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TFF 2008 extra
(Siehe auch die go! weiteren Artikel zum Thema)

RASSISMUS IN RUDOLSTADT?

Die Stadt des Tanz- und Folkfestivals leidet unter den Vorwürfen eines Pfarrers

Ausgerechnet Rudolstadt, Gastgeber des größten deutschen Weltmusikfestivals, geriet im Frühjahr mit einem Rassismusskandal in die Schlagzeilen. Die Familie des Rudolstädter Schulpfarrers Reiner Andreas Neuschäfer hatte die Stadt mit Verweis auf alltäglich erlebten Rassismus verlassen. Dort herrschte Betroffenheit – aber weniger aus Mitgefühl, sondern weil man sich zu Unrecht angegriffen fühlte.

VON CHRISTIAN RATH

Familie Neuschäfer lebte seit 2000 in Rudolstadt. Neuschäfer organisiert für die evangelische Kirche den Religionsunterricht in Südthüringen. 2004 beschloss die Familie, sich mit ihren mittlerweile fünf Kindern dauerhaft in Rudolstadt niederzulassen. Sie kaufte eine große Wohnung in der Weinbergstraße 4, einem Haus, das TFF-Besucher kennen, denn während des Festivals finden im Hof dort Konzerte statt.

Anfang April wurde bekannt, dass Miriam Neuschäfer mit den Kindern nach Erkelenz im Rheinland weggezogen war. Die 32-Jährige, der man ihre indische Mutter ansieht, habe den Alltagsrassismus nicht mehr ausgehalten. Sie sei mehrfach auf offener Straße angespuckt worden, berichtete der Pfarrer. Hinter ihrem Rücken sei über Zwangssterilisierung getuschelt worden. In Läden hätte man sie teilweise nicht bedient. Sohn Jannik sei in der Grundschule aus rassistischen Gründen verprügelt worden.

Die Folkszene war alarmiert. Zwar war jedem Rudolstadtbesucher klar, dass die Stadt zwischen den Festivals natürlich weniger bunt und kosmopolitisch ist. Und viele haben auch schon von Einheimischen gehört, denen das Festival mit seiner fremden Musik, dem alternativen Publikum und dem ganzen Trubel auf die Nerven geht. Aber dass es so schlimm sein sollte? Bei der Stadt kamen nun viele böse Mails an, bis hin zu Boykottdrohungen für das Festival.

Der parteilose Bürgermeister Jörg Reichl reagierte sofort. Am Rathaus wurde ein großes Transparent befestigt mit der Aufschrift „Rudolstadt ist fremdenfreundlich“. Außerdem wurde ein „Runder Tisch gegen Fremdenfeindlichkeit“ eingerichtet. Bei Miriam Neuschäfer kam dasaber weniger gut an: „Ich habe sieben Jahre in Rudolstadt gelebt, warum werde ich als ‚fremd‘ bezeichnet?“ Schnell kam auch das Festival ins Spiel. „Das Tanz- und Folkfest istgelebte Fremdenfreundlichkeit“, sagte Bürgermeister Reichl zu den Medien. „Die Welt darf gerne bei uns zu Gast sein.“

Die Festivalleitung hielt sich eher bedeckt und wollte sich nicht instrumentalisieren lassen. „Wir tragen einfach nur drei Tage lang die Welt in die Provinz“, sagte TFF-Medienmann Wolfram Böhme. Letztlich spreche das Konzept doch für sich: „Wir leben Vielfalt vor, alsVerheißung und Genuss.“ Tatsächlich spielte die Rassismusdiskussion beim Weltmusikfestival so gut wie keine Rolle. Es gab keine Veranstaltung hierzu, und auch Bürgermeister Reichl sprach das Thema bei der Eröffnung des Festivals nicht an. Nur im Programmheft rief er zu „Courage gegen Rassismus und Rechtsextremismus“ auf.Die Zurückhaltung mag mit der Stimmung in der Stadt zu tun haben, wo man sich zu Unrecht an den Pranger gestellt sah und mit Gegenvorwürfen unterschiedlicher Qualität gegen die Anschuldigungen der Neuschäfers wehrte.

Vorwurf 1: Der Pfarrer habe eine Medienkampagne gegen Rudolstadt lanciert.

Tatsächlich ist Pfarrer Neuschäfer aber gar nicht selbst an die Medien herangetreten. Deshalb wurde der Wegzug seiner Familie, der im September 2007 erfolgte, erst rund ein halbes Jahr später öffentlich. Neuschäfer hatte einer Bekannten bei einer Tagung davon erzählt, die erzählte es irgendwann dem SPD-Politiker Sebastian Edathy, der wiederum gab es an einen Berliner Journalisten weiter, der dann die Geschichte unter anderem in der Frankfurter Rundschau veröffentlichte. Allerdings war Neuschäfer ab da für die Medien leichter zu sprechen als für sein Umfeld in Rudolstadt.

Vorwurf 2: Der Pfarrer habe sich geweigert, die Vorkommnisse mit nachprüfbaren Angaben aufzulisten.

