Kinderlieder
Kinderlieder
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Was eigentlich ist ein Kinderlied? Etwas Gesungenes für, von oder
über Kids oder von allem ein bisschen? Ähnlich wie Zusammensetzungen
von Kind mit Buch, Theater oder Literatur kursieren hier die verschiedensten
Meinungen, angefangen bei vermeintlicher Trivialität bis hin zu
respektvoller Vorsicht. Gute Kunst für Kinder konfrontiert meist mit
ganz eigenen Herausforderungen, und die sind nicht jedermanns Sache.
)
Andere machen sie wiederum zu ihrer ureigenen - wie der
Rostocker Wolfgang Rieck als Käpt'n Klaas (vgl.
Folker! 4/04) in seinem Kinderprogramm,
die Berliner Ulf Erdmann und Ralf Kleinschmidt (Ulf & Zwulf), das
Kindermusiktheater "Pampelmuse" aus Potsdam oder der Nürnberger Gerd
Grashaußer, alias Geraldino, der zudem Organisator eines der
jährlichen Kindermusikfestivals ist.
Von Cathrin Alisch
Machen wir, bevor wir uns in der heutigen Dimension einer Musik für
die Macher von Morgen umsehen und umhören, eine kleinen Ausflug in die
Geschichte der Kinderlieder - sowohl die hiesigen als auch die exotisch
anmutenden wie die der Maori in der polynesischen Inselwelt. "Oriori tamariki"
oder kurz "Oriori" sind dort Lieder, die eigens für jedes neugeborene
Kind gedichtet und komponiert werden. Es handelt sich nicht einfach um
Wiegenlieder, sondern um eine Art Lehrgesang, der komplexe Genealogien,
hochkomplizierte Verwandtschaftsverhältnisse, im Prinzip die halbe
Stammesgeschichte, Mythen und Glaubensvorstellungen der jeweiligen Gemeinschaft
enthält. Interessanterweise werden die Oriori gesungen, lange bevor
das Kind den Inhalt versteht und selbst sprechen kann. Die Maori gehen davon
aus, dass unbewusst bereits in einem solch zarten
)
Alter die Inhalte dieser Lieder gespeichert
werden und das Kind danach fragen wird, sobald es fragen kann.
Betrachtet man dieses Beispie genau, ergeben sich mehrere Anknüpfungspunkte für uns. Wiegenlieder, Lullabys, um mit diesen ersten Formen von Kinderliedern zu beginnen, sind z.B. allein dadurch interessant, dass sich die musikalischen Parameter, wie man durch Vergleiche festgestellt hat, unabhängig von der jeweiligen kulturellen Einordnung sehr ähneln. Klangeindruck und Melodieverlauf stehen im Dienste eines beruhigenden Einschläferns, der Suggestion sozialer Einbettung. Der Text ist zunächst sekundär.
Später wird vor allem in schriftlosen Kulturen die Kombination Musik und Sprache eines der wesentlichsten pädagogischen Medien. Auch dies gilt ausnahmslos über ethnische und nationale Grenzen hinweg. Wir finden im historischen Europa Beispiele dafür durch alle
kulturhistorischen Phasen hindurch und Relikte einer vorchristlichen Glaubenswelt, die sich in Form von so genanntem "gesunkenen Kulturgut" teilweise bis ins letzte Jahrhundert in Kinderliedern, Singspielen etc. erhalten haben.
)
Manipulation durch Gemeinschaft und Gesang
Als Sonderform in diesem Zusammenhang gelten Gesänge bei Flurumgängen,
die ursprünglich magischen Inhalt hatten und gleichzeitig der Grenzsicherung
dienten. Kinder spielten bei diesen Prozessionen, die erst viel später
von der Kirche umgedeutet worden sind, als Gedächtniszeugen in mehrfacher
)
Hinsicht eine besondere Rolle, die sich vielfach in der
historischen Kinderliedliteratur niedergeschlagen hat. Mit Einbruch der
christlichen Kirche wird die mythisch-magische Dimension, die alle indigenen
Traditionen der Musik im weitesten Sinne zugestehen, auf eine reine
Gebetsfunktion reduziert. Das gilt auch für den Kanon kindgerechter
Lieder und den dazugehörigen didaktischen Anspruch.
Das Identifikationsangebot und ein damit verbundenes Manipulationspotential von Gemeinschaft und Gesang war wahrscheinlich zu allen Zeiten bekannt. Allein im Rahmen der deutschen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts ließen sich für das Thema "Ideologie im Lied" - auch in der Fokussierung auf Kinderlieder - zahlreiche Beispiele anführen.
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