Manchmal genügt Etta Scollos Stimme und eine Oud. Zum positiven Gesamteindruck trägt das aufwendige Booklet bei, das als solches ein kleines Kunstwerk ist. Es enthält einen Beitrag von Etta Scollo zur Entstehung des Albums, die Liedtexte, Bilder von arabischen Ornamenten und der Künstlerin. Alle Texte wurden behutsam in die deutsche Sprache übertragen. Il Fiore Splendente , „Die leuchtende Blume“ – wohl wahr.

Martin Steiner

 

ETTA SCOLLO – Il Fiore Splendente


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Mehr über Etta Scollo
im Folker! 6/2008