Eine entsprechende Aufforderung seines Arbeitgebers, der evangelischen Kirche, hatte Neuschäfer tatsächlich ignoriert, vor allem weil er sich von der Kirche im Stich gelassen fühlte, nachdem sein Bischof Christoph Kähler in einem Kanzelwort vor einem neuen „Sebnitz“ gewarnt hatte. (In Sebnitz war 2000 ein Junge im Freibad ertrunken. Die Eltern machten rassistische Jugendliche dafür verantwortlich. Später stellte sich heraus, dass Zeugen manipuliert worden waren und das Kind an einem Herzfehler starb).

Vorwurf 3: Die Anschuldigungen seien falsch.

Doch wie soll Miriam Neuschäfer nachweisen, dass sie auf der Straße von fremden Personen angespuckt wurde? Bei anderen Punkten steht Aussage gegen Aussage. So zeigte sich der beschuldigte Besitzer eines Fotogeschäfts empört über den Vorwurf, er habe Frau Neuschäfer nicht bedient. Zu denken gibt vor allem das Polizeiprotokoll zu der angeblich rassistisch motivierten Schulhofprügelei. Dort wurde der Neuschäfer-Sohn ausdrücklich gefragt, ob er wegen seiner etwas dunkleren Hautfarbe beleidigt worden sei. Antwort: „Nein.“ Pfarrer Neuschäfer hatte das Protokoll damals unterschrieben.

Vorwurf 4: Statt zu fliehen, hätte die Pfarrersfamilie um Hilfe bitten sollen.

Dieser Vorwurf kommt vor allem aus dem persönlichen Umfeld der Neuschäfers, auch von Leuten, die mit dem Festival eng verbunden sind, wie Kulturdezernentin Petra Rottschalk (SPD). Sie wundern sich, warum die Familie die rassistischen Vorfälle nie angesprochen hat. Pfarrer Neuschäfer erwidert, er habe die Behandlung seiner Familie im letzten Jahr mehrfach thematisiert, in einem Vortrag in der Stadtbibliothek, in einem Beitrag für die Kirchenzeitung und in einem Leserbrief an die Lokalzeitung. Dass Letzteren niemand gelesen haben will, erstaunt tatsächlich, denn es ging um Toleranz während und nach dem Festival. Neuschäfers Freunde und Bekannte sagen jedoch, er hätte die Vorkommnisse auch während ihrer vielen privaten Gespräche erwähnen müssen, „dann hätten wir doch geholfen“. Halb sind sie menschlich über das mangelnde Vertrauen enttäuscht, halb ist Skepsis durchzuhören, ob etwas, das im Privaten zunächst so wenig thematisiert wird, tatsächlich passiert ist.

Vorwurf 5: Der Pfarrer habe etwas gegen Ostdeutsche.

Immer wieder ist zu hören, dass Neuschäfers Hauptthema in privaten Gesprächen die ostdeutsche Sozialisation in Ganztagsschulen und -krippen gewesen sei, der er die heile Welt der Familienerziehung gegenübergestellt habe. Auch in der Kirchenzeitschrift Glaube + Heimat machte er für den Rassismus gegen seine Familie unter anderem „Ostalgie“ verantwortlich. In Rudolstadt haben deshalb viele den Eindruck, dass hier ein „Besserwessi“ den Osten schlecht machen will. Im Gespräch mit Journalisten spricht Neuschäfer allerdings sehr differenziert über Ostdeutschland.

Vorwurf 6: Rudolstadt sei nun mal nicht so wie geschildert.

„Zwar ist Rudolstadt keine Insel der Seligen“, ist vor Ort immer wieder zu hören, „aber es ist auch nicht schlimmer als anderswo.“ So gebe es schon lange keine offene rechte Szene mehr, dafür mit den „Saalgärten“ ein eher linkes soziokulturelles Zentrum. Stadt und Landkreis finanzierten präventive Jugendarbeit an den Schulen, um rechte Stimmungen schon früh eindämmen zu können. Andere dunkelhäutige Bewohner und Besucher hätten in Rudolstadt durchaus positivere Erfahrungen gemacht, so wird betont.

Vorwurf 7: Frau Neuschäfer sei aus ganz anderen Gründen aus Rudolstadt weggezogen.

Miriam Neuschäfer soll sich in Rudolstadt nicht wohl gefühlt haben, die übertriebenen Rassismusschilderungen sollen ihr Druckmittel in der Familie gewesen sein, um den Wegzug durchzusetzen, so der Vorwurf. Pfarrer Neuschäfer habe diese dann übernommen, um von Problemen in der Familie abzulenken. Damit wäre zumindest ein Motiv für die vermeintlich ungerechten Anschuldigungen genannt. Von Familie Neuschäfer wird das natürlich bestritten.

Angesichts dieser Stimmungen, Einschätzungen und Fakten, kann man zumindest nachvollziehen, warum die Stadt und die Festivalleitung beim TFF nicht mit voller Kraft zum Kampf gegen den Alltagsrassismus aufriefen. Schwierig ist für Außenstehende, dass die Skepsis gegenüber Pfarrer Neuschäfer nicht nur aus konservativen Kreisen kommt, sondern gerade auch von Leuten, die mit dem Festival zu tun haben. Sind das wirklich alles nur Schönredner, die nicht als Nestbeschmutzer gelten wollen?


Eine Liste der exklusiv auf der Folker!-Webseite erschienenen Artikel findet ihr im go! Archiv.


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