1958 wird in Brasilien ein neuer Musikstil geboren und macht Weltkarriere. João Gilberto, bis heute der Bossa-Nova-Papst, bringt auf einer Single die ersten beiden Hits heraus. Kurioserweise erreicht die Bossa Nova nie durchschlagenden Erfolg im Tropenland selbst, andere Rhythmen wie Sertaneja und Rock sind stets populärer. Nur dank starker Nachfrage aus Europa und Japan gibt es heute eine neue brasilianische Generation von Bossa-Nova-Musikern. Ausgerechnet in Rio, wo alles begann, gibt es keine Bossa-Nova-Szene mehr, muss man nach Konzerten heute mit der Lupe suchen.
Auswahldiskografie: João Gilberto, Chega De Saudade (Odeon, 1959) Tamba Trio, Tamba Trio (Philips, 1962) Antonio Carlos Jobim, The Composer Of Desafinado Plays (Verve, 1963) Carlos Lyra, Depois Do Carnaval (Philips, 1963) Stan Getz und João Gilberto, Getz/Gilberto (Verve, 1964) Nara Leão, Nara (Universal, 1964) Roberto Menescal, A Nova Bossa De Roberto Menescal E Seu Conjunto (Elenco, 1964) Marcos Valle, O Compositor E O Cantor (Odeon, 1965) João Gilberto, João Gilberto, (Polygram, 1973) João Gilberto, João Voz E Violão (Universal/Mercury, 2000) Caetano Veloso, A Bossa De Caetano (Universal, 2000) www.joaogilberto.org www.jobim.com.br www.carloslyra.com www.viniciusdemoraes.com.br |
Von Klaus Hart
Ende 1957 treten in einer kleinen Copacabana-Bar hochtalentierte Musiker auf, nennen sich Bossa-Nova-Gruppe und spielen, wie es in den Ankündigungen heißt, moderne Sambas. Im Jahr darauf hören sich Musikmanager der großen Plattenfirma Odeon in São Paulo eine Probepressung zweier neuer Titel von João Gilberto an und reagieren wütend: „So ein Mist, den man uns da aus Rio schickt.“ Die Vinylsingle wird zerbrochen, weggeworfen – die beiden Titel, „Chega De Saudade“(„Schluss mit der Sehnsucht“), ein wunderschönes, als „Samba Cançao“ deklariertes Liebeslied von Komponist Tom Jobim und Texter Vinicius de Moraes, sowie das schlichte „Bim-Bom“ von João Gilberto markieren indessen den Beginn der Bossa Nova. Sie werden zu Klassikern, von denen es weltweit inzwischen Hunderte Versionen gibt. Den internationalen Durchbruch schafft die Bossa Nova aber erst mit dem berühmten Musikfilm Orfeu Negro , der 1960 sogar einen Oscar bekommt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Bossa Nova ist natürlich Samba, wie Brasiliens Experte Ruy Castro in seinem Buch Chega de Saudade betont. „Bossa Nova ist nur eine von dreißig Varianten, Spielarten des Samba – von den übrigen 29 haben Gringos höchstwahrscheinlich noch nie etwas gehört.“ „Gringos“ sind für Brasilianer die Leute aus der Ersten Welt, vornehmlich aus Europa und den USA.
„Landet heute jemand in Rio und fragt, wo man Bossa Nova hören kann, lautet die Antwort: ‚Die ist hier nicht mehr zu hören.‘“ |
Von den drei wichtigsten Miterfindern der Bossa Nova kümmert sich Tom Jobim um die Melodien, Vinicius de Moraes um die Texte und steuert João Gilberto seinen unverwechselbaren Samba sincopado , jenen etwas abgehackt gespielten Gitarrenschlag bei. Er singt leise, häufig sogar flüsternd, begleitet sich mit virtuosen, teils irrsinnig schwer zu spielenden Gitarren- und Pianoarrangements. Kaum zu glauben: Bis 1958 ist das Akkordeon Brasiliens Modeinstrument – durch João Gilberto wird es fortan die Gitarre.
Bizarre Legenden und Anekdoten ranken sich vor allem um das erste Bossa-Nova-Jahrzehnt, um das Konzert von Tom Jobim, João Gilberto, Carlos Lyra und anderen Bossa-Nova-Größen 1962 in der New Yorker Carnegie Hall – gemeinsam mit US-Jazzern wie Stan Getz. Organisiert von der brasilianischen Regierung und einer US-Plattenfirma, wird es bis heute meist glorifiziert – nicht wenige Rio-Musiker erleben es indessen als grauenhaft und chaotisch, als Reinfall. Carlos Lyra erinnert sich: „Da herrschte ein unglaubliches Durcheinander, da stiegen einfach Leute zu uns auf die Bühne und spielten, was ihnen gerade einfiel, improvisierten Jazzakkorde. Ich war so irritiert, dass ich zu Tom Jobim sagte: ‚Lass uns abhauen, das Konzert ist doch eine Schande!‘ Aber Tom Jobim war ängstlich und sagte: ‚Du hast doch auch den Konzertvertrag unterzeichnet – deshalb bleiben wir besser hier und ziehen das durch.‘“ Carlos Lyra schreibt einen Titel namens „Influencia Do Jazz“ – just gegen die Vereinnahmung des Samba, der Bossa Nova durch nordamerikanischen Jazz. Und Tom Jobim weist lauthals zurück, dass Bossa Nova doch im Grunde Jazz sei. „Das stimmt überhaupt nicht, was uns diese puristischen Musikkritiker da vorwerfen. Bossa Nova hat überhaupt nichts mit Jazz zu tun, sondern ist originär, typisch brasilianisch. Das muss man anerkennen. Vielmehr hat sich der Jazz bei der Bossa Nova bedient!“
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